Medizinrecht

Unbegründete Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – Einzelfall –

Aktenzeichen  Au 6 K 19.30297

Datum:
11.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21995
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Eine erwachsene gehörlose, im Übrigen gesunde und erwerbsfähige Frau im Fall ihrer Abschiebung nach Armenien keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind unbegründet. Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 25. Februar 2019 ist daher rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 16) entspricht.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31/18 – juris Rn. 16).
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Aus dem schriftlichen und mündlichen Vorbringen der Kläger ist keine Verfolgung ersichtlich. Sie hatten offensichtlich keine Probleme mit dem armenischen Staat und auch problemlos armenische Personaldokumente ausgestellt erhalten. Gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse spricht auch die unbehelligte Ausreise mit eigenem, angeblich verlorenem Reisepass. Da in Armenien strenge Ein- und Ausreisekontrollen stattfinden und Reisedokumente auch unter Zuhilfenahme von UV-, Infrarot- und sonstigen Kontrollverfahren Seite für Seite kontrolliert werden, wird armenischen Staatsangehörigen bei Vorlage ge- oder verfälschter Visa oder Aufenthaltserlaubnisse die Ausreise untersagt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 23; dort auch zu typischen Ausreisewegen; zur Ausstellung von Reisepässen usw. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Armenien: Organisierte Kriminalität und Schutzfähigkeit des Staates vom 28.1.2019, S. 8 f.). Im Allgemeinen ist daher eine unbehelligte Ausreise ein Indiz gegen das Vorliegen eines Haftbefehls oder einer Ausreisesperre sowie eines (landesweiten) staatlichen Verfolgungsinteresses.
Dass die Klägerin zu 1 von Freundinnen ausgelacht und betrogen sein will, ändert an dieser Bewertung nichts, da diese keine territorial relevanten Verfolger sind, sondern private Dritte. Im Übrigen hat sich die politische Lage in Armenien durch die seit der Ausreise der Kläger erfolgte sog. „Samtene Revolution“ im April/Mai 2018 wesentlich geändert (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 6, 7).
2. Die Kläger haben aus diesen Gründen auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Sie haben keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Armenien ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Alle drei Gefahrensituationen müssen auf das zielgerichtete Handeln einer Person oder Gruppe im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG zurückgehen; Defizite der allgemeinen Lebensumstände und Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems ohne zielgerichtete Anwendung auf den Ausländer (anders z.B. bei bewusster Vorenthaltung von verfügbarer Versorgung) genügen hierfür nicht (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 12 f.).
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Den Klägern steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist. Die Gefahren müssen ein Mindestmaß an Schwere unter Berücksichtigung der Gesamtumstände aufweisen. Eine bloße Verschlechterung der Lebensumstände oder Verringerung der Lebenserwartung im Zielstaat gegenüber den Verhältnissen im Aufenthaltsstaat genügt nicht; es muss sich vielmehr um einen so außergewöhnlichen Fall handeln, dass humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 10 f.).
Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
Da hier zwar eine Gehörlosigkeit als dauerhafte Behinderung der Klägerin zu 1 im Raum steht (vgl. unten), diese aber nicht behandelbar und auch nicht heilbar ist und auch keine lebensbedrohlichen Folgen im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG nach sich zieht, sondern der allgemeinen Existenzsicherung entgegenstehen soll, beansprucht § 60 Abs. 7 AufenthG keinen Vorrang. An den Nachweis einer solchen Erkrankung oder Behinderung sind wegen des verallgemeinerbaren normativen Anliegens und zwecks Gleichlaufs der beiden Abschiebungsverbote dieselben Anforderungen wie in § 60 Abs. 7 i.V.m. § 60 Abs. 2c AufenthG zu stellen (vgl. NdsOVG, B.v. 13.3.2020 – 9 LA 46/20 – Inf AuslR 2020, 307 f. m.w.N.).
aa) Die erwachsene und grundsätzlich erwerbsfähige Klägerin zu 1 und die Kläger zu 2 und zu 3 würden im Fall einer Abschiebung nach Armenien keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären, wie die Beklagte ausgeführt hat.
Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer nach Armenien jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert.
