Medizinrecht

Verbot des Mitführens von Transparenten und Schildern

Aktenzeichen  M 13 K 18.2994

Datum:
1.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 50818
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 15 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4, § 124, § 124 a Abs. 4
RDGEG § 3, § 5
VersammlG § 15

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2018 in Ziffer I.3.1. rechtswidrig war.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die im Bescheid vom 19. Juni 2018 unter Ziffer I.3. 1. festgesetzte Auflage hat Erfolg.
1. Bei der nach Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) erlassenen Auflage handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG).
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft, da sich die streitgegenständliche Auflage des Beklagten nach Klageerhebung durch Zeitablauf erledigt hat, da die Versammlung zum vorgesehenen Zeitpunkt stattfand.
Das erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. In versammlungsrechtlichen Verfahren sind bei der Beurteilung des Rechtsschutzinteresses die Besonderheiten der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Zwar begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, dieses ist jedoch dann gegeben, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt, die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (vgl. BVerfG, B. v. 03.03.2004 – BvR 461/03 – juris Rn. 36 m.w.N.). Das Bestehen einer Wiederholungsgefahr setzt dabei zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Betroffenen voraus und zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, B. v. 08.02.2011 – BvR 1946/06 – juris Rn. 22 m.w.N.). Ausreichend ist insoweit, wenn der Wille des Betroffenen erkennbar ist, in Zukunft Versammlungen abzuhalten, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen können. Nicht verlangt werden darf hingegen angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Rechts des Veranstalters, über das Ziel sowie die Art und Weise der Durchführung einer Versammlung selbst zu bestimmen, dass die möglichen weiteren Versammlungen unter den gleichen Umständen, mit einem identischen Motto und am selben Ort durchgeführt werden. Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung ist das Vorliegen von Anhaltspunkten dafür erforderlich, dass die Behörde das Verbot solcher weiteren Versammlungen oder die Beschränkung ihrer Durchführung voraussichtlich wieder mit den gleichen Gründen rechtfertigen wird. Dabei ist ausreichend, dass der Kläger darlegt, dass es Anlass für die Annahme gibt, dass beschränkende Verfügungen künftig auf die gleichen Gründe wie bei der im Streit befindlichen Versammlung gestützt werden (vgl. BVerfG, B. v. 03.03.2004 – BvR 461/03 – juris Rn. 43; vgl. BVerfG, B. v. 08.02.2011 – BvR 1946/06 – juris Rn. 23 m.w.N.). Im Zweifel ist von einer Wiederholungsgefahr auszugehen, wenn es sich um denselben Veranstalter handelt und Thema, Ort oder Teilnehmer ähnlich sind (vgl. Dürig-Friedl, Versammlungsrecht, 2016, Einl. Rn. 127).
Nach diesen Maßstäben ist angesichts der vom Kläger vorgetragenen Absicht, auch in Zukunft ähnliche Versammlungen anzumelden bzw. durchzuführen, vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Es ist damit zu rechnen, dass künftig ähnliche Konfliktsituationen entstehen. Da aus dem Vortrag des Beklagten auch nicht ersichtlich ist, dass dieser an der dem Erlass der streitgegenständlichen Auflage zugrundeliegenden Rechtsauffassung zukünftig nicht mehr festhält, sondern der Beklagte die angegriffene Auflage für rechtmäßig hält, besteht Anlass für die Annahme, dass er bei künftigen Versammlungen unter ähnlichen Umständen vergleichbare Auflagen verfügen wird.
2. Die Klage ist auch begründet, da die in Ziffer I. 3.1 des Bescheides vom 19. Juni 2018 enthaltene Auflage rechtswidrig war und den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt hat (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Die Beschränkung, mitgeführte Transparente und Schilder parallel zur Bewegungsrichtung mitzuführen, verstößt gegen die durch Art. 8 Abs. 1 GG garantierte Versammlungsfreiheit. Es ist daher im Rahmen des gestellten Klageantrags auszusprechen, dass diese beschränkende Verfügung rechtswidrig war.
a) Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Prüfung der Rechtswidrigkeit des hier durch Zeitablauf erledigten Verwaltungsaktes ist die im Zeitpunkt der Erledigung bestehende Sach- und Rechtslage (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 113 Rn. 152 m.w.N; vgl. BayVGH, U. v. 10.07.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 23 m.w.N.).
b) Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. BVerfG, B. v. 14.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 39 ff.). Hierbei gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, B. v. 14.05.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – juris Rn. 61). Dies umfasst auch die Verwendung von Transparenten, da diese als Hilfsmittel zur kollektiven Meinungskundgabe in einem funktionalen Zusammenhang zu der Versammlung stehen (vgl. Dürig-Friedl, Versammlungsrecht, 2016, Einl. Rn. 42 m.w.N.; vgl. BayVGH, U. v. 22.09.2015 – 10 B 14.2246 – juris Rn. 60 m.w.N).
