Medizinrecht

Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen

Aktenzeichen  AN 4 K 16.02167

Datum:
29.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 135927
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PartG § 3 S. 2, § 11 Abs. 3
BayVersG Art. 7 Nr. 2, Art. 15 Abs. 1
GG Art. 8 Abs. 1
VwGO § 61 Nr. 1, § 62 Abs. 3, § 113 Abs. 1 S. 4, § 114 S. 2

 

Leitsatz

1 Die Gefahr des symbolhaften Nachspielens einer nationalsozialistischen Versammlung ist keine zwingende Voraussetzung, um von einem paramilitärischen Gepräge einer Versammlung ausgehen zu können. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die prozessrechtlichen Grenzen für das Nachschieben von Ermessenserwägungen (§ 114 S. 2 VwGO) sind jedenfalls dann überschritten, wenn das Ermessen überhaupt noch nicht ausgeübt oder wesentliche Teile der Ermessenserwägungen ausgetauscht oder erst nachträglich nachgeschoben wurden. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Verwendung bengalischer Feuer im Rahmen einer Versammlung stellt sich als derart gefährlich dar, dass die Untersagung von deren Verwendung gerechtfertigt ist. Insoweit besteht eine Ermessensreduzierung auf Null. (Rn. 61 – 62) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die im Bescheid vom 13. Oktober 2016 unter den Ziffern 1.9, soweit angefochten, 1.15 und 1.16 angeordneten versammlungsrechtlichen Beschränkungen rechtswidrig waren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den bis zur Abtrennung des Verfahrens mit dem Aktenzeichen AN 4 K 17.02473 angefallenen Verfahrenskosten trägt die Beklagte 4/5, der Kläger 1/5. Von den ab der Abtrennung des Verfahrens mit dem Aktenzeichen AN 4 K 17.02473 angefallenen Verfahrenskosten trägt die Beklagte 3/4, der Kläger 1/4.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die jeweiligen Beteiligten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zur Entscheidung stehende Klage ist, soweit sie sich nicht erledigt hat, zulässig und hinsichtlich der versammlungsrechtlichen Beschränkungen in Ziffer 1.9, soweit angefochten, sowie in Ziffern 1.15 und in 1.16 des Bescheids vom 13. Oktober 2016 begründet. Hinsichtlich der Auflage in Ziffer 1.20 ist die zulässige Klage hingegen unbegründet.
I.
Die Klage ist, soweit sie sich durch die prozessualen Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung betreffend die Klage gegen die Auflage Nr. 1.17 nicht erledigt hat, zulässig.
1. Der Kläger ist beteiligtenfähig gemäß § 61 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 3 Satz 2 Parteiengesetz (PartG). Der Kläger ist gemäß § 9 seiner Satzung in der Fassung vom 21. Dezember 2016 Gebietsverband höchster Stufe und als solcher in der Lage, zu klagen und verklagt zu werden.
Der in der mündlichen Verhandlung erschienene 1. Vorsitzende des Gebietsverbandes … des … ist dessen gesetzlicher Vertreter und damit zur Vornahme prozessualer Handlungen ermächtigt, § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 11 Abs. 3 PartG.
2. Statthafte Klageart ist im Falle der Erledigung eines belastenden Verwaltungsaktes vor Klageerhebung die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 analog VwGO. Ausdrücklich ist in § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zwar nur die prozessrechtliche Konstellation bei Erledigung eines Verwaltungsaktes nach Erhebung der Anfechtungsklage geregelt. Für den Fall der Erledigung vor Klageerhebung ist § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO jedoch analog anwendbar. Ob es sich dabei rechtsdogmatisch letztlich um eine besondere Ausprägung der Anfechtungsklage oder um eine Form der allgemeinen Feststellungsklage im Sinne von § 43 VwGO handelt, kann für den hier zu entscheidenden Fall dahin stehen, weil auch die gegenüber der Feststellungsklage engeren Voraussetzungen der Anfechtungsklage, wie z.B. die Einhaltung der Klagefrist gemäß § 74 VwGO, vorliegen. Maßgeblich ist zudem, dass im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 GG auch für bereits erledigte Verwaltungsakte eine gerichtliche Kontrolle stattfinden muss, sofern ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Rechtswidrigkeit noch besteht (vgl. zum Streitstand: Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 22. Aufl., § 113, Rn. 97 ff.).