In Armenien ist ein breites Warenangebot in- und ausländischer Herkunft vorhanden. Auch umfangreiche ausländische Hilfsprogramme tragen zur Verbesserung der Lebenssituation von benachteiligten Gruppen bei. Die Gas- und Stromversorgung ist grundsätzlich gewährleistet. Leitungswasser steht dagegen in manchen Gegenden, auch in einigen Vierteln der Hauptstadt, insbesondere während der Sommermonate, nicht immer 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Die Wasserversorgung wird jedoch laufend verbessert. Die durchschnittliche Wasserversorgung in der Hauptstadt dürfte bei etwa 95% liegen, dies entspricht 23 Stunden täglich (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 18).
Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Nach Schätzungen der Weltbank für 2019 leben 22,2% der Armenier unterhalb der Armutsgrenze (2016: 29,4%). Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in Armenien ca. 60.000 armenische Dram (AMD) (beim Kurs von 550 Dram/Euro im Februar 2019 ca. 110 Euro) im Monat, der offizielle Mindestlohn 55.000 AMD (= ca. 100 Euro). Das durchschnittliche Familieneinkommen ist dagegen mangels zuverlässiger Daten nur schwer einzuschätzen. Der Großteil der Armenier geht mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitstätigkeiten nach (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 18 f.).
Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland unterstützt: 2017 wurde laut armenischer Zentralbank ein Betrag von etwa 1,494 Mrd. USD nach Armenien überwiesen. Davon flossen knapp 900 Mio. USD aus der Russischen Föderation nach Armenien. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Russland, insbesondere der starken Abwertung des russischen Rubels, gehen die Überweisungen seit 2014 kontinuierlich zurück. Auch wenn aufgrund der wirtschaftlichen Lage weiterhin ein erheblicher Migrationsanreiz besteht, geht der Überhang an Ausreisenden zurück, u.a. aus der Hoffnung auf eine entscheidende Besserung der Lebensbedingungen nach der sog. „Samtenen Revolution“. Unter den Auswanderern befinden sich viele Hochqualifizierte, wie etwa Ärzte oder IT-Spezialisten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 19). Für die Rückkehr stehen Reintegrationsprojekte im Herkunftsland Armenien zur Verfügung. 2018 sind mit Unterstützung der IOM (International Organization of Migration) etwa 650 ausgereiste Asylbewerber freiwillig nach Armenien zurückgekehrt (2017: 580). Seit Ende 2019 gibt es ein französisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt zwischen OFII und BAMF, das die Reintegration in Deutschland abgelehnter Asylbewerber unterstützt und ihnen eine wirtschaftliche Perspektive durch Kredite für Kleinstunternehmer bieten soll. Rückkehrer können sich auch an den armenischen Migrationsdienst wenden, der ihnen mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite steht. (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 18 f., 20).
Wie die Beklagte ausgeführt hat, werden für sich allein nicht existenzsichernde (Renten-)Einkommen regelmäßig durch familiäre Hilfen oder Hilfen karitativer Organisationen aufgestockt, an welche sich auch die Kläger wenden können, sollte die Klägerin zu 1 angesichts der klägerseitig geltend gemachten Arbeitslosigkeit behinderter Menschen in Armenien keine (einfache) Arbeit finden. Gleichwohl trifft diese Situation die Kläger nicht speziell, sondern sie teilen diese Situation mit allen anderen Familien mit behinderten Familienmitgliedern in Armenien. Dass sie bis zur Ausreise noch in einer eigenen Wohnung gelebt haben, die sie verkauft und damit den für armenische Verhältnisse enormen Betrag von 10.000 USD – ein Vielfaches ihres monatlichen Rentenbezugs – für ihre Reise nach Deutschland aufgebracht haben, zeigt, dass sich die Kläger möglicherweise in finanziell beengten, aber keineswegs existenzgefährdenden Verhältnissen befunden haben. Ebenso hat die Klägerin zu 1 in Armenien nach eigenen Angaben medizinische Behandlung erhalten, die auch psychiatrische Behandlung umfasste (vgl. Protokoll vom 11.5.2021 S. 5); dass diese ihr nicht geholfen habe, ändert daran nichts, denn auch in Deutschland fand sich trotz wiederholter Behandlung keine organische Ursache für ihre Flankenschmerzen. Da ihre Kinder nun beide schulpflichtig sind, ist der Klägerin und ihrem Ehemann und Kindesvater grundsätzlich auch zumutbar, zumindest in Teilzeit eine Beschäftigung zu suchen und aufzunehmen.
Von einem so außergewöhnlichen Fall, dass humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 10 f.), kann daher keine Rede sein. Die Situation der Kläger unterscheidet sich nicht grundlegend von jener anderer behinderter Rentenempfänger dort.
bb) Die Kläger würden im Fall einer Abschiebung nach Armenien auch nicht wegen einer Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen, sondern grundsätzlich nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Rückkehrer aus Deutschland nutzen häufig die erworbenen Deutschkenntnisse bzw. ihre in Deutschland geknüpften Kontakte. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 21, 22 mit näheren Angaben zu Beratungszentren usw.). Staatliche Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige bestehen nicht. Es gibt jedoch zahlreiche Waisenhäuser, die durch Spenden aus dem Ausland z. T. einen guten Unterbringungs- und Betreuungsstandard gewährleisten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 21). Auch für demente oder pflegebedürftige Senioren gibt es spezialisierte Einrichtungen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.10.2018 an das VG Augsburg).
In Armenien finden die o.g. strengen Ausreisekontrollen für alle Personen statt, ebenso Einreisekontrollen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 21, 23).
b) Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall der Kläger zu 2 und zu 3 nicht vor, wie die Beklagte zutreffend erkannt hat. Dass für den Kläger zu 2 nun eine ambulante Behandlung zur Diagnostik und Therapie-Anbahnung begonnen habe (vgl., Josefinum, Bestätigung vom 5. Mai 2021), ersetzt nicht die Diagnose einer – hier nicht vorliegenden – Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG.
c) Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall der Klägerin zu 1 nicht vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Abschiebezielstaat verschlimmern, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris Rn. 15). Die Gesundheitsgefahr muss erheblich sein; die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, erwarten lassen. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) mit Wirkung vom 17. März 2016 geänderten Fassung nachgezeichnet (vgl. NdsOVG, B.v. 19.8.2016 – 8 ME 87.16 – juris Rn. 4). Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
Erforderlich für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, a.a.O.).
Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U. v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – juris Rn. 9).
aa) Diese Anforderungen sind auch mit Art. 3 EMRK vereinbar: Krankheitsbedingte Gefahren können ausnahmsweise die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllen. Solche Ausnahmefälle können vorliegen, wenn eine schwerkranke Person durch die Aufenthaltsbeendigung auch ohne eine unmittelbare Gefahr für ihr Leben schon wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Aufnahmeland oder weil sie dazu keinen Zugang hat, tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wird, dass sich ihr Gesundheitszustand schwerwiegend, schnell und irreversibel verschlechtert mit der Folge intensiven Leids oder einer erheblichen Herabsetzung der Lebenserwartung (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 183). Solche Gesundheitsgefahren muss der Ausländer allerdings mit ernst zu nehmenden Gründen geltend machen und daraufhin der Konventionsstaat sie in einem angemessenen Verfahren sorgfältig prüfen, wobei die Behörden und Gerichte des Konventionsstaats die vorhersehbaren Folgen für den Betroffenen im Zielstaat, die dortige allgemeine Situation und seine besondere Lage berücksichtigen müssen, ggf. unter Heranziehung allgemeiner Quellen wie von Berichten der Weltgesundheitsorganisation oder angesehener Nichtregierungsorganisationen sowie ärztlicher Bescheinigungen über den Ausländer (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 186 f. m.w.N.). Dies mündet in eine Vergleichsbetrachtung der Folgen einer Abschiebung für den Betroffenen durch einen Vergleich seines Gesundheitszustands vor der Abschiebung mit dem, den er nach Abschiebung in das Bestimmungsland haben würde. Maßgeblich ist eine nur ausreichende Behandlung, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu verhindern, nicht, ob die medizinische Versorgung im Zielstaat der medizinischen Versorgung im Konventionsstaat mindestens gleichwertig ist, denn Art. 3 EMRK garantiert kein Recht, im Zielstaat eine besondere Behandlung zu erhalten, welche der Bevölkerung nicht zur Verfügung steht (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 188 f. m.w.N.). Die erforderliche Prüfung umfasst auch, inwieweit der Ausländer tatsächlich Zugang zu der Behandlung und den Gesundheitseinrichtungen im Zielstaat hat, wobei die Kosten für Medikamente und Behandlung berücksichtigt werden müssen, ob ein soziales und familiäres Netz besteht und wie weit der Weg zur erforderlichen Behandlung ist (ebenda Rn. 190 m.w.N.). Wenn nach dieser Prüfung ernsthafte Zweifel bleiben, ist Voraussetzung für die Abschiebung, dass der abschiebende Staat individuelle ausreichende Zusicherungen des Aufnahmestaats hat, dass eine angemessene Behandlung verfügbar und für den Betroffenen zugänglich sein wird, so dass er nicht in eine Art. 3 EMRK widersprechende Lage gerät (ebenda Rn. 191).
bb) Bei der Klägerin zu 1 ist nach derzeitigem Verfahrensstand unter Berücksichtigung der vorgelegten (fach-)ärztlichen Atteste nicht von einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bei Abbruch der laufenden Behandlung auszugehen.
Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese durch aussagekräftige, nachvollziehbare Atteste, die klare Diagnosen stellen und Aufschluss über die konkrete Therapie und mögliche Folgen einer unzureichenden Behandlung geben, glaubhaft machen (BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 9 ZB 17.31302 – juris Rn. 4; nunmehr § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 2c und Abs. 2d AufenthG). Aus dem vorgelegten Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen ärztlichen Befunde bestätigt werden. Zudem sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben.
Nach den vorgelegten ärztlichen Attesten und Gutachten ist bei der Klägerin außer der ohnehin nicht behandelbaren Sprach- und Gehörlosigkeit keine organische Erkrankung von relevantem Gewicht erkennbar. Vielmehr bestätigen sich linksseitige Abdominalbeschwerden mit immer gleichen oder ähnlichen Beschwerden ohne eine urologische Ursache (vgl. nur Dr., Leopoldina Krankenhaus Schweinfurt, Arztbrief vom 13.12.2017, BAMF-Akte Bl. 108). Eine insoweit behandlungsbedürftige organische Erkrankung ist nicht ersichtlich.
Rein medikamentös wird derzeit eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F 33.2), in der Ausprägung als Somatisierungsstörung (F 45.0) behandelt. Die Ursache der anhaltenden Schmerzen der linken Flanke ohne organische Ursache liegt offenbar in ihrer unklaren Zukunftsperspektive und Wohnsituation als Asylbewerberin, sie sei häufig traurig und weine oft (Dr., Bezirkskliniken Mittelfranken, vorläufiger Entlassungsbericht vom 17.1.2020, VG-Akte PKH-Akte). Die Klägerin habe häufig über die psychosozialen Belastungsfaktoren berichtet und diese in Zusammenhang mit ihrer psychischen Befindlichkeit gebracht. Ihre Medikation bestand aus Quetiapin 0-0-0-50, Duloxetin 60-0-0-0, Bisoprolol 2,5-0-0-0, Macrogol 1-0-0-0. Dazu wurde eine Empfehlung für eine weitere Anbindung an die Institutsambulanz und für jährliche kardiologische und Labor-Kontrollen gegeben.
Eine sich bei einer Rückführung nach Armenien wesentlich, gar lebensbedrohlich verschlimmernde Erkrankung liegt hierin nicht: Erstens besteht keine interventionsbedürftige organische Ursache (Dr., Bezirkskliniken Mittelfranken, vorläufiger Entlassungsbericht vom 17.1.2020, VG-Akte PKH-Akte), die ohne Behandlung zu einer erheblichen Verschlechterung führte. Zweitens bestand die Erkrankung bereits in Armenien und wurde dort (vgl. Protokoll vom 11.5.2021 S. 5) behandelt, wo die Klägerin immer Seitenstechen seit etwa 3 Jahren habe, die Schmerzen seien kaum auszuhalten. Sie habe in * medizinische Behandlung erhalten und viele Medikamente genommen; die Klägerin zu 1 zeigte an, Spritzen in den Arm und das Gesäß bekommen und Tabletten genommen zu haben, die aber nicht geholfen hätten (BAMF-Akte Bl. 82). Mithin handelt es sich um eine jahrelange Erkrankung; von einer Zuspitzung hin zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben als wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers ist damit nicht auszugehen. Drittens hat auch die Behandlung in der Spezial-Klinik in Erlangen keine Verbesserung der Erkrankung bewirkt (*, Dipl.-Sozialpädagogin, Eltern für Afrika e.V., Sozialpädagogische Stellungnahme vom 28.4.2021), mithin also ein Angewiesensein auf die bisher in Deutschland angebotene Behandlung auch aus diesem Grund nicht ersichtlich ist.
cc) Der Klägerin ist daher nach derzeitigem Erkenntnisstand eine hinreichende Behandlung ihrer Erkrankungen in Armenien so zugänglich, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände nicht in einer Weise verschlimmerte, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führte.
Die medizinische Grundversorgung ist in Armenien flächendeckend gewährleistet. Die primäre medizinische Versorgung ist größtenteils noch immer wie zu Sowjetzeiten organisiert. Die Leistungen werden in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren/Feldscher-Stationen erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in * vorbehalten ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 19).
Die primäre medizinische Versorgung ist wie früher grundsätzlich kostenfrei. Anders als zu Zeiten der UdSSR gilt dies allerdings nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre medizinische Versorgung. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei weitem. Nach dem Regierungsbeschluss vom 23.11.2006 (N1717-N) ist die Ausgabe von Medikamenten in Polikliniken kostenlos bei bestimmten Krankheiten und für Menschen, die in die Kategorie 1 besonders schutzbedürftiger Personen fallen. Hierzu gehören insbesondere Kinder und Menschen mit mittlerer bis schwerer Behinderung. Patienten der Kategorie 2 müssen 50%, Patienten der Kategorie 3 müssen 70% ihrer Medikamentenkosten selbst tragen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 19 f.).
Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals (für einen allgemein praktizierenden Arzt ca. 250 Euro/Monat). Dies führt dazu, dass die Qualität der medizinischen Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens in weiten Bereichen unzureichend ist. Hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind. Dennoch gehören beispielsweise Endokrinologen, Neurologen, Traumatologen/Chirurgen und Augenärzte zum Standardpersonal in Polikliniken. Der Ausbildungsstand des medizinischen Personals ist zufriedenstellend. Die Ausstattung der staatlichen medizinischen Einrichtungen mit technischem Gerät ist dagegen teilweise mangelhaft. In einzelnen klinischen Einrichtungen – meist Privatkliniken – stehen aber moderne Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Mammographie sowie Computer- und Kernspintomographie zur Verfügung (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 20).
Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten: Nicht immer sind alle Präparate vorhanden, obwohl viele Medikamente in Armenien in guter Qualität hergestellt und zu einem Bruchteil der in Deutschland üblichen Preise verkauft werden. Importierte Medikamente sind dagegen überall erhältlich und ebenfalls billiger als in Deutschland; für die Einfuhr ist eine Genehmigung durch das Gesundheitsministerium erforderlich. Dennoch sind bestimmte Medikamente vereinzelt in Armenien nicht erhältlich, insbesondere, wenn sie in Armenien nicht registriert sind. Leidet ein Patient unter diversen Krankheitsbildern, kann es sein, dass alle erforderlichen Behandlungen zwar grundsätzlich durchführbar sind, jedoch nicht in einer Klinik (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.4.2020, S. 20). Allerdings erhalten Behinderte zweiten Grades – zu denen die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann nach ihren Angaben gehören – kostenfrei Medikamente in lokalen Polikliniken (vgl. BfA Österreich, Länderinformationsblatt, Stand: 17.3.2020, S. 38); auch für Patienten mit psychiatrischen/mentalen Störungen, die freien Zugang zu verschriebenen und in der National Essential Drug List aufgeführten psychotropen Medikamenten haben (vgl. BfA Österreich, Länderinformationsblatt, Stand: 17.3.2020, S. 42).
Danach kann offenbleiben, ob die in den vorgelegten ärztlichen Attesten genannten Medikamente für die Klägerin alle in Armenien erhältlich sind; eine grundlegende Behandlung auf landestypischem Niveau ggf. durch Alternativmedikamente ist sichergestellt und da die in Deutschland verabreichten Medikamente nicht zwingend erforderlich sind, um eine erhebliche Verschlimmerung der Krankheit auszuschließen (vgl. oben), ist die Klägerin auf die im Herkunftsstaat verfügbare Behandlung zu verweisen. Maßgeblich ist eine nur ausreichende Behandlung, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu verhindern, nicht, ob die medizinische Versorgung im Zielstaat der medizinischen Versorgung im Konventionsstaat mindestens gleichwertig ist, denn Art. 3 EMRK garantiert kein Recht, im Zielstaat eine besondere Behandlung zu erhalten, welche der Bevölkerung nicht zur Verfügung steht (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 188 f. m.w.N.).
4. Nachdem sich auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG als rechtmäßig erweist, waren die Klagen mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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