Durch die streitgegenständliche Auflage wird der Versammlung vorgegeben, Kundgebungsmittel in bestimmter Art und Weise zu verwenden. Dies stellt einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG dar. Denn ein solcher Eingriff ist nicht nur dann gegeben, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wird, sondern auch, wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch staatliche Maßnahmen beschränkt wird (vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 15 m.w.N). Eine solche Beschränkung liegt insbesondere vor, wenn versammlungstypische Äußerungsformen, wie etwa Aufrufe, gemeinsame Lieder oder Transparente behindert werden (vgl. BVerfG, B. v. 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 – juris Rn. 14 m.w.N.). Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gem. Art. 8 Abs. 2 GG zur ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage.
Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (vgl. BVerfG, B. v. 14.05.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – juris Rn. 77). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt; zwischen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der Durchführung der Versammlung muss ein hinreichend bestimmter Kausalzusammenhang bestehen (vgl. BVerfG, B. v. 21.04.1998 – 1 BvR 2311/94 – juris Rn. 27). Zur Rechtfertigung einer versammlungsrechtlichen Beschränkung bedarf es daher einer Gefahrenprognose, die bei verständiger Würdigung der Umstände die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts erkennen lässt (vgl. SächsOVG, U. v. 31.05.2018 – 3 A 199/18 – juris Rn. 23). Wegen der herausragenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen die Versammlungsbehörden bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen für sich alleine nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9, m.w.N; vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 m.w.N.; vgl. BVerfG, B. v. 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 – juris Rn. 20 m.w.N.; vgl. BayVGH, U. v. 10.07.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 m.w.N.; vgl. SächsOVG, U. v. 31.05.2018 – 3 A 199/18 – juris Rn. 23).
Dementsprechend können Auflagen hinsichtlich des Mitführens von Transparenten und Schildern parallel zur Bewegungsrichtung nicht lediglich von einer allgemeinen Möglichkeit des Missbrauchs zum unerkannten Begehen von Straftaten abhängig gemacht werden, sondern es bedarf auch insoweit konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass das Mitführen von Transparenten und Schildern parallel zur Bewegungsrichtung die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet (vgl. BayVGH, B. v. 03.10.2014 – 10 CS 14.2156 – juris Rn. 5; vgl. BayVGH, B. v. 12.04.2013 – 10 CS 13.787 – juris Rn. 4). Alleine die Vermutung, dass aus der Versammlung heraus unerkannt Straftaten begangen werden könnten, weil sich Teilnehmer hinter parallel zur Aufzugsrichtung mitgeführten Transparenten und Schildern verbergen, genügt daher nicht. Vielmehr bedarf es einer durch Tatsachen gestützte Prognose, dass diese Handhabung dazu dienen soll, um im Schutze der Anonymität Straftaten oder sonstige Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begehen (vgl. SächsOVG, U. v. 31.05.2018 – 3 A 199/18 – juris Rn. 25 zum Mitführen von Transparenten auf Gesichtshöhe).
Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen können im Rahmen der Gefahrenprognose als Indiz für das Gefahrenpotenzial herangezogenen werden, soweit diese bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 m.w.N.; vgl. BVerfG, B. v. 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 13; vgl. BayVGH, B. v. 12.04.2013 – 10 CS 13.787 – juris Rn. 8). Haben sich bei Veranstaltungen an anderen Orten mit anderen Beteiligten Gefahren verwirklicht, so müssen besondere, von der Behörde bezeichnete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ihre Verwirklichung ebenfalls bei der nunmehr geplanten Versammlung zu befürchten sei (vgl. BVerfG, B. v. 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 13 m.w.N.).
c) Diesen Maßstäben wird die in Ziffer I. 3.1. des Bescheides aufgeführte Auflage nicht gerecht. Die von der Versammlungsbehörde getroffene Gefahrenprognose enthält keine hinreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass von der angemeldeten Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgehen wird, die die angegriffene Beschränkung rechtfertigt.
