Medizinrecht

(Rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 4b S 4 SGB 6 – Syndikusanwalt – Mindest- oder Grundbeiträge als einkommensbezogene Pflichtbeiträge)

Aktenzeichen  B 5 RE 3/19 R

Datum:
23.9.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2020:230920UB5RE319R0
Normen:
§ 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6
§ 165 SGB 6
§ 231 Abs 4b S 2 SGB 6
§ 231 Abs 4b S 4 SGB 6
§ 231 Abs 4b S 5 SGB 6
§ 286f SGB 6
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

Mindest- oder Grundbeiträge, die in Höhe eines bestimmten Bruchteils des Regel- oder Höchstbeitrags zum berufsständischen Versorgungswerk gezahlt wurden, sind einkommensbezogene Pflichtbeiträge.

Verfahrensgang

vorgehend SG München, 8. Februar 2018, Az: S 30 R 1473/17, Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 7. Februar 2019, Az: L 14 R 264/18, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Februar 2019 und des Sozialgerichts München vom 8. Februar 2018 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 28. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2017 verpflichtet, die Klägerin für ihre Beschäftigung bei der CF GmbH auch in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten für alle Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit als Syndikusanwältin in der Zeit vom 1.1.2014 bis 31.3.2014 streitig.
2
Die Klägerin war seit Juni 2006 als zugelassene Rechtsanwältin Pflichtmitglied in der zu 1. beigeladenen berufsständischen Versorgungseinrichtung. Vom 1.1.2014 bis zum 30.9.2014 war sie in der Rechtsabteilung der CF GmbH (Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2.) beschäftigt. In dieser Zeit wurden für sie Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung abgeführt. Die Beigeladene zu 1. erließ zunächst im März 2014 einen Beitragsbescheid über einen “vorläufigen Pflichtbeitrag” ab 1.1.2014 in Höhe von “0,00 Euro”. Mit Bescheid vom 5.8.2014 setzte sie als Beitrag zur berufsständischen Versorgung aus selbstständiger Tätigkeit rückwirkend ab 1.1.2014 den Grundbeitrag, den “niedrigstmögliche(n) einkommensbezogene(n) Beitrag für selbstständige Mitglieder”, auf monatlich 224,90 Euro fest.
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Zum 1.1.2015 nahm die Klägerin eine Beschäftigung bei der U AG auf. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 (BGBl I 2517) ließ die Rechtsanwaltskammer München die Klägerin ab dem 13.8.2016 als Syndikusrechtsanwältin zu. Ab diesem Tag befreite sie die Beklagte antragsgemäß von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Klägerin beantragte auch die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht ab dem 1.1.2015 und ebenso für ihre frühere Tätigkeit bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. ab dem 1.1.2014. Im Antragsformular zum Antrag vom 24.3.2016 bestätigte die Beigeladene zu 1. die Pflichtmitgliedschaft kraft Gesetzes seit dem Jahr 2006. Die Zeilen “Bestätigung der Beitragszahlung für Beschäftigungszeiten bis zum 31.3.2014” mit dem weiteren Text “Es wird bestätigt, dass für die zu befreienden Beschäftigungen einkommensbezogene Pflichtbeiträge analog §§ 157ff. SGB VI gezahlt wurden.” waren dabei durchgestrichen. Die Beklagte befreite die Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit bei der U AG ab dem 1.1.2015 und für ihre Beschäftigung bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. ab dem 1.4.2014. Für den Zeitraum vom 1.1.2014 bis zum 31.3.2014 lehnte die Beklagte hingegen die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab (Bescheid vom 28.11.2016, Widerspruchsbescheid vom 5.7.2017). Die Klägerin habe für Zeiten vor dem 1.4.2014 keine einkommensbezogenen Pflichtbeiträge aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses an eine berufsständische Versorgungseinrichtung gezahlt.
