Medizinrecht

Rechtswidrigkeit eines Versammlungsverbots während der Corona-Pandemie (Bayern)

Aktenzeichen  10 CS 20.2063

Datum:
11.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24837
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 15 Abs. 1, Art. 24 Abs. 2
6. BayIfSMV § 7 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Versammlungsverbote dürfen als tiefgreifendste bzw. stärkste Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen nur verfügt werden, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und der hierdurch bewirkte Grundrechtseingriff insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den ein Verbot zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Versammlungsverbot scheidet nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus, solange mildere Mittel und Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie versammlungsrechtliche Auflagen bzw. Beschränkungen und der verstärkte Einsatz polizeilicher Kontrollen nicht ausgeschöpft oder mit tragfähiger Begründung ausgeschieden sind. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Von diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben suspendiert auch die Regelungssystematik des § 7 Abs. 1 6. BayIfSMV nicht; vielmehr knüpft § 7 Abs. 1 S. 4 6. BayIfSMV erkennbar daran an. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 13 E 20.4261 2020-09-11 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. In Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 11. September 2020 (13 E 20.4261) wird die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. September 2020 mit der Maßgabe angeordnet, dass der Antragsteller eine sich fortbewegende Versammlung mit maximal 500 Teilnehmern mit Startpunkt Odeonsplatz und Endpunkt Theresienwiese (ohne Auftakt- und Zwischenkundgebungen) durchführen darf.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt ein Drittel, die Antragsgegnerin zwei Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Verbots der vom Antragsteller für den 12. September 2020 unter dem Versammlungsthema „Frieden, Freiheit und Gesundheit“ angezeigten, sich über den Münchner Altstadtring fortbewegenden Versammlung (Aufzug) mit 500 erwarteten Teilnehmern, Auftaktkundgebung und Endpunkt am O.platz (Beginn: 12:00 Uhr, Ende: 15:30 Uhr) sowie Zwischenkundgebungen am K.platz (Stachus, 13:30 Uhr bis 13:40 Uhr), an der F. straße (Viktualienmarkt, 14:25 Uhr bis 14:35 Uhr) und an der Staatskanzlei (am Hofgarten, 15:05 Uhr bis 15:15 Uhr).
Die Antragsgegnerin verfügte das streitgegenständliche Verbot auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 BayVersG unter Berücksichtigung der im behördlichen Verfahren eingeholten Gefahrenprognosen der Münchner Verkehrsgesellschaft, der Verkehrsabteilung des Kreisverwaltungsreferats, der Branddirektion München, des Polizeipräsidiums und des Referats für Gesundheit und Umwelt im Wesentlichen aus Gründen des Infektionsschutzes sowie der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Die Beschränkung der sich fortbewegenden auf eine stationäre Versammlung widerspräche dem (ausdrücklichen) Ansinnen des Antragstellers und komme daher als milderes Mittel nicht in Betracht. Das Verbot sei auch angemessen, da es sich nicht um ein ersatzloses „Totalverbot“ handle. Insoweit sei die von derselben Vereinigung „Querdenken089“ mit demselben Thema ebenfalls für den 12. September 2020 angezeigte stationäre Versammlung, die von der Antragsgegnerin mit (weiterem) Bescheid ebenfalls vom 10. September 2020 örtlich auf die Theresienwiese verlegt und auf 1000 Teilnehmer beschränkt worden sei, zu berücksichtigen; denn bei materieller Betrachtung liege eine vom Veranstalter künstlich in zwei Verfahren aufgeteilte einheitliche Versammlung vor.
Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat mit Beschluss vom 12. September 2020 den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid der Antragsgegnerin abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Tatbestandsvoraussetzungen gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 4 BayIfSMV lägen vor, da es nach den zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin bei Durchführung des Aufzugs mit großer Wahrscheinlichkeit zu Verstößen gegen den in § 7 Abs. 1 6. BayIfSMV vorgeschriebenen Mindestabstand kommen würde. Aus dem Regelungsgehalt des § 7 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 und Satz 4 der 6. BayIfSMV ergebe sich eindeutig, dass der Verordnungsgeber die ununterbrochene Einhaltung des Mindestabstands während der gesamten Versammlung als unabdingbare Voraussetzung angesehen und Ausnahmen für etwaige kurzfristige Unterschreitungen nicht vorgesehen habe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht durch die mit Änderungsverordnung vom 9. September 2020 vorgesehene Maskenpflicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 6. BayIfSMV, da dieser Regelung nicht entnommen werden könne, dass bei Einhaltung der Maskenpflicht eine Unterschreitung des Mindestabstands zulässig wäre. Die konkrete Gefahr der Nichteinhaltung des Mindestabstands werde mit großer Wahrscheinlichkeit durch die weit höhere Teilnehmerzahl als die angemeldeten 500 Teilnehmer noch potenziert; diese Prognose stütze sich auf Erfahrungen aus vergleichbaren Versammlungskonstellationen in der Vergangenheit in München und Berlin. Geeignete Auflagen, mit denen die Einhaltung des Mindestabstands nach § 7 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV gewährleistet werden könne, seien nicht ersichtlich. Auch die vom Antragsteller vorgeschlagene Verlegung der Aufzugsstrecke würde hinsichtlich des Mindestabstands nichts ändern. Ermessensfehler der Antragsgegnerin seien nicht ersichtlich. Im Übrigen sei durch die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 4 6. BayIfSMV das Entschließungsermessen auf Null reduziert. Das Verbot erweise sich nach summarischer Prüfung auch als verhältnismäßig. Dabei sei zu berücksichtigen, dass mit Blick auf den engen zeitlichen und örtlichen Bezug der sich fortbewegenden Versammlung zu der anschließend geplanten stationären Versammlung am O.platz beide als einheitliche Versammlung zu bewerten seien. Vor diesem Hintergrund könne das Verbot des Aufzugs im konkreten Fall nicht mit einem Totalverbot einer Versammlung gleichgesetzt werden. Die Versammlungsteilnehmer könnten ihr kommunikatives Anliegen ausreichend durch die Teilnahme am „letzten Programmpunkt“ (stationäre Versammlung) ausüben, was nach Auffassung der Kammer zumutbar sei.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsteller weiterhin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen den streitbefangenen Bescheid vom 10. September 2020 und trägt im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe sich bei seiner Entscheidung nicht in der gebotenen Weise mit dem hohen Schutzgut des Grundrechts der Versammlungsfreiheit auseinandergesetzt. Zunächst sei grundsätzlich davon auszugehen, dass jeder Versammlungsteilnehmer als sogenannter Nichtstörer anzusehen sei. Auch nach den aktuellen Infektionszahlen des Robert-Koch-Instituts für Bayern sei die Gefährdungslage durch eine Versammlung – gleich ob stationär oder als Aufzug – gleich Null anzusehen. § 7 der 6. BayIfSMV sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass Abstände von 1,5 m immer da „wo möglich“ einzuhalten seien. Bei einer absoluten Forderung eines derartigen Mindestabstands wäre diese Regelung verfassungswidrig. Es müsse auch in Zeiten von Corona möglich sein, Aufzüge durchzuführen. Die zuständige Versammlungsbehörde habe hier ermessensfehlerfrei zu entscheiden. Dass die Gefahrenlage durch eine höhere Anzahl an Teilnehmern potenziert würde, sei ebenfalls eine unbegründete Behauptung des Verwaltungsgerichts. Zu Unrecht gehe das Verwaltungsgericht auch davon aus, dass Kooperationsgespräche über eine geänderte Route gescheitert seien und es zu dem Verbot keine Alternative gebe.
Die Antragsgegnerin und der Vertreter des öffentlichen Interesses treten der Beschwerde entgegen. Die Antragsgegnerin hält die Beschwerde für unbegründet, weil der konkreten Gefahr der Nichteinhaltung des Mindestabstands und der Maskenpflicht nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht durch mildere Mittel wie Beschränkungen begegnet werden könne. Sie verweist insbesondere auf die hohen Risiken eines sich fortbewegenden Demonstrationszugs über eine längere Strecke, die zu erwartende erhebliche Überschreitung der angezeigten Teilnehmerzahl und die zu befürchtende Missachtung von Abstandsregeln und Maskenpflicht durch Teilnehmer und Organisatoren der Versammlung. Weder eine geänderte Aufzugsroute noch eine Erhöhung der Ordnerzahl seien geeignet, diese Gefahren abzuwehren. Zudem stelle sich das Verbot in seinen Auswirkungen auch nicht als „Totalverbot“ dar.
Der Vertreter des öffentlichen Interesses hält die Beschwerde ebenfalls für unbegründet. Die Gefahrenprognose und Risikobewertung der Antragsgegnerin seien mit der Beschwerde nicht substantiiert infrage gestellt. Der Verordnungsgeber habe mit § 7 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV einen durchgehend einzuhaltenden Mindestabstand festgelegt und nicht nur einen Grundsatz formuliert. Dem Hinweis des Senats auf die Möglichkeit einer Aufzugsroutenänderung mit Endpunkt Theresienwiese könne aus seiner Sicht nicht nähergetreten werden, da nach der fachlichen Bewertung der Polizei unabhängig von der Routenwahl bei einem mobilen Aufzug über eine längere Strecke bei der angezeigten Personenanzahl mit Stockungen und daher mit einer Nichteinhaltung des Mindestabstands zu rechnen sei.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nach Maßgabe des Beschlusstenors auch teilweise begründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die erfolgte Abänderung des angefochtenen Beschlusses und Anordnung der beantragten aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage des Antragstellers gegen den streitbefangenen Verbotsbescheid.
Gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. § 7 Abs. 1 Sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (BayMBl. Nr. 348, BayRS 2126-1-10-G), zuletzt geändert durch Verordnung vom 8.9.2020 (BayMBl. Nr. 507), bestimmt für öffentliche Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes unter anderem einen Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Teilnehmern (Satz 1) sowie die Pflicht der nach Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörden, soweit im Einzelfall erforderlich durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 BayVersG sicherzustellen, dass die Bestimmungen nach Satz 1 eingehalten werden und die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben (Satz 2). Sofern die Anforderungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 auch durch Beschränkungen nicht sichergestellt werden können, ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 6. BayIfSMV die Versammlung zu verbieten. Damit konkretisiert § 7 Abs. 1 6. BayIfSMV die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG sowohl auf der Tatbestandswie auch auf der Rechtsfolgenseite im Hinblick auf von Versammlungen unter freiem Himmel ausgehende Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie den Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überlastung (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 – 1 BvQ 31/20 – juris Rn. 15; vgl. auch BayVGH, B.v. 11.9.2020 – 10 CS 2064).
Versammlungsverbote dürfen als tiefgreifendste bzw. stärkste Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen allerdings nur verfügt werden, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und der hierdurch bewirkte Grundrechtseingriff insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den ein Verbot zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag (stRspr, vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – Rn. 16; vgl. auch BayVGH, B.v. 29.4.2010 – 10 CS 10.1040 – juris Rn. 12 m.w.N.). Ein Versammlungsverbot scheidet nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit demnach aus, solange mildere Mittel und Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie versammlungsrechtliche Auflagen bzw. Beschränkungen und der verstärkte Einsatz polizeilicher Kontrollen nicht ausgeschöpft oder mit tragfähiger Begründung ausgeschieden sind (BayVGH a.a.O. unter Verweis auf BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 17 m.w.N.). Von diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben suspendiert auch die Regelungssystematik des § 7 Abs. 1 6. BayIfSMV nicht; vielmehr knüpft § 7 Abs. 1 Satz 4 6. BayIfSMV erkennbar daran an.
Diesen verfassungsrechtlichen Maßgaben werden das angefochtene Versammlungsverbot der Antragsgegnerin und die Auslegung und Anwendung der für das Verbot herangezogenen Rechtsgrundlagen durch das Verwaltungsgericht nicht in der gebotenen Weise gerecht.
Dabei kann im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren offenbleiben, ob – wie der Antragsteller geltend macht – die Regelungssystematik des bayerischen Verordnungsgebers in § 7 Abs. 1 6. BayIfSMV mit der Anordnung eines zwingenden Versammlungsverbots bei fehlender Sicherstellung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV – u.a. (ständiger und ausnahmsloser) Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Versammlungsteilnehmern – bei der gleichzeitig durch den Verordnungsgeber angeordneten Maskenpflicht für alle Versammlungsteilnehmer ab einer Teilnehmerzahl von 200 Personen (§ 7 Abs. 1 Satz 3 6. BayIfSMV) noch mit Art. 8 GG vereinbar ist.
Denn unter Zugrundelegung der Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung durch die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht wären sich fortbewegende Versammlungen bei einer Anzahl von mehr als 200 Teilnehmern bei einem entsprechenden Corona-Infektionsgeschehen aufgrund des dieser Versammlungsform immanenten dynamischen Geschehens praktisch immer und ausnahmslos zu verbieten, weil mögliche, selbst kurzfristige und unerwartete Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen innerhalb der Versammlungsgruppe ungeachtet einer weiter angeordneten Maskenpflicht aller Teilnehmer nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden können; sowohl die Antragsgegnerin als auch das Verwaltungsgericht verneinen insoweit die Geeignetheit entsprechender versammlungsrechtlicher Beschränkungen.
Diese Gefahrenprognose und Begründung hält der Senat gerade mit Blick auf die dargelegte grundlegende Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen in dieser Form für nicht hinreichend tragfähig und das streitbefangene Versammlungsverbot daher auch für ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig. Eine hinreichend tragfähige, auf tatsächliche Anhaltspunkte und Erfahrungen aus „Versammlungskonstellationen in der Vergangenheit“ in München und Berlin gestützte Gefahrenprognose, dass bei dem geplanten Aufzug nicht nur kurzfristige und unerwartete Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen, sondern vielmehr systematische Verstöße gegen das Abstandsgebot zu befürchten sind, besteht zur Überzeugung des Senats nicht. Für ebenso wenig tragfähig hält der Senat die Prognose systematischer bzw. vielfacher Verstöße bei der sich fortbewegenden Versammlung gegen die durch die Antragsgegnerin verfügte generelle Maskenpflicht für alle Versammlungsteilnehmer. Insbesondere kann sich die Antragsgegnerin hier nicht auf Erfahrungen bei vergleichbaren Versammlungen in München und Berlin berufen, da – soweit ersichtlich – bei diesen Versammlungen eine generelle Maskenpflicht nicht Versammlung behördlich angeordnet war. Schließlich ist der Senat bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung auch nicht davon überzeugt, dass die angemeldete Zahl von 500 Teilnehmern des Aufzugs nicht durch geeignete Beschränkungen und den verstärkten Einsatz polizeilicher Kontrollen hinreichend sichergestellt werden kann.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts zur Angemessenheit des Verbots hält es der Senat nicht für gerechtfertigt, den angezeigten Aufzug und die weiter angezeigte stationäre Versammlung, die mit rechtmäßiger Beschränkung der Antragsgegnerin örtlich auf die Theresienwiese in München verlegt worden ist (s. BayVGH, B.v. 11.9.2020 im Parallelverfahren 10 CS 20.2064), als einheitliche Versammlung anzusehen und daraus rechtliche Nachteile für den Antragsteller abzuleiten. Auch wenn den Beteiligten zuzugestehen ist, dass diese beiden getrennt angezeigten Versammlungen sowohl thematisch als auch im Hinblick auf den Teilnehmerkreis in engem Zusammenhang gesehen werden müssen, ist es unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze nicht zulässig, das Verbot des Aufzugs und damit eines ganz wesentlichen Bestandteils des (Gesamt-) Versammlungsgeschehens deshalb als angemessen im engeren Sinn und damit zumutbar zu bewerten, weil die Teilnehmer ihr kommunikatives Anliegen ausreichend auch durch die Teilnahme an der stationären Versammlung ausüben können. Denn dies wird dem kommunikative Anliegen und der besonderen Ausdrucksform einer sich fortbewegenden Versammlung nicht ausreichend gerecht.
Aufgrund des festgestellten engen Bezugs der beiden bei der Antragsgegnerin angezeigten Versammlungen (Aufzug und sich zeitlich und örtlich unmittelbar anschließende ortsfeste Versammlung) würde die Zulassung der angezeigten Aufzugsroute aber letztlich dazu führen, dass bei einem beabsichtigten Ende des Aufzugs am O.platz die auch vom Senat für rechtmäßig erachtete örtliche Verlegung der stationären Versammlung auf die Theresienwiese unterlaufen bzw. rein tatsächlich obsolet wird. Daher ist unter Berücksichtigung des im Beschwerdeverfahren nochmals bekräftigten Willens des Antragstellers, gegebenenfalls auch auf geänderter Aufzugsroute seine sich fortbewegende Versammlung durchführen zu wollen, das Versammlungsverbot der Antragsgegnerin nur insoweit als ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig zu bewerten, als dieses auch einer sich fortbewegenden Versammlung mit maximal 500 Teilnehmern mit Startpunkt O.platz und Endpunkt Theresienwiese (ohne Auftakt- und Zwischenkundgebungen) entgegensteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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