Der Beklagte hat sich im Bescheid zur Begründung der streitgegenständlichen Auflage zum einen auf die Vermeidung von Unfallgefahren und zum anderen auf die Gefahr des unerkannten Begehens von Straftaten aus einer sich fortbewegenden Versammlung heraus gestützt.
aa) Die Erwägung des Beklagten, die Auflage diene der Vermeidung von Unfallgefahren, da die Sicht auf die Gruppe erschwert werde und dies zu Fehleinschätzungen bei anderen Verkehrsteilnehmern führen könnte, vermag die Beschränkung nicht zu rechtfertigen. Denn weder die Begründung des Bescheides, noch der Aktenvermerk vom 19. Juni 2019 (Bl. 28.ff. der Behördenakte) enthält konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine solche unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit von der Versammlung ausgeht und durch die streitgegenständliche Auflage vermieden werden könnte.
bb) Auch hinsichtlich der Annahme des Beklagten, dass ohne diese Auflage aus der Versammlung heraus unerkannt Straftaten begangen werden könnten, enthalten weder Bescheid selbst, noch die in dem Aktenvermerk vom 19. Juni 2019 enthaltene Gefahrenprognose (Bl. 28.ff. der Behördenakte) hinreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine solche unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit von der Versammlung ausgeht und durch die streitgegenständliche Auflage vermieden werden könnte.
Wie sich aus o.g. Aktenvermerk ergibt, hat der Beklagte die Gefahrenprognose im Wesentlichen darauf gestützt, dass es bei der an dem vorangegangenen Wochenende stattgefundenen Versammlung zu gegenseitigen Provokationen gekommen und wohl auch Strafverfahren eingeleitet worden seien und dass die Versammlungsteilnehmer mit Schirmen als Kundgebungsmitteln den Infostand der AfD verdeckt hätten.
Diese Ereignisse können indes nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, da nach den vorgenannten Maßstäben von einer Ähnlichkeit mit der angezeigten Versammlung nicht ausgegangen werden kann. Ob die Versammlung nun am 15. oder am 16. Juni 2018 stattgefunden hat, ist nicht entscheidungserheblich und kann daher dahinstehen. Das Motto beider Versammlungen ist zwar insoweit vergleichbar, als es sich um eine Protestaktion gegen die AfD-Partei handelt, allerdings fanden beide Veranstaltungen unter unterschiedlichen Umständen statt: Die als Vergleichsmaßstab herangezogene Versammlung fand als nicht angezeigte Gegendemonstration zu einem AfD-Infostand statt, während die angezeigte Versammlung als Gegendemonstration in Form eines vierstündigen Aufzuges mit zwei Kundgebungen am Unteren Markt und am Bahnhof zu einer zeitgleich im Gasthaus am Markt stattfindenden Veranstaltung der AfD durchgeführt wurde. Außer der Tatsache, dass der Kläger an beiden Versammlungen teilnahm, ergeben sich aus der Gefahrenprognose keine konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei beiden Versammlungen um einen ähnlichen Teilnehmerkreis handelt. Insbesondere umfasste die streitgegenständliche Versammlung einen deutlich größeren und teilweise anderen Kreis von Teilnehmern, da hier – wie der Beklagte selbst festgestellt hat (vgl. Bl. 29 f. der Behördenakte) – auch ortsfremde Teilnehmer erwartet würden. Daher stimmt der Teilnehmerkreis allenfalls partiell überein.
Aber auch abgesehen von der fehlenden Vergleichbarkeit beider Versammlungen reichen die vom Beklagten für die Beurteilung der Gefahrenlage aus der gebotenen ex-ante-Perspektive herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehaltes des Art. 8 Abs. 1 GG nicht aus, um im Rahmen einer tragfähigen Gefahrenprognose das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu begründen. Zwar gehören die Strafgesetze als Teil der Rechtsordnung zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit, so dass diese immer bedroht ist, wenn das Begehen von Straftaten droht (vgl. Dürig-Friedl, Versammlungsrecht, 2016, § 15 VersammlG Rn. 41 m.w.N.). Aus den dem Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Auflage vorliegenden Anhaltspunkten lässt sich jedoch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Möglichkeit der (wechselseitigen) Begehung von Straftaten nicht ableiten.
Zum einen können der Gefahrenprognose keine konkreten und nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass es bei der angezeigten Versammlung überhaupt zu Konfrontationen und gegenseitigen Provokationen kommen würde und dass das parallele Mitführen von Transparenten und Schildern gerade dazu dienen soll, unerkannt Straftaten begehen zu können. Hierbei handelt es sich lediglich um eine bloße Vermutung des Beklagten. Die AfD-Veranstaltung fand zwar in unmittelbarer Nähe des Kundgebungsortes am Unteren Markt statt, jedoch im Gasthaus am Markt in geschlossenen Räumen, so dass schon deshalb eine räumliche Trennung gegeben war. Eine direkte Konfrontation war daher unwahrscheinlich. Im Übrigen war, wie die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erklärten, die AfD-Veranstaltung in dem Gasthaus im Zusammenhang mit der Frage, wo die Kundgebung außerhalb des Gasthauses stattfinden sollte, bereits Gegenstand des Konfliktgesprächs. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es tatsächlich, beispielsweise auf dem Weg vom/zum Bahnhof zu einem Zusammentreffen beider Veranstaltungen kommen würde, lagen dem Beklagen jedoch nicht vor.
Zum anderen fehlen konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte mit hinreichend konkretem Bezug zu der vom Kläger angemeldeten Versammlung, aus denen sich die Annahme des Beklagten ableiten lässt, dass es zu wechselseitigen Provokationen und infolgedessen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer für das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit notwendigen Begehung von Straftaten durch die Versammlungsteilnehmer unter Verwendung der Transparente und Schilder als Schutz vor einer Identifizierung kommen würde. Es ist weder ersichtlich, von welchem Personenkreis genau eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen sollte, noch, dass parallel zur Bewegungsrichtung getragene Transparente und Schilder gerade zum Schutz vor einer etwaigen Identifizierung verwendet werden sollten. Insbesondere hinsichtlich der Verwendung der Transparente und Schilder sind Rückschlüsse aus den Ereignissen am vorangegangenen Wochenende auch deshalb nicht tragfähig, da dort die Schirme zur Verdeckung des Infostandes verwendet wurden und nicht mit dem Zweck der Verhinderung der Identifizierung der Versammlungsteilnehmer. Wie der Beklagte zudem vorträgt, sei den Versammlungsteilnehmern auch nicht die Absicht unterstellt worden, aus der Versammlung heraus unerkannt Straftaten begehen zu wollen bzw. solche zu planen. Dies zeigt, dass der Beklagte schon selbst nicht davon ausgegangen ist, dass die Versammlungsteilnehmer Straftaten begehen würden. Auch wenn die strafrechtlichen Ermittlungen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung noch nicht abgeschlossen waren, so war dem Beklagten zu diesem Zeitpunkt jedenfalls bekannt, dass etwaige Strafverfahren am vorangegangenen Wochenende wohl nicht gegen Versammlungsteilnehmer, sondern gegen AfD-Anhänger eingeleitet würden (vgl. Bl. 29 der Behördenakte). Alleine die Vermutung, dass es zu wechselseitigen Provokationen und infolgedessen auch zu Straftaten durch die Versammlungsteilnehmer, ggf. auch durch Dritte, kommen könnte, vermag angesichts des hohen Rangs des Grundrechts der Versammlungsfreiheit die angegriffene Beschränkung nicht zu rechtfertigen (vgl. hierzu allgemein Dürig-Friedl, Versammlungsrecht, 2016, § 15 VersammlG Rn. 72).
Auch soweit die Versammlungsbehörde das erhöhte Gefahrenpotenzial mit der erwarteten Teilnahme ortsfremder Teilnehmer und der Annahme begründet, dass sich diese bei Provokationen eher weniger zurückhielten als aus Dorfen stammende Teilnehmer, ist festzustellen, dass es sich hierbei um eine bloße Vermutung handelt, die weder durch konkrete tatsächliche Anhaltspunkte belegt, noch in dieser Pauschalität nachvollziehbar ist. Gleiches gilt für den Vortrag des Beklagten, aufgrund der Facebook-Aufrufe könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch Personen aus der autonomen Szene teilnehmen könnten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben