Medizinrecht

Nichtigkeit der Veräußerung des Patientenstamms einer Zahnarztpraxis

Aktenzeichen  6 U 713/19

Datum:
26.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 58389
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 299a Nr. 3
BGB § 134

 

Leitsatz

1. Das Landgericht geht  zutreffend davon aus, dass der hier vereinbarte Verkauf des Patientenstamms den objektiven Tatbestand der durch das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen vom 30.5.2016 (BGBl. 2016 I 1254) neu eingeführten § 299a Nr. 3, § 299b Nr. 3 StGB erfüllt und deswegen nach § 134 BGB insgesamt nichtig ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zuführung von Patienten soll allein aufgrund medizinischer Erwägungen vorgenommen werden und darf nicht davon abhängen, dass dem Arzt finanzielle Vorteile gewährt werden oder er einem Unternehmen, an dem er selbst beteiligt ist, Patienten zuführt (so Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes StrafR, § 299a StGB Rnrn. 12-13). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

64 O 1580/18 2019-02-06 Endurteil LGREGENSBURG LG Regensburg

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 06.02.2019, Az. 64 O 1580/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Auch das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Regensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 12.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger ist niedergelassener Zahnarzt in Regensburg mit Praxis in der …straße. Die beklagte Zahnärztin betrieb bis zum 30.06.2018 ebenfalls eine Zahnarztpraxis in …, und zwar am …platz …. Sie hatte einen Stamm von rund 600 Patienten, deren Daten sie elektronisch führte. Am 25.05.2017 schlossen die Parteien wegen der schon absehbaren Praxisaufgabe einen „Kaufvertrag Patientenstamm“ (Anlage K 1). In der Präambel hielten die Parteien fest, dass der Kläger beabsichtige, Patientenstamm sowie Domain und Telefonnummer der Beklagten zu erwerben und die Patienten in seiner eigenen Praxis weiter versorgen möchte. Die Parteien trafen u.a. folgende Absprachen:
„§ 1 Gegenstand des Vertrages/Übereignungs- und Übergabezeitpurkt
Der Veräußerer wird seinen Patientenstamm der privat- und vertragszahnärztlichen Praxis mit Wirkung zum 01.07.2018 an den Erwerber zu veräußern, übergeben und übereignen. Der Erwerber nimmt die Übertragung hiermit an und führt die Betreuung der Patienten in eigenem Namen und auf eigene Rechnung in seiner bestehenden Praxis fort. Die Domain www… und die Telefonnummer … verbleiben bis zum Ende der Vertragslaufzeit bzw. zum Ende des bezahlten Intervalls noch im Besitz des Veräußerers und werden lediglich auf die Domain bzw. die Telefonnummer des Erwerbers umgeleitet. Die Kosten hierfür trägt der Erwerber. Ab dem 01.07.18 wird eine Rufweiterleitung auf eine vom Erwerber genannte Rufnummer eingerichtet.
§ 2 Übergabe der Patientenkartei
Mit vollständiger Zahlung des Kaufpreises geht die Patientenkartei mit sämtlichen Krankenunterlagen in das Eigentum und den Besitz des Erwerbers über, soweit eine schriftliche Einwilligungserklärung (siehe Anhang) der Patienten vorliegt.
I. Manuell geführte Patientenkartei
1. Im Übrigen nimmt der Erwerber die manuell geführte Patientenkartei für den Veräußerer in Verwahrung. Auf das Verwahrungsverhältnis finden die §§ 688 ff. BGB Anwendung, soweit sich aus dem Folgenden nichts Abweichendes ergibt.
2. Der Erwerber verpflichtet sich zur Aufbewahrung der Alt-Kartei in einem verschlossenen Aktenschrank, getrennt von der laufenden Kartei des Erwerbers.
3. Der Veräußerer erhält ein Zugriffsrecht zu diesem Aktenschrank nach jeweiliger Voranmeldung.
4. Der Erwerber verpflichtet sich, auf die Alt-Kartei nur dann Zugriff zu nehmen, wenn der Patient ihrer Nutzung durch den Erwerber oder ihrer Überlassung an einen mit- oder nachbehandelnden Zahnarzt schriftlich zugestimmt hat oder durch sein Erscheinen zur Behandlung konkludent zum Ausdruck bringt, dass er eine Nutzung der Kartei billigt.
5. Erklärt der Patient auf diese Weise sein Einverständnis zur Nutzung der Alt-Kartei, dürfen seine Unterlagen aus der Alt-Kartei entnommen und in die laufende Patientenkartei des Erwerbers eingebracht bzw. versandt werden. Die aus der Alt-Kartei entnommenen Vorgänge werden von dem Erwerber in einer fortlaufenden Liste erfasst.
6. Die Aufbewahrungspflicht des Erwerbers endet mit Ablauf der in der zahnärztlichen Berufsordnung vorgeschriebenen Aufbewahrungsfristen, sofern nicht nach anderen Vorschriften längere Aufbewahrungsfristen bestehen. §§ 695 bis 697 BGB finden keine Anwendung.
II. Elektronische Patientekartei
1. Der Veräußerer hat außerdem Patientendaten mittels EDV archiviert. Der Erwerber ist berechtigt, über diesen Datenbestand zu verfügen, soweit eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten vorliegt oder der Patient durch sein Erscheinen zur Behandlung konkludent zum Ausdruck bringt, dass er eine Nutzung der Kartei billigt.
2. Der übrige Datenbestand ist gesperrt und mit einem Passwort versehen. Das Passwort für den Zugriff darf von dem Erwerber nur verwendet werden, nachdem der Patient in die Nutzung des Alt-Datenbestands durch den Erwerber oder durch einen nachbehandelnden Arzt schriftlich eingewilligt hat oder durch sein Erscheinen zur Behandlung konkludent zum Ausdruck bringt, dass er eine Nutzung der Kartei billigt.
3. Nach Ablauf der in der zahnärztlichen Berufsordnung oder in anderen einschlägigen Vorschriften vorgeschriebenen Aufbewahrungsfristen ist der Erwerber zur Löschung der Patientendaten berechtigt.
§ 3 Kaufpreis
1. Der Kaufpreis für den Patientenstamm sowie für die Domain und Telefonnummer (Goodwill) beträgt 12.000 € (in Worten: zwölftausend Euro).
Dieser Kaufpreis ist ein Festpreis und am 01.07.2018 fällig. Der Patientenstamm umfasst am Tag der Unterschrift (25.05.18) genau 603 Patienten,

§ 4 Überleitung der Patienten
Der Veräußerer wird seine Patienten von der Beendigung seiner Tätigkeit als Zahnärztin in Regensburg und von der Übernahme der Patienten durch den Erwerber rechtzeitig durch ein Rundschreiben (siehe Anlage) informieren. In diesem Rundschreiben wird der Veräußerer den Patienten empfehlen, ihre Behandlung durch den Erwerber fortzusetzen und ihr Vertrauen zukünftig dem Erwerber zu schenken. Der Inhalt des Rundschreibens ist zuvor mit dem Erwerber abzustimmen.
…“
Ein vom Kläger für die Beklagte vorformuliertes Patientenanschreiben (Anlage K 2) lautet wie folgt:
„Liebe Patientinnen und Patienten,
ich wende mich heute mit diesem Schreiben an Sie, um ihnen mitzuteilen, dass ich meine zahnärztiche Tätigkeit in Regensburg schweren Herzens zum 30. Juni 2018 beenden werde …
Ich möchte mich selbstverständlich nicht von Ihnen verabschieden, ohne Sie vertrauensvoll an meinen Kollegen Herrn Dr. … zu verweisen, der sie gerne weiter betreuen würde. Nähere Informationen zur Praxis Dr. … können Sie dem beiliegenden Flyer entnehmen.
Ihre Patientenakten werden bei Dr. … hinterlegt und erst mit ihrem Einverständnis genutzt.
…“
Die Beklagte holte zu der Vereinbarung mit dem Kläger vorsorglich eine Auskunft der Landeszahnärztekammer ein und verweigerte auf Grundlage dieser Auskunft die Erfüllung des Vertrages. Sie hält die Regelungen wegen Verstoßes gegen Verbotsnormen für unwirksam.
Der Kläger fordert nun von ihr die Erfüllung ihrer Pflichten aus dem Vertrag Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung. Wegen der Einzelheiten seines Klageantrags erster Instanz und dem erstinstanzlichen Parteievorbringen wird auf den Tatbestand des Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kaufvertrag sei nach § 134 BGB i.V.m. § 299 a Nr. 3 StGB nichtig. Der Klägerin könne sich zur Frage der Wirksamkeit des Vertrages nicht auf das für eine Praxisübernahme entwickelte „2-Schrank-Modell“ berufen. Es liege keine Praxisübernahme vor, es gehe dem Kläger vielmehr in einer Gesamtschau allein um die Akquise von Patienten für seine bestehende Praxis. Bei dem entworfenen Anschreiben handele es sich um eine werbende Maßnahme gegen Entgelt. Die salvatorische Klausel des Vertrags gehe ins Leere.
Der Kläger hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Er verfolgt seinen in erster Instanz gestellten Klageantrag vollumfänglich weiter.
Der Kläger meint, dass auch dann eine Praxisübernahme vorliege, wenn nur der immaterielle Firmenwert („Goodwill“) einer Arztpraxis veräußert werde. Wesentlicher Wert einer Praxis sei ihr Patientenstamm. Sein Recht auf freie Berufsausübung werde unzulässig eingeschränkt, weil ihm als ortsansässigen Arzt keine Praxiserweiterung möglich sei. Zweck des Vertrages sei es auch, die Weiterversorgung der Patienten sicherzustellen. Es fehle an einer unlauteren Bevorzugung im Sinne des § 299 a StGB, die Regelung wolle den Fall der Praxisübernahme nicht erfassen.
Der Kläger beantragt,
I. Das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 06.02.2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Zahlung von 12.000,00 € ihren Verpflichtungen aus dem Patientenstammdatenkaufvertrag vom 25.05.2017 nachzukommen. Diese umfassen:
1.die Übergabe der Patientenstammdaten in manueller und verschlüsselter elektronischer Form zur Aufbewahrung,
2.die Freigabe der Patientenstammdaten bei Vorliegen einer Einwilligung des jeweils betroffenen Patienten,
3.das Verschicken eines informativen Rundschreibens an die Patienten unter Hinweis der Freiwilligkeit der Einwilligung nebst eines Flyers des Klägers und
4.die Einrichtung einer Weiterleitungsfunktion an den Kläger bezüglich der Telefonnummer … und der Domain „www….-…platz.de“.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil als richtig. Sie meint, der streitgegenständliche Vertrag sei gemäß § 134 BGB nichtig, weil er sowohl gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, als auch gegen Art. 28, 32 DS-GVO und §§ 299 a/299 b StGB verstoße.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hält daran fest, dass die getroffenen Vereinbarungen auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden seien.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag über den Patientenstamm ist nichtig (§ 134 BGB).
1. Der Senat hat – entgegen seiner in der Sitzung bekannt gegebenen vorläufigen Rechtsauffassung – schon Bedenken, ob die in § 2 Abschnitt I und II von den Parteien getroffenen Verwahrungsabrede nicht doch das Recht des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung verletzt (Art. 2 Abs. 1 GG) und den objektiven Tatbestand des § 203 Nr. 1 StGB erfüllt, selbst wenn die Parteien zumindest die Einsichtnahme des Klägers in die Akten von der späteren Einwilligung der Patienten abhängig gemacht haben.
Die Parteien vereinbarten in § 2 Satz 1 des Vertrages zunächst, dass die Krankenunterlagen nur mit Einwilligung des Patienten in den Besitz des Klägers übergehen sollen. Die Einwilligung des Verfügungsberechtigten in die Offenbarung ist bei § 203 StGB tatbestandsausschließend (vgl. Weidemann BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg, Stand: 01.08.2019, § 203 Rn. 38). Auch Belangen des Datenschutzes ist bei Einwilligung ausreichend Rechnung getragen. Allerdings begegnet die unter § 2 Abschnitt I und II des Vertrages getroffene (an das sog. Zwei-Schrank-Modell angelehnte) Regelung zur Verwahrung der Krankenunterlagen von Patienten, deren Einwilligung bei Übergabe an den Kläger fehlt, Bedenken, auf die aus gegebenen Anlass zumindest hingewiesen werden soll:
a) Das sog. „Verwahrungsmodell“ oder „Zwei-Schrank-Modell“ wird zwar in der Literatur als zulässig angesehen (vgl. Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl., Kap. IX Rn. 34; Laufs/Kern Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl., § 23 Rn. 25; Kamp, Der Verkauf der Patientenkartei und die ärztliche Schweigepflicht, NJW 1992, 1545; so auch LG Kiel v. 27.06.2014, 5 O 64/14). § 12 Abs. 5 Musterberufsordnung der Bundeszahnärztekammer vom 11. November 2017 und § 10 Abs. 4 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä 1997) sehen es ebenfalls als zulässiges Modell vor.
b) Schon mit der Übergabe der Kartei (§ 2 Abschnitt I Nr. 1 des Vertrages) und der Überlassung des Datenbestandes (§ 2 Abschnitt II des Vertrages) kann die Beklagte aber Berufsgeheimnisse offenbaren. Bei verkörperten Geheimnissen kann nämlich der Zugang beim Dritten, d.h. das Verschaffen des Gewahrsams mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme genügen (z.B. MüKoStGB/Cierniak/Niehaus, 3. Aufl., StGB § 203 Rn. 55 Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl., StGB § 203 Rn. 20). Bei digital gespeicherten Geheimnissen kann parallel dazu die Einräumung der Verfügungsgewalt über die Daten, z.B. durch Weitergabe des Datenträgers oder der Datei (z.B. Schönke/Schröder/Eisele a.a.O.; MüKoStGB/Cierniak/Niehaus a.a.O.) ausreichen. Der Kläger könnte hier auch, wenn er sich nur über die Absprache der Parteien hinwegsetzt, jederzeit Einsicht in die Behandlungsakten nehmen.
Der Bundesgerichtshof hat für den Fall der Veräußerung einer Arztpraxis bereits entschieden, dass eine Bestimmung in dem Veräußerungsertrag, die den Veräußerer auch ohne Einwilligung der betroffenen Patienten verpflichtet, die Patienten- und Beratungskartei zu übergeben, die ärztliche Schweigepflicht verletzt; sie sei wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (BGB § 134) nichtig (BGH, Urteil v. 11.12.1991, VIII ZR 4/91 = BGHZ 116, 268-278, Rn. 35-36). Der Praxisübernehmer könne die Kartei beim Veräußerer anfordern, wenn der Patient ihn aufsuche und zumindest konkludent seine Zustimmung dazu erteile (BGH a.a.O. Rn 32).
Schon die Übergabe der Patientenakten zur Verwahrung durch einen Dritten mag daher eine der zustimmungsbedürftigen Handlung nach § 203 StGB vorausgehende Einwilligung (vgl. § 183 BGB) voraussetzen. Es bestehen auch Bedenken, ob bei der Verwahrungslösung von einer mutmaßlichen Einwilligung der Patienten auszugehen wäre. Eine solche kommt nämlich nur im Ausnahmefall Betracht und zwar dann, wenn die betroffenen Patienten zweifelsfrei und erkennbar kein Interesse an der Geheimhaltung haben oder nicht rechtzeitig befragt werden können (vgl. BGH v. 10.07.1991, VIII ZR 296/90 Rn 23 – juris).
c) Die Verwahrungslösung in § 2 Abschnitt I und II des Vertrages kann aber ohne zumindest mutmaßliche Einwilligung des Patienten auch sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. auch dazu BGH a.a.O.) verletzen und gegen Vorgaben der Datenschutzgesetze verstoßen.
aa) § 28 Abs. 6 i.V.m. § 3 Abs. 9 BDSG in der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen Fassung vom 14.08.2009 sah jedenfalls vor, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Gesundheitsdaten ohne Einwilligung des Betroffenen nur in Ausnahmefällen zulässig ist. Nicht erst die Einsichtnahme des Klägers in die elektronische Datei mag den Tatbestand des § 4 Abs. 1 BDSG erfüllen, sondern bereits ihre Übermittlung könnte eine „Verarbeitung“ im Sinne des § 3 Abs. 4 S. 2 Nr. 3a) sein. Auch die Speicherung von Daten könnte als „Verarbeitung“ einzustufen sein, gerade wenn sie zum Zwecke ihrer weiteren Verarbeitung oder Nutzung erfolgt. Es bestehen zudem Zweifel, ob ein in § 28 Abs. 6 f. BDSG a.F. geregelter Ausnahmefall vorliegt, bei dem von der Einwilligung der Patienten abgesehen werden kann.
bb) Einzubeziehen wären in die Wertung möglicherweise auch schon die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Die Verordnung war bei Vertragsschlusses jedenfalls in Kraft getreten und es war schon abzusehen, dass sie im Zeitpunkt der geplanten Übergabe der Patientenakten am 01.07.2018 auch (unmittelbar) anwendbar sein wird (vgl. Art. 99 Abs. 1, Abs. 2 DS-GVO). Die Übergabe von Patientenakten zur bloßen Verwahrung könnte ohne die (vorherige) Einwilligung des Patienten gegen Art. 6 Abs. 1, insbesondere aber gegen Art. 9 Abs. i DS-GVO verstoßen. Denn eine „Verarbeitung“ von personenbezogener Daten liegt gem. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO vor, wenn Daten offengelegt oder gespeichert werden. Der Begriff der Speicherung („storage“) bezeichnet die Überführung des Informationsgehalts personenbezogener Daten in eine verkörperte Form (auf einem Datenträger) in einer Weise, die es dem Verantwortlichen ermöglicht, die Daten aus dem Datenträger wiederzugewinnen (zu „lesen“). Auch die Aufbewahrung eines entgegengenommenen Datenträgers kann unter den Begriff fallen (z.B. Kühling/Buchner/Herbst, 2. Aufl., DS-GVO Art. 4 Nr. 2 Rn. 24). „Offenlegung“ („disclosure“) bedeutet den Vorgang, Dritten Kenntnis oder auch nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen (Sydow, Europäische Datenschutzgrundverordnung, DSGVO Art. 4 Rn. 68, beck-online).
2. Ob die Verwahrungslösung (Zwei-Schrank-Modell) nun den Anforderungen des Art. 2 Abs. 1 GG, § 203 Nr. 1 StGB und des Datenschutzes gerecht wird, muss der Senat aber letztlich nicht entscheiden. Das Landgericht geht nämlich zutreffend davon aus, dass jedenfalls der hier vereinbarte Verkauf des Patientenstamms den objektiven Tatbestand der durch das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen v. 30.05.2016 (BGBl. 2016 I 1254) neu eingeführten § 299 a Nr. 3, § 299 b Nr. 3 StGB erfüllt und deswegen nach § 134 BGB insgesamt nichtig ist. § 299 a Nr. 3 StGB (Bestechlichkeit im Gesundheitswesen) regelt:
„Wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er
… 3. bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial
einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.”
a) Die Beklagte ist als Zahnärztin Angehörige eines Heilberufs.
b) Mit den vertraglichen Absprachen ist sie auch im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Berufs tätig geworden. Ihr obliegt es nach dem Vertrag, den Kläger ihren Patienten zu empfehlen und die Verwahrung der Patientenkartei gehört zu ihren Berufspflichten (vgl. § 630 f Abs. 3 BGB), die sie auf den Kläger übertragen wollte.
c) Sie hat sich für die Übergabe der Kartei, die Weiterleitung von Telefongesprächen, die Umleitung von Seitenaufrufen auf die Domain des Klägers und die versprochenen Patientenanschreiben auch eine Gegenleistung (12.000 €) versprechen lassen.
d) Die Umleitung von An- und Seitenaufrufen, insbesondere aber auch das geplante Patientenanschreiben, mit dem die Beklagte nach § 4 Abs. 2 des Vertrages ausdrücklich eine Empfehlung aussprechen sollte, stellen eine Werbung für den Kläger dar, die grundsätzlich das Tatbestandsmerkmal „Zuführung von Patienten“ erfüllt.
Die Zuführung knüpft an den sozial- und berufsrechtlichen Begriff der Zuweisung (§ 73 Abs. 7 SGB V, § 31 MBO-Ä) an. Gemeint ist damit jede Einwirkung auf den Patienten zum Zwecke der Beeinflussung der Auswahl eines Leistungserbringers. Nach dem gesetzgeberischen Willen sollen Zuweisungen, Überweisungen, Verweisungen und auch nur unverbindliche Empfehlungen erfasst sein; unabhängig davon, ob sie schriftlich oder mündlich erfolgen (vgl. BeckOK StGB/Momsen/Laudien, 43. Ed. 01.08.2019, StGB § 299 a Rn, 25; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl., StGB § 299 a Rn. 170; Spickhoff/Schuhr, 3. Aufl., StGB §§ 299 a, 299 b Rn. 30). Eine bloße Empfehlung erfüllt nur solange nicht den objektiven Tatbestand des § 299 a Nr. 3 StGB, als keine Gegenleistung dafür versprochen oder gewährt wird.
Insbesondere Ärzte und Zahnärzte sollen verpflichtet sein, die Entscheidung darüber, an wen sie einen Patienten verweisen, allein nach ärztlichen Gesichtspunkten mit Blick auf das Patienteninteresse zu treffen (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen a.a.O., Rn 169 beck-online). „Zuführung“ ist danach jede Einwirkung auf den Patienten mit der Absicht, dessen Auswahl eines Arztes oder eines anderen Leistungserbringers zu beeinflussen (vgl. auch Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl. 2018, StGB § 299 a Rn. 4). Patientenzuführungen i.S.d. §§ 299 a, 299 b StGB sind auch solche, die im Rahmen vertraglicher Kooperationen wie beispielsweise Berufsausübungsgemeinschaften erfolgen (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch a.a.O. Rn 170).
e) Die Abrede der Parteien ist in einer Gesamtschau auch auf eine Bevorzugung des Klägers im Wettbewerb in unlauterer Weise gerichtet (Unrechtsvereinbarung).
aa) Der Senat teilt zwar die Auffassung der Klagepartei, dass die gesetzlichen Neuregelungen wohl nicht den Fall der Praxisübernahme im Auge hatten. Dem Arzt oder Zahnarzt muss es auch (schon unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 GG) weiterhin möglich sein, seine Praxis zu veräußern. Einer Entscheidung dazu, wie dabei der Patientenstamm bzw. die Behandlungsakten „übergeben“ werden können, bedarf es hier aber nicht. Hier geht es nicht um eine Praxisübergabe im Ganzen, sondern Gegenstand des Vertrages ist die Veräußerung einzelner Vermögenswerte (Patientenstamm, „Goodwill“) an einen Dritten.
Jedenfalls unter Wettbewerbsgesichtspunkten macht es durchaus einen Unterschied, ob eine bestehende Arztpraxis (im Sinne einer ambulanten Versorgungseinheit eines niedergelassenen Arztes) mit Räumen und Personal an einen Nachfolger übergeben wird, oder ob die Praxis geschlossen und nur der Patientenstamm veräußert werden soll. Bei einer Praxisübernahme bleibt die lokale ärztliche Versorgungseinheit erhalten, ein Arzt ersetzt den anderen. Bei der Praxisaufgabe wird das Arztangebot vor Ort hingegen verknappt. Der aufgebende Arzt fällt weg, seine Patienten müssen sich auf dem kleiner gewordenen Anbieterfeld neu orientieren.
bb) Die Neuregelungen der §§ 299 a und 299 b StGB setzen aber gerade bei unlauteren Eingriffen in den Wettbewerb an. Für alle Tatbestandsvarianten verlangen die §§ 299 a und 299 b StGB, dass das Referenzverhalten in Form einer Bevorzugung im Wettbewerb manipuliert wird (Spickhoff/Schuhr, 3. Aufl. 2018, StGB §§ 299 a, 299 b Rn. 35).
Der Vorteil (hier die vereinbarte Vergütung von pauschal 12.000 €) muss Gegenleistung für eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb – verknüpft durch eine Unrechtsvereinbarung – sein (vgl. BeckOK StGB/Momsen/Laudien, 42. Ed. 1.5.2019, StGB § 299 a Rn. 19), d.h. der Angehörige des Heilberufes fordert einen Vorteil, lässt ihn sich versprechen oder nimmt ihn an, weil er den anderen beispielsweise bei der Verordnung von Arzneimitteln (Nr. 1), bei der unmittelbaren Anwendung von Arzneimitteln (Nr. 2) aber auch bei der Zuführung von Patienten im Wettbewerb bevorzugt (Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, StGB § 299 a Rn. 11, beck-online).
Aber nicht die Beeinflussung der Entscheidung durch Vorteile ist als solche Unrecht, sondern gehört zur Grundkonzeption der Marktwirtschaft. Erst dort, wo trotz des Bestehens sachlicher Auswahlgründe im Hinblick auf den Vorteil in sachwidriger Weise entschieden wird, der Vorteil also insbesondere nicht eine nur nebensächliche (sozialadäquate) Rolle bei der Entscheidung spielt, liegt Korruptionsunrecht vor. Dieses Erfordernis wird im Begriff der Unlauterkeit zusammengefasst (Spickhoff/Schuhr, 3. Aufl. 2018, StGB §§ 299 a, 299 b Rn. 43). Die Zuführung von Patienten soll allein aufgrund medizinischer Erwägungen vorgenommen werden und darf nicht davon abhängen, dass dem Arzt finanzielle Vorteile gewährt werden oder er einem Unternehmen, an dem er selbst beteiligt ist, Patienten zuführt (so Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, StGB § 299 a Rn. 12-13, beck-online).
Hier ist zwar das (durchaus schützenswerte) Interesse der Beklagten zu sehen, ihre Zahnarztpraxis wirtschaftlich zu verwerten. Auch das vom Kläger verfolgte, an sich berechtigte Interesse (Art. 12 Abs. 1 GG), seine bestehende Praxis zu vergrößern, ist zu beachten. Andererseits ist aber zu sehen, dass kein Recht eines Arztes an bestimmten Patienten begründet ist, ein Verkauf des Patientenstamms ist an sich nicht möglich. Patienten können grundsätzlich den Arzt frei wählen, was veräußert werden kann, sind nur ihre Daten verbunden mit dem Versuch, sie zur Weiterbehandlung durch den Erwerber zu bewegen. Mit den hier getroffenen Abreden haben die Parteien dabei die Grenze des Zulässigen überschritten. Patienten sollten nicht nur durch Umleitung auf die Domain und Telefonnummer dem Kläger zugeführt werden, sondern die Beklagte sollte den Kläger ausdrücklich nach § 4 S. 2 des Vertrages „empfehlen“. Zur Umsetzung dieser Empfehlung erörterten die Parteien sogar, einen Flyer beizufügen (vgl. Anlage B 5, K 2). Dem Patienten soll aber ein anderer Arzt – wie dargelegt – aufgrund medizinischer Erwägungen, nicht aus vorrangig wirtschaftlichen Gründen empfohlen werden. Dementsprechend sieht auch die MBO-Ä 1997 in der Fassung von 2018 in § 31 Abs. 1 vor, dass es Ärztinnen und Ärzten nicht gestattet ist, für die Zuweisung von Patientinnen und Patienten … ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren. In Abs. 2 ist geregelt, dass sie ihren Patientinnen und Patienten nicht ohne hinreichenden Grund bestimmte Ärztinnen oder Ärzten, Apotheken, Heil- und Hilfsmittelerbringer oder sonstige Anbieter gesundheitlicher Leistungen empfehlen oder an diese verweisen dürfen. Die Kombination aus (entgeltlicher) Rufnummer – und Domainumleitung sowie Empfehlungsschreiben dürfte also auch gegen die Vorgaben das Standessrechts verstoßen.
Der Kläger behauptet zwar pauschal, bei Vertragsschluss habe die Weiterversorgung der Patienten im Vordergrund gestanden. Dafür aber fehlen konkrete Anhaltspunkte. Es wird von keiner Seite vorgetragen, dass und warum gerade der Kläger besonders geeignet gewesen sein sollte, die Behandlung der Patienten fortzusetzen. Es ist auch nicht erkennbar, dass auf dem lokalen Markt etwa ein Mangel an Zahnärzten herrschte, so dass die Beklagte sich um die Weiterbehandlung ihrer Patienten ernsthaft hätte sorgen müssen. Die vom Kläger angedachten Werbemaßnahmen (Empfehlungsschreiben mit Flyer, Umleitung von Anrufen und Seitenaufrufe) belegen vielmehr, so auch schon das Landgericht, dass es ihm vorrangig auf die Vergrößerung seiner Zahnarztpraxis, also die Akquise angekommen ist. Auch für die Beklagte stand offenbar nicht eine besondere Qualifikation des Klägers im Vordergrund, sondern die versprochene Vergütung (12.000 €).
3. Salvatorische Klausel, § 139 BGB
Die Klageanträge des Klägers beinhalten zwar eine geltungserhaltende Auslegung des Vertrages in seinem Sinne. Der Senat teilt aber die Ansicht des Landgerichts, dass die salvatorische Klausel des § 8 Abs. 1, 2 des Vertrages hier ins Leere geht. Die Wertung als Unrechtsvereinbarung ergibt sich aus einer Gesamtschau von Übergabe der Patientenkartei mit werbenden Maßnahmen (Rufumleitung, Seitenumleitung, Empfehlungsschreiben), die zentralen Regelungen des Vertrages sind damit unwirksam und auf eine nach § 299 a, b StGB verbotene Zuweisung gerichtet.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 S. 2 ZPO.
Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO zugelassen. Es gibt – soweit ersichtlich – noch keine höchstrichterliche Entscheidung zur Zulässigkeit des Verkaufs eines Patientenstamms unter dem Gesichtspunkt der neu eingeführten Strafnormen zur Korruption im Gesundheitswesen (§§ 299 a, 299 b StGB). Die Frage ist aber (ebensc wie die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht entschiedene Zulässigkeit des 2-Schrank-Modells) von großer praktischer Bedeutung für eine Vielzahl von betroffenen Personen.


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