Medizinrecht

Pflicht zur Vorlage eines schulärztlichen Attests, Zweifel an der Erkrankung der Schüler

Aktenzeichen  AN 2 K 21.00257, AN 2 K 21.00866

Datum:
12.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 11133
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BaySchO § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2, S. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Trotz Ausbleibens des Klägervertreters im Sitzungssaal konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2021 verhandelt und nachfolgend in der Sache entschieden werden. Denn der Klägervertreter, dem der Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO erteilt worden war, war im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht hinreichend entschuldigt. So hatte der Klägervertreter nicht hinreichend glaubhaft gemacht, entsprechend dem geltenden Hausrecht den Weg von der Pforte des Gerichts bis zum Sitzungssaal – etwa 30 m – nicht eine Maske tragend zurücklegen zu können. Dies gilt umso mehr als dem Kläger zum einen mit der Ladung bekannt gegeben worden war, dass das Tragen von FFP2-Masken, medizinischen Masken oder OP-Masken im öffentlichen Bereich des Gerichts Pflicht ist, und er am Terminstag zudem darauf hingewiesen wurde, für den Sitzungssaal entscheide die Kammer, ob die Maske abgesetzt werden könne. Das allein vorgelegte ärztliche Attest spricht lediglich pauschal von gesundheitlichen Gründen und ermöglicht dem Gericht nicht ansatzweise eine eigene Beurteilung (vgl. für die Terminsverlegung wegen Krankheit Ortloff/Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 102 Rn. 15a). Zudem entspricht das Attest nicht den Anforderungen aus § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 Zwölfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV vom 5. März 2021, BayMBl. Nr. 171, BayRS 2126-1-16-G, zuletzt geändert durch §§ 1 und 2 der Verordnung vom 19. Mai 2021, BayMBl. Nr. 351).
2. Streitgegenstand ist vorliegend der Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2021 – mit Ausnahme dessen Ziff. 2. Die dort ausgesprochene Anordnung von Sofortvollzug hinsichtlich des Ausgangsbescheids ist nicht Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens. Zum einen greift der Klageantrag nicht explizit die Anordnung des Sofortvollzugs an. Auch verbietet sich eine entsprechende Auslegung des Klageantrags nach § 88 VwGO. Denn eine solche Auslegung würde hier mangels Statthaftigkeit zur Unzulässigkeit der Klage führen, soweit diese gegen die Anordnung des Sofortvollzugs gerichtet wäre. So ist anerkannt, dass gegen die Anordnung von Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht im Wege der Klage vorgegangen werden kann. Vielmehr kann die Anordnung allein mit dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO angegriffen werden (vgl. zum Ganzen Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 80 Rn. 199 m.w.N.). Entsprechend kann hier auch nicht im Rahmen der Auslegung angenommen werden, die Kläger wollten eine insoweit unzulässige Klage erheben. Dies gilt umso mehr, als die Klägerseite im Rahmen ihres Verlegungsantrags mit Schriftsatz vom 22. April 2021 ausgeführt hat, es handele sich vorliegend nicht um einen Fall des einstweiligen Rechtsschutzes.
3. Der angegriffene Bescheid ist wirksam und nicht etwa nach Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG nichtig, da der Bescheid aus tatsächlichen Gründen von niemanden ausgeführt werden könnte. Insbesondere kann der Inhalt des angegriffenen Bescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids entgegen dem Vorbringen der Kläger nicht dahingehend verstanden werden, dass die Vorlage eines amtsärztlichen Attests für Fehlzeiten in der Vergangenheit verlangt wird, also ggf. etwas tatsächlich Unmögliches. So bringt der Ausgangsbescheid zum Ausdruck, dass aufgrund „bestehender Zweifel an einer tatsächlichen Krankheit“ die Vorlage des amtsärztlichen Zeugnisses verlangt werde. Auch aus dem einleitenden Satz des Bescheids, wonach bislang nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für die Kläger aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar sei, ergibt sich jedenfalls im Zusammenhang, dass ein amtsärztliches Attest verlangt wird, das darüber Auskunft gibt, ob und ggf. in welchem Umfang bei den Klägern aktuell Krankheiten bzw. gesundheitliche Einschränkungen vorliegen.
4. Der Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der angegriffene Bescheid beruht auf § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 und Satz 2 BaySchO (Bayerische Schulordnung vom 1. Juli 2016, GVBl. S. 164, 241, BayRS 2230- 1-1-1-K, zuletzt geändert durch Verordnung vom 14. Januar 2021, GVBl. S. 20).
a) § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BaySchO sieht vor, dass die Schule die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses verlangen kann, wenn – als einzige materielle Voraussetzung – Zweifel an der Erkrankung des Schülers bestehen. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 BaySchO kann die Schule insbesondere im Fall von Zweifeln an der Erkrankung auch die Vorlage eines schulärztlichen Zeugnisses verlangen. Nach Satz 3 der genannten Vorschrift ist ein solches Zeugnis innerhalb von zehn Tagen nach Verlangen der Schule vorzulegen. Geschieht dies nicht, gilt das Fernbleiben als unentschuldigt. Die genannten Vorschriften gelten nach § 1 Satz 1 BaySchO insbesondere für alle öffentlichen Schulen, soweit sie der Aufsicht des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus unterliegen.
b) Danach ist der angegriffene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids formell rechtmäßig. Insbesondere war die Schule – hier vertreten durch den Schulleiter – nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BaySchO für den Erlass des Bescheids zuständig. Die Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist jedenfalls gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG nachgeholt worden. So ist die Anhörung jedenfalls dann im Widerspruchsverfahren nachgeholt, wenn der Adressat des Verwaltungsakts Widerspruch einlegt, der Widerspruchsbehörde verglichen mit der Ausgangsbehörde dieselben Befugnisse zukommen, die Widerspruchsbehörde das Vorbringen des Widerspruchsführers zur Kenntnis nimmt und dieses würdigt, auch wenn es letztlich ohne Einfluss auf das Entscheidungsergebnis bleibt (vgl. Schemmer in Beckscher Online-Kommentar VwVfG, 41. Edition Stand 1.4.2021, § 45 Rn. 42). So liegt der Fall hier. Die Kläger haben im Widerspruchsverfahren im Wesentlichen sinngemäß ausführen lassen, ihrer Auffassung nach bestünden keine Zweifel an der Schulbefreiung der Kläger aus gesundheitlichen Gründen. Insbesondere hierauf ist der Beklagte im Rahmen des Widerspruchsbescheids eingegangen, indem er Zweifel an Erkrankungen und gesundheitlichen Gründen zur Befreiung von der Maskenpflicht argumentativ dargelegt hat. Schließlich stimmen hier die Kompetenzen von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde überein, da das Gymnasium auch Widerspruchsbehörde ist. So erlässt nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO die Ausgangsbehörde auch den Widerspruchsbescheid, sofern nächsthöhere Behörde eine oberste Landesbehörde ist. Dies ist bei dem hier in Frage stehenden Gymnasium der Fall, da über Gymnasien nach Art. 114 Abs. 1 Nr. 1 BayEUG das Staatsministerium für Unterricht und Kultus als oberste Landesbehörde die Schulaufsicht führt.
c) Auch in der Sache liegen Zweifel an einer Erkrankung der Kläger im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BaySchO vor. Solche – sogar ganz erhebliche – Zweifel folgen daraus, dass die Kläger der Schule fernbleiben (aa), sie dies mit gesundheitlichen Gründen entschuldigen (bb), jedoch das Vorliegen solcher Gründe – obwohl ohne weiteres möglich und zumutbar – gänzlich unzureichend belegt ist, insbesondere nicht durch Vorlage hinreichend aussagekräftiger ärztlicher Atteste (cc). Weitere materielle Voraussetzungen sehen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, Satz 2 BaySchO nicht vor.
