Medizinrecht

Nachträgliche Rechnungskorrektur bis 2016 auch nach MDK-Prüfverfahren zulässig

Aktenzeichen  L 4 KR 437/19

Datum:
13.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28609
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
PrüfvV 2014 § 7 Abs. 5 S. 2
KHG § 17c Abs. 2 S. 1
SGB V § 109

 

Leitsatz

1. Im Abrechnungsverfahren durch den Krankenhausträger ist nach § 7 Abs. 5 S. 2 PrüfvV 2014 bis 31.12.2016 eine nachträgliche Rechnungs-korrektur binnen fünf Monaten nach Einleitung des Prüfverfahrens zulässig. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die ab 1.1.2017 geltende Regelung des § 7 Abs. 5 S. 3 PrüfvV gilt nicht rückwirkend. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 6 KR 151/17 2019-06-26 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 26. Juni 2019 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 5.371,36 EUR festgesetzt.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein weiterer Vergütungsanspruch für die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten AS in der geforderten Höhe zu. Gemäß § 153 Abs. 2 SGG wird auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts verwiesen. Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Rechtsgrundlage des von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) sowie § 17b Abs. 1 Satz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) i.V.m. der vorliegend für den Behandlungs- und Abrechnungsfall im Jahr 2016 maßgeblichen Fallpauschalenvereinbarung 2014 i.V.m. der zwischen den Beteiligten geltenden Budget- und Entgeltvereinbarung.
Unstreitig ist dabei zwischen den Beteiligten, dass die von der Klägerin vorgenommene Änderung der DRG von DRG F12G in DRG F01G zutreffend ist. Die Korrektur durch die Klägerin mit Rechnung vom 25.01.2017 erfolgte einmalig und innerhalb der 5-Monatsfrist des § 7 Abs. 5 S. 2 PrüfvV 2014. Unstreitig ist ferner, dass keine Verjährung oder Verwirkung eingetreten ist.
Streitig ist allein die Rechtsfrage, ob die Klägerin mit der nachträglichen Kodierung der DRG F01G und der darauf beruhenden Rechnungskorrektur vom 25.01.2017 aufgrund des § 7 Abs. 5 PrüfvV 2014 präkludiert ist. Dies ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall. Ebenso wenig ergibt sich ein Ausschluss aus dem Grundsatz nach Treu und Glauben.
Für die im April 2016 durchgeführte Krankenhausbehandlung gilt die PrüfvV 2014, in Kraft getreten zum 01.09.2014. § 7 Abs. 5 PrüfvV a.F. lautet: „1Korrekturen oder Ergänzungen von Datensätzen sind nur einmalig möglich. 2Diese hat der MDK nur dann in seine Prüfung einzubeziehen, wenn sie innerhalb von 5 Monaten nach Einleitung des MDK-Prüfverfahrens nach § 6 Absatz 2 an die Krankenkasse erfolgen. 3Unabhängig hiervon kann das Krankenhaus bei Erweiterung des Prüfanlasses nach § 6 Absatz 3 Satz 4 eine einmalige Korrektur oder Ergänzung des Datensatzes innerhalb von 5 Monaten nach dieser Erweiterung vornehmen. 4Je nach Eingang der Korrektur bzw. der Ergänzung verlängert sich die Gesamtprüffrist nach § 8 Satz 3 entsprechend. 5§ 275 Absatz 1c Satz 3 SGB V findet auf Prüfungen, die aufgrund dieser Korrekturen nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führen, keine Anwendung.“
