Medizinrecht

Rechtmäßige Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 CS 17.1483

Datum:
9.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 3 Abs. 1 S. 1, § 11 Abs. 2 S. 1, Abs. 7, Abs. 8, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 46 Abs. 1 S. 1
StGB StGB § 316

 

Leitsatz

1 Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht rechtswidrig (Anschluss BVerwG BeckRS 9998, 169852). (redaktioneller Leitsatz)
2 § 11 Abs. 8 S. 1 FeV und § 11 Abs. 7 FeV sind keine Ermessensvorschriften, sondern zwingendes Recht. Die Rechtsgrundlagen sind daher insoweit austauschbar und der unter Bezug auf § 11 Abs. 7 FeV erlassene Verwaltungsakt ist rechtmäßig, wenn er auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt werden kann. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26 S 17.2267 2017-07-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 (alt).
Er leidet seit langer Zeit unter chronischen Schmerzen und nimmt regelmäßig verschiedene Schmerzmittel ein. Bei einem stationären Krankenhausaufenthalt im März 2013 wurden eine Opioidabhängigkeit und ein Opioidentzug diagnostiziert. Das Landratsamt Freising (im Folgenden: Landratsamt) ordnete daraufhin die Vorlage eines medizinischen Gutachtens an. Das am 24. November 2014 vorgelegte Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass sich die Einnahme psychoaktiv wirkender Stoffe nicht mehr bestätigen lasse. Der Antragsteller habe die in der Vergangenheit missbräuchlich eingenommenen psychoaktiv wirkenden Arzneimittel Valoron und Tramadol, die er längere Zeit parallel eingenommen habe, indem er sich Rezepte von verschiedenen Ärzten besorgt habe, abgesetzt. Das Landratsamt stellte das Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung daraufhin ein.
Mit Schreiben vom 7. März 2016 teilte die Polizeiinspektion Flughafen München dem Landratsamt mit, gegen den Antragsteller werde wegen Trunkenheit im Verkehr ermittelt. Am 24. November 2015 sei er einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen und Auffälligkeiten festgestellt worden. Der Antragsteller habe angegeben, Tramadol und Saroten einzunehmen. Eine Untersuchung seines Bluts durch das Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum Ulm habe Rückstände von Tramadol, Flupirtin und Etoricoxib ergeben. Der gefundene Wirkstoffspiegel von Tramadol liege in einem untertherapeutischen Bereich, der von Etoricoxib im unteren therapeutischen Bereich und der von Flupirtin im mittleren bis oberen therapeutischen Bereich. Ein Gutachten des Universitätsklinikums vom 25. Januar 2016 komme zu dem Ergebnis, dass die von den Polizeibeamten geschilderten Auffälligkeiten (schwerfällig, verlangsamt, träge und apathische Stimmung, Schläfrigkeit, verkleinerte Pupillen) dem Wirkungs- bzw. Nebenwirkungsprofil von Flupirtin zugeordnet werden könnten. Die Voraussetzungen des § 316 StGB ließen sich aus toxikologisch-medizinischer Sicht aber nicht begründen.
Das Landratsamt forderte den Antragsteller mit Schreiben vom 16. März 2016 auf, bis 4. April 2016 persönlich vorzusprechen und entsprechende ärztliche Verordnungen bezüglich der bei der Blutuntersuchung im November 2015 gefundenen Wirkstoffe vorzulegen. Der Antragsteller sprach weder vor noch legte er ärztliche Verordnungen vor.
Am 2. Mai 2016 ordnete das Landratsamt die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FeV bis 4. Juli 2016 an. Angesichts der Vorgeschichte des Antragstellers sei zu klären, ob er die gefundenen Wirkstoffe missbräuchlich einnehme, da er keine Verschreibungen vorgelegt habe. Selbst wenn keine missbräuchliche Einnahme vorliege, müsse nach Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV geprüft werden, ob die Dauerbehandlung die Fahrtüchtigkeit einschränke.