(aa) Unstreitig geblieben ist, dass die Kläger den Präsenzunterricht des Gymnasiums jedenfalls im Schuljahr 2020/2021 nicht besucht haben. Entsprechend ergeben sich für beide Kläger – bis heute – ganz erhebliche schulische Fehlzeiten.
(bb) Zur Begründung bzw. Entschuldigung dieser Fehlzeiten hat die Klägerseite vielfach gesundheitliche Gründe geltend gemacht. So hat die Schule am 23. Juni 2020, also noch vor Beginn des Schuljahres 2020/2021, ein ärztliches Attest erreicht, vermeintlich ausgestellt von Dr. … Dort ist bezogen auf die Klägerin zu Ziff. 1 ausgeführt, für sie sei das Tragen eines Mundschutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam. Des Weiteren haben die Eltern der Kläger diese zu Beginn des Schuljahres 2020/2021 wegen Krankheit entschuldigt. In der Folge haben sie für beide Kinder ärztlicher Atteste vorgelegt. Anschließend haben die Eltern der Kläger insbesondere mitgeteilt, ihren Kindern sei das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar. Es drohten gesundheitliche Nachteile bis hin zur Bewusstlosigkeit. Auch seien Kinder allgemein nicht in der Lage, die korrekte Anwendung von Mund-Nasen-Bedeckungen sicherzustellen. Es seien bereits mindestens zwei Schüler „wegen der Maske umgekommen“. Sie hätten glaubhaft gemacht, dass ihren Kindern das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar sei.
(cc) Schließlich sind die geltend gemachten Krankheiten bzw. gesundheitlichen Gründe gänzlich unzureichend belegt, obwohl dies den Klägern bzw. ihren Eltern ohne weiteres möglich und zumutbar wäre. Entsprechend bestehen ganz erhebliche Zweifel, dass die vorgebrachten Krankheiten bzw. gesundheitlichen Gründe zutreffen. Soweit das Attest von Dr. … in Frage steht, ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei zur Überzeugung der Kammer um ein Formular handelt, das von Interessierten offenbar selbst ausgefüllt wird. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem Attest selbst, in dem insbesondere ausgeführt ist, „[m]it der Eintragung meines Namens und meiner Adresse bestätige ich, dass ich nicht an einer Krankheit leide, die das Tragen eines Mundschutzes gebietet […]“. Im Ergebnis kommt dem Formular aus mehreren Gründen keine Aussagekraft zu, was etwaige Krankheiten oder gesundheitliche Einschränkungen mit Blick auf das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung angeht. Zum einen ergibt sich aus dem Formular keine individuelle ärztliche Einschätzung, da der Bezug des Formulars zu einer bestimmten Person nicht etwa durch den Arzt hergestellt wird, sondern erst durch Personen, die ihre Namen in das Formular eintragen. Hieraus folgt auch, dass der Inhalt des Formulars nicht auf einer individuellen, personenbezogenen ärztlichen Untersuchung beruht. Zum anderen beschränkt sich der Inhalt des Formulars ohnehin lediglich darauf, ein Tragen der Maske sei „nicht ratsam“. Zur etwaigen Unzumutbarkeit des Tragens aus gesundheitlichen Gründen ist dagegen nichts ausgeführt. Schließlich spricht Vieles dafür, dass das Attest ohnehin im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2021 keine Aussagekraft für den Schulbesuch beansprucht. Denn im Kleingedruckten heißt es insbesondere, mit der Eintragung des Namens werde versichert, dass das Attest nicht an Orten verwendet werde, an denen ein Mundschutz allgemein vorgeschrieben sei. In bayerischen Schulen war das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aber bereits im genannten Zeitpunkt nach Maßgabe von § 18 Abs. 2 Satz 1 Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV vom 15. Dezember 2020, BayMBl. Nr. 737, BayRS 2126-1-15-G) wie auch derzeit nach § 18 Abs. 2 Satz 1 der 12. BayIfSMV im Grundsatz (allgemein) vorgeschrieben.
Auch die in der Folge vorgelegten ärztlichen Atteste erscheinen hinsichtlich ihres Inhalts zweifelhaft. Diese Atteste lassen nicht hinreichend aussagekräftig erkennen, inwieweit die Leistungsfähigkeit der Kläger aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt sein soll. Attestiert wird jeweils pauschal die Kläger seien „erkrankt“ und „sport-/arbeits-/schulunfähig“. Dieser Zustand wird darüber hinaus gleich für zwei Zeiträume, taggenau übereinstimmend für beide Kläger attestiert. Eine solche zeitliche Übereinstimmung ist nach der Lebenserfahrung jedoch höchst unwahrscheinlich. Denn Krankheitsverläufe bzw. die Entwicklung gesundheitlicher Einschränkungen unterscheiden sich grundsätzlich individuell von Mensch zu Mensch. Schließlich begründen auch die Ausführungen der Eltern der Kläger mit Blick auf das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung den Verdacht, dass die Kläger weder erkrankt sind noch sonst unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden. Denn die Äußerungen der Eltern der Kläger können wohl so verstanden werden, dass allgemein – ggf. auch bei gesunden Menschen – das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zur Bewusstlosigkeit und darüber hinaus gar zum Tod führen kann. Hieraus ergibt sich ein Motiv, Krankheiten bzw. gesundheitliche Einschränkungen der Kläger vorzuschieben, um so entweder den Schulbesuch insgesamt vermeintlich krankheitsbedingt zu vermeiden, oder aber eine Befreiung von der Maskenpflicht aus vermeintlich gesundheitlichen Gründen zu erreichen.
Aufgrund einer Gesamtschau der genannten Umstände bestehen ganz erhebliche Zweifel, dass die Kläger erkrankt sind oder unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden, die das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung unzumutbar machen würden.
Diese Zweifel sind vorliegend auch nicht etwa dadurch ausgeräumt, dass die Kläger – vertreten durch ihre Eltern – unmissverständlich klargestellt hätten, sie seien nicht erkrankt bzw. würden unter keinen gesundheitlichen Einschränkungen leiden. Ein solcher Vortrag ist bis zuletzt gerade nicht erfolgt. Vielmehr haben die Eltern der Kläger noch mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 erklärt, sie hätten glaubhaft gemacht, dass ihren Kindern das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar sei, und hierzu ohne Anerkennung einer Rechtspflicht Atteste vorgelegt. In diesen Attesten wiederum ist jedenfalls zum Teil ausgeführt, die Kläger seien erkrankt.
d) Der angegriffene Bescheid ist auch insoweit rechtmäßig, als § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, Satz 2 BaySchO Ermessen zum einen dahingehend einräumt, ob überhaupt ein ärztliches Zeugnis verlangt wird, und zum anderen, ob insoweit ein ärztliches Attest genügt oder aber ein schulärztliches Attest vorzulegen ist.
aa) Nach Art. 40 BayVwVfG hat die Behörde eingeräumtes Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen beschränkt sich jedoch nach § 114 Satz 1 VwGO lediglich auf die Prüfung etwaiger Ermessensfehler. Dagegen kann das Gericht sich nicht an die Stelle der Behörde setzen und ggf. eigenes Ermessen ausüben (vgl. so zum Ganzen Decker in Beckscher Online-Kommentar VwGO, 50. Edition Stand 1.4.2021, § 114 Rn. 26).
Nach Art. 39 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG sind zur Begründung eines Verwaltungsakts die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Umfang und Vollständigkeit der Begründung von Ermessensentscheidung bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls sowie zusätzlich nach dem jeweils betroffenen Rechtsgebiet (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 43 f.).
Danach bezieht sich die gerichtliche Kontrolle auf Ermessensfehler grundsätzlich auf diejenigen Erwägungen, die die Behörde im Zeitpunkt der Entscheidung tatsächlich angestellt hat, regelmäßig also auf die Gründe, die sich aus dem angegriffenen Verwaltungsakt selbst ergeben (vgl. Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2020, § 114 Rn. 49).