Die Neufassung des § 7 Abs. 5 S. 3 PrüfvV ist erst zum 01.01.2017 in Kraft getreten (PrüfvV in der Fassung vom 03.02.2016 – PrüfvV 2016) und ist für den vorliegenden Rechtsstreit nicht bzw. nicht unmittelbar anwendbar (hierzu s.u.).
Die in § 7 Abs. 5 S. 2 PrüfvV i.d.F. von 2014 festgelegte Fünfmonatsfrist für die nachträgliche (Abrechnungs-)Datensatzkorrektur im MDK-Prüfverfahren schließt die hier erfolgte, nachträgliche Rechnungskorrektur im Abrechnungsverfahren durch die Klägerin nicht aus. Die Regelung schließt schon nach ihrem Wortlaut die nachträgliche Korrektur einer Krankenhausabrechnung nicht aus. Darüber hinaus sprechen auch systematische Erwägungen dagegen, dass § 7 Abs. 5 PrüfvV a.F. die Vergütung betreffende materielle Ausschlussfristen enthält. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsansicht des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 17.04.2019 (a.a.O.), des Hessischen LSG im Urteil vom 14.11.2019 (a.a.O.) sowie des Sozialgerichts Landshut in dem angefochtenen Urteil an.
Satz 2 des § 7 Abs. 5 PrüfvV a.F. regelt nach seinem eindeutigen Wortlaut die Frist, innerhalb der eine Datensatzkorrektur oder -ergänzung durch das Krankenhaus an die Krankenkasse für eine Einbeziehung in die Prüfung durch den MDK erfolgt sein muss („Diese hat der MDK nur dann in seine Prüfung einzubeziehen, wenn …“). Hält das Krankenhaus diese Frist nicht ein, hat es keinen Anspruch darauf, dass der MDK den geänderten oder korrigierten Datensatz bei seiner Prüfung berücksichtigt. Eine darüber hinausgehende Rechtsfolge, insbesondere die, dass das Krankenhaus nach Beendigung der MDK-Prüfung nicht mehr berechtigt ist, in den Grenzen der Verjährung und Verwirkung weitere Krankenhausvergütung nachzufordern, kann dem Wortlaut des § 7 Abs. 5 Satz 2 PrüfvV a.F. nicht entnommen werden.
So hat auch das LSG Baden-Württemberg aus Sicht des Senats zutreffend ausgeführt, dass die Regelung in § 7 Abs. 5 S. 2 PrüfvV 2014 schon nach ihrem Wortlaut die nachträgliche Rechnungskorrektur einer Krankenhausabrechnung nicht ausschließt. Die Vorschrift hat nur die nachträgliche Datensatzkorrektur im MDK-Prüfverfahren zum Gegenstand; geregelt wird die Einbeziehung von korrigierten oder ergänzten Datensätzen – Adressat des Satzes 2 ist dabei der MDK. Eine Aussage zur nachträglichen Rechnungskorrektur bzw. dass die Beklagte diese nicht mehr zu berücksichtigen hätte, lässt sich ihr nicht entnehmen (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., juris Rn. 31). § 7 Abs. 5 PrüfvV 2014 umfasst nur den Prüfgegenstand des MDK-Verfahrens, wie zuletzt auch das Hess. LSG (a.a.O.), ebenfalls zur PrüfvV in der Fassung von 2014 entschieden hat.
Letztlich wird dies auch aus den – für den Senat nicht bindenden – Hinweisen des GKV-Spitzenverbandes zur Prüfverfahrensvereinbarung gemäß § 17c Abs. 2 KHG (Stand: 05.11.2014; Seite 15) deutlich, der als Fallgruppen ebenfalls nur die MDK-Prüfung als Maßstab ansieht. So wird als vierte Fallgruppe aufgeführt:
„4. Die MDK-Prüfung ist bereits vor Ablauf der 5-Monatsfrist abgeschlossen (z. B. nach 4 Monaten), erst danach nimmt das Krankenhaus gegenüber der Krankenkasse eine Datenkorrektur vor (nach 4 Monaten und 3 Wochen). Eine Weiterleitung durch die Krankenkasse an den MDK ist nicht erforderlich, da eine Berücksichtigung von Datenkorrekturen nur möglich ist, solange der Prozess der Begutachtung noch andauert.“
Es wird als Konsequenz gemäß Satz 2 zweifelsfrei deutlich, dass die „Weiterleitung durch die Krankenkasse an den MDK“ nicht erforderlich ist. Eine weitergehende Regelung ist nicht gewollt.
Insbesondere ergibt sich aus § 7 Abs. 5 S. 2 PrüfvV a.F. keine materielle Ausschlussfrist, wie dies die Beklagte annimmt. Ausschlussfristen sind Fristen, nach deren Ablauf das Recht erlischt.
Beim BSG ist derzeit die Frage anhängig (B 1 KR 24/20 R), ob die Regelung des § 7 Abs. 2 S. 3 u. 4 PrüfvV vom 18.07.2014 der Sache nach eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist beinhaltet. Bei der Frage, ob eine – hier materiell-rechtliche – Ausschlussfrist vorliegt, ist wie allgemein bei einer Auslegung grundsätzlich zunächst grammatisch vom Wortlaut auszugehen. Auch eine teleologische Auslegung nach Sinn und Zweck hat sich hieran zu orientieren. Der Wortlaut des § 7 Abs. 2 PrüfvV unterscheidet sich jedoch wesentlich von dem in Absatz 5. § 7 Abs. 2 PrüfvV 2014 hat folgenden Wortlaut:
„2) 1Die Prüfung vor Ort richtet sich nach den Vorgaben des § 276 Absatz 4 SGB V. 2Bei einer Prüfung im schriftlichen Verfahren kann der MDK die Übersendung einer Kopie der Unterlagen verlangen, die er zur Beurteilung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt. 3Das Krankenhaus hat die Unterlagen innerhalb von 4 Wochen nach Zugang der Unterlagenanforderung an den MDK zu übermitteln. 4Erfolgt dies nicht, hat das Krankenhaus einen Anspruch nur auf den unstrittigen Rechnungsbetrag.“
Während also § 7 Abs. 5 S. 2 PrüfvV 2014 als „Rechtsfolge“ nur den Einbezug von korrigierten oder ergänzten Datensätzen durch den MDK regelt, legt der Wortlaut des § 7 Abs. 2 S. 4 PrüfvV 2014 einen materiell-rechtlichen Ausschluss eines Anspruchs auf den streitigen Rechnungsbetrag nahe.
Auch enthalten die Hinweise zu Absatz 5 – anders als zu § 7 Abs. 2 PrüfvV 2014 (a.a.O., S. 13: „Diese Frist ist eine Ausschlussfrist.“) – keine Aussage dazu, dass es sich bei den Fristen in Absatz 5 um eine Ausschlussfrist handelt.
Der Senat vermag in § 7 Abs. 5 S. 2 PrüfvV a.F. auch aufgrund des systematischen Gesamtzusammenhangs, in dem die Regelung des § 7 Abs. 5 PrüfvV a.F. steht, keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist zu erkennen. § 7 PrüfvV a.F. regelt die Durchführung der Prüfung und ist Bestandteil einer Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c SGB V. Die PrüfvV ist keine Vereinbarung über die Abrechnung von Krankenhausbehandlungen. Da § 7 Abs. 5 PrüfvV a.F. – anders als etwa § 7 Abs. 2 PrüfvV a.F. – auch keine ausdrückliche Aussage zu Konsequenzen für Vergütungen trifft für den Fall, dass die dort geregelten Fristen nicht eingehalten werden, kann weder aufgrund des Wortlauts noch aufgrund systematischer Erwägungen von einer materiellen Ausschlussfrist ausgegangen werden (siehe im Übrigen auch LSG Baden-Württemberg, a.a.O., juris Rn. 29 m.w.N.).
Soweit die Beklagte aus dem Urteil des BSG vom 19.11.2019 zitiert (BSG, a.a.O., juris Rn. 16), kann hieraus nach Ansicht des Senats nichts für das vorliegende Verfahren betreffend § 7 Abs. 5 S. 2 PrüfvV 2014 abgeleitet werden. Auch die Entscheidung des Hess. Landessozialgericht vom 28.05.2020 (L 8 KR 221/18 – juris), betrifft nur § 7 Abs. 2 PrüfvV, nicht Absatz 5.