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Die Klage zum SG München ist erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, wer neben einer nach dem SGB VI versicherten Tätigkeit nur symbolische anwartschaftserhaltende Beiträge zu einem Versorgungswerk entrichtet habe, solle die Rentenversicherungspflicht für die entsprechende Zeit nicht annullieren können. Dem von der Klägerin erzielten Einkommen habe weder der Beitrag zum Versorgungswerk in Höhe von zunächst 0,00 Euro noch der im August 2014 nachgezahlte Beitrag von monatlich 224,90 Euro entsprochen (Urteil vom
8.2.2018). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Begrenzung der Rückwirkung der Befreiung auf April 2014 solle nur in den Fällen nicht gelten, in denen für eine schon vor dem Stichtag ausgeübte Beschäftigung nur einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgung gezahlt worden seien, nicht jedoch zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der Begriff der “Einkommensabhängigkeit” verlange ein besonderes Bezugsverhältnis, nämlich die Bestimmung des aus wirtschaftlicher Betätigung folgenden Einkommens, mit der die Bemessung der Beiträge korreliere. Nur das Einkommen aus dem Syndikusbeschäftigungsverhältnis determiniere die Einkommensabhängigkeit. Die Zahlung des Grundbeitrags, der im Sinne eines Mindestbeitrags einem Fünftel der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung entspreche, genüge deshalb nur dann, wenn das sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelt aus der Syndikustätigkeit ein Fünftel der Beitragsbemessungsgrenze nicht übersteige. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall gewesen (Urteil vom 7.2.2019).
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Die Klägerin rügt mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung von § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI. Sie habe für Zeiten vor dem 1.4.2014 einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne dieser Vorschrift gezahlt. Dabei bezieht sie sich auf die Nichtannahmeentscheidungen des BVerfG vom 19.7.2016 (1 BvR 2584/14) und vom 22.7.2016 (1 BvR 2534/14), nach denen auch die in den Satzungen der Versorgungswerke vorgesehenen Mindestbeiträge als einkommensbezogene Pflichtbeiträge anzusehen seien. Diese müssten nicht gerade für die Beschäftigung entrichtet worden sein.
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Die Klägerin beantragt,die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Februar 2019 und des Sozialgerichts München vom 8. Februar 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2017 zu verpflichten, die Klägerin für ihre Beschäftigung bei der CF GmbH auch in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
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Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
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Einkommensbezogene Pflichtbeiträge seien ausschließlich solche Beiträge, deren Höhe sich aus dem individuellen Einkommen ableiteten, das aus der zu befreienden Beschäftigung erzielt werde. Ein Mindest-, Grund- oder besonderer Beitrag, dessen Höhe sich nach der Satzung des Versorgungswerks nach einem bestimmten Anteil des Regelpflichtbeitrags pauschal bemesse, erfülle die gesetzlichen Anforderungen nicht. Dies folge bereits aus dem Wortlaut “einkommensbezogene Pflichtbeiträge”. Auch Systematik, Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte des § 231 Abs 4b SGB VI sprächen dagegen, dass ein Einkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt als Bemessungsgrundlage für die Pflichtbeiträge ausreiche. Die Beklagte verweist auf § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI, wonach ebenfalls Beiträge aus dem Einkommen aus der zu befreienden Beschäftigung gezahlt werden müssten. Die Rückwirkung der Befreiung sei grundsätzlich auf Zeiten ab dem 1.4.2014 begrenzt. Damit werde vermieden, dass in Sonderfällen, in denen zwar eine Befreiung nach neuem Recht, nicht aber nach alter Rechtslage möglich gewesen oder angestrebt worden sei, unter Umständen eine langjährige Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung rückabzuwickeln wäre. Nach den Gesetzesmaterialien habe nur eine ausschließlich in der berufsständischen Versorgung durchgeführte Versicherung nachträglich legalisiert werden sollen. Die an die Stelle der gesetzlichen Rentenversicherung tretende anderweitige Absicherung müsse der in der gesetzlichen Rentenversicherung gleichwertig sein. Bei einer pauschalen Beitragsleistung sei dies nicht gewährleistet.
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Die Beigeladenen zu 1. und zu 2. haben sich im Revisionsverfahren nicht schriftlich geäußert und keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Klägerin hat in der Sache Erfolg. Ihre kombiniert (§ 56 SGG) erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGG ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. auch rückwirkend für die Zeit vom 1.1.2014 bis zum 31.3.2014.
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Rechtsgrundlage für eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Syndikusrechtsanwältin sind die Übergangsvorschriften in § 231 Abs 4b SGB VI (eingeführt durch Art 7 Nr 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015,
BGBl I 2517). Danach wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird (Satz 1). Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand (Satz 2). Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 1. April 2014 (Satz 3). Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden (Satz 4). Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt aufgrund einer vor dem 4. April 2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde (Satz 5). Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 1. April 2016 gestellt werden (Satz 6).
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die hier allein streitbefangene rückwirkende Befreiung für einen Zeitraum vor dem 1.4.2014 gemäß § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI sind erfüllt. Die von der Klägerin für die Monate Januar bis März 2014 an die Beigeladene zu 1. gezahlten Pflichtbeiträge in Höhe des Grundbeitrags sind “einkommensbezogen” im Sinne dieser Vorschrift.
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1. Die Beklagte hat die Klägerin nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwältin für die Tätigkeit bei der U AG ab dem 13.8.2016 und darüber hinaus rückwirkend ab dem 1.1.2015 befreit. Sie hat auch für die davor liegende Beschäftigung bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. eine rückwirkende Befreiung ab dem 1.4.2014 erteilt (§ 231 Abs 4b Satz 2 SGB VI). Die Klägerin hatte einen fristgerechten Antrag bis zum Ablauf des 1.4.2016 gestellt (§ 231 Abs 4b Satz 6 SGB VI). Für die Beschäftigung bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. war eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwältin nicht aufgrund einer vor dem 4.4.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt worden (§ 231 Abs 4b Satz 5 SGB VI). Die Klägerin war während dieser Beschäftigung infolge ihrer Zulassung als Rechtsanwältin zudem ipso iure, dh ohne Erlass eines weiteren Verwaltungs- oder eines anderen konstitutiven Rechtsakts, obligatorisches Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Pflichtmitglied im berufsständischen Versorgungswerk der Beigeladenen zu 1. Dies beruhte auf den einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen des bayerischen Landesrechts. Der Senat ist insoweit nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 560 ZPO an die unter Anwendung des nicht revisiblen Landesrechts getroffene Entscheidung des LSG gebunden (zur den nach Landesrecht zu beurteilenden Voraussetzungen einer Befreiung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI vgl BSG Urteil vom 3.4.2014 – B 5 RE 13/14 R – BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 27; BSG Urteil vom 7.12.2017 – B 5 RE 10/16 R – BSGE 125, 11 = SozR 4-2600 § 6 Nr 14, RdNr 17). Für den Senat ebenfalls bindend hat das LSG festgestellt, dass die Klägerin nach § 19 Abs 1 Satz 4 der Satzung der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung vom 6.12.1996 (Bayer Staatsanzeiger Nr 51/52) idF der 10. Änderungssatzung vom 16.11.2010 (Bayer Staatsanzeiger Nr 46; im Folgenden: Satzung) als Pflichtbeitrag den “Grundbeitrag” in Höhe von einem Fünftel des Höchstbeitrags (Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung) zahlte. Nach dem Inhalt des Bescheids der Beigeladenen zu 1. vom 5.8.2014 waren nach § 19 Abs 5 Satz 2 der Satzung nur die positiven Einkünfte der Klägerin aus selbstständiger Arbeit beitragspflichtig.
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2. Einkommensbezogene Pflichtbeiträge iS von § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI sind auch solche Pflichtbeiträge, die abhängig vom Einkommen in pauschaler Höhe bestimmt werden.
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a) Der Gesetzeswortlaut erfasst sowohl Beiträge, die abhängig vom konkreten Einkommen anteilig, als auch solche, die in pauschaler Höhe bestimmt werden. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch enthält das Adjektiv “einkommensbezogen” die Aussage, dass die Beiträge an das Einkommen anknüpfen, im Zusammenhang bzw in Verbindung mit dem Einkommen stehen oder auf das Einkommen abgestimmt sind (vgl Duden – Das Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl 2018, S 224 zum Stichwort “beziehen” und S 225 zu “-bezogen”). Der Wortlaut verlangt damit jedenfalls einen gewissen “Bezug” der gezahlten Beiträge zu dem erzielten Einkommen des Mitglieds des Versorgungswerks. Weitere Anforderungen an die Qualität der Beziehung zwischen Einkommen und Beitrag haben im Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck gefunden. So heißt es in § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI weder “einkommensgerechte” Pflichtbeiträge (vgl LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom
28.5.2020 – L 3 R 738/18 – juris RdNr 45) noch lautet die Formulierung “einkommensabhängige” Pflichtbeiträge, wovon offenbar das Berufungsgericht ausgeht (siehe dazu die Ausführungen im angefochtenen Urteil vom 7.2.2019 – L 14 R 264/18 – juris RdNr 39 ff).
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Der von der Klägerin gezahlte Grundbeitrag war im möglichen Wortsinn einkommensbezogen. Nach der Satzung der Beigeladenen zu 1. war der Beitragsbemessung pauschal ein beitragspflichtiges Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde zu legen. Dieser dem Höchstbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechende Pflichtbeitrag war nur dann nicht zu zahlen, wenn ein niedrigeres Einkommen nachgewiesen wurde (§ 19 Abs 1 Satz 2 der Satzung). Als Mindestbeitrag war ein Grundbeitrag in Höhe von einem Fünftel des Höchstbeitrags (§ 19 Abs 1 Satz 4 der Satzung) zu entrichten. Nach diesem System der Beitragsfestsetzung bedingten höhere Einkünfte höhere Beiträge. Aus niedrigeren Einkünften folgten niedrigere Beiträge. Damit ergab sich die Beitragshöhe unter Berücksichtigung der pauschalierenden Elemente am oberen und unteren Ende der Einkommensskala jeweils in Abhängigkeit von der Einkommenshöhe.
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b) In den Gesetzesmaterialien wird nicht erläutert, ob von § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI auch ein Mindestbeitrag in Höhe eines bestimmten Bruchteils des Regel- oder Höchstbeitrags erfasst sein soll.
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Im Gesetzgebungsverfahren war bekannt, dass Syndikusrechtsanwälte, die bereits vor dem 1.4.2014 einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gestellt und für die Dauer des Verfahrens rechtmäßig Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt hatten, häufig nur den Mindestbetrag (Grundbetrag) in das jeweilige berufsständische Versorgungswerk entrichteten. Aus welchen Gründen dem Vorschlag nicht nähergetreten wurde, zur Klarstellung in § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI das Adjektiv “einkommensbezogene” zu streichen, geht aus den Gesetzesmaterialien nicht hervor (vgl dazu die Information für den Ausschuss des Bundesarbeitgeberverbands Chemie e.V., Ausschussdrucksache 18(11)454 S 3 und die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins in der Anlage zum Wortprotokoll der 61. Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, Protokoll-Nr 18/61 S 48). Diesen ist nur zu entnehmen, “dass die Begrenzung der Rückwirkung der Befreiung auf April 2014 nicht in den Fällen gilt, in denen insbesondere in der Annahme des Bestehens einer gültigen Befreiung seinerzeit nur einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgung gezahlt wurden, nicht jedoch zur gesetzlichen Rentenversicherung” (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 18/5201 S 47). Schon weil sich die Formulierung “insbesondere” auf den gesamten nachfolgenden Satzteil oder nur auf Teile davon beziehen kann, ist eine Rückwirkung der Befreiung für Zeiten vor dem 1.4.2014 nach der Begründung des Gesetzesentwurfs nicht notwendig auf die Fälle zu beschränken, in denen ausschließlich einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgung, aber keine Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden.
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Die Gesetzesmaterialien formulieren weiter, dass “umfassend eine Rückabwicklung der zur berufsständischen Versorgung entrichteten Beiträge vermieden und im Ergebnis die tatsächliche Beitragszahlung an das Versorgungswerk nachträglich legalisiert” werden soll (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 18/5201 S 47). Danach werden von der Übergangsvorschrift vor allem Rechtsanwälte begünstigt, die nach einem Tätigkeitswechsel, trotz der Bindung einer Befreiung an die jeweilige konkrete Beschäftigung (vgl bereits BSG Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 5/10 R – SozR 4-2600 § 231 Nr 5 RdNr 21 mwN), keinen neuen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gestellt und deren Arbeitgeber keine Meldung bei der Einzugsstelle abgegeben (§ 28a SGB IV) und dementsprechend keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge abgeführt haben (§ 28d SGB IV). Würde die Regelung in § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI auf diese Fälle begrenzt, würden Syndikusrechtsanwälte benachteiligt, die vor dem 1.4.2014 einen Befreiungsantrag gestellt, während des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens rechtskonform Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und daneben nur Grund-, Mindest- oder Besondere Beiträge zum Versorgungswerk gezahlt haben (zum Verbot eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses
vgl zuletzt BSG Urteil vom 26.9.2019 – B 5 R 6/18 R – SozR 4-2600 § 307d Nr 5 RdNr 19 mwN). Ein sachlicher Grund dafür ist nicht ersichtlich (vgl Schafhausen, NJW 2018, 1135, 1137; zu dem “Dilemma” für diejenigen, die sich rechtskonform verhalten haben, vgl auch Wein/Walter, BB 2016, 245, 248).
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c) Systematische Erwägungen sprechen dafür, als “einkommensbezogene Pflichtbeiträge” iS des § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI auch Beiträge anzusehen, die nach den Satzungen der Versorgungswerke als Grund-, Mindest- oder Besondere Beiträge in pauschaler Höhe festgesetzt werden.
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aa) Die Regelungen zur Rückwirkung einer Befreiung von der Versicherungspflicht in § 231 Abs 4b SGB VI ergänzen als Übergangsbestimmung für Syndikusanwälte, die nach dem ab 1.1.2016 neu gestalteten Recht zugelassen werden, die Befreiungsvorschrift in § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Diese Vorschrift verlangt für eine Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß Buchstabe b) ua, dass “nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zu zahlen sind”. Die für die berufsständische Versorgungseinrichtung zuständige oberste Verwaltungsbehörde muss das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestätigen (§ 6 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB VI). Das BSG versteht die genannte Befreiungsvoraussetzung im Sinne einer typisierenden Betrachtung als generelle Anforderung an die Satzung des jeweiligen Versorgungswerks. Es hat es sogar in einem Fall ausreichen lassen, dass Beiträge vorübergehend gar nicht erhoben wurden, sofern die beitragsfreien Zeiten leistungssteigernd für eine künftige Versorgung berücksichtigt wurden (vgl BSG Urteil vom 7.3.2007 – B 12 R 15/06 R – juris RdNr 14 ff mwN auch der Rspr zur Vorläufervorschrift des § 7 Abs 2 AVG in der ab 1.7.1979 geltenden Fassung). Für einen Befreiungsanspruch reicht es danach aus, wenn die an das Versorgungswerk zu entrichtenden Beiträge nach dessen Satzung einkommensbezogen ausgestaltet sind, wobei das Gesetz die Ausgestaltung in Einzelheiten der Satzung überlässt.
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Nach dem in den Ländern geltenden Satzungsrecht ist eine Beitragszahlung zum Versorgungswerk in pauschaler Höhe nicht die Ausnahme, sondern vielmehr der Regelfall. In praktisch allen Satzungen der Versorgungswerke ist eine Beitragserhebung in pauschalierter Höhe durch Festlegung sowohl eines Regelpflichtbeitrags (in der Regel Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung) als auch eines Mindestbeitrags in Höhe eines Bruchteils des Regelpflichtbeitrags vorgesehen (vgl stellvertretend zB
§ 30 Abs 1 und 2 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Berlin; § 30 Abs 1 und 3 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen; § 11 Abs 1 und 3 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg). Nach der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg ist für Mitglieder, die zugleich Pflichtversicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung sind, die Absenkung des Beitrags in pauschalierter Weise auf drei Zehntel des Regelpflichtbeitrags vorgesehen (sog “Besonderer Beitrag”). Beiträge in Höhe eines Prozentsatzes der individuellen beitragspflichtigen Einnahmen werden nur auf besonderen Antrag und nach Vorlage entsprechender Nachweise festgesetzt. Auch das BVerfG ist davon ausgegangen, dass es sich bei solchen Mindestbeiträgen um einkommensbezogene Pflichtbeiträge iS von § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI handelte (zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen
vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 22.7.2016 – 1 BvR 2534/14 – juris RdNr 16 und zum Besonderen Beitrag in Baden-Württemberg Nichtannahmebeschluss vom 19.7.2016 – 1 BvR 2584/14 – juris RdNr 16).
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bb) Pauschalierte Beiträge sind auch charakteristisch für die Beitragsleistung selbstständig Tätiger zur gesetzlichen Rentenversicherung. Diese leisten Beiträge aus einem Arbeitseinkommen in Höhe der Bezugsgröße als beitragspflichtige Einnahme. Bis zum Ablauf von drei Kalenderjahren nach dem Jahr der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ist ein Arbeitseinkommen lediglich in Höhe von 50 % der Bezugsgröße zugrunde zu legen, sofern nicht die Beitragserhebung aus einem Arbeitseinkommen in Höhe der Bezugsgröße beantragt wird. Das BSG spricht von einem “halben Regelbeitrag” iS von § 165 Abs 1 Satz 2 SGB VI bei Zugrundelegung eines Arbeitseinkommens in Höhe von 50 % der Bezugsgröße (vgl BSG Urteil vom 10.12.1998 – B 12 RJ 2/98 R – SozR 3-2600 § 165 Nr 1 S 3 = juris RdNr 13 und BSG Urteil vom 25.5.2011 – B 12 R 14/09 R – juris RdNr 23). Nur bei Nachweis eines abweichenden Einkommens werden die Beiträge aus diesem Arbeitseinkommen erhoben, wobei monatlich mindestens 450 Euro zugrunde gelegt werden (§ 165 SGB VI).
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cc) Aus systematischen Gründen spricht auch der zeitgleich mit § 231 Abs 4b SGB VI in Kraft getretene § 286f SGB VI für ein weites Verständnis von “einkommensbezogenen” Beiträgen. Danach werden Pflichtbeiträge, die aufgrund einer Befreiung nach § 231 Abs 4b und 4d SGB VI zu Unrecht entrichtet wurden, abweichend von § 211 SGB VI und abweichend von § 26 Abs 3 SGB IV von dem zuständigen Träger der Rentenversicherung beanstandet und unmittelbar an die zuständige berufsständische Versorgungseinrichtung erstattet (§ 286f Satz 1 SGB VI). Der Wortlaut der Vorschrift knüpft an die Rückwirkung der Befreiung nach § 231 Abs 4b SGB VI an, ohne sich auf einzelne Fallkonstellationen im abgestuften System der Rückwirkung zu beschränken. Würde die Vorschrift auf Personen beschränkt, die vor dem 1.4.2014 ausschließlich Beiträge an das Versorgungswerk geleistet haben, bestünde für diese Zeiten für eine Erstattung nach § 286f SGB VI kein Anwendungsbereich mehr (vgl Schafhausen, NJW 2018, 1135, 1137).
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Mit § 286f SGB VI wollte der Gesetzgeber ein verwaltungstechnisch einfaches Verfahren zum Transfer der bisherigen Beitragszahlungen vom Rentenversicherungsträger zum Versorgungswerk im Hinblick darauf vorgeben, dass mit der rückwirkenden Befreiung in der gesetzlichen Rentenversicherung die Pflicht zur Zahlung “einkommensbezogener Beiträge in derselben Höhe wie zur gesetzlichen Rentenversicherung” nunmehr im Versorgungwerk einhergeht (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 18/5201 S 47). Mit diesem Transfer der Beiträge wird gewährleistet, dass die an die Stelle der gesetzlichen Rentenversicherung tretende Absicherung im Versorgungswerk mindestens gleichwertig ist (zu diesem Anliegen vgl
die Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr ua und der Fraktion der FDP, BT-Drucks 19/13808 S 5
). Zugleich wird sichergestellt, dass dieselben Anwartschaften für die Altersversorgung erlangt werden, wie sie bei einer Beitragszahlung von Anfang an nur an das Versorgungswerk erworben worden wären (vgl bereits
BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 22.7.2016 – 1 BvR 2534/14 – juris RdNr 16). Es wäre widersprüchlich, wenn diese mit der rückwirkenden Befreiung beabsichtigte Rechtsfolge gleichsam zu ihrer Tatbestandsvoraussetzung gemacht würde. Das wäre aber der Fall, wenn “einkommensbezogene Beiträge zum Versorgungswerk” – wie die Beklagte vorträgt – nur anerkannt würden, wenn Beiträge an das Versorgungswerk in einer Höhe gezahlt worden sind, die den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung entsprechen.
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d) Auch der Sinn und Zweck der Übergangsregelung des § 231 Abs 4b SGB VI spricht dafür, die Mindest- oder Grundbeiträge zum Versorgungswerk ebenfalls als einkommensbezogen im Sinne des Satzes 4 anzusehen.
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Das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte vom 21.12.2015 (BGBl I 2517) war eine Reaktion auf die Urteile des Senats vom 3.4.2014 (B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R), wonach eine Beschäftigung bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber nicht dem anwaltlichen Berufsfeld zugeordnet werden konnte. Erklärtes Ziel der gesetzlichen Regelung der Stellung des Syndikusanwalts als Rechtsanwalt war es, den “bisherigen Status quo” weitestgehend aufrechtzuerhalten. Syndikusanwälte sollten “wie bisher” – unter bestimmten Voraussetzungen auch rückwirkend – von der Rentenversicherungspflicht befreit werden und in den anwaltlichen Versorgungswerken verbleiben können (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 18/5201 S 2, 46). Im Hinblick auf die Befreiung von der Versicherungspflicht sollte der vor Verkündung der Urteile des BSG vom 3.4.2014 bestehende Rechtszustand aufrechterhalten bzw wiederhergestellt werden (vgl
BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 19.7.2016 – 1 BvR 2584/14 – juris RdNr 21). Mit der Übergangsvorschrift des § 231 Abs 4b SGB VI wollte der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung tragen, dass die Möglichkeit zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten einer Versorgung in den berufsständischen Versorgungswerken für Syndikusanwälte vorübergehend nicht gegeben war. Dem durch die bisherige Rechtspraxis bei der Befreiung von Syndikusanwälten geschaffenen schutzwürdigen Vertrauen sollte angemessen Rechnung getragen werden (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 18/5201 S 46). Dabei sollte die “im Interesse der Rechts- und Beitragssicherheit” in § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI vorgesehene Begrenzung der Rückwirkung einer Befreiung bis längstens April 2014 vermeiden, dass “in Sonderfällen, in denen eine Befreiung zwar nach neuem Berufsrecht, nicht aber nach alter Rechtspraxis möglich war oder angestrebt wurde”, unter Umständen eine langjährige Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung rückabzuwickeln wäre (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 18/5201 S 47 oben).
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Der Rechtssicherheit und der Vermeidung umfänglicher Rückabwicklungen diente auch die Rechtspraxis der Beklagten. Sie verzichtete für alle diejenigen Syndikusanwälte, die in ihrer aktuellen Beschäftigung (insbesondere wegen zwischenzeitlichem Beschäftigungswechsel) keine wirksame Befreiung hatten, auf Beitragsnachforderungen für die Zeit bis zum 31.12.2014, wenn sie entsprechend der durch das BSG geschaffenen Rechtslage zum 1.12.2015 zur gesetzlichen Rentenversicherung umgemeldet wurden (vgl die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr ua und der Fraktion der FDP, BT-Drucks 19/13808 S 5). Auch in diesem Kontext steht ein weites Verständnis von § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI.
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Schon § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI verfolgte den Zweck, nicht nur eine doppelte Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung und zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu verhindern, sondern auch eine “geschlossene Versicherungsbiographie” zu ermöglichen (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 11.10.1995, BT-Drucks 13/2590 S 18). Daran knüpft die vorübergehend geschaffene Möglichkeit der rückwirkenden Befreiung nach § 231 Abs 4b SGB VI an. Das Ziel einer möglichst kontinuierlichen Versicherungsbiografie im Versorgungswerk wird am effektivsten erreicht, wenn auch die Grund- oder Mindestbeiträge nach den beitragsrechtlichen Regelungen der Versorgungswerke als einkommensbezogene Pflichtbeiträge iS der Übergangsvorschrift des § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI angesehen werden. Das verdeutlicht geradezu exemplarisch der Fall der Klägerin. Bei ihr würde die gegenteilige Ansicht des LSG und der Beklagten dazu führen, dass innerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses nur drei Monate dem Alterssicherungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung unterfielen, während die restliche Zeit über das Versorgungswerk abgesichert wäre.
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3. Pflichtbeiträge sind “einkommensbezogen” iS von § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI unabhängig davon, für welches Einkommen diese Beiträge gezahlt wurden.
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a) Einkommensbezogene Beiträge können auch für Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt gezahlt worden sein. In § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI heißt es anders als in § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI gerade nicht “Beschäftigung …, wegen der …” (vgl dazu BSG Urteil vom 3.4.2014 – B 5 RE 13/14 R – BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 28), sodass die Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk aufgrund einer anwaltlichen Tätigkeit ausreicht. Die Regelungsinhalte von § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI und der Übergangsvorschrift des § 231 Abs 4b SGB VI sind entsprechend ihrer unterschiedlichen Funktion zu trennen (vgl bereits zur nicht notwendigen Pflichtmitgliedschaft “für die Tätigkeit als Syndikusanwalt” in einer davor liegenden Beschäftigung
BSG Urteil vom 26.2.2020 – B 5 RE 2/19 R – SozR 4-2600 § 231 Nr 7 RdNr 36). § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI bestimmt die Rückwirkung der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für Zeiten vor dem 1.4.2014 lediglich unter der Voraussetzung, dass “für diese Zeiten” einkommensbezogene Pflichtbeiträge gezahlt wurden. Gefordert wird damit allein ein zeitlicher Bezug; an die Beschäftigung wird nicht angeknüpft. Anderenfalls hätte der Wortlaut “für diese Beschäftigung” lauten müssen oder in Anlehnung an die Formulierung in § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI “wegen” der Beschäftigung.
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Für dieses Verständnis spricht auch die Übergangsregelung in § 231 Abs 4b Satz 2 SGB VI. Danach wirkt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unter bestimmten Voraussetzungen auch für Beschäftigungen, die vor dieser Syndikustätigkeit liegen. Diese Rechtsfolge geht so weit, dass eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für eine frühere Beschäftigung besteht, ohne dass die Voraussetzungen für die Befreiung auch für diese konkrete Beschäftigung überhaupt geprüft werden (vgl BSG Urteil vom 26.2.2020 – B 5 RE 2/19 R – SozR 4-2600 § 231 Nr 7 RdNr 37). Jedenfalls handelt es sich bei der “davor liegenden Beschäftigung” um eine ganz andere Beschäftigung als die, die der Syndikustätigkeit nach dem seit 1.1.2016 geltenden Recht zugrunde liegt. Auch diese weitgehende Regelung und die darin zum Ausdruck kommende Wertung sprechen gegen das von der Beklagten vertretene restriktive Verständnis, wonach Beiträge auch im Rahmen der Übergangsvorschrift des § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI von dem Einkommen aus der zu befreienden Beschäftigung gezahlt werden müssten.
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b) Nichts anderes folgt aus § 231 Abs 4b Satz 5 SGB VI, der die Anwendbarkeit der Sätze 1 bis 4 für Beschäftigungen ausschließt, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt aufgrund einer vor dem 4.4.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde. Soweit die Beklagte daraus ableitet, dass auch die Regelung des Satzes 4 einen Bezug zu der zu befreienden Beschäftigung fordere, kann dem nicht gefolgt werden. Die bestandskräftige Ablehnung einer Befreiung schließt bereits den Anwendungsbereich der Übergangsvorschrift aus. Rückschlüsse auf die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals sind deshalb nicht möglich.
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c) Schließlich ist für eine Entscheidung über den Anspruch auf rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs 4b SGB VI ohne Belang, dass die Beigeladene zu 1. im Antragsformular den Text “Bestätigung der Beitragszahlung für Beschäftigungszeiten bis zum 31.3.2014” mit der weiteren Angabe “Es wird bestätigt, dass für die zu befreienden Beschäftigungen einkommensbezogene Pflichtbeiträge analog §§ 157ff. SGB VI gezahlt wurden.” gestrichen hat. § 231 Abs 4b Satz 4 SGB VI erfordert keine Bestätigung durch die berufsständische Versorgungseinrichtung. Auch genügt, dass einkommensbezogene Pflichtbeiträge “gezahlt wurden”. Wann diese Zahlung erfolgt sein muss, lässt die Vorschrift offen. Daher schadet es auch nicht, dass die Klägerin die Pflichtbeiträge für die Monate Januar bis März 2014 erst nach endgültiger Festsetzung im Bescheid vom 5.8.2014 an die Beigeladene zu 1. gezahlt hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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