Etwas anderes gilt in Fällen sog. intendierten Ermessens, in denen das Ergebnis der behördlichen Ermessenerwägung – von Ausnahmefällen abgesehen – bereits durch die Intention des Gesetzes vorgezeichnet ist (vgl. Geis in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand Juli 2020, § 40 Rn. 27). Ob ein solcher Fall intendierten Ermessens vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. Geis a.a.O.). Als Fallgruppen intendierten Ermessens sind insbesondere das Entschließungsermessen hinsichtlich des Einschreitens zur Beseitigung rechtswidriger Zustände bzw. die Abwehr abstrakter Gefahren anerkannt (vgl. Geis a.a.O.; Aschke in Beckscher Online-Kommentar, VwVfG, 51 Edition Stand 1.4.2021, § 40 Rn. 40). In Fällen intendierten Ermessens versteht sich das Abwägungsergebnis von selbst, so dass insoweit – da selbstverständlich – auch keine Begründung der Ermessenserwägungen nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG erforderlich ist. Dies setzt jedoch voraus, dass der in dem Bescheid dargestellte Sachverhalt die Feststellung erlaubt, dass das Ergebnis der Ermessensausübung im konkreten Fall tatsächlich mit der Intention des Gesetzes vorgezeichnet ist und nicht etwa ein Ausnahmefall vorliegt, in dem eine abweichende Ermessensausübung in Betracht kommt (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG; 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 70). Sofern ein Ausnahmefall ausscheidet, bedarf es keiner Abwägung des „Für und Wider“, auch keiner dahingehenden Begründung. Vielmehr ist die Begründungspflicht regelmäßig bereits dann erfüllt, wenn in dem Bescheid der Regelfall angenommen und dieses Ergebnis zum Ausdruck gebracht wird (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.1985 – 8 C 22/83 – NJW 1986, 738, 740). Lediglich sofern außergewöhnliche Umstände erkennbar sind, die ausnahmsweise eine abweichende Entscheidung möglich erscheinen lassen, sind diese im Rahmen der Begründung des Bescheids zu erwägen (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.2002 – 8 C 30/01 – NJW 2003, 221, 223). Soweit zum Teil gefordert wird, in Fällen intendierten Ermessens bedürfe die Begründung darüber hinaus der Feststellung, es liege kein Ausnahmefall vor (so wohl Tiedemann in Beckscher Online-Kommentar, VwVfG, 51. Edition Stand 1.4.2021, § 39 Rn. 49; Geis in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand Juli 2020, § 40 Rn. 28), überzeugt dies nicht. Denn bei einer solchen Feststellung würde es sich letztlich um eine Selbstverständlichkeit im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handeln. Selbstverständliches bedarf aber weder einer gesonderten Darstellung noch einer ausdrücklichen Feststellung. Entsprechende Ausführungen – da ohnehin selbstverständlich – werden auch Adressaten entsprechender Bescheide nicht erwarten. Darüber hinaus ist die geforderte Feststellung regelmäßig bereits konkludent in den Ausführungen enthalten, die dem Ergebnis der vorgezeichneten bzw. intendierten Ermessensausübung folgen. Eine darüber hinausgehende ausdrückliche Feststellungspflicht liefe dagegen letztlich auf bloße Förmelei hinaus.
bb) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe sind hier hinsichtlich der Frage, ob ein ärztliches Attest vorzulegen ist (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BaySchO), keine Ermessensfehler ersichtlich. Zwar enthält der angegriffene Bescheid insoweit entgegen Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG keine Darlegungen zur Ermessensausübung. Diese sind hier jedoch entbehrlich, da ein Fall intendierten Ermessens vorliegt. Denn wenn mit dem Tatbestand aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BaySchO – der die Ermessensausübung erst eröffnet – Zweifel an der Erkrankung von Schülern vorliegen, ist das Ergebnis der Ermessensausübung in aller Regel vorgezeichnet.
Dies ergibt sich bereits aus dem Gedanken der Gefahrenabwehr. Denn bei tatbestandlich vorauszusetzenden Zweifeln an der Erkrankung von Schülern (und deren Fehlen im Unterricht) liegt nicht nur eine abstrakte, sondern bereits eine konkrete Gefahr in dem Sinne vor, dass die Rechtsordnung in Gestalt der Schulpflicht verletzt sein könnte. Darüber hinaus ist Zweifeln an der Erkrankung auch mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip (vgl. Geis in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand Juli 2020. § 40 Rn. 29) nachzugehen, um rechtmäßige Zustände wiederherzustellen. So wird das aufgrund entsprechender Anordnung vorgelegte Attest ggf. ergeben, dass eine Entschuldigung wegen Krankheit vorliegt. In diesem Fall entspricht es regelmäßig rechtmäßigen Zuständen, dass das Fernbleiben vom Unterricht für die Dauer der Erkrankung entschuldigt ist. Sofern das vorgelegte Attest dagegen keine (hinreichende) Entschuldigung ergibt, können weitere Maßnahmen zur dann durchzusetzenden Schulpflicht, also zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände in diesem Sinne ergriffen werden. Atypische Ausnahmefälle, in denen Zweifel an der Erkrankung ohne weitere Aufklärung hingenommen werden könnten, sind allenfalls in ganz besonderen Ausnahmefällen ersichtlich, etwa wenn es auf eine solche Aufklärung nicht mehr ankommt, weil zu erwarten ist, dass der Schulbesuch vor der zu erwartenden Aufklärung ohnehin (dauerhaft) beendet sein wird. Entsprechend ergibt die Auslegung von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BaySchO, dass im Regelfall als Ergebnis der Ermessensausübung die Verpflichtung zur Vorlage eines ärztlichen Attests vorgezeichnet ist, mithin ein Fall intendierten Ermessens vorliegt. Da die Sachverhaltsdarstellung des angegriffenen Bescheids darüber hinaus hinreichend die Feststellung erlaubt, dass kein Ausnahmefall vorliegt, musste in dem angegriffenen Bescheid kein „Für und Wider“ der Ermessensausübung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BaySchO dargestellt werden.
cc) Auch soweit die Entscheidung des Beklagten in Frage steht, gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 BaySchO nicht lediglich ein allgemeines ärztliches Attest, sondern ein amtsärztliches Attest zu verlangen, sind Ermessensfehler weder geltend gemacht noch ersichtlich. Insbesondere ist – da zutreffend – nicht zu beanstanden, dass der Beklagte darauf abgestellt hat, die bislang vorgelegten Atteste genügten nicht den rechtlich einzuhaltenden Anforderungen, mit denen die Eltern der Kläger vertraut gemacht worden seien. Gleiches gilt hinsichtlich der Erwägung, es bestünden nach wie vor Zweifel an einer tatsächlichen Krankheit der Kläger sowie in der Folge auch an der ordnungsgemäßen Ausstellung der vorgelegten Atteste. Diese Erwägungen begründen, warum die Vorlage eines ärztlichen Attests aus Sicht des Gymnasiums nicht mehr als ausreichend erachtet und nunmehr die Vorlage eines amtsärztlichen Attests angeordnet wird.
e) Soweit der Beklagte mit dem angegriffenen Bescheid die Vorlage eines amtsärztlichen Attests angefordert hat, sind dessen Kompetenzen aus § 20 Abs. 2 Satz 2 BaySchO nicht überschritten. Zwar sieht die genannte Vorschrift als Rechtsfolge nicht die Vorlage eines amtsärztlichen, sondern eines schulärztlichen Attests vor. Jedoch bestimmt § 13 SchulgespflV (Schulgesundheitspflegeverordnung vom 20. Dezember 2008, GVBl. 2009 S. 10, BayRS 2126-3-2-G, zuletzt geändert durch § 1 Nr. 163 der Verordnung vom 22. Juli 2014, GVBl. S. 286), dass die unteren Behörden für Gesundheit, Veterinärwesen, Ernährung und Verbraucherschutz – also die Gesundheitsämter – schulärztliche Zeugnisse für Schülerinnen und Schüler insbesondere nach Maßgabe der Schulordnungen erstellen. Damit sind die bei den staatlichen Gesundheitsämtern angesiedelten Amtsärzte auch mit den Untersuchungen für schulärztliche Zeugnisse betraut, sodass die Begrifflichkeiten des amts- und schulärztlichen Zeugnisses zumindest im vorliegenden Zusammenhang synonym verwendet werden können. Entsprechend ist keine Kompetenzüberschreitung ersichtlich.
Im Ergebnis nichts anders gilt, sollten weitere Amtsärzte über die Gesundheitsämter hinaus an weiteren Behörden angesiedelt sein. Denn in diesem Fall stünden den Klägern über die Amtsärzte bei den Gesundheitsämtern hinaus sogar weitere Ärzte zur Verfügung, mit deren Hilfe sie ihre Verpflichtung aus dem angegriffenen Bescheid erfüllen könnten. Aus diesem Grund würde es sich bei der Anordnung zur Vorlage eines amtsärztlichen Attests lediglich um ein Minus im Vergleich zur strengeren, den Kreis der Ärzte beschränkenden Anordnung nach § 20 Abs. 2 Satz 2 BaySchO handeln, ein schulärtzliches Zeugnis vorzulegen. Entsprechend wäre auch in diesem Fall keine Kompetenzüberschreitung ersichtlich.
f) Der angegriffene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids erweist sich auch als verhältnismäßig im Einzelfall. So verfolgt der Bescheid das legitime Ziel, etwaige Erkrankungen oder gesundheitliche Einschränkungen der Kläger mit Blick auf deren Schulpflicht zu ermitteln. Hierzu ist die angeordnete Vorlage eines amtsärztlichen Attests, welche eine amtsärztliche Untersuchung impliziert, in hohem Maße geeignet. Denn außer Frage steht, dass Amtsärzte aufgrund ihres medizinischen Sachverstands Krankheiten und gesundheitliche Einschränkungen diagnostizieren und etwaige Auswirkungen auf den Schulbesuch einschätzen können. Dies gilt auch mit Blick auf etwaige gesundheitliche Einschränkungen oder Wechselwirkungen hinsichtlich des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung. Die angeordnete Maßnahme ist auch erforderlich, da keine milderen und im Wesentlichen gleich geeigneten Mittel ersichtlich sind. Hervorzuheben ist zudem, dass der Beklagte im Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheids von stärker eingreifenden schulischen Mitteln wie etwa Ordnungsmaßnahmen oder gar der Erwirkung polizeilicher Maßnahmen zur Durchsetzung der Schulpflicht abgesehen hat, obwohl diese zumindest im Raum standen. Stattdessen hat sich der Beklage entschlossen, als milderes Mittel den Sachverhalt durch die Verpflichtung zur Vorlage eines amtsärztlichen Attests weiter aufzuklären, so dass zumindest im Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheids Fragen der Verhängung von Erziehungs- bzw. Ordnungsmaßnahmen oder der Bewertung von Leistungserhebungen im Fall der Abwesenheit der Kläger, ggf. mit entsprechenden Konsequenzen für das Vorrücken in die nächste Jahrgangsstufe – allesamt ungleich stärker eingreifende Maßnahmen – dahinstehend konnten. Schließlich ist der angegriffene Bescheid auch angemessen bzw. verhältnismäßig im engeren Sinn. Denn die geforderte amtsärztliche Untersuchung ist den Klägern und ihren Eltern ohne weiteres zumutbar und mit keinen ins Gewicht fallenden Nachteilen verbunden. Demgegenüber ist die hier bestehende konkrete Gefahr einer Schulpflichtverletzung auch angesichts der betroffenen Zeiträume mit ebenso konkreten Gefahren nicht nur für die Ausbildung der Kläger, sondern auch für deren persönliche Entwicklung verbunden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.


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