Medizinrecht

Schließung von Fitnessstudios in Thüringen mittels Allgemeinverfügung im März 2020

Aktenzeichen  3 K 1012/20

Datum:
10.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Gera 3. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGGERA:2021:0610.3K1012.20.00
Normen:
§ 28 IfSG
§ 35 S 2 VwVfG TH 2014
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 10. Februar 2020 war jedenfalls im März 2020 eine ausreichende Rechtsgrundlage zur Anordnung von Betriebsschließungen.(Rn.25)

2. Die landkreisweite Schließung von Fitnessstudios richtet sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis i.S.d. § 35 Satz 2 ThürVwVfG (juris: VwVfG TH 2014).(Rn.34)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die coronabedingte Schließung ihrer beiden Fitnessstudios durch den Beklagten im März 2020.
Der Beklagte hat mit Allgemeinverfügung vom 17. März 2020 folgende Allgemeinverfügung erlassen:
Allgemeinverfügung …
zum Verbot und zur Beschränkung von Kontakten in besonderen öffentlichen Bereichen und besonders von der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und Covid-19 betroffenen Gebieten einschließlich Personen, die einen persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das neuartige SARS-CoV im Labor nachgewiesen wurde
Gemäß § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) und § 35 Satz 2 Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz (ThürVwVfG) wird folgende Allgemeinverfügung erlassen:
1. Schließung von Einrichtungen und Angeboten
Für den Publikumsverkehr zu schließen sind folgende Einrichtungen und Angebote unabhängig von der jeweiligen Trägerschaft oder Eigentumsverhältnissen;
– ….   
– Fitness-Studios, Schwimm-, Freizeit- und Erlebnisbäder, Saunen und Solarien;
…       
Nach Nr. 6 der Allgemeinverfügung sollte diese bis zum 19. April 2020 gelten. Zur Begründung hat der Beklagte auf die bundes- und thüringenweite Verbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in kurzer Zeit hingewiesen, der von einem grippalen Infekt, Schnupfen oder echter Grippe klinisch nicht zu unterscheiden sei. Es bedürfe zur Eindämmung und Nachverfolgung der Infektionswege weiterer Beschränkungen des öffentlichen Lebens. Der Schutz besonders vulnerabler Bevölkerungsgruppen sei sicherzustellen.
Der Beklagte hob die Allgemeinverfügung bereits mit Allgemeinverfügung vom 19. März 2020 auf und ordnete mit dieser Allgemeinverfügung unter IV. 1. wieder u.a. die Schließung von Fitnessstudios an. Am 27. März 2020 trat die Thüringer Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Thüringer SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung-ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO-) vom 26. März 2020 in Kraft, die in § 5 Abs. 1 Nr. 2 ebenfalls die Schließung von Fitnessstudios regelte.
Den gegen die Allgemeinverfügung vom 17. März 2020 am 16. April 2020 eingelegten Widerspruch hat das Thüringer Landesverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2020 zurückgewiesen. Der eingelegte Widerspruch sei mangels Widerspruchsbefugnis unzulässig. Die angefochtene Allgemeinverfügung habe sich durch die Allgemeinverfügung vom 19. März 2020 bzw. dem Inkrafttreten der ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO vom 26. März 2020 erledigt.
Die Klägerin hat am 24. Juli 2020 Klage erhoben.
Sie bestreitet, dass die Allgemeinverfügung des Beklagten vom 19. März 2020 bekannt gemacht worden sei.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig. Angesichts der bestehenden Wiederholungsgefahr sei das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Es seien weitere Coronawellen zu erwarten. Auch liege ein tiefgreifender Grundrechtseingriff vor. Die Schließung der Fitnessstudios führe zu einem Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Klägerin und in ihre Rechte aus Art. 14 GG. Die Klägerin beabsichtige die Erhebung einer Schadensersatzklage und führe bereits einen Rechtsstreit gegen die Haftpflichtkasse Darmstadt. Der Anspruch setze die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Schließungsverfügung voraus.
Der Beklagte habe nicht in der Handlungsform einer Allgemeinverfügung tätig werden dürfen. Es hätte eine Rechtsnorm ergehen müssen. Vorliegend sei kein Einzelfall geregelt worden. Die Allgemeinverfügung habe die Schließung der meisten öffentlichen Einrichtungen angeordnet. Sie betreffe keinen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis.
Auch stütze sich die Allgemeinverfügung auf eine falsche Ermächtigungsgrundlage. Grundlage hätte § 16 IfSG und nicht § 28 IfSG sein müssen. Es habe sich um ein präventives Verbot gehandelt. Bereits die falsche Benennung der Ermächtigungsgrundlage bzw. ihr Fehlen führe zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Art. 12 und 14 GG würden dort nicht benannt. Darüber hinaus sei ein Parlamentsgesetz notwendig gewesen.
Die Allgemeinverfügung selbst verstoße gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG sowie gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Adressat könne den Zweck und die Auswirkungen nicht begreifen. Sie sei unverständlich.
Die Allgemeinverfügung sei nicht geeignet, die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zum Schutz der Bevölkerung zu verhindern bzw. zu verlangsamen. Eine Verlangsamung der Ausbreitung sei schon vor dem 17. März 2020 eingetreten. Eine weitere Verlangsamung sei nicht zu erwarten gewesen. Es habe bis heute keine massive Weiterverbreitung gegeben. Ein systematisches Risiko für eine deutliche Einschränkung bzw. einen Ausfall der öffentlichen Gesundheitsfürsorge habe es nicht gegeben. Die Erkrankung lasse sich in den meisten Fällen nicht von einem Schnupfen oder einer echten Grippe unterscheiden. Die Covid-19-Erkrankungen würden überbewertet. Ein Vergleich der Zahl der Corona-Toten mit den Zahlen der Opfer von Verkehrsunfällen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zeige, dass ein Einschreiten nicht notwendig sei.
Die Allgemeinverfügung sei weder notwendig, noch angemessen und verhältnismäßig. So sei der R-Wert bereits von 3,3 am 11./12. März 2020 am 16. März auf 2,2 zurückgegangen und am 22. März sei der Wert kleiner als 1 gewesen (vgl. epidemologisches Bulletin 17/20 des RKI). Angesichts dessen sei die Schließung der Fitnessstudios ab da nicht mehr gerechtfertigt gewesen. Ausweislich des RKI habe bereits das Verbot von Großveranstaltungen und weiterer vor dem 23. März 2020 ergriffener Maßnahmen zu dieser Verlangsamung geführt. Bei Erlass der Allgemeinverfügung sei der epidemische Verlauf der Erkrankung bereits beendet gewesen. Schon ab dem 4. März 2020 seien die Infektionszahlen zurückgegangen. Lediglich die Erhöhung der Anzahl der Tests habe zu dem Eindruck einer enormen Dynamik geführt. Es wären keine Maßnahmen notwendig gewesen, wie die Entwicklung in Schweden bzw. Weißrussland zeigten.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 17. März 2020 bezüglich der Regelung unter 1. 2. Unterpunkt zu Fitnessstudios rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezweifelt die Zulässigkeit der Klage und verweist auf die Rechtsprechung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Behördenvorgangs (eine Heftung) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig.
Es handelt sich nicht um eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, da die Erledigung bereits vor der Klageerhebung am 24. Juli 2020 eingetreten ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Allgemeinverfügung bereits am 19. März 2020 wieder aufgehoben worden ist, sich mit dem Inkrafttreten der Thüringer Eindämmungsmaßnahmeverordnung vom 27. März 2020 erledigt hat oder mit Ablauf des 19. Aprils 2020 außer Kraft getreten ist.
Unabhängig davon, ob sich das Klagebegehren nach § 43 VwGO bzw. nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog richtet, ist das besondere Feststellungsinteresse vorliegend gegeben. Es bedarf eines nach Lage des Falles schutzwürdigen Interesses rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Bei in der Vergangenheit liegenden Rechtsverhältnissen ist ein berechtigtes Interesse (qualifiziertes Feststellungsinteresse, vgl. Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 54. Ed. 2020, § 43 Rn. 25) grundsätzlich nur anzuerkennen, wenn das Rechtsverhältnis über seine Beendigung hinaus anhaltende Wirkung in der Gegenwart äußert. Hierfür reicht allein eine präjudizielle Wirkung, die einem Feststellungsurteil für einen späteren Schadensersatz- oder Entschädigungsprozess vor den Zivilgerichten zukommt, nicht aus. Vielmehr ist in solchen Fällen sogleich eine Schadensersatzklage zu erheben (BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1989 – 8 C 30/87 – juris Rn. 9; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 43 Rn. 24). Allerdings besteht vorliegend eine Wiederholungsgefahr. Die Gefahr weiterer Betriebsschließungen kann angesichts der noch immer bestehenden Pandemielage nicht ausgeschlossen werden (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 8. September 2020 – 19 K 1761/20 – juris Rn. 41). Insbesondere ist es möglich, dass einzelne Landkreise bei einer Häufung von Infektionen weitergehende, über auf Bundes- oder Landesebene bestehende Regelungen hinaus Maßnahmen ergreifen. Gleichzeitig handelt es sich auch um eine Maßnahme mit erheblicher Bedeutung für die Grundrechtsausübung, die sich typischerweise kurzfristig erledigt, so dass Rechtsschutz lediglich im Eilverfahren, nicht aber im Hauptsacheverfahren erreicht werden kann. Die gerichtliche Klärung i.S.d. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG setzt die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens voraus (vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. September 2019 – 15 A 4753/18 – juris Rn. 47 m.w.N.; Schenke, in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2020, § 43 Rn. 25). Die im Rahmen der Coronapandemie lediglich kurze Geltungsdauer von Maßnahmen verhindert eine solche Überprüfung.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Regelung zur Schließung von Fitnessstudios unter Nr. 1. 2. Unterpunkt der Allgemeinverfügung vom 17. März 2020 war rechtmäßig und hat die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung ist der Zeitraum, in dem sie Geltung beanspruchte.
Rechtsgrundlage für die angegriffene Allgemeinverfügung ist § 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 10. Februar 2020 (BGBl. I 148). Der Beklagte hat ausdrücklich § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG in Bezug genommen. Dies ist nicht zu beanstanden. Die damalige Fassung regelte:
1Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. 2Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen; sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. 3Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. 4Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) werden insoweit eingeschränkt.
a) Es bestehen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen für den hier relevanten Zeitraum. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG stellt eine ausreichende Ermächtigung für den Erlass einer Allgemeinverfügung zur Schließung von Fitnessstudios dar.
Es liegt kein Verstoß gegen den in Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 und 2 GG verankerten Grundsatz vor, dass staatliche Eingriffe im grundrechtsrelevanten Bereich einer förmlichen gesetzlichen Grundlage bedürfen (sog. Vorbehalt des Gesetzes). Nach diesen Regelungen muss das Parlament als unmittelbar demokratischer Gesetzgeber alle wesentlichen Fragen des Gemeinwesens selbst entscheiden und darf sie nicht der Exekutive überlassen (BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1977 – 1 BvL 1/75 – juris Rn. 26; Beschluss vom 27. November 1990 – 1 BvR 402/87 – juris Rn. 39). Gleichzeitig kann der Normgeber aber nicht sämtliche Einzelfälle bis ins Detail regeln. Angesicht der Vielfalt der Verwaltungsaufgaben sind auch Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe grundsätzlich möglich (OVG NRW, Beschluss vom 6. April 2020 – 13 B 398/20.NE – juris Rn. 59; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9. April 2020 – 1 S 925/20 – juris Rn. 39). Der Gesetzgeber hat sich bereits mit der Vorgängerregelung des § 28 IfSG in § 34 Abs. 1 Bundes-Seuchengesetz vom 18. Dezember 1979 bewusst für die Schaffung einer Generalklausel entschieden. Er wollte sicherstellen, dass „man für alle Fälle gewappnet“ ist. Gerade der Infektionsschutz ist durch sich ständig wandelnde Umstände durch neue Krankheitserreger mit anfangs unbekannten Ansteckungsrisiken und gesundheitlichen Folgen gekennzeichnet. Den zuständigen Behörden sollten sämtliche notwendigen Handlungsoptionen zur Verfügung gestellt werden (vgl. auch ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/21 – Entscheidungsumdruck S. 53, 58; BayVerfGH, Entscheidung vom 21. Februar 2021 – Vf. 6-VII-20 – n.v.; OLG Koblenz, Beschluss vom 8. März 2021 – 3 OWi 6 SsRs 395/20 – juris Rn. 16).
Aber selbst wenn derartige grundrechtsintensive Maßnahmen nur für eine gewisse Übergangszeit auf eine Generalklausel gestützt werden dürfen, war vorliegend im Hinblick auf die angegriffene Allgemeinverfügung dieser Übergangszeitraum noch nicht überschritten. In einer besonderen Ausnahmesituation, in der zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung ein sofortiges Handeln notwendig wird, sind der Exekutive Handlungsmöglichkeiten einzuräumen, um dem Gesetzgeber die Schließung eventueller Regelungslücken zu ermöglichen (vgl. (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 8. November 2012 – 1 BvR 22/12 – juris Rn. 25; BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2019 – 1 WB 28/17 – juris Rn. 11, 17; ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 – juris Rn. 383 f.; OVG NRW, Beschluss vom 6. April 2020 – 13 B 398/20.NE –juris Rn. 59 f.; Urteil vom 5. Juli 2013 – 5 A 607/11 – juris, Rn. 97 ff.; Saarl. OVG, Urteil vom 6. September 2013 – 3 A 13/13 -, juris, Rn. 77 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22. Juli 2004 – 1 S 2801/03 -, juris, Rn. 30; Guckelberger, Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote anlässlich der Corona-Pandemie, in NVwZ-Extra, S. 1 ff., 8). Dauern grundrechtsintensive Maßnahmen aber nicht nur kurzfristig an, reduziert sich der Handlungsspielraum der Behörden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 30. März 2020 – 20 CS 20.611 – juris Rn. 17 – am 30. März 2020 noch keine Bedenken; Beschluss vom 7. September 2020 – 20 NE 20.1981 – juris Rn. 25 ff.; anders aber mit Beschluss vom 29. Oktober 2020 – 20 NE 20.2360 – juris Rn. 28; siehe insoweit auch die Vorlage des ThürVerfGH an das BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2021 – 110/20 – juris im Zusammenhang mit einer Verordnung vom Oktober 2020). Aus diesem Grund ist der Gesetzgeber in der Folge schließlich tätig geworden. Am 19. November 2020 trat § 28a IfSG in Kraft (Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 – BGBl. I 2020, 2397, vgl. dazu auch ThürOVG, Beschluss vom 11. Februar 2021 – 3 EN 58/21 – S. 9).
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Rechtmäßigkeitsbeurteilung keiner nachträglichen ex-post-Betrachtung, sondern aus einer ex-ante-Position heraus zu erfolgen hat (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 3 EN 22/21 – juris Rn. 60; BayVGH, Beschluss vom 10. November 2020 – 20 NE 20.2477 – juris Rn. 25) ist jedenfalls für den Zeitraum der Geltung der angegriffenen Allgemeinverfügung vom 17. März 2020 nicht erkennbar, dass dieser Übergangszeitraum bereits überschritten gewesen ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Allgemeinverfügung bereits am 19. März 2020 wieder aufgehoben worden ist oder sich mit dem Inkrafttreten der Thüringer Eindämmungsmaßnahmeverordnung vom 26. März 2020 erledigt hat oder mit Ablauf des 19. Aprils 2020 außer Kraft getreten ist. Zwar sind erste SARS-CoV-19-Erkrankungen bereits Ende Januar 2020 in Deutschland aufgetreten. Allerdings bestanden zu diesem Zeitpunkt kaum Erkenntnisse über das neuartige Virus. Es war noch nicht verlässlich absehbar, wie die Verbreitung erfolgt und welche Auswirkungen sie mit sich bringt. Insbesondere war nicht klar, welche Maßnahmen zur Eindämmung erfolgsversprechend sind. Dies zeigen die Stellungnahmen des Robert Koch-Instituts (RKI), dem der Gesetzgeber in § 4 IfSG bei der Einschätzung des Infektionsgeschehens eine zentrale Stellung eingeräumt hat und das kontinuierlich die aktuelle Lage erfasst, alle Informationen bewertet und das Risiko für die Bevölkerung in Deutschland einschätzt. Es berücksichtigt in einem transparenten Verfahren die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse umfassend, wertet entsprechende Daten umfänglich aus und legt sie seinen Stellungnahmen zu Grunde (vgl. auch: ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – 18/20 – juris Rn. 435; Bayerischer VerfGH, Entscheidung vom 9. Februar 2021 – Vf. 6-VII 20 – juris Rn. 96; ThürOVG, Beschluss vom 9. März 2021 – 3 EN 105/21, S. 16; BayVGH, Beschluss vom 19. Juni 2020 – 20 NE 20.1337 – juris Rn. 20; siehe auch zu Einzelheiten: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Risikobewertung_Grundlage.htm). Noch am 4. März 2020 schätzte das RKI die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland als mäßig ein (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-04-de.pdf?__blob=publicationFile S. 4). Zwar wurde in der Folgezeit darauf hingewiesen, dass es sich um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation handele, bei der die Gefährdung von Region zu Region variiere und in „besonders betroffenen Gebieten“ hoch sei. Aber am 17. März 2020 änderte das RKI seine Bewertung und stufte die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als hoch ein. Es wies weiter darauf hin, dass die Gefährdung regional variiere, die Wahrscheinlichkeit schwerer Krankheitsverläufe mit zunehmenden Alter und Vorerkrankungen zunehme und die Belastung des Gesundheitswesens von der regionalen Verbreitung der Infektion abhänge. Dabei könne sich die Einschätzung kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-17-de.pdf?__blob=publicationFile S. 4). Angesichts dessen war zu diesem Zeitpunkt vom Parlamentsgesetzgeber noch nicht zu erwarten, dass er sofort umfassende konkrete Regelungen für eine deutliche Reduzierung des öffentlichen Lebens schafft. Gleichwohl hat der Bundesgesetzgeber auf die Dynamik des Infektionsgeschehens reagiert und mit dem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. S. 587) sehr zeitnah in § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt. Dies erfolgte mit dem ausdrücklichen Ziel, einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vorzubeugen (vgl. Begründung der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Gesetzesentwurf vom 24. März 2020 – BT-Drs. 19/1811, S. 1).
b) Des Weiteren wird die Geeignetheit der Regelung des § 28 IfSG in der Fassung vom 10. Februar 2020 als Grundlage für grundrechtsrelevante Eingriffe nicht dadurch in Frage gestellt, dass § 28 IfSG Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und 14 GG (Eigentum) nicht benennt. Zwar bestimmt Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, dass ein Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt, das Grundrecht unter Angabe des Artikels benennen muss. Die Regelung bezweckt die Sicherung der Grundrechte, die aufgrund eines speziellen, vom Grundgesetz vorgesehenen Gesetzesvorbehalts über die im Grundrecht selbst angelegten Grenzen hinaus eingeschränkt werden können. Es soll sicherstellen, dass nur vom Gesetzgeber tatsächlich gewollte Eingriffe erfolgen. Anders sind jedoch Grundrechtseinschränkungen zu bewerten, bei denen der Gesetzgeber die im Grundrecht bereits angelegten Regelungsaufträge, Inhalts- und Schrankenbestimmungen vorzunehmen hat. Würde hier das Zitiergebot Anwendung finden, würde es zu einer unnötigen leeren Förmlichkeit verkommen. Zu diesen grundrechtsrelevanten Regelungen zählen die inhalts- und schrankenbestimmenden Normen i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sowie berufsregelnde Gesetze i.S.d. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1968 – 1 BvR 638/64 u. a. – juris Rn. 99 ff. und Beschlüsse vom 4. Mai 1983 – 1 BvL 46/80 u. a. – juris Rdn. 26 ff. sowie vom 18. Februar 1970 – 2 BvR 531/68 – juris Rdn. 45; ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 – juris Rn. 490; ThürOVG, Beschluss des Senat vom 8. April 2020 – 3 EN 245/20 – juris Rn. 37; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. April 2020 – 13 B 398/20.NE – m. w. N.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 30. März 2020 – 20 CS 20.611 – juris Rdn. 18).
2. Die Allgemeinverfügung vom 17. März 2020 ist nicht bereits formell rechtswidrig.
a) Die Wahl der Handlungsform einer Allgemeinverfügung ist rechtmäßig. Die Beklagte durfte die Handlungsform der Allgemeinverfügung nutzen. Nach § 35 Satz 2 ThürVwVfG ist eine Allgemeinverfügung ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die Benutzung einer öffentlich-rechtlichen Sache betrifft. Personenbezogene Allgemeinverfügungen richten sich aus Anlass einer bestimmten konkreten Situation an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Kreis von Adressaten. Die Konkretheit des geregelten Sachverhalts unterscheidet die personenbezogene Allgemeinverfügung von der Rechtsnorm (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 2. November 2010 – 3B 164/10 – juris Rn. 9; BayVGH, Urteil vom 15. März 2016 – 8 BV 14.1102 – juris Rn. 22 m.w.N.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Auflage 2017, § 35 Rn. 161). Der für eine Allgemeinverfügung erforderliche Bezug zu einem konkreten Sachverhalt ergibt sich hier aus der Corona-Pandemie, deren weitere Ausbreitung der Beklagte durch seine Maßnahmen reduzieren wollte. Die Adressaten sind nach allgemeinen Merkmalen bestimmt bzw. bestimmbar, auch wenn sich die Allgemeinverfügung an eine große Zahl der Einwohner bzw. Gewerbetreibenden im Gebiet des Landkreises richtet. Gleichzeitig ist die Allgemeinverfügung zeitlich relativ eng begrenzt. Damit ist das maßgebliche Kriterium für die Abgrenzung der Allgemeinverfügung von einer Rechtsnorm gegeben. Die Anordnungen dienten nicht der Abwehr einer abstrakten Gefahr, wie dies etwa für den Erlass abstrakt-genereller Regelungen in Form einer Rechtsverordnung kennzeichnend ist, sondern betreffen eine konkrete Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung durch das Corona-Virus SARS-CoV-2. Die Schließung der genannten Freizeiteinrichtungen und Treffpunkte sowie die Untersagung von Messen, Ausstellungen u.ä. ist das Ergebnis einer typisierten Betrachtung der mit dem Betrieb verbundenen Risiken in dieser Situation der Ausbreitung des damals weitgehend unerforschten Corona-Virus SARS-CoV-2 (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 16. April 2020 – 3 E 545/20 – juris Rn. 34; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. August 2020 – 7 L 1564/20 – juris Rn. 13; VG Hamburg, Beschluss vom 27. März 2020 – 14 E 1428/20 – juris Rn. 52 ff; VG des Saarlandes, Beschluss vom 30. März 2020 – 6 L 340/20 – juris, Rn. 7 ff. m.w.N.; VG Dresden, Beschluss vom 30. März 2020 – 6 L 212/20 – beck-online Rn. 20; HessVGH, Beschluss vom 27. Oktober 2020 – 8 B 2597/20 – juris Rn. 29 zur Maskenpflicht in Schulen; BayVGH, Beschluss vom 30. März 2020 – 20 CS 20.611 – juris Rn. 7 zu Geschäftsschließungen; a. A. VG München, Beschluss vom 24. März 2020 – M 26 S 20.1255 – juris Rn. 23 im Zusammenhang mit einer landesweiten Regelung der Einhaltung eines Mindestabstandes von 1,5 m).
b) Ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG liegt nicht vor. Die Regelung bestimmt, dass bei dem Erlass von Rechtsverordnungen die Rechtsgrundlage in der jeweiligen Verordnung anzugeben ist. Vorliegend steht jedoch eine Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 ThürVwVfG und keine Rechtsverordnung in Streit. Ebenso ist die Regelung in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hier nicht anwendbar.
c) Die Allgemeinverfügung vom 17. März 2020 ist inhaltlich hinreichend bestimmt. Ein Verwaltungsakt und damit ebenso eine Allgemeinverfügung muss gem. § 37 Abs. 1 ThürVwVfG so klar und unzweideutig sein, dass der jeweilige Adressat sein Verhalten danach richten kann. Maßgeblich ist insoweit nicht die Vorstellung oder der – gegebenenfalls hypothetische – Wille der Behörde, sondern es kommt darauf an, wie der Betroffene die Verfügung nach ihrem objektiven Erklärungswert und Erklärungsinhalt nach Treu und Glauben verstehen darf bzw. muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Oktober 2010 – 7 B 50.10 – juris Rn. 8; Tiedemann in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand Jan. 2021, § 37 Rn. 1 ff.; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 27). Unabhängig davon, ob die Präambel der Allgemeinverfügung sprachlich gelungen ist, lässt sich der Allgemeinverfügung unter Nr. 1. allerdings eindeutig und klar entnehmen, dass Fitnessstudios zu schließen sind.
3. Die Allgemeinverfügung ist materiell nicht zu beanstanden.
a) Die Voraussetzungen für ein Einschreiten des Beklagten nach § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG in der Fassung vom 10. Februar 2020 lagen vor.
Die durch das SARS-CoV-2-Virus verursachte Covid-19-Erkrankung stellt eine nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG dar. Das Virus ist grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Der Verlauf der Erkrankung verläuft zwar in der überwiegenden Zahl der Fälle mild, aber die Wahrscheinlichkeit für schwere und tödliche Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmenden Alter und bei bestehenden Vorerkrankungen zu (vgl. die aktuelle Risikobewertung des RKI: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html.; abgerufen am 2. März 2021). Die Weltgesundheitsorganisation hatte bereits am 12. März 2020 einen weltweiten Pandemiefall ausgerufen. Diese Erkrankung war auch bereits im März im ganzen Bundesgebiet – einschließlich Thüringen – nach der Einschätzung des vom Gesetzgeber durch § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu vorrangig berufenen Robert Koch-Instituts verbreitet. Ausweislich den täglichen Lageberichten des Robert Koch-Instituts vom 12. März 2020, d.h. einen Tag nach dem Ausruf der Pandemie durch die WHO, gab es in der Bundesrepublik 2.369, in Thüringen 14 bestätigte Fälle. Nur eine Woche später am 17. März 2020 waren es bereits bundesweit 7.156 und in Thüringen 51 (vgl. täglicher Lagebericht des RKI vom 12. und vom 17. März 2020). Mit der Feststellung des Vorliegens einer übertragbaren Krankheit waren die zuständigen Stellen zum Handeln verpflichtet (ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/21 – juris Rn. 427).
Dabei waren die zuständigen Behörden im Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 10. Februar 2020 nicht darauf beschränkt, lediglich Maßnahmen gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider zu ergreifen. Vielmehr zeigt die Systematik der Regelung, dass bei Einschränkungen von Veranstaltungen, Versammlungen oder Gemeinschaftseinrichtungen notwendigerweise auch Personen erfasst werden, die selbst nicht krank, kranheits- oder ansteckungsverdächtig sind (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG in der Fassung vom 10. Februar 2020). Es entspricht insbesondere Sinn und Zweck der Norm, die weitere Ausbreitung einer übertragbaren Krankheit auf bisher nicht infizierte Personen zu verhindern. Folglich kann grundsätzlich jede Person Adressat einer Beschränkung sein, insbesondere, wenn sie noch nicht infiziert ist (ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – 18/20 – juris Rn. 389, 419; BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16/11 -, BVerwGE 142, 205 [213] = juris Rn. 26). Das lässt sich bereits den Gesetzgebungsmaterialien zur Vorgängerregelung in § 34 BSeuchG entnehmen (vgl. Begründung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.
Die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, läßt sich von vorneherein nicht übersehen. Man muß eine generelle Ermächtigung in das Gesetz aufnehmen, will man für alle Fälle gewappnet sein. Die Maßnahmen können vor allem nicht nur gegen die in Satz 1 (neu) Genannten, also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige usw. in Betracht kommen, sondern auch gegenüber „Nichtstörern”
sowie der Gesetzesbegründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften, BR-Drs. 566/99, S. 169 f.).
Da in Thüringen und auch im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt bereits Covid-19-Erkranungen diagnostiziert worden waren, beschränkten sich die Handlungsmöglichkeiten der Behörden nicht mehr nur auf die Vorschriften zur Verhütung übertragbarer Krankheiten nach §§ 16 ff. IfSG. Mit der Feststellung infizierter oder potentiell infizierter Personen im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG (Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider) waren Tatsachen vorhanden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können. Es stand nicht mehr nur die Verhütung übertragbarer Krankheiten im Raum sondern bereits die Verhinderung der Verbreitung entsprechender Krankheiten (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 – juris Rn. 413.; ThürOVG; Beschluss vom 8. April 2020 – 3 EN 245/20 – juris Rn. 33; VG Hamburg, Urteil vom 8. September 2020 – 19 K 1761/20 – juris Rn. 47 ff., 50; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9. April 2020 – 1 S 925/20 – juris Rn. 17 ff.; LG Erfurt, Urteil vom 29. Januar 2021 – 10 O 962/20 – n.v.; LG Hannover, Urteil vom 20. November 2020 – 8 O 4/20 – juris Rn. 42; Kießling (Hrsg.), Kommentar IfSG, 2020, § 16 Rn. 10).
Angesichts der Bandbreite möglicher Schutzmaßnahmen hat der Gesetzgeber § 28 Abs. 1 IfSG als Generalklausel ausgestaltet. Das eröffnete behördliche Ermessen wird aber dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige“ Schutzmaßnahmen handeln muss, nämlich Maßnahmen, „soweit“ sie zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit „erforderlich“ sind (ThürOVG, Beschluss vom 13. Juni 2020 – 3 EN 374/20 – juris Rn. 46).
Die vom Beklagten angeordnete Schließung u.a. der Fitness-Studios war verhältnismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin durfte der Beklagte von einer Gefahrenlage i.S.d. Infektionsschutzgesetzes ausgehen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass bei dem Auftreten neuartiger Erreger eine wissenschaftlich gesicherte und umfassend abgeklärte Tatsachenbasis gerade noch fehlt. Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten können die Entscheidungen nur auf der Grundlage von Prognosen getroffen werden, die allerdings möglichst tatsachenbasiert und nachvollziehbar sein müssen. Angesichts dessen bestand für den Beklagten auch in tatsächlicher Hinsicht ein Einschätzungsspielraum (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. Mai 2020 – 1 BvR 1021/20 – juris Rn. 10; ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 – juris Rn. 418). Unter Berücksichtigung dieser Umstände war im Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung am 17. März 2020 nicht erkennbar, dass eine weitere Ausbreitung des SARS-Cov-2-Virus bereits verhindert bzw. ausreichend verlangsamt worden ist und eine weitere Verlangsamung nicht zu erwarten gewesen war, wie die Klägerin behauptet. Zum einen erfolgte ausweislich der vom Robert Koch-Institut veröffentlichten Zahlen in den täglichen Situationsberichten (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html?nn=13490888) weiterhin eine Ausbreitung: Am 11. März 2020 wurden in Thüringen 10, am 17. März 2020 51 und am 25. März 2020 bereits 394 bestätigte Fälle festgestellt. Die Fallzahl je 100.000 Einwohner erhöhte sich von 2,4 am 17. März auf 33 am 29. März 2020. Diesen Zahlen lässt sich nicht entnehmen, dass die Ausbreitung des Virus bereits gestoppt worden war, sondern es erfolgte noch immer eine Ausbreitung. Gleichzeitig war unklar, in welchem Umfang Fälle unentdeckt und symptomlos vorhanden waren.
Zwar führte das Robert Koch-Institut ausweislich seines Epidemiologischen Bulletins 17/20 vom 23. April 2020 aus:
Die R-Schätzung ergibt für Anfang März Werte im Bereich von R = 3, die danach absinken, und sich etwa seit dem 22. März um R = 1 stabilisieren (s. Abb. 4). Am 9. April lag der Wert von R bei 0,9 (95 %-PI: 0,8 – 1,1). Unter Anderem die Einführung des bundesweit umfangreichen Kontaktverbots führte dazu, dass die Reproduktionszahl auf einem Niveau unter 1/nahe 1 gehalten werden konnte. Gelingt das dauerhafte Niedrighalten der Reproduktionszahl unter 1 nicht, so setzt sich der anfängliche exponentielle Anstieg wieder fort. Selbst ein R von 1,3 bedeutet bei einer Generationszeit von 4 Tagen eine Verdoppelung der Anzahl von Neuerkrankung innerhalb von etwa 11 Tagen. (S. 15)
Dabei räumte das RKI durchaus ein, dass die deutlich erhöhten Testkapazitäten zu einer größeren Sichtbarkeit der Infektionen führen. Allerdings wies es darauf hin, dass sich dieser Effekt mangels ausreichend differenzierter Testkapazitäten nicht hinreichend adjustieren lasse. Darüber hinaus haben sich diese Kenntnisse zum R-Wert nicht schon dem täglichen Lagebericht am 17. März 2020 entnehmen lassen. Auch fehlten während der Geltungsdauer der Allgemeinverfügung gerade belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse. Insbesondere dürfte allein das Verbot von Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern, das vom Krisenstab der Bundesministerien des Inneren und für Gesundheit bereits am 10. März 2020 empfohlen wurde (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/chronik-coronavirus.html), nicht das Sinken des R-Wertes ab etwa dem 12. März zur Folge gehabt haben. Das RKI führte dies vielmehr ausweislich der Angaben in dem Bulletin 17/20 vom 23. April 2020 auf die umfangreichen Kontaktverbote zurück, die u.a. auch mit der Schließung von Geschäften und Einrichtungen erreicht werden sollten. Dass das Sinken des R-Wertes auch ohne die einschränkenden Maßnahmen von Dauer gewesen wäre, ist bisher wissenschaftlich nicht nachvollziehbar analysiert worden. Jedenfalls dürfte die Ausrufung des Pandemiefalles am 12. März 2020 durch die WHO, das Tempo der Ausbreitung des Virus im Bundesgebiet zu einer zu diesem Zeitpunkt schon deutlichen Alarmierung der Bevölkerung geführt haben, die zumindest in nicht unerheblichem Umfang bereits gewisse freiwillige Einschränkungen im sozialen Leben zur Folge gehabt haben dürfte. Im Übrigen hat die spätere – dem Beklagten damals naturgemäß noch nicht bekannte – Entwicklung gezeigt, dass allein die Einschränkung von Großveranstaltungen sowie freiwillige Einschränkungen in der Bevölkerung ein exponentielles Wachstum nicht ausschließen. Trotz der erfolgten Lockerungen im Sommer 2020 und der anhaltenden Untersagung von Großveranstaltungen sowie insbesondere trotz des Bestehens weiterer zahlreicher Schutzvorkehrungen (z.B. Maskentragen in öffentlichen Verkehrsmitteln, teilweise in der Schule, Hygienekonzepte in den Läden, Gaststätten und Fitness-Studios etc.) konnte im Herbst und über den Winter ein exponentieller Wiederanstieg der Infektionszahlen nicht verhindert werden. Dies führte zu deutlichen Belastungen des Gesundheitssystems und zog Mitte Dezember 2020 ein erneutes Runterfahren des gesellschaftlichen Lebens nach sich. Gleichzeitig zeigt der Rückgang der Infektionen in der Folge des seit Dezember 2020 andauernden Lockdowns, dass das Herunterfahren des öffentlichen Lebens zu einer Senkung der Infektionszahlen führt.
Angesichts dessen war und ist die Bewertung des Beklagten am 17. März 2020 durchaus nachvollziehbar, mit Hilfe der angeordneten Eingriffe ein exponentielles Wachstum zu verhindern. Nachvollziehbare wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, die eine solche Entwicklung auch ohne umfassende Eingriffe sicherstellten, waren nicht vorhanden. Der pauschale Hinweis auf die Entwicklung in anderen Ländern (wie z.B. Schweden oder Weißrussland) führt hier nicht weiter. Zum einen ist nicht ersichtlich, auf welchen Umständen die im Vergleich zu Deutschland unterschiedliche Entwicklung beruht. Zum anderen dürften umfassende Kenntnisse über das Infektionsgeschehen in einem anderen Land im Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung am 17. März 2020 auch noch nicht vorgelegen haben.
Ein Vergleich mit Grippeepidemien sowie sonstigen Gefährdungslagen (wie z.B. Anzahl der Verkehrstoten, Herz-Kreislauf- bzw. Diabeteserkrankungen) ist ebenso wenig zielführend. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG fließende staatliche Schutzpflicht kann naturgemäß nicht die Abwehr sämtlicher Gesundheitsgefahren mit unter Umständen tiefgreifenden Eingriffen sicherstellen. Es verbleibt ein allgemeines Lebensrisiko. Dementsprechend kommt dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, wie er seiner Verpflichtung nachkommt (BVerfG, Beschluss v. 12. Mai 2020 -1 BvR 1027/20 – juris Rn. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gesundheitssystem sachlich und personell im Normalfall in der Lage ist, den Bedarf bezüglich der bekannten Gesundheits- und Lebensgefahren ggf. auch intensivmedizinisch abzudecken. Im Frühjahr 2020 bestand jedoch nicht nur eine theoretische Gefahr, dass bei einer sich exponentiell verbreitenden Infektion mit einem bisher unbekannten Erreger ohne das Ergreifen ausreichender Gegenmaßnahmen ein entsprechender Anstieg von Intensivpatienten zu einer Überlastung der bis dahin nicht auf einen solchen Fall vorbereiteten medizinischen Versorgung führt. Gleichzeitig fehlten mangels hinreichender Kenntnisse über das tatsächliche Risiko und die Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung die ansonsten vorhandenen Instrumente der Prävention, Linderung und Heilung (ThürVerfGH, Urteil vom 1. März 2021 – VerfGH 18/20 – juris Rn. 436). Dementsprechend hatte das RKI in dem täglichen Situationsbericht vom 17. März 2020 auf die hohe Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung hingewiesen und betont, dass sich diese Einschätzung kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern könne. Die Überlastung des Gesundheitssystems infolge einer massenhaften Infizierung mit dem SARS-CoV-2-Virus hätte ebenso fatale Auswirkungen auf die intensivmedizinische Behandlung von Personen gehabt, die infolge von Unfällen und anderen Erkrankungen behandlungsbedürftig werden. Auch wenn die tatsächlichen Infektionszahlen im Vergleich mit der späteren Entwicklung damals noch gering gewesen sind, durfte Berücksichtigung finden, dass sich die Schutzmaßnahmen angesichts der Inkubationszeit erst mit Verzögerung auswirken. Gleichzeitig erlaubten die nur über einen kurzen Zeitraum erfassten Daten auch unter Beachtung der noch mangelnden Testkapazitäten und Erfahrungen keine gesicherten Schlussfolgerungen. Dass eine massive Weiterverbreitung unter nicht nur punktueller Überschreitung der Kapazitäten des Gesundheitswesens nicht eingetreten ist, bleibt bei einer ex-ante-Betrachtung unberücksichtigt. Gleichwohl ist aber darauf hinzuweisen, dass dies nicht auf der mangelnden Gefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus beruhte. Vielmehr spricht alles dafür, dass der Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Gesundheitssystems auf die eingeleiteten Maßnahmen zur Kontaktreduzierung, zu der auch die die Klägerin betreffenden Maßnahmen gehörten, zurück zu führen war. Der Umstand, dass es trotz dieser Maßnahmen in der Folge bundesweit zu ca. 2,5 Mio Infektionen und ca. 72.000 Toten innerhalb eines Jahres gekommen ist, macht deutlich, dass der SARS-CoV-2-Virus nicht als harmlos eingestuft werden kann (ThürOVG, Beschluss vom 9. März 2021 – 3 EN 105/21 – S. 25). Ohne die mit den ergriffenen Schutzmaßnahmen verbundenen Kontaktreduzierungen wäre angesichts der leichten Übertragbarkeit eine potentielle Ausbreitung mit entsprechenden Auswirkungen auf die Erkrankungs- und Todeszahlen sowie mit entsprechenden Folgen für die Kapazitäten des Gesundheitswesens erfolgt.
Angesichts dessen ist auch nicht festzustellen, dass die Schließung der Fitnessstudios auch unter Berücksichtigung der Belange der Klägerin unverhältnismäßig gewesen ist. Der angestrebte Zweck der Regelung steht nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs in deren Grundrechte. Der Staat ist zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur berechtigt, sondern auch verfassungsrechtlich verpflichtet (BVerfG, Beschlüsse vom 13. Mai 2020 – 1 BvR 1021/20 – juris Rn. 8, vom 12. Mai 2020 -1 BvR 1027/20 – juris Rn. 6 und vom 1. Mai 2020 – 1 BvR 1003/20 – juris Rn. 7; konkret mit Blick auf Fitnessstudios auch BVerfG, Beschluss v. 28. April 2020 -1 BvR 899/20 -, juris Rn 13). Die Regelungen der Art. 14 und 12 GG unterliegen einem Gesetzesvorbehalt und genießen keinen unbedingten Vorrang gegenüber dem mit der Allgemeinverfügung angestrebten Schutz von Leib und Leben, sondern müssen insoweit zurückstehen. Insbesondere vor dem Hintergrund der ungewissen Erkenntnislage über den Virus, den fehlenden Erfahrungen und der noch nicht erfolgten Vorbereitung im Gesundheitswesen erweist sich ein möglichst frühzeitiges Eingreifen nicht als ermessensfehlerhaft.
Dabei ist dem Beklagten in der damaligen Situation nicht vorzuwerfen, trotz des thüringenweit erfolgten Auftretens von bestätigten SARS-CoV-2-Fällen nicht ein einheitliches Vorgehen auf Landesebene abgewartet zu haben, das schließlich 10 Tage später erfolgte. Angesichts der unklaren Lage und der erhöhten Gefahreneinstufung durch das RKI durfte der Beklagte auch schon am 17. März 2020 der grundsätzlich bestehenden Handlungspflicht nach § 28 I IfSG nachkommen und auf seinem Gebiet die weitere Ausbreitung durch die vorgenommenen Einschränkungen verhindern.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer bemisst das Interesse der Klägerin in Anlehnung an gewerberechtliche Untersagungsverfahren in Höhe von 15.000,00 EUR (vgl. Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. der am 31.05.2005/01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen, vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., Anh. § 164 Rdn. 14), der hier im Hinblick auf die vorübergehende Dauer der Maßnahme zu halbieren ist. Gem. Nr. 1.3 des Streitwertkatalogs sind Feststellungsklagen in der Regel ebenso zu bewerten wie eine auf das vergleichbare Ziel gerichtete Anfechtungsklage.


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