3. Der Kläger hat zudem ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes.
Für das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO „genügt jedes nach vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art“ (Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 129).
Im Bereich der versammlungsrechtlichen Verfahren sind zudem die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen, wenngleich nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründet. Im vorliegenden Fall resultiert das berechtigte Interesse des Klägers an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit aus der Wiederholungsgefahr. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt insofern Folgendes:
„(…) Stets, also auch bei der durch einstweiligen Rechtsschutz ermöglichten Durchführung der Versammlung, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei Vorliegen einer Wiederholungsgefahr anzunehmen. Die Feststellung der Voraussetzungen einer Wiederholungsgefahr erfolgt im Zuge der Amtsermittlung durch das Gericht (vgl. Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rn. 14 zu Vorb § 40 m.w.N.; Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 10 zu Vorb § 40 m.w.N.). Die in diesem Zusammenhang an den Kläger zu stellenden Darlegungsanforderungen sind unter Berücksichtigung des Art. 8 GG zu konkretisieren.
Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus (aa), zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (bb).
(…) aa)
Auf Seiten des Klägers reicht es aus, wenn sein Wille erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 104, 92 ), darf für die Bejahung des Feststellungsinteresses nicht verlangt werden, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden.
bb) Ferner sind Anhaltspunkte zu fordern, dass die betroffene Behörde das Verbot solcher weiterer Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird. Insofern darf vom Kläger, der regelmäßig keinen Zugang zum Willensbildungsprozess der Verwaltung hat, nicht mehr als die Darlegung verlangt werden, es gebe Anlass für die Annahme, dass beschränkende Verfügungen künftig auf die gleichen Gründe wie bei der im Streit befindlichen Versammlung gestützt werden.
(…)“
(BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 –, BVerfGE 110, 77-94, Rn. 40 ff.).
Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass der Kläger im Zuständigkeitsbereich der Beklagten auch in Zukunft beabsichtigt, Versammlungen in einem vergleichbaren Kontext wie der hier streitgegenständlichen durchzuführen, so wie dies hinreichend schlüssig in der Klage dargelegt und von der Beklagten nicht bestritten worden ist. Auch aus der prozessualen Erklärung der Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 29. November 2017 betreffend die nicht mehr streitgegenständliche versammlungsrechtliche Beschränkung in Ziffer 1.17, dass eine derartige Auflage in Zukunft nicht mehr beabsichtigt sei, ist im Umkehrschluss ersichtlich, dass die Beklagte aber, was die noch streitgegenständlichen Auflagen angeht, vergleichbare versammlungsrechtliche Beschränkungen weiterhin vorsehen möchte, so dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Klärung der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Auflagen in ausreichender Weise dargetan hat. Somit ist von einer Wiederholungsgefahr auszugehen, weshalb die Klage in ihrem noch streitgegenständlichen Umfang als zulässig anzusehen ist.
II.
Die zulässige Klage mit dem vorstehend dargelegten Verfahrensgegenstand ist teilweise begründet, im Übrigen ist sie dagegen unbegründet.
1. Die versammlungsrechtliche Beschränkung in Ziffer 1.9 des Bescheids der Beklagten vom 13. Oktober 2016, soweit sie hinsichtlich der Worte „und nicht gleichzeitig mit Fackeln verwendet werden“ angefochten worden ist, stellt sich nach Auffassung des Gerichts als rechtswidrig dar.
Maßgebliche Rechtsgrundlage ist vorliegend Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG), wonach die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken kann, „wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist“.
Zu der von der Behörde insoweit anzustellenden Gefahrenprognose hat sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wie folgt geäußert:
„(…)Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG dürfen bei der nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG anzustellenden Prognose, ob nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist, auch beim Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn.17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 jeweils m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Beschränkung liegt dabei bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn.17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19).“ (BayVGH, B.v.24.2. 2015 – 10 CS 15.431 –, Rn. 18, juris).
Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht vorliegend an. Der Beklagten ging es ausweislich der Begründung der streitgegenständlichen Auflage der Beklagten darum, durch die Untersagung, Trommeln gleichzeitig mit Fackeln zu verwenden, zu verhindern, dass die angemeldete Versammlung ein paramilitärisches Gepräge mit einschüchternder Wirkung annehme. Die Beklagte zielte damit ersichtlich darauf ab, einen Verstoß gegen das sogenannte Militanzverbot in Art. 7 Nr. 2 BayVersG vorsorglich zu unterbinden. Dies stellt grundsätzlich ein legitimes Ziel im Rahmen von Art. 15 Abs. 1 BayVersG dar.
Auf das Fehlen eines symbolhaften Nachspielens gerade einer nationalsozialistischen Versammlung kommt es zwar entgegen den Ausführungen in der Klagebegründung nach Überzeugung des Gerichts hier nicht entscheidungserheblich an. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung berücksichtigt das in Art. 7 BayVersG normierte Militanzverbot, dass Versammlungen extremistischer Gruppierungen vielfach einen Gesamteindruck vermittelten, der an militärische Aufmärsche erinnere. Dies gelte sowohl für Teilnehmer rechtsextremistischer Versammlungen, die mit einheitlicher Kleidung (Bomberjacken, Springerstiefeln mit gleichfarbigen Schnürsenkeln), Marschtritt, Trommelschlagen und schwarzen Fahnen an die Tradition der Aufmärsche von SA-Verbänden zum Ende der Weimarer Republik anknüpften. Es gelte aber auch für linksextremistische Versammlungen, bei denen sich regelmäßig militante Autonome zu sogenannten „Schwarzen Blöcken“ zusammenschlössen (vgl. Landtags-Drs. 15/10181, S. 15). Die Gefahr des symbolhaften Nachspielens einer nationalsozialistischen Versammlung ist demnach keine zwingende Voraussetzung, um von einem paramilitärischen Gepräge ausgehen zu können.
Zur Verhinderung eines paramilitärischen Gepräges der Versammlung mit gleichzeitig einschüchternder Wirkung ist nach Überzeugung des Gerichts die Auflage in Ziffer 1.9, gerade in ihrem angefochtenen Teil, vielmehr grundsätzlich geeignet. Der Einwand der Klage, auf Grund der in Ziffer 1.9 außerdem verfügten, aber nicht angefochtenen versammlungsrechtlichen Beschränkung dürften die Trommeln ohnehin keinen Marschtakt erzeugen, greift vorliegend nicht durch. Denn ein Marschtakt könnte beispielsweise auch durch lautes Rufen (Skandieren) erzeugt werden. Auch das Spielen eines Tuschs, z.B. vor Beginn eines Redebeitrages, könnte gerade unter gleichzeitiger Verwendung mit Fackeln der Versammlung ein paramilitärisches Gepräge mit einschüchternder Wirkung verleihen. Die Begründung der Beklagten, dies werde durch das Versammlungsthema „Gegen Asylmissbrauch!“ indiziert, ist insoweit nicht zu beanstanden. Auch die Anzahl der Fackeln, welche durch den versammlungsrechtlichen Bescheid auf eine Fackel je zehn Teilnehmer begrenzt worden ist, stellt die von der Beklagten angenommene konkrete Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 7 Nr. 2 BayVersG nicht ernsthaft in Frage. Die Verwendung von einer Fackel je zehn Teilnehmer ist bei weitem nicht so untergeordnet, wie dies klägerseits angenommen wird. Hierauf kommt es jedoch streitentscheidend nicht an.
Denn ausschlaggebend für die Entscheidung des Gerichts, dass sich die Auflage in Ziffer 1.9, soweit sie angefochten worden ist, als rechtswidrig erweist, ist der hier festzustellende Ermessensausfall der Beklagten bei Anordnung der streitgegenständlichen Auflage. In der Begründung des Bescheids der Beklagten vom 13. Oktober 2016 finden sich keinerlei Ausführungen zu den – grundrechtlich geschützten – Interessen des Klägers. Im Rahmen einer Interessenabwägung hätte die Beklagte begründen müssen, weshalb im vorliegenden Fall die Interessen des Klägers hinter dem öffentlichen Interesse an einer Verhinderung eines Verstoßes gegen Art. 7 BayVersG zurücktreten.
Das Gericht verkennt dabei nicht die schwierigen Umstände, die dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheids und der Durchführung der Versammlung vorausgegangen sind: So wurden – unbestrittenermaßen – innerhalb kürzester Zeit diverse Gegendemonstrationen bei der Beklagten angezeigt, sowohl für den 15. Oktober als auch den 16. Oktober. Gleichzeitig musste die Behörde ein örtliches Fußballspiel und dessen Abwicklung bewältigen. Ohne dass daher überzogene Anforderungen an die Ermessensausübung gestellt werden, ist die Versammlungsbehörde dennoch verpflichtet, ihr Ermessen pflichtgerecht auszuüben und – zumindest kurz – zu begründen.
So macht die Beklagte allein Ausführungen zu den ihrer Meinung nach vorliegenden tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 7 Nr. 2 BayVersG. Dass die Beklagte erkannt hat, dass sie einen Ermessensspielraum hat, geht aus der Begründung hingegen nicht einmal hervor. Von einer Ermessensreduzierung auf Null kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
§ 114 Satz 2 VwGO berechtigt die Verwaltungsbehörde zwar, ihre Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ergänzen. Diese Vorschrift regelt jedoch allein, ob die nachträgliche Begründung der Ermessensentscheidung prozessrechtlich Berücksichtigung finden muss. Die (prozess-)rechtlichen Grenzen für das Nachschieben von Ermessenserwägungen sind jedenfalls dann überschritten, wenn das Ermessen überhaupt noch nicht ausgeübt oder wesentliche Teile der Ermessenserwägungen ausgetauscht oder erst nachträglich nachgeschoben wurden (Kopp/Schenke, a.a.O., § 114 Rn. 50 m.w.N.).
Die versammlungsrechtliche Beschränkung in Ziffer 1.9, soweit sie angefochten worden ist, erweist sich daher nach Auffassung des Gerichts als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG.
2. Die versammlungsrechtlichen Beschränkungen in Ziffer 1.5 und 1.6 des Bescheids vom 13. Oktober 2016 stellen sich ebenfalls als rechtswidrig dar. Denn insoweit fehlt es bereits am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG. So hat die Beklagte nach Auffassung des Gerichts das Vorliegen einer konkreten Gefahr als Eingriffsschwelle für den Erlass einer versammlungsrechtlichen Beschränkung nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Bei der Auslegung der in Art. 15 Abs. 1 BayVersG normierten Voraussetzungen („wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist“) bezieht sich das Gericht wiederum auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Februar 2015 (BayVGH a.a.O.). Den dortigen Ausführungen, dass als Grundlage der Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich seien, schließt sich das erkennende Gericht vorliegend an. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichten hierzu nicht aus (unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17 u.a.).
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen liegen jedoch grundsätzlich bei der anordnenden Behörde (BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 10 CS 16.1468 – juris Rn. 29 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, z.B. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17). Dem ist die Beklagte jedoch nicht in ausreichender Weise nachgekommen.
Auch nach dem Ergebnis und dem Verlauf der mündlichen Verhandlung am 29. November 2017 steht das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen für die angeordneten versammlungsrechtlichen Beschränkungen nicht zur Überzeugungsgewissheit der erkennenden Kammer fest.
Das Gericht entscheidet gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Bildung der richterlichen Überzeugung setzt zunächst die ausreichende Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO voraus. Anhand der ermittelten Tatsachen hat das Gericht sodann zu entscheiden, ob diese ausreichen, die von der Behörde angeordnete Rechtsfolge zu tragen. Bezogen auf den vorliegenden Fall war demnach zu prüfen, ob die von der Beklagten angenommene Gefahrenprognose im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids die Verbotsverfügung erforderlich machte.
Hier kommt es daher entscheidungserheblich auf das tatsächliche Vorliegen der von der Behörde im Bescheid zugrunde gelegten Sachverhaltsumstände an.
So hat die Beklagte die unter Ziffer 1.15 und 1.16 des angefochtenen Bescheids erlassenen Auflagen im Wesentlichen damit begründet, dass das seitliche Tragen von Transparenten und das Tragen von Transparenten auf Kopfhöhe darauf ausgerichtet sein könne, die Identifizierung von Teilnehmern zu erschweren bzw. zu verhindern. Dies würde die Begehung von Straftaten aus der Menge heraus erleichtern. Durch die zusätzliche Verwendung von Seilen zur Verstärkung der Transparente werde zudem ein schneller Zugriff auf erkannte Straftäter erschwert oder verhindert. Ein anderer Grund für das seitliche Mitführen von Transparenten sei nicht ersichtlich. Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit sei nicht gegeben, weil das geschlossene Mitführen von Seitentransparenten oder gar die Verwendung von Seilen für eine ausreichende Meinungskundgabe nicht erforderlich seien.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte weder im behördlichen Verfahren noch gegenüber dem Gericht Angaben dazu machen konnte, weshalb sie beim Kläger davon ausgegangen sei, dass die konkrete Gefahr der Begehung von Straftaten aus der Anonymität heraus bestanden habe. In der mündlichen Verhandlung gab die Vertreterin der Beklagten vielmehr ausdrücklich an, dass keine konkreten einschlägigen negativen Erfahrungen mit Versammlungsteilnehmern des Klägers dargelegt werden könnten. Es habe lediglich entsprechende negative Vorerfahrungen mit Teilnehmern von Versammlungen anderer Organisationen gegeben.
Ergänzend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch etwa eine aussagekräftige polizeiliche Stellungnahme in der Behördenakte zu der Frage der Rechtfertigung der unter Ziffer 1.15 bzw. 1.16 enthaltenen versammlungsrechtlichen Beschränkungen nicht vorliegt. Der Vertreter der Polizei hat ausweislich des Protokolls über das am 7. Oktober 2016 geführte Kooperationsgespräch, an welchem der Kläger nicht teilnehmen wollte und auch nicht teilgenommen hat, im Wesentlichen die Wegstrecke und die Ortszeit der angezeigten Versammlung problematisiert (vgl. Bl. 16 bis 18 der Behördenakte). Nach einer im Anschluss an das Kooperationsgespräch durchgeführten schriftlichen Anhörung des Klägers wurde in einem Telefonat mit einem Vertreter der Polizeiinspektion … am 10. Oktober 2016 vereinbart, die Versammlung weder örtlich noch zeitlich zu beschränken. Außerdem wurde ausweislich des Aktenvermerks über das Telefonat (Bl. 42 der Behördenakte) mit der Polizei vereinbart, „Beschränkungen wie bei vergleichbaren Versammlungen“ vorzusehen. Weshalb diese jedoch aus Sicht der Polizei bzw. der Beklagten erforderlich gewesen sein sollen, geht aus der Behördenakte nicht hervor.
Die Beklagte kann sich zudem nicht darauf berufen, dass sie die Verwendung von Seitentransparenten nicht gänzlich untersagt, sondern nur deren Ausmaße und die gleichzeitige Verwendung von Seilen untersagt habe. Der Beklagten ist zwar Recht zu geben, dass es sich insoweit gegenüber der generellen Untersagung der Verwendung von Seitentransparenten um ein milderes Mittel handelt, allerdings kann dies nicht dazu führen, die Eingriffsschwelle des Art. 15 Abs. 1 BayVersG gleichsam herabzusetzen. Die Beklagte bezieht sich insoweit auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Dezember 2005 (24 CS 05.3215 – juris Rn. 22), worin dieser ausführt, dass es grundsätzlich möglich sei, hinsichtlich der Art und Weise der Verwendung von Seitentransparenten Auflagen zu treffen. Allerdings geht aus der Begründung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hervor, dass in dem dort zugrundeliegenden Fall konkrete polizeiliche Erkenntnisse über die Versammlungsteilnehmer vorgelegen haben. Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall, wie auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht eingeräumt hat.
Nach alledem hat die Beklagte das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG nicht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts glaubhaft gemacht. Aus diesem Grund sind die unter Ziffer 1.15 und 1.16 erlassenen versammlungsrechtlichen Beschränkungen als rechtswidrig einzustufen. Dadurch wurde der Kläger zudem in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, welche auch die Auswahl und Verwendung der Kommunikationsmittel zunächst einschränkungslos vorsieht, verletzt.
3. Die unter Ziffer 1.20 angeordnete Beschränkung dahingehend, es dürften keine pyrotechnischen Gegenstände, wie bengalisches Licht (Kategorie 1 und T1), mitgeführt und verwendet werden, begegnet hingegen keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit war die Klage daher abzuweisen.
So hat die Beklagte die angefochtene Beschränkung im Wesentlichen damit begründet, dass bei der räumlichen Enge der Versammlung die Verwendung von Pyrotechnik, wie bengalische Fackeln, grundsätzlich eine erhebliche Verletzungsbzw. Gesundheitsgefahr für die Versammlungsteilnehmer und Unbeteiligte darstellen könnte. Es könnten beim Abbrennen einer bengalischen Fackel Temperaturen von mehreren tausend Grad entstehen. Diese Gefahr gelte es wirksam zu verhindern. Hinzu komme, dass der entstehende Rauch so dicht sein könne, dass er im Falle einer Panik im dichten Versammlungsgeschehen auch die Fluchtmöglichkeiten einschränken würde. Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Begründung auch berücksichtigt, dass der Versammlungsleiter in seiner Email vom 13. Oktober 2016 ergänzend mitgeteilt habe, dass bengalische Fackeln nicht während des Aufzuges mitgeführt bzw. eingesetzt würden, sondern lediglich punktuell sehr begrenzt zu Beginn der Versammlung und flankierend bei den jeweiligen Kundgebungen verwendet werden sollten.
Dieser Gefahrenprognose der Beklagten wurde seitens des Klägers – auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 29. November 2017 – nichts Maßgebliches entgegengesetzt. So führte die Klägervertreterin zwar aus, dass die Versammlungsteilnehmer nach den Vorstellungen des Klägers zu Beginn der Versammlung durch eine Art Lichterbogen, erzeugt durch bengalische Fackeln, schreiten sollten. Dies sei als Einstimmung für die Versammlung gedacht gewesen und habe geordnet, d.h. der Reihe nach, vor sich gehen sollen. Außerdem hätte neben den Rednern rechts und links jeweils eine Leuchte stehen sollen, welche jedoch nur stationär hätte betrieben werden sollen, nicht hingegen im Gehen. Durch diese angedachten Maßnahmen seien aus Sicht des Klägers die Sicherheitsgesichtspunkte ausreichend berücksichtigt worden. Man habe bei der Anmeldung der Versammlung die beabsichtigte Verwendung des bengalischen Lichtes nicht näher konkretisiert, weil man mit anderen Ordnungsbehörden die Erfahrung gemacht habe, dass dann Auflagen von Amts wegen gemacht würden bezüglich der Bereitstellung von Löschmitteln. Man habe einfach abwarten wollen, wie sich die Beklagte verhalten würde. Mit einem so weitgehenden Verbot der Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen habe man von vornherein nicht gerechnet.
Der Klägerseite ist zwar insoweit Recht zu geben, dass keine wie auch immer geartete „Bringschuld“, was das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG angeht, für den Versammlungsanmelder besteht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen im Rahmen versammlungsrechtlicher Beschränkungen gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG liegt vielmehr allein bei der Versammlungsbehörde. Dem ist die Beklagte jedoch im Hinblick auf die versammlungsrechtliche Beschränkung in Ziffer 1.20, soweit angefochten, ausreichend nachgekommen. Denn auch nach Auffassung des Gerichts stellt sich die Verwendung bengalischer Feuer im Rahmen einer Versammlung, wie der hier streitgegenständlichen, als derart gefährlich dar, dass die in Ziffer 1.20 des Bescheids vom 13. Oktober 2016 getroffene Untersagung der Verwendung gerechtfertigt ist. Ausweislich der von der Beklagten durch Schriftsatz vom 27. November 2017 vorgelegten Liste „Zusammenfassung der BAM-Bescheide für Theaterpyrotechnik Kategorie T1“ unterliegen sämtliche dort aufgeführten bengalischen Lichter der Zulassungsbeschränkung dahingehend, dass sie nur für Bühne und Theater „auf Bühnen im Innen- und Außenbereich, einschließlich bei Film- und Fernsehproduktionen oder für eine ähnliche Verwendung“ eingesetzt werden dürfen. Eine ähnliche Verwendung stellt die klägerseits im Rahmen der mündlichen Verhandlung konkretisierte Benutzung des bengalischen Feuers im Sinne der zitierten Zulassungsvorschrift jedoch nicht dar. Denn eine Versammlung unterscheidet sich von den darin genannten Verwendungen gerade dadurch, dass keine Regieanweisungen bzw. überwachendes Feuerwehrpersonal vorhanden sind. Vielmehr stellt eine Versammlung – zumal im Freien – ein gegenüber einer Theateraufführung eher unkontrolliertes bzw. unkontrollierbares Geschehen dar.
Auf Grund der dargestellten erhöhten Gefährlichkeit bei der Verwendung bengalischen Lichts im Rahmen einer nicht mit dem Theaterbetrieb vergleichbaren und kontrollierbaren Versammlung geht das Gericht hier von einer Ermessensreduzierung der Beklagten auf Null aus. Auf Grund der inmitten stehenden und von der Beklagten berücksichtigenden hohen Gefahr der Beeinträchtigung der Gesundheit und des Lebens von Versammlungsteilnehmern, aber auch von Außenstehenden, indiziert aus Sicht des Gerichts das Fehlen einer vertretbaren Entscheidungsalternative für die Beklagte die vorgenommene Untersagung. Klägerseits wurde kein einziges bengalisches Feuer konkret benannt, welche die von der Beklagten prognostizierte Gefährdung nicht hervorrufen würde. Es ist nicht Aufgabe der Versammlungsbehörde, dem Veranstalter einer Versammlung ein ungefährliches Leuchtmittel aufzuzeigen und dessen Verwendung vorzuschreiben, ohne dass es deswegen zu einer „Bringschuld“ käme, wie von der Klägervertreterin angenommen. Die Beklagte ist vielmehr rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass sämtliche dem Kläger zur Verfügung stehenden bengalischen Feuer der Kategorie T1, auf die sich der Kläger nach eigenen Angaben bei seiner Auswahlbeschränke, derart gefährlich gewesen wären, dass nur eine Versagung der Verwendung von bengalischen Feuern insgesamt das beabsichtigte und legitime Ziel – Ausschluss einer Lebens- und Gesundheitsgefahr für Versammlungsteilnehmer und Dritte – in Betracht kam.
Der Einwand der Klägerseite, dass das Vorbringen der Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch angesichts der einigermaßen frühzeitigen Anzeige der Versammlung zu spät gewesen sei, greift im Hinblick auf die Regelung des § 114 Satz 2 VwGO nicht durch, weil ein Ermessensausfall, wie er oben erörtert wurde, gerade nicht besteht.
Demnach war die erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage hinsichtlich der in Ziffer 1.20 des Bescheids vom 13. Oktober 2016 getroffenen versammlungsrechtlichen Beschränkung abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben