Medizinrecht

Neuerteilung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  W 6 K 20.780

Datum:
11.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35710
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2 Abs. 4 S. 1
FeV § 11 Abs. 1, § 20 Abs. 1
BtMG § 13 Abs. 1 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet. 

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, da der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Denn der Kläger ist auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht fahrgeeignet im Sinne von § 2 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV.
1. Da dem Kläger mit Strafbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 15. Dezember 2017 (Az.: …) rechtskräftig die Fahrerlaubnis entzogen wurde, gelten nach § 20 Abs. 1 FeV im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV der Fall, wenn sie die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Mangel vorliegen könnte, ist die Fahrerlaubnisbehörde je nach Ausgestaltung der entsprechenden gesetzlichen Regelung gemäß den §§ 11 bis 14 FeV dazu berechtigt oder gar verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen. Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat seine Eignung nachzuweisen, denn es besteht keine Eignungsvermutung zu seinen Gunsten. Vielmehr muss die Eignung bei der (Neu-)
Erteilung der Fahrerlaubnis positiv festgestellt werden (Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, StVG § 2 Rn. 7).
Entgegen der Ansicht seines Bevollmächtigten hat der Kläger bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das Bestehen seiner Fahreignung nicht nachgewiesen, sodass sein Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis abzulehnen war und die Klage keinen Erfolg haben konnte. Zwar macht der Kläger unter Vorlage von ärztlichen Attesten seines behandelnden Arztes Dr. … … geltend, Cannabis zu medizinischen Zwecken einzunehmen. Der Kläger konnte jedoch bereits nicht nachweisen, dass er das Arzneimittelprivileg für sich beanspruchen kann, da sich aus den Gesamtumständen diesbezüglich erhebliche Zweifel ergeben und der Kläger als Bewerber um eine Fahrerlaubnis darlegungspflichtig ist. Da das Arzneimittelprivileg zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht bejaht werden kann, ist der Kläger als regelmäßiger (Medizinal-)Cannabis-Konsument schon daher nicht fahrgeeignet (1.2). Ungeachtet dessen hat er seine Fahreignung auch deshalb nicht nachgewiesen, da ausweislich des ärztlichen Gutachtens der P … GmbH vom 5. August 2019 die erforderliche Adhärenz im Hinblick auf die Behandlung mit Medizinal-Cannabis nicht mit einer ausreichenden Sicherheit beantwortet werden konnte und sich darüber hinaus aus dem Gutachten weitere Zweifel an seiner Fahreignung ergeben (1.3). Da die Fahreignung des Klägers damit zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vorgelegen hat, besteht kein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis, sodass es unerheblich ist, dass die Beklagte den Antrag des Klägers mit einer fehlerhaften Begründung ablehnte (1.4).
1.1. Mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 (BGBl. I S. 403) wurde Cannabis in die Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz – BtMG – aufgenommen, wodurch seine Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit hergestellt wurde. Es ist im Hinblick hierauf rechtlich geboten, den Konsum von Medizinal-Cannabis aus dem Anwendungsbereich der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung auszuklammern. Denn bei der Einnahme von ärztlich verordnetem Medizinal-Cannabis entfällt die Fahreignung grundsätzlich nicht schon nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV wegen regelmäßigen Cannabiskonsum, wenn es sich um die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels im Sinne der Nr. 3.14.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung vom 27. Januar 2014 (Begutachtungs-Leitlinien, VkBl. S. 110; Stand: 31.12.2019, die nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind) handelt (sog. Arzneimittelprivileg, Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 2 StVG Rn. 65). Insoweit definieren Nr. 9.4 und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV speziellere Anforderungen für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch von psychoaktiven Arzneimitteln resultieren (vgl. Dauer, a.a.O., Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 11 FeV Rn. 51).
Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist und im Rahmen der Behandlung einer Erkrankung erfolgt (Schubert/Huetten/ Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 303). Dies setzt voraus, dass das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird; hierbei ist stets eine einzelfallorientierte Betrachtung erforderlich (BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – BeckRS 2020, 1237 – Rn. 22 unter Verweis auf: Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien [StAB] zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, aktualisierte Fassung vom August 2018, abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O., S. 440 ff. – nachfolgend: Handlungsempfehlung Cannabismedikation – S. 443; vgl. auch OVG NW, B.v. 5.7.2019 – 16 B 1544/18 – Blutalkohol 56, 342 = juris Rn. 4 ff.; VGH BW, B.v. 31.1.2017 – 10 S 1503/16 – VRS 131, 207 = juris Rn. 8 f.).
Aus Sicht der erkennenden Kammer ist gerade hinsichtlich der zuverlässigen Einnahme des Medizinal-Cannabis nur nach der ärztlichen Verordnung und damit der Compliance bzw. Adhärenz ein besonderer Schwerpunkt zu setzen, der je nach der konkret zu beurteilenden Sachverhaltsgestaltung aus verschiedenen Perspektiven ausgeleuchtet werden muss. Dies gilt zum einen, weil gerade auch Patienten mit Medizinal-Cannabis behandelt werden, die bereits eine Vorgeschichte mit illegalem Cannabiskonsum haben. Nach vorliegender Literatur fällt auf, dass obwohl es sich bei der Behandlung mit Medizinal-Cannabis aufgrund unzureichender Studienlage stets um einen individuellen Heilversuch handelt, dennoch bereits im Jahr 2017, d.h. dem Jahr der Gesetzesänderung, eine erstaunlich hohe Zahl an Anträgen bei den Krankenkassen verzeichnet wurde (ohne Erfassung von Privatrezepten); es liegt daher nahe, dass auch cannabisaffine Personen versuchen, über den Weg einer ärztlichen Verschreibung den Gebrauch zu legalisieren (vgl. Mußhoff/Graw, Blutalkohol 2019, 73). Da Patienten mit einer Sucht- oder Missbrauchsvorgeschichte sich von den Patienten, die aus rein medizinischen Gründen erstmalig Cannabis in einem Therapiekontext erhalten, unterscheiden, differenziert folglich die Handlungsempfehlung Cannabismedikation drei verschiedene Fallgruppen abhängig von der Cannabisvorerfahrung: 1) Patienten, bei denen der Arzt die Indikation stellt und Cannabis als Medikament verschreibt, 2) Patienten, die in der Krankheitsvorgeschichte Erfahrungen mit (illegaler) Cannabis-Eigentherapie gemacht haben und nun auf eine Verschreibung durch den Arzt wechseln und 3) Konsumenten, die eine Missbrauchsvorgeschichte und/oder eine drogenbezogene Delinquenz aufweisen und die eine Cannabisverschreibung aus medizinischen Gründen anstreben, um missbräuchlichen Konsum zu legalisieren (Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 442). Personen vom Typ 3) gilt es, nicht mit Cannabis zu versorgen und insbesondere auch von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen. Auch sind sie verantwortlich für den derzeit sehr skeptischen Eindruck in der Öffentlichkeit, was die Therapie mit Cannabisprodukten betrifft, was sich äußerst negativ auf den verantwortungsbewussten Patienten auswirkt, der durchaus adhärent und leistungsfähig ist und dem der Erhalt der Mobilität dann auch ermöglicht werden sollte (Mußhoff/Graw, Blutalkohol 2019, 73, 80 f.).
Diese Differenzierung findet ihre Stütze auch in § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BtMG. Hieraus ergibt sich, dass Medizinal-Cannabis nur im Rahmen einer ordnungsgenäßen Behandlung ärztlich verschrieben, verabreicht oder überlassen werden darf und dies nur dann, wenn die Anwendung am oder im Körper begründet ist, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Hieraus ist zum einen abzuleiten, dass zwingende Voraussetzung einer medizinischen Indikation eine eigene Untersuchung des Patienten durch den verschreibenden oder die Behandlung veranlassenden Arzt darstellen muss. Auf diese Weise soll den Anforderungen an die Sicherheit und Kontrolle des legalen Betäubungsmittelverkehrs Genüge getan und die Eignung und Erforderlichkeit einer Behandlung mit Betäubungsmitteln sichergestellt werden (Bohnen/Schmidt in BeckOK, Stand 15.9.2019, § 13 BtMG Rn. 16). Zudem dürfen Betäubungsmittel immer nur die Ultima Ratio darstellen. Kommen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet sind, wie eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegender Arzneimittel, ist diesen der Vorrang zu geben (Bohnen/Schmidt in BeckOK, Stand 15.9.2019, § 13 BtMG Rn. 25; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 13 Rn. 20 ff.). An diesen hohen Hürden wollte auch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 nichts ändern. Beabsichtigt war mit der Gesetzesänderung ausweislich der Begründung, Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen nach entsprechender Indikationsstellung und bei fehlenden Therapiealternativen zu ermöglichen, das Cannabis-Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken in standardisierter Qualität durch Abgabe in Apotheken zu erhalten. Die behandelnden Ärzte haben hierbei insbesondere das Vorliegen der – auch schon nach geltender Rechtslage – für alle übrigen verschreibungsfähigen Betäubungsmittel geltenden Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BtMG zu berücksichtigen (BT-Drs. 18/8965, S. 13).
1.2. Dies zugrunde gelegt ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung schon nicht nachgewiesen, dass der Kläger tatsächlich das Arzneimittelprivileg für sich beanspruchen kann. Folglich ist er als regelmäßiger (Medizinal-)Cannabis-Konsument derzeit nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV fahrungeeignet.
Aus den vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen (Behandlungsvereinbarung mit Dr. … … v. 19.11.2018, ärztliches Attest des Dr. … … v. 18.1.2019) geht hervor, dass die erstmalige Vorstellung des Klägers bei diesem Arzt am 19. November 2018 gewesen ist. Bei Durchlesen der Behandlungsvereinbarung drängt sich der Eindruck auf, dass der das Medizinal-Cannabis verordnende Arzt schon nicht der behandelnde Arzt des Klägers (gewesen) ist: „Der behandelnde Facharzt des oben genannten Patienten ist zwingend und zeitnah über dieses therapeutische Vorgehen zu informieren. Die medizinische Betreuung verbleibt in dessen Händen.“ Zwar erwähnt die Behandlungsvereinbarung „ärztlicherseits festgestellte Erkrankungen und Gesundheitsstörungen“, jedoch bleibt offen, welche Erkrankungen oder Gesundheitsstörungen dies sein sollen und unter welchen Umständen bzw. von welchem Arzt diese Feststellungen getroffen wurden. Zwar sind in dem später vorgelegten ärztlichen Attest vom 18. Januar 2019 die Diagnosen essenzieller Tremor (G25.0), Harnblasensentleerungsstörung (R39.1) und chronisches Schmerzsyndrom (R52.2) vorangestellt, jedoch spricht das Attest ansonsten nur von „chronischen Grunderkrankungen“, welche nicht näher benannt werden und deren Zusammenhang zu den vorangestellten Diagnosen sich – gerade auch mit Blick auf das junge Alter des Klägers – nicht erschließt. Soweit davon die Rede ist, der verordnende Arzt Dr. … … habe „nach dem Sichten des umfangreichen medizinischen Materials einschließlich des Bildmaterials, einer umfassenden Anamnese und körperlichen Untersuchung“ die Indikation zur Verordnung von Medizinal-Cannabis gestellt, erscheint dies angesichts des Inhalts der nur zwei Monate davor geschlossenen Behandlungsvereinbarung vom 19. November 2018 widersprüchlich und fragwürdig.
Die durch diese Unterlagen aufgeworfenen Fragen verdichten sich zu erheblichen Zweifeln, nachdem in dem vorgelegten ärztlichen Gutachten der P … GmbH vom 5. August 2019 (Untersuchungstag: 27.6.2019) gerade kein Tremor oder orthopädische Auffälligkeiten beim Kläger festgestellt wurden (vgl. ärztl. Gutachten v. 5.8.2019, S. 8). Aus dem ärztlichen Gutachten vom 5. August 2019 geht auch nicht hervor, dass Krankenunterlagen des Klägers vorgelegt und in die Begutachtung mit einbezogen wurden; bei der verkehrsmedizinischen Anamnese findet sich lediglich ein Passus mit der Unterüberschrift „Angaben aus der schriftlichen Befragung“ (Gutachten v. 5.8.2019, S. 7), was lediglich auf eine Selbstauskunft des Klägers im Vorfeld der Begutachtung hindeutet. Des Weiteren ist nicht nachvollziehbar, welches konkrete Therapieziel beim Kläger durch die Behandlung mit einem Betäubungsmittel erreicht werden soll; die Feststellung, der Patient benötige dieses „zur Bewältigung seiner Alltagsanforderungen“ (vgl. ärztl. Attest Dr. … … v. 18.1.2019) genügt in dieser Pauschalität jedenfalls nicht. Gleiches gilt für die dort enthaltenen Ausführungen, die Verordnung von Medizinal-Cannabis erfolge „nach erfolglosem Ausschöpfen herkömmlicher medikamentöser und physiotherapeutischer Behandlungen“ (a.a.O.). Dies lässt auf einen längeren Therapieweg schließen, welcher sich aus den vorgelegten Unterlagen jedenfalls nicht ergibt und wozu auch sonst nichts vom Kläger vorgetragen wurde. Es bleibt damit festzuhalten, dass es sich bei den Ausführungen im ärztlichen Attest vom 18. Januar 2019 zu den Grunderkrankungen des Klägers, der medizinischen Indikation und der Notwendigkeit der Behandlung mit einem Betäubungsmittel um nicht näher substantiierte Behauptungen handelt, die in ihrer Allgemeingültigkeit auf viele beliebige Patienten übertragen werden könnten. Dies wird jedoch dem Maßstab des § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BtMG, der strenge Anforderungen an die heilärztliche Anwendung von Betäubungsmitteln wie Medizinal-Cannabis stellt, nicht gerecht.
Entgegen der Ansicht des Klägers (vgl. Klagebegründung v. 12.6.2020, S. 3, 5 und 6) ist damit weder durch die vorgelegten Unterlagen noch das ärztliche Gutachten der P … GmbH vom 5. August 2019 nachgewiesen, dass er fahrgeeignet ist. Vielmehr bestehen erhebliche Zweifel, ob die hier verfahrensgegenständliche Verordnung von Medizinal-Cannabis überhaupt unter das Arzneimittelprivileg fällt. Nachdem der Bewerber um eine Fahrerlaubnis nur dann einen Anspruch auf deren Erteilung hat, wenn alle Voraussetzungen erfüllt und alle Nachweise erbracht sind, liegt die Beweislast für die Wiedererlangung der Fahreignung beim betroffenen Kraftfahrer (Hans/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, FeV § 20 Rn. 20). Damit liegt es in der Sphäre des Klägers, darzulegen und nachzuweisen, dass sein regelmäßiger Medizinal-Cannabiskonsum unter das Arzneimittelprivileg fällt. Dies ist ihm bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht gelungen. Nachdem der Kläger das Arzneimittelprivileg nicht für sich beanspruchen kann, ist er als regelmäßiger Cannabiskonsument damit gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen (vgl. [zur Entziehungssituation] BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – BeckRS 2020, 1237 Rn. 23). Auf die erst im nächsten Schritt zu klärende Frage, ob der Kläger trotz der Behandlung mit Medizinal-Cannabis im Hinblick auf Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV dennoch zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, kommt es daher schon nicht mehr an.
Rein ergänzend ist anzumerken, dass in einem weiteren Verwaltungsverfahren zwingend zu klären wäre, ob die Einnahme des verschriebenen Medizinal-Cannabis den Anforderungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BtMG genügt, d.h. medizinisch indiziert und zur Erreichung des Therapieziels erforderlich ist. In Anbetracht der umfangreichen Dokumentationspflicht eines Betäubungsmittel verschreibenden Arztes (Bohnen/Schmidt in BeckOK, Stand 15.9.2019, § 13 BtMG Rn. 18, 30) müsste der Sachverhalt – ggf. unter Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht – weiter aufgeklärt werden. Diese weiteren Angaben des verordnenden Arztes können dann in einer späteren medizinischen oder medizinisch-psychologischen Untersuchung im Rahmen der ärztlichen Begutachtung dahingehend beurteilt werden, ob die beim Kläger festgestellten Grunderkrankungen eine Behandlung mit Medizinal-Cannabis i.S.d. § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BtMG rechtfertigen (vgl. Handlungsempfehlung Cannabismedikation, a.a.O., S. 444 f.) und damit das Arzneimittelprivileg gegeben ist.
1.3. Ungeachtet dessen ergeben sich weitere aufklärungsbedürftige Zweifel an der Fahreignung des Klägers, sodass der Kläger in seiner Person gerade nicht sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis erfüllt. Denn das ärztliche Gutachten der P … GmbH vom 5. August 2019 stellt fest, dass die Frage nach einer ausreichenden Adhärenz des Klägers aufgrund der nicht nachvollziehbaren Angaben zu seinem früheren Cannabiskonsum nicht mit einer ausreichenden Sicherheit beantwortet werden konnte und dies in einer medizinisch-psychologischen Untersuchung aufzuklären ist (ärztl. Gutachten v. 5.8.2019, S. 13).
Die Feststellungen des Gutachters sind plausibel und nachvollziehbar. Die vom Kläger während der Begutachtung getätigten Aussagen zu seinem Cannabiskonsum vor der aktenkundigen Tat vom 14. September 2017, welche Anlass für die Entziehung der Fahrerlaubnis gewesen ist, sind mit den in seinem Blut festgestellten Werten nicht vereinbar. Dies zieht Zweifel am verantwortlichen Umgang mit den potentiellen Auswirkungen der Cannabismedikation nach sich. Der Gutachter weist zutreffend darauf hin, dass bei Patienten, die – wie hier der Kläger – im Vorfeld der ärztlich verordneten Cannabismedikation gegen verkehrsrechtliche Vorschriften in Zusammenhang mit Cannabis verstoßen haben, hinsichtlich der ärztlich verordneten Cannabismedikation auch geprüft werden müsse, ob weiterhin ein Cannabismissbrauch besteht. Die Verschreibung von Medikamenten mit Suchtpotenzial setze neben einer gezielten Indikationsstellung auch eine ausführliche Suchtanamnese voraus. Vorliegend habe ein klares Bild des tatsächlichen vormaligen Konsumverhaltens des Klägers nicht zuverlässig gewonnen werden können, insbesondere habe nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden können, ob in der Vergangenheit eine Abhängigkeit, Drogenmissbrauch oder beweglich eine Drogengefährdung vorgelegen habe, was jedoch im Fall des Klägers unverzichtbar sei (ärztl. Gutachten v. 5.8.2019, S. 12). Dies entspricht auch der Handlungsempfehlung Cannabismedikation (a.a.O., S. 444), wonach bei einem aktenkundigen missbräuchlichen Cannabiskonsum in der Regel durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung abzuklären ist, ob und ggf. welche Drogenproblematik in der Vergangenheit vorgelegen hat. Erst dann kann die Bedeutung einer aktuellen Verschreibung von Cannabismedikamenten bewertet werden.
Die Zweifel an einem zuverlässigen und verantwortlichen Umgang mit dem verordneten Medizinal-Cannabis werden vor dem Hintergrund der sich aus den vorgelegten Protokollen ergebenden Einnahmepraxis des Klägers umso prominenter. Ausweislich der im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Verordnung vom 19. November 2018 wurden dem Kläger Cannabis-Blüten in der Dosierung „3×250 mg (nach Bedarf bis 1,5 g pro Tag)“ verordnet und nach Angaben des Klägers wird eine neue ärztliche Verordnung (Folgerezept) erst dann ausgestellt, wenn der Kläger dem behandelnden Arzt Einsicht in das von ihm zu führende Einnahme-Tagebuch genommen hat (vgl. ärztliches Gutachten v. 5.8.2019, S. 8). Eine Einsicht in die vorgelegten Einnahmeprotokolle offenbart jedoch auffällige Diskrepanzen. So findet sich die beim ärztlichen Gutachter während des Begutachtungstermins angegebene letzte Einnahme am 27. Juni 2019 um 10:00 Uhr (vgl. ärztliches Gutachten v. 5.8.2019, S. 8) nicht in den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Einnahmeprotokollen (Anlage K10, vorgelegt mit Schriftsatz d. Kl.Bev. v. 3.11.2020) wieder, vielmehr gibt es für den Zeitraum 21. bis 27. Juni 2019 in den Einnahmeprotokollen keinerlei Angaben. Es fällt auf, dass der Kläger am 27. Juni 2019 bei der ärztlichen Begutachtung gewesen ist. Entweder führt der Kläger also das Tagebuch zur Dokumentation seiner Cannabis-Einnahme nicht zuverlässig, was (weitere) Zweifel an seiner Compliance weckt, oder er hat bewusst in den Tagen vor der ärztlichen Begutachtung auf Cannabis verzichtet, um eventuell bessere Ergebnisse bei der Überprüfung seiner psychophysischen Leistungsfähigkeit zu erzielen, was diese wiederum in Frage stellen könnte.
In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass der Kläger ausweislich seiner Einnahmeprotokolle das verordnete Medizinal-Cannabis nicht gemäß der ärztlichen Verordnung einzunehmen scheint, sodass sich darüber hinaus noch die – hier nicht zu entscheidende – Frage nach der bestimmungsgemäßen Einnahme aufdrängt. Ausweislich der Einnahmeprotokolle wurde an auffallend vielen Tagen eine Dosis von zwei Mal anstelle der verordneten drei Mal täglich 0,25 g eingenommen. Anhand der beispielhaft ausgewerteten jüngsten drei Monate, für die Einnahmeprotokolle vorgelegt wurden (Zeitraum: 20.6. bis 20.9.2020), ergibt sich folgendes Bild: Für die Tage 21. bis 25. Juni 2020 sowie 12. und 13. August 2020 fehlen Einträge komplett, an zwei Tagen (9. und 10.8.2020) hat der Kläger nur einmal 0,25 g eingenommen und an über 60 Tagen in diesem dreimonatigen Zeitraum (nur) zwei täglich Mal 0,25 g, d.h. 0,5 g insgesamt, konsumiert. Dies ist mit der ärztlich verordneten Dosierung von drei Mal täglich 0,25 g, welche unverändert in der im Gerichtsverfahren vorgelegten Verordnung vom 23. September 2020 übereinstimmt, nicht in Einklang zu bringen. Die zusätzlich aufgeführte Bedarfsmedikation von bis zu 1,5 g am Tag geht deutlich über die grundsätzlich täglich einzunehmenden drei Mal 0,25 g hinaus. Ungeachtet der offenen Frage nach der bestimmungsgemäßen Einnahme, wirft diese Einnahmepraxis weitere erhebliche Zweifel an der medizinischen Indikation und Erforderlichkeit der Behandlung mit Cannabis-Medikation auf (vgl. schon 1.2.), da der Kläger – entgegen der Ausführungen im ärztlichen Attest vom 18. Januar 2019 – offenkundig nicht auf die verschriebene Medikation, insbesondere in dieser Dosierung und Menge, angewiesen zu sein scheint.
Die Zweifel an der Fahreignung des Klägers, welche durch das vorgelegte ärztliche Gutachten vom 5. August 2019 nicht aufgeklärt, sondern bestärkt und teilweise neu aufgeworfen wurden, sind hinsichtlich des verantwortlichen Umgangs mit dem Betäubungsmittel Medizinal-Cannabis im gerichtlichen Verfahren bestätigt und vertieft worden. Entgegen der Auffassung des Klägers stehen daher weitere Hinderungsgründe der beantragten Erteilung der Fahrerlaubnis entgegen.
1.4. Entgegen der sowohl im Verwaltungs- als auch im gerichtlichen Verfahren vertretenen Auffassung des Klägers hat er keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis, denn diesem Anspruch stehen – wie bereits ausgeführt – verschiedene Hinderungsgründe entgegen. Dabei ist unerheblich, dass die Beklagte die Ablehnung des Antrags im Bescheid vom 13. Mai 2020 zu Unrecht auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt hatte. Denn der Kläger konnte seine Fahreignung auch bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht nachweisen, sodass es auf eine mögliche Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheids im Ergebnis nicht ankommt.
Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist im Gegensatz zur Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Rechtsbehauptung des Klägers, er sei durch die rechtswidrige Ablehnung oder Unterlassung des beantragten Verwaltungsaktes in seinen Rechten verletzt. Dies ist der Fall, wenn die Weigerung der Behörde oder deren Untätigkeit, in dem für das Verpflichtungsbegehren maßgeblichen Zeitpunkt den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen, die Rechtsordnung verletzt, weil der Kläger einen Anspruch auf dessen Erlass hat. Auch wenn dieses Klageziel im Gesetz dadurch umschrieben wird, die Verpflichtung sei dann auszusprechen, wenn die Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig gewesen sei und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt werde, ist diese Formulierung umständlich bis missverständlich. Denn mit der Rechtswidrigkeit der Ablehnung allein lässt sich ein erfolgreiches Verpflichtungsbegehren in Form der Versagungsgegenklage gerade nicht begründen (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, 15. Aufl. 2019, VwGO, § 113 Rn. 40 m.w.N.).
Der Bewerber um eine Fahrerlaubnis hat nur dann einen Anspruch auf deren Erteilung, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung alle Voraussetzungen erfüllt und alle Nachweise erbracht sind. Der Fahrerlaubnisbehörde stünde dann keinerlei Ermessen mehr zu und sie wäre zur Erteilung zu verpflichten. Folglich besteht ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis auch solange nicht, wie Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, FeV § 20 Rn. 39). Im Gegensatz zur Entziehungssituation liegt die Darlegungs- und Beweislast für die Wiedererlangung der Fahreignung beim betroffenen Kraftfahrer (Hans/Krumm/Quarch, a.a.O., Rn. 20). Besteht der Fahrerlaubnisbewerber dagegen weiterhin – wie hier – auf einer Entscheidung seines Antrags, weil aus seiner Sicht die Erteilungsvoraussetzungen vorliegen, kann dieser nur abgelehnt werden. Im vorliegenden Fall hat der Kläger nicht nur nicht nachgewiesen, dass er (wieder) fahrgeeignet ist, vielmehr hat sich aus den Gesamtumständen ergeben, dass seine Fahreignung zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht gegeben ist.
2. Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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