Auch gilt die mit § 7 Abs. 5 S. 3 PrüfvV 2016 zum 01.01.2017 eingeführte Regelung, dass die Korrektur oder Ergänzung von Datensätzen nur bis zum Ende der MDK-Begutachtung möglich ist, nicht rückwirkend für die Zeit davor. Die Neufassung des § 7 Abs. 5 PrüfvV 2016, die wie dargelegt vorliegend nicht gilt, brachte in Satz 3 die Regelung, dass „eine Korrektur oder Ergänzung von Datensätzen nur bis zum Ende der Begutachtung durch den MDK möglich“ ist (im Rahmen der schon bestehenden 5-Monats-Frist). Wie die Regelung des Satzes 3 der Neufassung im Einzelnen und im Verhältnis zu Satz 2 auszulegen ist, kann der Senat in diesem Verfahren offen lassen. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße Klarstellung, vielmehr wird mit Satz 3 eine differenzierte Fristenregelung eingeführt.
Eine weitergehende teleologische Auslegung mit dem Ziel, trotz dem Dargelegten zu einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist zu gelangen, ist nicht zulässig. Das von der Beklagten angesprochene Beschleunigungsgebot bezieht sich allein auf das Prüfverfahren selbst. Das Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1 c SGB V dient dazu, Ungereimtheiten, die der Krankenkasse auffallen, möglichst umgehend aufzuklären. Wird vom Krankenhaus – aus welchem Grund auch immer – nach Beendigung des Prüfverfahrens ein Fehler entdeckt, der nicht Gegenstand des Prüfverfahrens war, kann das MDK-Prüfverfahren durch eine entsprechende Rechnungskorrektur nicht in die Länge gezogen werden, weil es schon beendet ist.
Die nachträgliche Rechnungskorrektur verstößt auch nicht gegen den Rechtsgedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB analog) in der Form der Verwirkung. Nach der Rechtsprechung des BSG findet das Rechtsinstitut der Verwirkung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung (stRspr; vgl. z.B. BSGE 112, 141). Als ein Verwirkungsverhalten wertet das BSG regelmäßig die vorbehaltlose Erteilung einer nicht offensichtlich unschlüssigen Schlussrechnung eines Krankenhauses. Im Anschluss hieran entsteht in der Regel, so das BSG, eine Vertrauensgrundlage, wenn das Krankenhaus eine Nachforderung weder im gerade laufenden noch nachfolgenden vollen Haushaltsjahr der Krankenkasse geltend macht. Der Vertrauenstatbestand erwachse daraus, dass die Krankenkasse darauf vertraue, dass das Krankenhaus insoweit keine weiteren Nachforderungen erhebt (vgl. BSG, Urteil v. 19.11.2019, B 1 KR 10/19 R). Gemessen hieran hat die Klägerin die weitere Vergütung rechtzeitig geltend gemacht. Es erscheint nicht gerechtfertigt, den einvernehmlichen Abschluss eines MDK-Prüfverfahrens als Verwirkungsverhalten zu betrachten.
Der Zinsanspruch beruht auf § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V in Verbindung mit § 288 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 33 der vorläufigen Budget- und Entgeltvereinbarung vom 13.10.2015 in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz. Er wurde vom Sozialgericht zutreffend ab 17.02.2017 zugesprochen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Revision wird im Hinblick auf eine Vielzahl noch anhängiger, vor allem erstinstanzlicher Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197 a Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert ist bezifferbar im Sinne des § 52 Abs. 3 S. 1 GKG und mit 5.371,36 EUR festzusetzen.


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