Medizinrecht

Prüfungsunfähigkeit, Unterbrechung, Fristsetzung für die Vorlage eines ärztlichen Nachweises, Missbrauch

Aktenzeichen  W 2 K 20.1805

Datum:
25.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16828
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ÄApprO § 18
ÄApprO § 19

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Prüfungsamtes vom 5. Mai 2020 und der Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung eines weiteren Wiederholungsversuchs zur Ablegung des schriftlichen Teils des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung zu, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwG0.
1. Das Prüfungsamt der J.-M.-Universität W. konnte zurecht mit Bescheid vom 5. Mai 2020 den schriftlichen Teil der Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung des Klägers im Frühjahr 2020 gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 ÄApprO mit „nicht ausreichend“ bewerten, weil für die Unterbrechung der Prüfung durch den Kläger kein wichtiger Grund anerkannt werden kann. Damit steht fest, dass der Kläger nach § 13 Abs. 3 ÄApprO den Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung endgültig nicht bestanden hat und eine weitere Wiederholung auch nach einem erneuten Medizinstudium nicht zulässig ist (§ 20 Abs. 1 Satz 2, § 21 Abs. 2 ÄApprO).
Der Rücktritt von der Prüfung und die Folgen einer Versäumnis sind in § 18 und § 19 ÄApprO geregelt. Da ein Rücktritt vor Antritt der Prüfung zu erklären ist und ein Versäumnis nur dann vorliegt, wenn die Prüfung nicht angetreten wird, handelt es sich beim streitgegenständlichen Fernbleiben der Prüfung am zweiten Tag um eine Unterbrechung, denn der Kläger hat einen Teil der Prüfung mitgeschrieben.
Die „Unterbrechung einer Prüfung“ ist als Alternative in § 19 Abs. 1 Satz 1 ÄApprO aufgeführt, so das nach § 19 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO bei einer Unterbrechung § 18 Abs. 1 Sätze 1 und 4 ÄApprO entsprechend gelten. Versäumt oder unterbricht ein Prüfling einen Prüfungstermin, so hat er den Prüfungsabschnitt oder den Prüfungsteil nach § 19 Abs. 1 Satz 1 ÄApprO nicht bestanden. Liegt ein wichtiger Grund für das Verhalten des Prüflings vor, so gilt der Prüfungsabschnitt oder der Prüfungsteil nach § 19 Abs. 1 Satz 2 ÄApprO als nicht unternommen. Nach § 19 Abs. 2 ÄApprO trifft die nach Landesrecht zuständige Stelle die Entscheidung darüber, ob ein wichtiger Grund vorliegt. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 ÄApprO hat ein Prüfling die Gründe für seinen Rücktritt unverzüglich der zuständigen Stelle mitzuteilen.
Wie der Kläger und das Verwaltungsgericht München im Urteil vom 16. Dezember 2021 – M …  … – zutreffend ausführen, gilt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hier in besonderer Weise zu beachten, dass die Sanktion des gegebenenfalls endgültigen Verlustes der Prüfungschance nicht außer Verhältnis zu dem mit der Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung beziehungsweise zur unverzüglichen Vorlage eines ärztlichen Nachweises verfolgten Ziels der Wahrung der Chancengleichheit stehen darf. Ob eine Mitteilung oder die Vorlage eines Nachweises im Rechtssinne unverzüglich ist, ist daher stets auch im Lichte des Grundrechts auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) zu beurteilen. Hieraus ergeben sich insbesondere im Falle des endgültigen Nichtbestehens einer Prüfung durch Verletzung der prüfungsverfahrensrechtlichen Nebenpflicht zum unverzüglichen Nachweis eines Säumnisgrundes Schranken. Hat die Verletzung einer solchen Pflicht zur Folge, dass die Prüfung als nicht bestanden gilt, so wird sie letztlich ebenfalls zu einer die Freiheit der Berufswahl begrenzenden „Prüfungsschranke“. Die Prüfungsschranke darf nach Art und Höhe nicht ungeeignet, unnötig oder unzumutbar sein. Darüber hinaus beansprucht das Grundrecht der Berufsfreiheit auch Geltung für die Durchführung des Prüfungsverfahrens (BVerwG, U. v. 13.5.1998 – 6 C 12/98 – juris Rn. 17ff.).
Ausschlaggebend ist im vorliegenden Fall, dass der Kläger die vom Prüfungsamt geforderte ärztliche Bescheinigung nicht rechtzeitig innerhalb der gesetzten Frist bis zum 3. April 2020 vorgelegt hat.
In diesem Zusammenhang kann davon ausgegangen werden, dass der nach § 19 Abs. 1 Satz 2 ÄApprO erforderliche wichtige Grund für die Unterbrechung der Prüfung am 11. März 2020 objektiv vorlag, weil dem Kläger zumindest durch das ärztliche Attest vom 19. Mai 2020 eine Prüfungsunfähigkeit an diesem Tag attestiert wurde. Zudem hat der Kläger den Grund für die Prüfungsunterbrechung unverzüglich dem Prüfungsamt mit Email vom 11. März 2020 mitgeteilt, § 19 Abs. 2, § 18 Abs. 1 Satz 1 ÄApprO. Entscheidungserheblich ist, dass nicht rechtzeitig innerhalb der bis zum 3. April 2020 gesetzten Frist der erforderliche ärztliche Nachweis einging.
Zu beachten ist dabei, dass die Prüflinge die materielle Beweislast für das Vorliegen des Rücktritts- bzw. Unterbrechungsgrundes tragen (vgl. BVerwG, U.v. 13.5.1998 – 6 12/98 – juris, unter Verweis auf BVerwG, U.v. 22.10.1982 – BVerwG 7 C 119.81 – BVerwGE 66, 213, 215 f.). Daher muss der Kläger die Nachteile eines Beweisausfalls selbst tragen.
1.1 Das Prüfungsamt durfte vom Kläger die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nach § 18 Abs. 1 Satz 4, § 19 Abs. 2 Satz 2 ÄApprO verlangen, da der Kläger als wichtigen Grund eine Krankheit geltend gemacht hat.
1.2 Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die Liegebescheinigung am 11. oder am 13. März 2020 beim Prüfungsamt einging, denn wie das Prüfungsamt hinreichend kommuniziert hat (vgl. Email vom 30.8.2018, Bl. 105 VA, Schreiben vom 24.9.2019, Bl. 110 VA) und der Kläger auch wusste, war das Prüfungsamt im Falle des Klägers nicht bereit, eine reine Liegebescheinigung als Nachweis über eine Prüfungsunfähigkeit anzuerkennen. Darauf wurde der Kläger mit Email des Prüfungsamtes vom 11. März 2020, 8.32 Uhr, auch nochmals explizit hingewiesen.
1.3 Dass das Prüfungsamt im besonderen Fall des Klägers diese weitergehende Anforderung stellte, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Kläger hatte schon sehr häufig krankheitsbedingt die Prüfung unterbrochen oder versäumt. Es stand die Möglichkeit von Dauerleiden im Raum. Ob ein solches Dauerleiden im konkreten jeweiligen Fall vorliegt oder das Fernbleiben von der Prüfung eine sonstige Ursache hat, kann anhand einer Liegebescheinigung nicht beurteilt werden, weil diese lediglich über den Aufenthalt in einer stationären Einrichtung Auskunft gibt, aber nicht über die Art und Weise der gesundheitlichen Beeinträchtigung und deren Einfluss auf die Prüfungsfähigkeit.
Darüber hinaus können an die Anerkennung eines wichtigen Grundes bei einer Prüfungsunterbrechung höhere Anforderungen gestellt werden als bei einer Säumnis. Die Fristsetzung zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Prüfungsunfähigkeit stellt somit keinen unverhältnismäßigen Eingriff dar. Diese Auffassung wird vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 1998 – 6 12/98 (juris) gestützt. In dieser Entscheidung wird Folgendes ausgeführt:
„In den bisher in der Rechtsprechung behandelten Fällen des (nachträglichen) Rücktritts lag die Gefahr einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit regelmäßig näher. In diesen Fällen handelte es sich zumeist darum, dass Prüflinge zunächst an der Prüfung teilnahmen, ihnen aber nachträglich Bedenken hinsichtlich ihrer Prüfungsfähigkeit kamen, oder dass sie durch konkret beeinträchtigende Prüfungsbedingungen beeinträchtigt waren und sie nachträglich zweifelten, ob sie noch in der Lage waren, ihr Leistungsvermögen angemessen zu zeigen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 17. Februar 1984 – BVerwG 7 C 67.82 – BVerwGE 69, 46, 50 ff.; vom 22. Oktober 1982 – BVerwG 7 C 119.81 – BVerwGE 66, 213; vom 17. Januar 1969 – BVerwG 7 C 77.67 – BVerwGE 31, 190 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 35; Beschluss vom 8. August 1979 – BVerwG 7 B 11.79 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 120). Diesen Fallgruppen ist gemeinsam, dass der Prüfling zunächst an der (schriftlichen) Prüfung teilgenommen und auch die entsprechenden Arbeiten – zumindest teilweise – mitgeschrieben und abgegeben hat. Es liegt auf der Hand, dass hier die Frage der Chancengleichheit in besonderer Weise zu beachten ist. Denn es besteht die Gefahr, dass der Prüfling versucht ist, Unklarheiten auszunutzen und sich gleichheitswidrig gegenüber den Mitprüflingen eine zusätzliche Prüfungschance zu verschaffen. Dies kann durch die missbräuchliche Geltendmachung einer in Wirklichkeit nicht vorhandenen Prüfungsunfähigkeit oder Prüfungsstörung geschehen. Diese Gefährdung der Chancengleichheit lässt sich – so die Wertung des Verordnungsgebers in § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 ÄAppO – dadurch verringern, dass dem Prüfungsamt eine eigene, möglichst zeitnahe Gelegenheit zur Überprüfung der Gründe des Rücktritts gegeben wird. Voraussetzung hierfür ist es, dass geltend zu machende Rücktrittsgründe dem Prüfungsamt frühzeitig bekannt werden. Die nicht unverzügliche Geltendmachung der Rücktrittsgründe könnte in einem solchen Fall kausal dafür sein, dass Beweismittel verlorengegangen oder in ihrer Bedeutung unsicher geworden sind oder eine Prüfungsstörung nicht hat beseitigt oder kompensiert werden können und der Prüfling dadurch – bei Anerkennung der Rücktrittsgründe – eine ihm nicht zustehende Prüfungschance erhält (vgl. insb. Urteil vom 7. Oktober 1988 – BVerwG 7 C 8.88 – BVerwGE 80, 282, 284 ff.).“
Die dargestellten Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall übertragbar, weil auch hier der Kläger einen Teil der Prüfung, nämlich den ersten Tag der insgesamt als Einheit zu betrachtenden Prüfung am 10./11. März, mitgeschrieben hat und so bereits zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Prüfungsunfähigkeit abschätzen konnte, welche Leistung er im ersten Teil der Prüfung hat erbringen können und wie die Bewertung wohl ausfallen wird. Dies ist den Prüflingen im Zeitalter des Internets über die allgemein zugänglichen Musterlösungen ohne Probleme möglich. Zudem hat jeder Prüfling beim Abrufen seiner Kenntnisse ein Gefühl dafür, wie dies für ihn „gut oder schlecht“ gelaufen ist. Daraus folgt, dass an die hier vorliegende Prüfungsunterbrechung hinsichtlich der Anerkennung eines wichtigen Grundes ähnlich hohe Anforderungen zu stellen sind, wie an die bei einem Rücktritt von der Prüfung. Dies resultiert gerade aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Prüflinge. Die Chancengleichheit ist nur gewahrt, wenn sich einzelne Teilnehmer nicht zusätzliche Prüfungsmöglichkeiten durch die Vortäuschung oder Herbeiführung einer Prüfungsunfähigkeit verschaffen können. Auch der Bayerischer Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 3. Juli 2013 – 7 ZB 13.891 – (juris, Rn. 13) entscheiden, dass ein während der Prüfung erklärter Rücktritt wegen der erhöhten Missbrauchsgefahr ähnlich strengen Anforderungen unterliegt wie ein Rücktritt nach vollständiger Beendigung der Prüfung.
1.4 Ein Nachweis über die Prüfungsunfähigkeit wurde dem Prüfungsamt erst nach Ablauf der dafür gesetzten Frist zum 3. April 2020 mit der Vorlage des Entlassungsberichts vom 11. März 2020 am 20. April 2020 vorgelegt.
Der Entlassungsbericht vom 11. März 2020 erfüllt nach zutreffender Ansicht der Beklagtenseite alle Anforderungen, die an einen medizinischen Nachweis der Prüfungsunfähigkeit zu stellen sind. Zwar wird darin nicht ausdrücklich eine Prüfungsunfähigkeit am 11. März 2020 bescheinigt, aber er stellt dar, dass beim Kläger eine Synkope bei CO-Erhöhung nach Shisharauchens und eine Blutzuckerentgleisung im relevanten Zeitraum eingetreten war. Dies ist für den Nachweis einer Prüfungsunfähigkeit ausreichend, da eine eindeutige Diagnose getroffen wurde und eine Schlussfolgerung auf die körperliche oder psychische Leistungsfähigkeit unproblematisch ermöglicht wurde.
1.5 Die Vorlage dieses ärztlichen Nachweises in Form des Entlassungsberichts wäre dem Kläger auch schon zum Zeitpunkt seiner Entlassung am 11. März 2020 möglich gewesen.
Erst kurz vor der mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 20. Mai 2022 hat der Kläger wohl aufgrund der schriftlichen Zusicherung seiner behandelnden Ärztin Dr. W. gegenüber dem Gericht und der Vorlage des entsprechenden SAP-Eintrags einräumen müssen, dass er den Entlassungsbrief bereits bei seiner Entlassung aus der Klinik am Vormittag des 11. März 2020 erhalten hat. Vor diesem Zeitpunkt hatte er stets vorgetragen oder vortragen lassen, dass er den Entlassungsbericht erst nach Ostern (also nach dem 13. April 2020) erhalten habe. Dies lässt große Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Klägers und an seiner Zuverlässigkeit aufkommen.
Mit dem klägerischen Vortrag, dass er dachte, der Entlassungsbericht sei nicht ausreichend, weil das Prüfungsamt in einem Schreiben vom 18. April 2019 einen Entlassungsbericht als nicht ausreichend abgelehnt habe, kann der Kläger nicht gehört werde. Die Ablehnung des Entlassungsberichts im Schreiben vom 18. April 2019 bezog sich erkennbar auf den damaligen Klinikaufenthalt und trifft lediglich die Aussage, dass der damals ausgestellte vorläufige Entlassungsbericht des Universitätsklinikums vom 19. März 2019 nicht als Nachweis für einen wichtigen Grund für die Unterbrechung anerkannt werde. Dies wird in dem Schreiben damit begründet, dass dieser Bericht nicht den Mindestanforderungen an ein (amts-) ärztliches Attest erfülle, wie sie in den allgemeinen Hinweisen zum Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung und mit Schreiben vom 24. September 2018 gefordert worden seien. Für den Kläger bestand kein Anlass, diese konkrete Ablehnung auf alle zukünftigen Entlassungsberichte zu erstrecken. Auch für den Kläger war erkennbar, dass der aktuelle Entlassungsbericht vom 11. März 2020 hinreichend konkrete Angaben über die Art und Weise seiner Erkrankung und der Beeinträchtigung seiner körperlichen Leistungsfähigkeit enthält. Dass, wie vorgetragen, der Entlassungsbericht vom 11. März 2020 nicht vollständig gewesen sei und z.B. die fachradiologische Begutachtung gefehlt habe, kann keine andere Beurteilung rechtfertigen, denn der Entlassungsbericht enthielt auch ohne diese Untersuchungen alle Angaben, die die Behörde für eine weitere Entscheidung benötigt hätte. Hinzukommt, dass das Prüfungsamt in der Email vom 11. März 2020, 8.32 Uhr, im letzten Satz ausdrücklich die Fristsetzung auf die Vorlage „entsprechender Nachweise“ für die Prüfungsunfähigkeit bezog und damit erkennbar alle möglichen ärztlichen Dokumente über seinen aktuellen Krankheitsfall umfasste. Außerdem wurde der Kläger nach glaubhaftem Vortrag der Beklagtenseite darauf hingewiesen, dass er alle ärztlichen Atteste, die konkrete Aussagen über den Krankheitsfall am 10./11. März 2020 liefern könnten, vorlegen soll.
1.6 Aber selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags des Klägers, dass er von einer Nichtgeeignetheit des vorläufigen Entlassungsberichts ausgegangen sei, bleibt die entscheidungserhebliche Tatsache unverändert, dass kein ärztlicher Nachweis über seine Prüfungsunfähigkeit rechtzeitig bis zum 3. April 2020 dem Prüfungsamt vorgelegt wurde.
Ein ärztliches Attest, das die Prüfungsunfähigkeit des Klägers bescheinigt, ging beim Prüfungsamt erst nach Ablauf der Frist am 20. April 2020 beziehungsweise am 4. Juni 2020 (Attest vom 19. Mai 2020) zu.
Es ist auch in Anbetracht der damaligen durch die Corona-Pandemie angespannten Situation nicht glaubhaft, dass der Kläger nicht früher ein entsprechendes Dokument hätte erlangen können. Der persönliche Zugang zu den Kliniken wurde allgemein erst im Zuge des Lockdowns am 16. März 2020 stark eingeschränkt, so dass dem Kläger seit seiner Entlassung aus der Klinik noch fünf Tage geblieben waren, um mit der behandelnden Ärztin zu sprechen. Diese Zeitspanne erscheint vor dem Hintergrund, dass dem Kläger die Dringlichkeit der Vorlage eines ärztlichen Dokuments bekannt war, als ausreichend. Zudem kann auch nicht nachvollzogen werden, dass es dem Kläger innerhalb der Vorlagefrist unmöglich gewesen sein soll, telefonischen Kontakt mit dem Personal der Universitätsklinik beziehungsweise mit der behandelnden Ärztin Dr. W aufzunehmen. Wie schon oben dargelegt, muss der Kläger die Nachteile eines Beweisausfalls selbst tragen, da die Prüflinge die materielle Beweislast für das Vorliegen des Rücktritts- bzw. Unterbrechungsgrundes tragen müssen.
1.7 Entgegen der Auffassung der Klägerseite impliziert § 18 Abs. 1 Satz 4 ÄApprO auch das Recht des Prüfungsamtes, für die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung eine Frist zu setzten.
Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG normiert das Recht einer Behörde, im Rahmen einer Ermessensentscheidung eine Anordnung mit einer Frist zu versehen. Mit der erfolgten Fristsetzung zur Vorlage weiterer ärztlicher Nachweise bis zum 3. April 2020 hat das Prüfungsamt das ihm zustehende Ermessen rechtmäßig ausgeübt.
Ausgehend vom 11. März 2020 wurde dem Kläger für mehr als drei Wochen die Möglichkeit gegeben, ein aussagekräftiges ärztliches Dokument vorzulegen. Das ist in Anbetracht der mit Ablauf der Zeit sich steigernden Schwierigkeiten für eine aussagekräftige Beurteilung der Prüfungsunfähigkeit eine sehr großzügig bemessene Zeitspanne. Die reine Fristsetzung zur Vorlage eines ärztlichen Nachweises beinhaltet keinen tiefen Rechtseingriff, da der Kläger einen ärztlichen Nachweis ohnehin vorlegen muss und ihm dies mit zunehmender zeitlichen Entfernung zum gesundheitsbeeinträchtigenden Ereignis immer schwerer fallen dürfte.
Das Recht der Behörde zur Fristsetzung widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Befugnisnorm. Hier spricht schon der Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 1 ÄApprO mit dem Adjektiv „unverzüglich“ dafür, dass eine zeitnahe Überprüfung des geltend gemachten wichtigen Grundes ermöglicht werden soll. Außerdem ergibt sich aus dem Sinn und Zweck einer Verpflichtung zur Vorlage weiterer Nachweise, dass diese zeitnah vorgelegt werden sollten, weil diese Nachweise nur dann nachvollziehbar überprüft werden können. Nur dann hat die Prüfungsbehörde die Möglichkeit, zu entscheiden, ob weitere Nachweise oder die Konsultation eines von ihr benannten Arztes erforderlich sind. Ein Arzt kann die gesundheitliche Konstitution eines Prüflings zum Zeitpunkt der Prüfung im Nachhinein nur dann beurteilen, wenn die Untersuchung zeitnah erfolgt.
Der Hinweis der Klägerseite auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen vom 16. Juni 2011 – 2 A 822/10 (juris), wonach nur die Mitteilung des wichtigen Grundes unverzüglich erfolgen müsse, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dort wurde eine „außergewöhnliche Belastung“ anerkannt. Allerdings liegt dieser Entscheidung das sächsische Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen zu Grunde und kann daher mit dem vorliegenden Fall, der nach der Approbationsordnung für Ärzte zu beurteilen ist, nicht verglichen werden.
1.8 Der Vortrag des Klägerbevollmächtigten, dass durch die Nichtanerkennung der Unterbrechung aus wichtigem Grund der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt werde, verfängt nicht. Denn im vorliegenden Fall stellt der Verlust der Prüfungschance, auch wenn es sich dabei um den Letztversuch handelt, keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz dar, denn die Vorgaben der §§ 18 und 19 ÄApprO gelten für alle Prüflinge gleichermaßen.
Der Kläger hat einen ärztlichen Nachweis über seine Prüfungsunfähigkeit dem Prüfungsamt nicht innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt. Es liegt vielmehr nahe, dass der Kläger durch die Vielzahl von Rücktritten, Säumnissen und Unterbrechungen einen Vorteil gegenüber den anderen Prüflingen in Hinblick auf die längere Vorbereitungszeit erlangt hat.
Zudem kann auch in der Mitteilung des Prüfungsamtes mit Email vom 7. April 2020, dass wegen der Epidemie-Lage und deren Auswirkungen auf die Staatsprüfungen in der Medizin die Bearbeitung des Falls des Klägers zurückgestellt werde, keine Rechtsverletzung des Klägers erkannt werden. Zu diesem Zeitpunkt war die gesetzte Frist zur Vorlage des ärztlichen Nachweises bereits abgelaufen. Der Sachbearbeiter hat deutlich gemacht, dass diese Frist erfolglos verstrichen ist und keine Nachfrist gewährt wird. Mit der Zurückstellung der Bearbeitung des Falls ist damit erkennbar nur gemeint, dass die Ausarbeitung der schriftlichen Entscheidung noch zurückstehen muss.
Zudem kann auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Saarlouis vom 22. Februar 2011-1K1908/09, BeckRS 2011,49017, verwiesen werden, wonach die Sanktion des endgültigen Verlustes der Prüfungschance nicht außer Verhältnis zu dem mit der Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung verfolgten legitimen Ziel der Wahrung der Chancengleichheit stehe.
Das vom Klägerbevollmächtigten zitierten Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 24. Januar 2017 (M 16 K 16.2193 – juris, Rn. 37), wonach eine Mitteilung der Säumnisgründe am Nachmittag des zweiten Krankheitstages und gleichzeitig des zweiten Prüfungstages als zum zumutbarer Weise frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgt gewertet wurde, kann keine andere Beurteilung rechtfertigen. Denn in dem dort zu beurteilenden Fall sah es das Gericht – anders als in dem vorliegenden Fall – als belegt an, dass der Kläger aufgrund des schweren Krankheitsverlaufs einer schweren Migräneattacke und den damit verbundenen Beeinträchtigungen nicht bereits früher zu einer Information des Prüfungsamts in der Lage gewesen sei. Dies Entscheidung ist hier nicht relevant, da im vorliegenden Fall nicht die rechtzeitige Mitteilung der Unterbrechung, sondern die rechtzeitige Vorlage eines aussagekräftigen ärztlichen Nachweises entscheidungserheblich ist.
Auch die vom Klägerbevollmächtigten zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 1988 (7 C 8/88, a.a.O.) betrifft eine andere Fallgestaltung und ist daher ebenfalls nicht vergleichbar. In dem vom Bundesverwaltungsgericht zu entscheidenden Fall hatte der Kläger mit der Prüfung begonnen und war von dieser dann wegen Krankheitssymptomen zurückgetreten. Ein schuldhaftes Zögern wurde hier nicht angenommen, da der Kläger die Ausstellung eines ärztlichen Attests abwartete und dieses dann zusammen mit der Rücktrittserklärung einen Tag nach dem Auftreten der Krankheitssymptome per Post versandte.
2. Darüber hinaus konnte hier schon deswegen kein wichtiger Grund für die Unterbrechung der Prüfung angenommen werden, weil der krankheitsbedingte Unterbrechungsgrund auf missbräuchliches Verhalten zurückzuführen ist.
Nach dem Beschluss des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. März 2021 – 14 B 277/21 – (juris) kann ein wichtiger Grund im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 ÄApprO für den Rücktritt von der Ärztlichen Prüfung jedenfalls dann nicht vorliegen, wenn der Rücktrittsgrund auf missbräuchliches Verhalten zurückzuführen ist. Allerdings ist ein Prüfling im Vorfeld der Prüfung nicht verpflichtet, jedem Lebensrisiko aus dem Weg zu gehen.
Aus der Formulierung in § 18 Abs. 1 Satz 3 ÄApprO, dass ein „wichtiger“ Rücktritts- bzw. Unterbrechungsgrund vorliegen muss, folgt eine Beschränkungsmöglichkeit der zulässigen Gründe. Der Begriff „wichtig“ erfordert eine Gewichtung des Grundes unter Zugrundelegung einerseits der Bedeutung der Wahrnehmung des festgesetzten Prüfungstermins und andererseits prüfungsrechtlich anzuerkennender Interessen des Prüflings, den Termin nicht wahrnehmen zu müssen. Daher spricht alles dafür, dass jedenfalls missbräuchliches Verhalten zum Zwecke der Unterbrechung oder des Rücktritts von der Prüfung zu keinem anerkennenswerten Grund führt (vgl. BVerwG, U.v. 27.2.2019 – 6 C 3.18 -, juris, Rn. 20, zu zwar unentschuldigten, aber nicht vorsätzlichen Verspäten zum Prüfungstermin).
Nach Ansicht der entscheidenden Kammer kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger durch sein Verhalten am Nachmittag des 10. März 2020 vorsätzlich oder zumindest billigend in Kauf nehmend ein Hindernis für seine spätere Prüfungsteilnahme gesetzt hat. Nach der Anamnese im Entlassungsbericht des Universitätsklinikums vom 11. März 2020, von dessen Wahrheitsgehalt das Gericht ausgehen muss, da sie auf den eigenen Angaben des Klägers beruht, ist der Kläger am 10. März 2020 nach seiner Prüfungsteilnahme am Vormittag zum ersten Mal um 15:00 Uhr aufgestanden und zum Kühlschrank gelaufen. Hierbei ist es zu starken Palpitationen gekommen, leichter Dyspnoe (Atembeschwerden) und einem leichten Thoraxschmerz mit begleitenden Schwindel. Er ist gestürzt und kurzfristig ohnmächtig geworden. Anschließend hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben gegen 18:00 Uhr mit Freunden eine Shisha-Wasserpfeife auf „Fischer“ geraucht. Gegen 22:30 Uhr ist es in Anwesenheit eines Freundes im Sitzen zur erneuten kurzzeitigen Bewusstlosigkeit mit vorherigen Palpitationen sowie einem Schwindelgefühl gekommen. Ein Freund brachte ihn anschließend zur Notaufnahme in die Universitätsklinik, wo er am sehr späten Abend – eine genaue Uhrzeit ist nicht bekannt – als Notfall aufgenommen wurde.
Bei Wahrunterstellung dieses Geschehensablaufs kann konstatiert werden, dass der Kläger ein risikobehaftetes Verhalten an den Tag gelegt hat, das direkt zu dem gesundheitlichen Hindernis an der Prüfungsteilnahme geführt hat.
Zwar ist ein Prüfling im Vorfeld der Prüfung nicht verpflichtet, jedem Lebensrisiko aus dem Weg zu gehen, aber hier hat der Kläger in voller Kenntnis seiner Vorerkrankung Diabetes Mellitus Typ 2 und den damit verbundenen Risiken die Ursache für die Blutzuckerentgleisung mit der anschließenden stationären Aufnahme in der Klinik gesetzt. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger schon seit 2019 wusste, dass er an Diabetes Mellitus Typ 2 leidet. Nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung bedurfte der Kläger keiner Medikamente, sondern die Krankheit sollte nach ärztlichem Rat zunächst mit einer Umstellung der Lebensgewohnheiten therapiert werden. Zudem hat der Kläger – ebenso nach eigenen Angaben – regelmäßig selbst seinen Blutzuckerspiegel kontrolliert. Schon aufgrund einer einfachen Suche im Internet konnte die erkennende Kammer ermitteln, dass ein Rauchverzicht zu der Basistherapie bei einer Zuckererkrankung gehört (vgl. z.B. PatientenLeitlinie zur Nationalen Versorgung, Leitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes 1. Auflage, Version 1.6.2015, S. 9). So gehört es zum Grundwissen eines jeden an Diabetes Erkrankten, dass Rauchen – sei es Tabak oder andere Stoffe – das Risiko einer Blutzuckerentgleisung erhöht und der Gesundheit schadet. Dem Kläger, der damals im 24. Semester Medizin studierte und damit auch im gewissen Maße als fachkundig angesehen werden kann, muss dies auch bekannt gewesen sein.
Daraus ergibt sich, dass ein sorgfältiger und pflichtbewusster Prüfungsteilnehmer in der Zeit zwischen zwei Prüfungen im Bewusstsein, dass er an Diabetes leidet, schon bei der ersten Bewusstlosigkeit um 15:00 Uhr ärztlichen Rat eingeholt oder zumindest den eigenen Blutzuckerwert kontrolliert hätte. Auf jeden Fall hätte niemand, der nicht eine Verstärkung der Beschwerden nicht zumindest billigend in Kauf nimmt, eine Wasserpfeife geraucht, weil es jedem Betroffenen bewusst sein musste, dass dieses Verhalten die Gefahr einer weiteren beziehungsweisen verstärkten Blutzuckerentgleisung enorm erhöht.
Zudem hat der Kläger durch die oben beschriebene Verhaltensweise die Konsultation der Notfallambulanz und damit seine stationäre Aufnahme sehenden Auges in die späten Abend-, beziehungsweise Nachtstunden gelegt, so dass – so wie er wissen musste – zu dieser Zeit keine eingehende und abschließende Untersuchung über eine notwendige stationäre Aufnahme ins Krankenhaus mehr möglich war. Dies hat, so wie der Kläger aus seinen vielen vorherigen Krankenhausaufenthalten wusste, die Folge, dass er auf jeden Fall bis in die Vormittagsstunden des 11. März 2020 eine stationäre Unterbringung genießen kann und bei ihm schon allein aufgrund des Klinikaufenthalts eine Prüfungsunfähigkeit akzeptiert werden muss.
Die Erkrankung des Klägers und die daraufhin eingetretene Prüfungsunfähigkeit resultieren daher nicht mehr aus dem allgemeinen Lebensrisiko, sondern der Kläger hat bewusst die Schädigung seiner Gesundheit in Kauf genommen, um eine Prüfungsunfähigkeit zu erlangen.
Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass sich der Kläger – so wie er in der mündlichen Verhandlung angab – in den letzten Jahren durchschnittlich ein- bis dreimal im Jahr in einer Klink aufhielt. Der Kläger befand sich nach Aktenlage in stationärer Behandlung im Jahr 2016 am 14./15. März, im Jahr 2017 am 14./15. März und am 21. August, im Jahr 2018 am 13./14 März und am 22. – 25. August, im Jahr 2019 vom 12./13. März und vom 22. – 23. August und im Jahr 2020 im streitgegenständlichen 10./11. März. Die Zeiten dieser Klinikaufenthalte entsprechen exakt den jeweiligen Prüfungsterminen für den schriftlichen Teil des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung, was doch sehr erstaunlich ist. Dass es sich hierbei um einen Zufall handelt, ist überaus unwahrscheinlich. Vielmehr spricht die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass der Kläger bewusst zu den Prüfungszeiten gesundheitliche Beeinträchtigungen entweder mit verursacht oder vorgetäuscht hat. Damit hat er missbräuchlich gehandelt und sich unberechtigt einen Vorteil vor den anderen Prüfungsteilnehmern verschafft.
Nach alledem war die Klage im vollen Umfang abzuweisen.
Eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 VwGO musste wegen der Erfolglosigkeit der Klage nicht ergehen.
II. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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