Medizinrecht

Sicherungsverwahrung, Beschwerde, Gesamtfreiheitsstrafe, Unterbringung, Vergewaltigung, Strafvollstreckungskammer, Vollstreckung, Staatsanwaltschaft, Krankenhaus, Anfechtung, Feststellung, Generalstaatsanwaltschaft, Zeitpunkt, Anordnung, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, Fortdauer der Unterbringung, Anordnung der Sicherungsverwahrung

Aktenzeichen  Ws 1128/21

Datum:
13.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3389
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 304 Abs. 1 Satz 1, § 305 Satz 1

 

Leitsatz

1. Die Beschwerde des Untergebrachten gegen eine Verfügung des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer, mit der der Zeitpunkt der nächsten Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 67e Abs. 2 StGB festgestellt wird, ist nicht gemäß § 305 Satz 1 StGB ausgeschlossen, wenn der Untergebrachte der Ansicht ist, dass die Überprüfung zu einem früheren Zeitpunkt stattzufinden hat.
2. Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung mehrfach angeordnet, behalten diese Anordnungen bei deren Vollstreckung ihre Selbstständigkeit bei. Wird die Vollstreckung der zuerst angeordneten Unterbringung unterbrochen und die zweite Unterbringung vollzogen, ist Grundlage für die Ermittlung der Prüffrist des § 67e Abs. 2 StGB die Dauer des Vollzugs der zweiten Unterbringung.

Tenor

Die Beschwerde des Untergebrachten gegen die Verfügung des Vorsitzenden der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 18.08.2021 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Memmingen vom 31.07.1984 (Az.: 1 KLs 11 Js 8781/83) wurde gegen den Beschwerdeführer wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Nachdem die Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 01.07.1997 zur Bewährung ausgesetzt worden war, beging der Beschwerdeführer am 21.08.1997 eine neue, einschlägige Straftat, weshalb die Aussetzung der Unterbringung mit Beschluss vom 02.05.1998 widerrufen wurde.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Landshut (Az.: 1 KLs 31 Js 22165/97) vom 09.07.1998 wurde der Beschwerdeführer unter anderem wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Zudem wurde die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Die mit Urteil des Landgerichts Memmingen angeordnete Unterbringung wurde zuletzt im Zeitraum vom 07.06.2011 bis zum 10.08.2021 vollstreckt. Die Strafvollstreckungskammer hat zuletzt mit Beschluss vom 30.04.2021 die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Zehn Jahre dieser Unterbringung waren am 18.08.2016 vollzogen.
Die Staatsanwaltschaft M. hat mit Verfügung vom 11.08.2021 die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus dem Urteil des Landgerichts Memmingen zum Zweck der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus dem Urteil des Landgerichts Landshut gemäß § 54 Abs. 2 Satz 6 StVollstrO unterbrochen. Seit dem 11.08.2021 befindet sich der Beschwerdeführer in der zuletzt genannten Unterbringung, nachdem die daneben verhängte Gesamtfreiheitsstrafe bereits früher vollständig vollstreckt worden war.
Mit Verfügung vom 18.08.2021 hat der Vorsitzende der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing unter Ziffer 1. c) festgestellt, dass der nächste Prüfungstermin auf den 29.04.2022 datiert ist und weiter ausgeführt: Die Kammer hat dabei zugunsten des Verurteilten auf den letzten Fortdauerbeschluss und nicht auf den Vollzugsbeginn der selbständig zu vollstreckenden Maßregel am 11.08.2021 abgestellt.
Der Untergebrachte hat dagegen mit Schreiben vom 23.08.2021 und 31.08.2021 Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, dass der nächste Prüftermin am 29.01.2022 sei, also nach Ablauf von neun Monaten seit der letzten Fortdauerentscheidung. Dies ergebe sich aus § 67e Abs. 2 StGB, da die Sicherungsverwahrung bereits seit mehr als zehn Jahre vollzogen werde. Die Umstellung der Vollstreckungsreihenfolge sei zu Unrecht erfolgt, weshalb er auch gegen die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge vorgegangen sei.
Mit Beschluss vom 30.12.2021 hat das Bayerische Oberste Landesgericht – 3. Strafsenat – (Az.: 203 VAs 499/21) den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft München vom 17.09.2021 als unbegründet verworfen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass es sich bei der Umstellung der Vollstreckungsreihenfolge durch die Staatsanwaltschaft M. um eine Ermessensentscheidung handele, die im Ergebnis nicht zu beanstanden sei. Folge dieser Umstellung sei, dass die neue, einjährige Prüffrist nach § 67e Abs. 2 StGB nach einem Jahr, somit zum 29.04.2022 ende.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt,
die Beschwerde als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. In seiner Erwiderung vom 06.12.2021 und vom 21.12.2021 wiederholt er das bislang Vorgetragene.
II.
1. Die Beschwerde des Untergebrachten ist zulässig, § 304 Abs. 1 Satz 1 StPO. Insbesondere spricht § 305 Satz 1 StPO vorliegend nicht gegen die Statthaftigkeit der Beschwerde.
a) Es liegt eine Verfügung eines Vorsitzenden im „Vorverfahren“ vor, gegen die grundsätzlich (§ 304 Abs. 1 Satz 1 StPO) die Beschwerde statthaft ist, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.
b) Eine solche Ausschlussregelung enthält § 305 Satz 1 StPO. Danach sind Verfügungen des Vorsitzenden, die einer Entscheidung, hier: der Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung nach § 67d StGB, vorangehen, grundsätzlich mit der Beschwerde nicht anfechtbar. Wie jedoch die Regelung in § 305 Satz 2 StPO zeigt, ist die Beschwerde bei bestimmten Maßnahmen mit eigener prozessualer Beschwer oder bei besonderer materieller Beeinträchtigung als statthaft anzusehen (durch restriktive Auslegung des § 305 Satz 1 StPO, vgl. Matt in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 305 Rn. 8 ff. und 30), da es nicht sachgerecht erscheint, den Beschwerdeführer allein auf die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln gegen die der Verfügung folgenden Endentscheidung zu verweisen.
Um einen solchen Ausnahmefall handelt es sich hier. Würde man dem Untergebrachten die Möglichkeit der Beschwerde gegen die Feststellung des nächsten Prüftermins nach § 67e Abs. 2 StGB nehmen, könnte er – falls die Fortdauer der Unterbringung angeordnet wird – nur dagegen vorgehen. Wäre die Auffassung des Untergebrachten zutreffend, dass die Fortdauer der Unterbringung nach § 67e Abs. 2 StGB bis zum 29.01.2022 zu überprüfen ist, würde eine Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung am 29.04.2022 erst nach Ablauf der gesetzlichen Überprüfungsfrist ergehen. Um ihm jedoch die Möglichkeit zu geben, die Feststellung des nächsten Prüftermins überprüfen zu lassen, ist die Beschwerde statthaft.
c) Die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 306 StPO) liegen vor, insbesondere bedarf es nicht der Zurückverweisung zur Nachholung des Nichtabhilfeverfahrens nach § 306 Abs. 2 StPO (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., zu § 306 Rn.10).
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat zu Recht festgestellt, dass die nächste Prüfung vor Ablauf eines Jahres spätestens am 29.04.2022 vorzunehmen ist.
a) Wie sich aus § 67e Abs. 1 StGB ergibt, ist die Einhaltung der Fristen Sache der Strafvollstreckungskammer.
b) Die Fortdauer der mit Urteil des Landgerichts Landshut vom 09.07.1998 angeordneten und seit 11.08.2021 vollzogenen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist jeweils vor Ablauf eines Jahres zu prüfen.
aa) Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung mehrfach angeordnet, behalten diese Anordnungen bei deren Vollstreckung ihre Selbstständigkeit bei. Wird die Vollstreckung der zuerst angeordneten Unterbringung unterbrochen und die zweite Unterbringung vollzogen, ist Grundlage für die Ermittlung der Prüffrist des § 67e Abs. 2 StGB die Dauer des Vollzugs der zweiten Unterbringung.
Für den vergleichbaren Fall der mehrfachen Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat das Oberlandesgericht Karlsruhe im Beschluss vom 03.04.2018, Az.: 2 Ws 329/17, ausgeführt:
Die Formulierung in § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB, dass die dort aufgestellten erhöhten Anforderungen greifen, wenn „die Unterbringung“ sechs Jahre andauert, ist nicht dahin zu verstehen, dass dabei auf eine von der Unterbringungsanordnung unabhängige Unterbringungsdauer abzustellen ist. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 08.07.2016 (BGBl. I S. 1610) den Zweck verfolgt, eine zeitliche Limitierung der Unterbringung bei weniger schwerwiegenden Gefahren zu erreichen und unverhältnismäßig lange Unterbringungen durch den Ausbau prozessualer Sicherungen besser zu vermeiden (BT-Drs. 18/7244 S. 13). Gleichzeitig hat der Gesetzgeber aber davon abgesehen, eine Änderung der für die Vollstreckung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geltenden Vorschriften vorzunehmen. So sieht § 54 Abs. 2 Satz 1 StVollstrO unverändert vor, dass bei durch mehrere Entscheidungen angeordneten freiheitsentziehenden Maßregeln eine Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge zu treffen ist.
Dem schließt sich der Senat für den Fall der mehrfachen Anordnung der Sicherungsverwahrung an (vgl. für den Fall der mehrfachen Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, Beschluss vom 15.06.2021, Az.: Ws 478-479/21 – unveröffentlicht). Darin kommt der das Vollstreckungsrecht allgemein herrschende Gedanke zum Ausdruck, dass gesondert angeordnete Sanktionen bei der Vollstreckung ihre Selbständigkeit behalten (vgl. dazu EGMR NJW 2012, 1707; OLG Frankfurt NStZ-RR 2013, 359; OLG Koblenz, Beschluss vom 27.07.2012 – 2 Ws 386/12, 2 Ws 387/12, juris; LG Marburg NStZ-RR 2009, 292). Bei einer auf die Gesamtdauer der Unterbringung abstellenden Betrachtung verlöre die spätere Unterbringungsanordnung vollstreckungsrechtlich jede Bedeutung, was insbesondere in dem – immerhin denkbaren – Fall verfehlt erscheint, in dem die Unterbringungen aufgrund unterschiedlicher psychischer Störungsbilder bzw. Hänge im Sinne des § 66 StGB angeordnet wurden. Dasselbe gilt für den Fall, dass die zweite Unterbringung erst kurz vor Ablauf der zehnjährigen Vollstreckung der Ersten angeordnet wird. Bei der Berechnung der Frist des § 67e Abs. 2 StGB ist deshalb auf die Dauer des Vollzugs der jeweiligen Unterbringungsanordnung abzustellen.
cc) Vorliegend wurde aufgrund der Verfügung der Staatsanwaltschaft M. vom 11.08.2021 die Vollstreckung der zuerst angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unterbrochen und seitdem wird die weitere mit Urteil des Landgerichts Landshut vom 09.07.1998 angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollstreckt, so dass die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung jeweils vor Ablauf eines Jahres zu prüfen ist. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft M. ist aufgrund der Verwerfung des dagegen gerichteten Antrags des Untergebrachten auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 1 EGGVG bestandskräftig, so dass die dagegen vorgebrachten Einwendungen des Untergebrachten im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigungsfähig sind.
Derzeit nicht entschieden zu werden braucht, ob die über zehn Jahre hinausgehende Dauer der Vollstreckung der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bei der Ermittlung der Überprüfungsfrist zu berücksichtigen ist, da auch in diesem Fall aufgrund des bislang 15-jährigen Vollzugs der ersten Unterbringung noch kein zehnjähriger Vollzug der zweiten Unterbringung vorliegt.
c) Durch die Feststellung des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer, zu seinen Gunsten vom Beginn der Einjahresfrist des § 67e Abs. 2 StGB mit der letzten Fortdauerentscheidung im Rahmen der Vollstreckung der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und nicht dem (späteren) Beginn der Vollstreckung der zweiten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, wie in § 67e Abs. 4 Satz 1 StGB geregelt, auszugehen, wird der Untergebrachte nicht beschwert.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.


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