Medizinrecht

Rechtmäßige Abschiebung nach Albanien mangels Vorliegens einer Transportunfähigkeit

Aktenzeichen  M 25 E 16.2157

Datum:
14.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2c S. 1
VwGO VwGO § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

Im Rahmen einer Abschiebung kann einer möglichen Suizidgefahr wirksam begegnet werden, indem die Abschiebung unter ärztlicher Begleitung durchgeführt wird. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen seine Abschiebung nach Albanien.
Der am … 1984 in …Albanien geborene Antragsteller reiste im August 1993 gemeinsam mit seiner Mutter und seiner älteren Schwester ins Bundesgebiet ein und wurde hier als Asylberechtigter anerkannt. Am 18. Februar 1994 erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Anerkennung als Asylberechtigter wurde im Jahr 1997 widerrufen.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. Juni 2013 wurde der Kläger – zuletzt – mit einer siebenjährigen Wiedereinreisesperre aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und die Abschiebung nach Albanien angedroht. Der Ausweisung lag eine Verurteilung wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten zu Grunde.
Der Antragsteller war seit dem 17. November 2011 durchgängig in Haft. Mit Beschluss des Landgerichts … vom … März 2016 wurde die weitere Vollstreckung der Strafhaft ab dem 5. April 2016 zur Bewährung ausgesetzt. Der Antragsteller wurde am 18. März 2016 aus dem Strafvollzug entlassen und besitzt seitdem Grenzübertrittsbescheinigungen.
Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2016 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers gemäß § 123 VwGO,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen, hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, Abschiebungsmaßnahmen gegenüber dem Antragsteller vorläufig zu unterlassen.
Zur Begründung wurde unter Bezugnahme auf ein ärztliches Attest vom 11. April 2016 ausgeführt, der Antragsteller leide an Depressionen, Schlafstörungen, Ängsten und Panikattacken auf dem Boden psychosozialer Belastungsfaktoren. Es bestünde ein erhöhtes Suizidrisiko. Am … April 2016 habe der Antragsteller bei einer Fahrt nach Berlin zur Passausstellung einen psychischen Zusammenbruch erlitten. Nach einem Suizidversuch am … April 2016 sei der Antragsteller in die psychiatrische Klinik des …-Klinikums …  eingeliefert worden. Aufgrund einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung sei der Antragsteller suizidgefährdet und reiseunfähig. Ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot liege vor.
Die Antragsgegnerin sei zur Beachtung der geltend gemachten Suizidgefahr in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung verpflichtet. Die krankheitsbedingte Suizidgefahr dürfe sich nicht nur in dem Zeitraum zwischen der Ankündigung und der Durchführung der Abschiebung nicht realisieren, vielmehr dürfe auch der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur endgültigen Übergabe an die Behörden des Zielstaats nicht außer Acht gelassen werden. Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen würden, der ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, ließe sich erst aufgrund einer fundierten genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten. Die Antragsgegnerin habe kein Interesse, die gesundheitliche Situation des Antragstellers, trotz des Suizidversuchs und der ärztlichen Feststellung von Reiseunfähigkeit und Suizidgefahr, objektiv zu ermitteln.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 24. Mai 2016, den Antrag abzulehnen.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2016 sicherte die Antragsgegnerin eine ärztliche Begleitung bei einer zwangsweisen Abschiebung zu.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte so wie die elektronischen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist nicht begründet.
Der Antragsteller hat den für den Erlass der einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch – die tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der geplanten Abschiebung, § 60a Abs. 2 AufenthG – nicht glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO.
Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist u. a. dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist – Reiseunfähigkeit im engeren Sinne -, sondern auch, wenn die Abschiebung als solche außerhalb des Transportvorgangs eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt – Reiseunfähigkeiten im weiteren Sinne – (Dienelt/Bergmann, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016 § 60a Rn. 28).
Gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese gesetzliche Vermutung hat der Antragsteller nicht glaubhaft widerlegt.
Eine Transportunfähigkeit in Folge vorhandener Erkrankungen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Sowohl das ärztliche Attest vom … April 2016 als auch vom … April 2016 attestieren dem Antragsteller schwere Depressionen und Schlafstörungen, Ängste und Panikattacken, Schwindel, somatoforme Schmerzstörung, Neurasthenie und Dyspnoe. Aus diesen Attesten ergibt sich jedoch nicht, aus welchen Gründen der Antragsteller wegen dieser Beschwerden transportunfähig sein sollte. Soweit im Attest vom … April 2016 auch ein Suizidversuch in der Anamnese und Suizidgedanken attestiert werden, kann dahingestellt bleiben, ob das Attest den Anforderungen des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG genügt, da hier Reiseunfähigkeit nur bis 20. Mai 2016 bescheinigt wird. Diese Reiseunfähigkeit wird im Übrigen nur für eine unbegleitete Abschiebung („war trotz ernsthafter Bemühungen nicht imstande alleine zu reisen“) attestiert.
Auch mit dem ärztlichen Attest vom … Mai 2016 ist eine Transportunfähigkeit des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht. Darin wird ausgeführt, dass der Antragsteller sich nach einem Suizidversuch durch Medikamentenintoxikation im Rahmen einer schweren depressiven Episode in stationärer psychiatrischer Behandlung befinde. Dass der Antragsteller aufgrund der depressiven Episode unter entsprechender ärztlicher Begleitung nicht transportfähig wäre, ergibt sich daraus nicht. Es ist nicht dargelegt, dass sich die Erkrankung – schwere depressive Episode – durch den Transportvorgang wesentlich, ja lebensbedrohlich, verschlechtern wird.
Der Antragsteller hat die rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung auch nicht aufgrund einer vorgebrachten Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne glaubhaft gemacht. Das ärztliche Attest vom … April 2016 enthält keine Ausführungen zu einer Reiseunfähigkeit des Antragstellers. Dieses Attest, das hinsichtlich der darin getroffenen Aussagen nicht den Anforderungen des § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG genügt, enthält keine Aussage darüber, dass sich die schweren Depressionen und Schlafstörungen anlässlich der Abschiebung erheblich, ja lebensbedrohlich verschlechtern würden. Es enthält lediglich die Aussage, dass sich seine psychische Situation bei einer Rückkehr in sein Heimatland nachteilig verschlechtern würde. Eine Reiseunfähigkeit ergibt sich nicht aus der vorgebrachten Selbstmordgefährdung des Antragstellers. Das ärztliche Attest vom … April 2016 diagnostiziert einen Suizidversuch in der Anamnese sowie Suizidgedanken. Eine Aussage dergestalt, dass eine akute Suizidgefährdung bestehe, lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen. Des Weiteren wird eine Reiseunfähigkeit nur für den Zeitraum vom 20. April 2016 bis zum 20. Mai 2016 attestiert.
Das ärztliche Attest vom … Mai 2016 führt wiederum, ohne anzugeben, wie es zu der prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, aus, dass der Antragsteller eine langfristige psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung benötige. Bei Ausbleiben dieser Behandlung bestehe verstärkt die Gefahr weiterer depressiver Krisen und suizidaler Handlungen. Aus psychiatrischer Sicht könne eine Verschlechterung des depressiven Zustands durch eine erzwungene Reise nicht ausgeschlossen werden. Damit ist jedoch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sich die Erkrankung des Klägers – schwere depressive Episode – im Verlauf der zeitlich eingegrenzten Luftabschiebung sowie im Zeitraum der Übergabe an die Behörden des Heimatlandes lebensbedrohlich verschlechtern würde. Die Gefahr suizidaler Handlungen wird nur als Möglichkeit gesehen. Eine weitere ärztliche Untersuchung ist aufgrund der vorliegenden Atteste nicht angezeigt.
Die Antragsgegnerin kann der möglichen Suizidgefahr wirksam begegnen, indem die Abschiebung unter ärztlicher Begleitung durchgeführt wird (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 10 C E 14.1523 – juris).
Mit Schreiben vom 11. Juli 2016 hat die Antragsgegnerin eine Abschiebung unter ärztlicher Begleitung zugesichert. Nach Mitteilung der Deutschen Botschaft in Albanien ist eine Inempfangnahme des Antragstellers am Flughafen Tirana durch eine Ärztin und einen Psychiater möglich.
Der Antrag war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs.


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