Daraufhin legte der Antragsteller ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin H. D. vom 31. Mai 2016 vor. Danach müsse der Antragsteller Katadolon (Wirkstoff: Flupirtin) und Tramadol einnehmen. Durch seine Depressionen sei es gelegentlich zum Mehrverbrauch derselben gekommen. Nach einem ärztlichen Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin G. erhalte der Antragsteller eine Dauermedikation von Arcoxia (Wirkstoff: Etoricoxib) und Saroten (Wirkstoff: Amitriptylin, Gruppe der trizyklischen Antidepressiva). Auf Nachfrage des Landratsamts teilte der Antragsteller mit Schreiben vom 10. Juni 2016 mit, er habe mit den beiden Ärzten nicht darüber gesprochen, dass beide Medikamente verordneten. Bei den von Herrn … verordneten Medikamente handele es sich um ein klassisches Kopfschmerzmedikament und ein Mittel gegen Depressionen. Die anderen beiden Medikamente seien stärker und er nehme sie nur abends, damit er besser schlafen könne. Bei der Kontrolle habe er so viele verschiedene Medikamente im Blut gehabt, weil zu dieser Zeit die Hüftarthrose auch noch entzündet gewesen sei. Er habe unbeschreibliche Schmerzen gehabt, die Medikamente aber stets nur abends eingenommen.
Das Landratsamt hielt mit Schreiben vom 29. Juni 2016 an seiner Gutachtensaufforderung fest. Am 4. August 2016 erklärte sich der Antragsteller mit einer Begutachtung einverstanden. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2016 hörte das Landratsamt den Antragsteller zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis an, da das angeforderte Gutachten nicht vorgelegt worden sei. Am 20. Oktober 2016 reichte die Begutachtungsstelle die Unterlagen zurück, da keine Zahlung und damit keine Beauftragung erfolgt seien. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 teilte der Antragsteller mit, er befinde sich in stationärer Behandlung, sei aber bereit, sich dem geforderten Gutachten zu unterziehen. Am 29. November 2016 übersandte er ein Attest des I.- …-Klinikums T. vom 23. November 2016 über seinen Aufenthalt vom 6. bis 31. Oktober 2016. Darin wird ausgeführt, er habe sich wegen einer Abhängigkeit von Opiaten (Tramal) wegen einer Entgiftungsbehandlung in der Klinik befunden.
Daraufhin entzog ihm das Landratsamt nach Anhörung mit Bescheid vom 30. Januar 2017 die Fahrerlaubnis, forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, den Führerschein binnen einer Frist von sieben Tagen abzugeben und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da mit Attest vom 23. November 2016 eine Opiatabhängigkeit bei ihm diagnostiziert worden sei. Weitere Aufklärungsmaßnahmen seien nicht erforderlich.
Den gegen den Bescheid vom 30. Januar 2017 erhobenen Widerspruch hat die Regierung von Oberbayern mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 2017 zurückgewiesen. Seit der Entgiftungsbehandlung im Oktober 2016 sei noch kein Jahr vergangen. Der Antragsteller habe seine Fahreignung daher nicht wiedererlangt.
Über die gegen den Bescheid vom 30. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 2017 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Die Klage werde voraussichtlich nicht erfolgreich sein. Das Landratsamt habe die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen, da der Antragsteller von dem Wirkstoff Tramadol, einem „anderen psychoaktiv wirkenden Stoff“ abhängig gewesen sei.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Es sei nicht nachgewiesen, dass der Antragsteller von einem anderen psychoaktiv wirkenden Stoff abhängig gewesen sei. Bei dem Attest der Klinik handele es sich um ein privatärztliches Schreiben und nicht um ein Gutachten. Solche Unterlagen seien zum Nachweis ungeeignet. Es werde von Opiaten gesprochen, obwohl es sich bei dem Wirkstoff Tramadol um ein Opioid handele. Es handele sich auch nicht um eine Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen, sondern um ein psychiatrisches Krankenhaus. Die Diagnose einer Abhängigkeit sei nicht als ausreichend gesichert anzusehen. Demgegenüber sei im Jahr 2014 festgestellt worden, dass eine missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln nicht zu erwarten sei. Damals sei die im ärztlichen Schreiben des I.- …-Klinikums T. vom 23. März 2013 diagnostizierte vermeintliche Opioidabhängigkeit nur als Missbrauch eingestuft worden. Nach ärztlicher Bestätigung im Gutachten vom November 2014 gehe von den Wirkstoffen Tramadol und Tilidin in retardierter Form auch kein signifikantes Suchtpotenzial aus. Das Verfahren zur Überprüfung der Eignung hätte fortgesetzt werden müssen, da eine Abhängigkeit nicht erwiesen und Tramadol ärztlich verordnet worden sei. Zwischenzeitlich sei auch ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt worden und es bedürfe der Einnahme von Tramadol nicht mehr.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. November 2016 (BGBl I S. 2722), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S.3083), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen.
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78).
Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt nach § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens.
2. Im vorliegenden Fall ist fraglich, ob das Landratsamt die Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 11 Abs. 7 FeV stützen konnte, da sich die Opioidabhängigkeit vielleicht aus einer bestimmungsgemäßen Einnahme des vom Allgemeinarzt D. verordneten Tramadol entwickelt hat. Die Vorschriften zu Betäubungsmittelabhängigkeit und Betäubungsmitteleinnahme sind nach Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Begutachtungsleitlinien – Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand 28.12.2016) bei Abhängigkeit von oder bestimmungsgemäßer Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels nicht anwendbar.
Da es sich bei Tramadol nicht um ein Betäubungsmittel i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes handelt, kann offen bleiben, ob für Arzneimittel, die (auch) unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, die Vorschriften zur Betäubungsmittelabhängigkeit anwendbar sind (verneinend Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, Hrsg.: Schubert, Schneider, Eisenmenger, Stephan, 2. Auflage 2005, S. 69; Anwendung der Nr. 9.3 und 9.5 bei Methadoneinnahme BayVGH, B.v. 5.7.2012 – 11 CS 12.1321 – juris Rn. 16).
In § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FeV ist die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens auch nur für die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, aber nicht von bestimmungsgemäß eingenommenen Arzneimitteln vorgesehen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FeV ist ein ärztliches Gutachten anzuordnen, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass eine missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln vorliegt. Es wäre daher wohl zuerst zu klären gewesen, ob die festgestellte Opioidabhängigkeit durch eine bestimmungsgemäße Einnahme von Tramadol auf Grund der Verordnungen entstanden ist.
3. Gleichwohl hat die Klage aber voraussichtlich keinen Erfolg, da die Entziehungsverfügung auf § 11 Abs. 8 FeV hätte gestützt werden können, weil der Antragsteller das zu Recht angeforderte ärztliche Gutachten nicht vorgelegt hat und ihm auch keine Fristverlängerung gewährt werden musste.
Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29/87 – BVerwGE 80, 96; BayVGH, B.v. 23.6.2016 – 11 CS 16.907 – juris Rn. 23 ff.). Daher kann ein auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gestützter Bescheid, der einem Betroffenen die Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines angeordneten Gutachtens entzieht, auf der Grundlage der Vorschrift des § 11 Abs. 7 FeV rechtmäßig und daher aufrechtzuerhalten sein, wenn die Nichteignung des Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt feststeht (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris, Rn. 24 f.). Gleiches gilt auch im umgekehrten Fall. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV und § 11 Abs. 7 FeV sind keine Ermessensvorschriften, sondern zwingendes Recht. Die Rechtsgrundlagen sind daher insoweit austauschbar.
Die Gutachtensanordnung vom 2. Mai 2016 war auch rechtmäßig. Zutreffend ist das Landratsamt davon ausgegangen, dass aus den im Rahmen der Verkehrskontrolle bekannt gewordenen Umständen in Zusammenschau mit den früheren Vorkommnissen Tatsachen vorlagen, die die Annahme begründeten, dass eine missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln vorliegt. Obwohl mit dem Gutachten vom November 2014 festgestellt worden war, dass der Antragsteller Tramadol abgesetzt habe, waren bei der Blutuntersuchung im November 2015 erneut Rückstände dieses Medikaments vorhanden. Zudem waren erneut verschiedene Schmerzmittel im Blut des Antragstellers nachzuweisen. Bei Tramadol besteht grundsätzlich auch ein Abhängigkeitspotential (z.B. Gebrauchsinformationen vom 17.5.2017 für Tramadol 100 ret – 1 A Pharma, auf www.d…de). Das Landratsamt hat deshalb zu Recht, gestützt auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FeV, ein ärztliches Gutachten angeordnet, um zu klären, ob eine missbräuchliche Einnahme von Arzneimitteln vorliegt.
Diese Fragestellung hat sich auch nicht durch die Vorlage der beiden ärztlichen Atteste vom 24. und 31. Mai 2016 und die umfangreiche Stellungnahme des Antragstellers vom 10. Juni 2016 erledigt. Aus dem Attest des Allgemeinarztes D. ergibt sich zwar, dass dem Antragsteller die Schmerzmittel Tramadol und Flupirtin (Handelspräparat: Katalon) wegen seiner Schmerzen verordnet worden sind. Es lässt sich daraus jedoch nicht entnehmen, in welcher Dosierung und ob diese Dosierung vom Antragsteller eingehalten wird. Das Attest legt eher nahe, dass der Antragsteller die Medikamente teilweise in einer höheren Dosierung als verordnet einnimmt, weil damit ausgeführt wird, durch die Depression sei es gelegentlich zum Mehrverbrauch gekommen. Ebenso legt das Schreiben des Antragstellers vom 10. Juni 2016 einen solchen Geschehensablauf nahe, da er selbst ausführt, er habe zum Zeitpunkt der Verkehrskontrolle unbeschreibliche Schmerzen und deshalb so viele Medikamente im Blut gehabt. Auch seine Ausführungen, die Verordnungen der beiden Ärzte seien nicht abgestimmt gewesen, sprechen für eine missbräuchliche Einnahme, da nicht geklärt ist, ob der gleichzeitige Gebrauch dieser Arzneimittel indiziert war.
Auch die weitere Frage in der Gutachtensanordnung, ob unter der Voraussetzung, dass keine missbräuchliche Einnahme von Arzneimitteln vorliege, die Dauerbehandlung die Fahrtüchtigkeit einschränke, ist nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV i.V.m. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV zulässig. Angesichts der bei der Verkehrskontrolle von den Polizeibeamten festgestellten Beeinträchtigungen des Antragstellers und den Warnhinweisen in den Gebrauchsinformationen von Medikamenten mit den Wirkstoffen Flupirtin und Tramadol (vgl. www.d…de), dass es auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch zu Änderungen des Reaktionsvermögens kommen kann, die die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigen, ist aber auch bei bestimmungsgemäßer Einnahme der Arzneimittel hinreichender Anlass zur weiteren Aufklärung gegeben. Dies bestreitet der Antragsteller auch grundsätzlich nicht, sondern macht geltend, das Landratsamt hätte ihm nicht die Fahrerlaubnis entziehen dürfen, sondern die Vorlage eines Gutachtens abwarten müssen.
4. Dem Antragsteller war auch keine Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens einzuräumen. Die ursprüngliche Frist in der Anordnung vom 2. Juni 2016 bis 4. Juli 2016 war für die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens hinreichend lang bemessen. Nachdem der Antragsteller innerhalb der Frist Unterlagen vorgelegt hatte, die aber nicht ausreichend waren, hat das Landratsamt mit Schreiben vom 29. Juni 2016 die Frist zwar nicht förmlich verlängert, aber zum Ausdruck gebracht, dass weiterhin die Möglichkeit zur Vorlage eines Gutachtens besteht, wenn alsbald die Einverständniserklärung vorgelegt wird. Es hat die Unterlagen nach Eingang der Einverständniserklärung vom 4. August 2016 am 8. August 2016 an die vom Antragsteller gewählte Begutachtungsstelle übersandt. Der Antragsteller hat aber innerhalb der nächsten Monate weder ein Gutachten vorgelegt noch mitgeteilt, aus welchen Gründen er dies nicht erledigen kann. Erst nachdem die Begutachtungsstelle die Unterlagen mit Schreiben vom 20. Oktober 2016 mit der Begründung, es sei keine Bezahlung erfolgt, an das Landratsamt zurückgesandt hatte, meldete sich der Antragsteller mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 und machte geltend, er könne wegen einer stationären Behandlung keine Begutachtung durchführen. Nach dem Attest vom 23. November 2016 hat diese Behandlung aber nur vom 6. bis 31. Oktober 2016 angedauert und es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Antragsteller die Begutachtung nicht im August/September 2016 oder nach der Entlassung aus der stationären Behandlung durchführen lassen konnte.
5. Soweit der Antragsteller vorträgt, er sei nunmehr an der Hüfte operiert und benötige kein Tramadol mehr, kann dies nicht zum Erfolg seiner Beschwerde führen. Die gerichtliche Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde auszurichten (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.1995 – 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249; U.v. 23.10.2014 – 3 C 13.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 13). Maßgeblich ist hier daher der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids. Nachträgliche Änderungen der Sachlage können erst im Wiedererteilungsverfahren Berücksichtigung finden. Im Übrigen wäre auch durch den Antragsteller mit geeigneten Unterlagen, ggf. durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, nachzuweisen, dass die Operation am 31. März 2017 erfolgreich verlaufen und eine Behandlung mit Tramadol oder anderen starken Schmerzmitteln, die sich negativ auf die Fahreignung auswirken können, nicht mehr erforderlich ist, was bisher nicht geschehen ist.
6. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass die Prüfung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit und eventueller Kompensationsmöglichkeiten grundsätzlich nicht von einem ärztlichen Gutachter durchgeführt werden kann, sondern regelmäßig von einem Psychologen im Rahmen einer ggf. zusätzlich anzuordnenden medizinisch-psychologischen Begutachtung aufgeklärt werden muss (vgl. Nr. 2.5 der Begutachtungsleitlinien; BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 33; B.v. 4.1.2017 – 11 ZB 16.2285 – DAR 2017, 216 Rn. 14).
7. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.2, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Anh. § 164 Rn. 14).
8. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben