Medizinrecht

Sicherheitsrechtliche Anordnung zur Hundehaltung (Schäferhund), Leinenzwang innerhalb bebauter Ortsteile nach Beißvorfall, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage (bejaht)

Aktenzeichen  M 22 K 20.554

Datum:
3.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18667
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es für erledigt erklärt wurde. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit der Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung (hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nummer 2 und der Zwangsgeldandrohung in Nummer 4 Satz 2 bis 4 des angefochtenen Bescheids) übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
Im Übrigen bleibt die Klage ohne Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten erweist sich insoweit als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Es bestehen keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Insbesondere hat die Beklagte vorliegend als zuständige Sicherheitsbehörde gehandelt (Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG) und die Klägerin mit Schreiben vom … ordnungsgemäß angehört.
2. Auch in materieller Hinsicht erweist sich die Anordnung in Nummer 1 des Bescheids der Beklagten als rechtmäßig. Gegen den für den Schäferhund der Klägerin angeordneten Leinenzwang innerhalb bebauter Ortsteile bestehen keine rechtlichen Bedenken.
2.1. Die Rechtsgrundlage für sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Hundehaltung ergibt sich aus Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG. Nach dieser Vorschrift können Gemeinden zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder der öffentlichen Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt, d.h. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden kann, dass es in absehbarer Zeit zu einem Schaden – einer Verletzung der geschützten Rechtsgüter – kommt. Hierbei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der zu erwartende Schaden ist (stRspr, vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2011 – 10 B 10.2806 – juris Rn. 18 m.w.N.; U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 19). Eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn es in der Vergangenheit bereits zu einem Beißvorfall gekommen ist (BayVGH, B.v. 28.9.2012 – 10 CS 12.1791 – juris Rn. 24; B.v. 25.8.2014 – 10 ZB 12.2673 – juris Rn. 8). Für die Bejahung einer konkreten Gefahr kommt es nach ständiger Rechtsprechung auch nicht darauf an, ob von dem Hund eine gesteigerte Aggressivität gegen Menschen oder andere Hunde ausgeht oder ob es sich um ein hundetypisches Verhalten handelt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 20.1.2011 – 10 B 09.2966 – juris 21 m.w.N.).
Bei der Aufklärung des Sachverhalts darf die Sicherheitsbehörde grundsätzlich von der Richtigkeit von Zeugenaussagen ausgehen, insbesondere dann, wenn die Aussage den Vorfall detailliert und nachvollziehbar schildert und wenn mehrere Aussagen verschiedener Zeugen übereinstimmen. Sie darf auch polizeiliche Erkenntnisse heranziehen, ist allerdings an die im Ermittlungsverfahren getroffene Beurteilung nicht gebunden (Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand 1.5.2018, Art. 18 Rn. 35, 39). Insbesondere schließt die Beendigung eines Strafverfahrens durch staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung Maßnahmen zur präventiven Gefahrenabwehr nicht aus (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2013 – 10 C 13.62 – juris Rn. 4; B.v. 24.2.2015 – 10 C 14.1180 – juris Rn. 19), jedenfalls dann nicht, wenn ein Restverdacht fortbesteht (VGH Hessen, U.v. 23.4.2002 – 10 UE 4135/98 – juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 16.11.2018 – 10 C 18.2094 – juris Rn. 11).
2.2. Nach diesen Maßstäben ist zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vom Vorliegen einer vom Hund der Klägerin ausgehenden konkreten Gefahr für die Gesundheit von Menschen auszugehen.
a) Die gerichtlich voll überprüfbare Gefahrenprognose der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Es entspricht auch der gerichtlichen Überzeugung, dass sich am … ein Beißvorfall unter Beteiligung des Schäferhundes der Klägerin in der vom Geschädigten geschilderten Weise zugetragen hat.
Der Vorfall steht aufgrund der Einlassungen des Geschädigten (vor der Beklagten und in der mündlichen Verhandlung) und des auf den … datierten ärztlichen Attests zur Überzeugung des Gerichts fest. Zweifel an der Vorfallschilderung des Geschädigten ergeben sich für das Gericht nicht. Er sprach am … und damit am Tag unmittelbar nach dem Beißvorfall bei der Beklagten vor. Seine Angaben waren detailreich und trafen auf die Klägerin und ihre Art, ihren schwarzen Schäferhund zu führen (auf Freiflächen an einer langen, um den Bauch umgewickelten Leine) zu. Unmittelbar nach der Vorsprache bei der Beklagten – und damit direkt am Tag nach dem Beißvorfall – war der Geschädigte bei einem Arzt wegen eines Bisses durch einen Schäferhund vorstellig. Schließlich ist die Angabe des Geschädigten, die Hundeführerin sei die Inhaberin eines Fitnessstudios zutreffend. Die Internetrecherche ergab, dass die Klägerin tatsächlich ein Sportzentrum („…“, …*) betreibt.
Das Gericht konnte sich im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme selbst von der Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten überzeugen. Der Geschädigte schilderte in der mündlichen Verhandlung vom … das Geschehen sicher, schlüssig und beantwortete die ihm gestellten Fragen, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln und ohne persönlichen Belastungseifer an den Tag zu legen. Dass er am Anfang seiner Einlassung von falschen Datum des Beißvorfalls (vom … … statt vom … …*) ausging, ist auf die inkorrekte Angabe in der Ladung (Beweisthema für die Zeugenvernehmung: „Beißvorfall vom …“) zurückzuführen. Der …-jährige Geschädigte wusste ganz genau, dass er am Tag nach dem Vorfall bei der Beklagten vorgesprochen und einen Arzt aufgesucht hat. Dies entspricht auch den sich aus der Behördenakte (und dem ärztlichen Attest) ergebenden Umständen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass der Geschädigte die Hundehalterin verwechselt oder interessensgeleitet zu Lasten der Klägerin ausgesagt hatte.
Zwar bestreitet die Klägerin den Beißvorfall. Den Aussagen des Geschädigten konnte die Klägerin jedoch substanziiert nichts entgegensetzen. Auch auf Nachfrage konnte sie nicht sagen, wo sie sich zum Zeitpunkt des Vorfalls aufgehalten habe. Ihre Ausführungen im Klageverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung sind danach als Schutzbehauptungen zu werten. Sie erklärte erst in der mündlichen Verhandlung, dass sie mit ihrem Hund nie im … spazieren würde. Ebenfalls gesteigert und für das Gericht nicht nachvollziehbar ist die Aussage der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, ihr Hund sei nicht …, sondern erst … gewölft. Dies steht im Widerspruch zu den bei der Anmeldung des Hundes getätigten Angaben und wurde durch nichts belegt. Schließlich konnte der Geschädigte die Klägerin sowohl bei der von der Beklagten veranlassten Gegenüberstellung als auch in der mündlichen Verhandlung eindeutig identifizieren. Vor diesem Hintergrund ist die Angabe der Klägerin gegenüber der Beklagten im Telefonat vom …, dass der Geschädigte Zweifel daran habe, dass es sich bei dem Hund, der ihn gebissen hat, tatsächlich um den Schäferhund der Klägerin gehandelt habe, nicht nachvollziehbar. Der Verweis der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf andere schwarze schäferhundartige Tiere in der Nachbarschaft ist vor diesem Hintergrund als irrelevant zu werten.
Nach dem Ergebnis der durch das Gericht durchgeführten Beweisaufnahme sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG gegeben.
b) Dies zugrunde gelegt lässt die Anordnung des Leinenzwangs innerhalb bebauter Ortsteile (Nummer 1 des Bescheids) keine Ermessensfehler erkennen, welche im Rahmen des § 114 VwGO beachtlich wären. Bei Abwägung der gegenläufigen Interessen erweist sich die Anordnung auch als verhältnismäßig (Art. 8 LStVG).
Liegt eine konkrete Gefahr vor, sind also die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG erfüllt, steht der Erlass einer Einzelfallanordnung zur Hundehaltung grundsätzlich im Ermessen der Sicherheitsbehörde. Die zu treffende Entscheidung erfasst dabei sowohl die Frage, ob die Sicherheitsbehörde handelt (Entschließungsermessen), als auch die Frage, wie sie handelt (Auswahlermessen). Dabei hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG).
Die Beklagte hat ihr Erschließungsermessen erkannt und in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Bei Beißvorfällen oder sonstigen Zwischenfällen ist nach ständiger Rechtsprechung ein sicherheitsrechtliches Einschreiten nicht nur regelmäßig zulässig, sondern sogar geboten (vgl. BayVGH, B.v. 18.11.2011 – 10 ZB 11.1837 – juris Rn. 19; U.v. 25.11.2014 – 10 BV 13.1151 – juris Rn. 46; B.v. 25.8.2014 – 10 ZB 12.2673 – juris Rn. 8; Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand 1.5.2018, Art. 18, Rn. 61).
Auch ihr Auswahlermessen hat die Beklagte ordnungsgemäß ausgeübt. Nach dem Inhalt der vorgelegten Akte hat sie sich mit den relevanten Belangen auseinandergesetzt und diese in vertretbarer Weise gewichtet. Ihre Erwägungen sind weder im Hinblick auf die Geeignetheit und die Erforderlichkeit der Anordnung noch im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn rechtlich zu beanstanden. Vorliegend konnte der Schäferhund beißen, obwohl er an einer langen Leine war. Durch die Anordnung eines Leinenzwangs innerorts mit vorgesehener kurzer Leinenlänge wird sichergestellt, dass in Gebieten, in denen üblicherweise mit relevantem Publikumsverkehr zu rechnen ist, die von dem Schäferhund ausgehende Gefahr zuverlässig beseitigt wird. Durch die Anordnung der Beklagten wird die Klägerin insgesamt nur geringfügig belastet. Indem der Klägerin weiterhin gestattet ist, den Hund außerorts ohne Einschränkungen auszuführen, werden auch die Belange des Tierwohls angemessen berücksichtigt. Die Erstellung eines Gutachtens bei ihrem Schäferhund (als milderes Mittel) hat die Klägerin ausdrücklich abgelehnt. Dies stellt überdies kein (jedenfalls kein gleichermaßen effektives) Mittel der Gefahrenabwehr dar.
c) Die Klägerin ist als Halterin des Schäferhundes Zustandsstörerin im Sinne des Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG und entsprechend richtige Adressatin der sicherheitsrechtlichen Anordnung.
Halter ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über den Hund (Schwabenbauer in BeckOK, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 17. Aufl., Art. 18 Rn. 97). Es ist daher maßgeblich darauf abzustellen, wer die tatsächliche Verfügungs- und Bestimmungsmacht über das Tier ausübt. Eigentum und Eigenbesitz sind für die Bejahung der Haltereigenschaft nicht Voraussetzung (Schwabenbauer in BeckOK, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 17. Aufl., Art. 37 Rn. 61). Die Tatsache, dass eine andere Person (hier der Ehemann der Klägerin) die Hundesteuer bezahlt und daher steuerrechtlich als Halter des Hundes angesehen wird, macht diese nicht automatisch zum Halter im sicherheitsrechtlichen Sinne der Art. 18 bzw. Art. 9 LStVG (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2013 – 10 CS 13.1544 – juris Rn. 25), sondern ist nur ein Indiz dafür. Bei Eheleuten sind regelmäßig beide bestimmungs- und verfügungsberechtigt. So verhält es sich nach der Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch vorliegend, sodass die Klägerin jedenfalls auch als Halterin des Schäferhundes anzusehen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils auf § 161 Abs. 2 VwGO, da die Klägerin insoweit obsiegt hätte. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung – ZPO.


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