Medizinrecht

Verdienstausfallentschädigung, Kranker, Selbständiger, keine Alleinursächlichkeit bei arbeitsunfähig Erkrankten, keine Billigkeitsentschädigung für bewusst Nichtversicherte

Aktenzeichen  W 8 K 21.1139

Datum:
17.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8970
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 56 Abs. 1 S. 2
IfSG § 58
IfSG § 2 Nr. 4
IfSG § 2 Nr. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung und Erstattung von Aufwendungen für die soziale Sicherung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da arbeitsunfähige Kranke i. S. d. § 2 Nr. 4 IfSG im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG und § 58 Satz 1 IfSG nicht anspruchsberechtigt sind.
Gem. § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne im Oktober 2020 maßgeblichen Fassung mit Gültigkeit vom 23. Mai 2020 bis 18. November 2020 (vgl. zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage i. R. d. § 56 IfSG : VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021 – B 7 K 21.110 – juris) erhält wer auf Grund des IfSG als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden.
Vorliegend war der Kläger zwar i. S. d. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG abgesondert worden. Der Anspruch scheitert jedoch daran, dass er arbeitsunfähig an Covid-19 erkrankt war.
§ 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG definiert den Kreis der Antragsberechtigten abschließend als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige i. S. d. IfSG. Da der Kläger jedoch arbeitsunfähig an Covid-19 erkrankt war, war er Kranker i. S. d. § 2 Nr. 4 IfSG und daher nicht antragsberechtigt. Dies ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG.
Dass Kranke nicht vom Kreis der Entschädigungsberechtigten umfasst sind entspricht auch der Intention des Gesetzgebers. Dieser führte in der Gesetzesbegründung zu § 48 BSeuchG, welcher nahezu unverändert als § 56 in das Infektionsschutzgesetz übernommen wurde (vgl. BT-Drs. 14/2530, 88) aus:
„Die Vorschrift stellt eine Billigkeitsregelung dar. Sie bezweckt keinen vollen Schadensausgleich, sondern eine gewisse Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not. Diese Personen sind Störer im polizeirechtlichen Sinne. Da sie vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen sind wie Kranke, erscheint es angezeigt, ihnen Leistungen zu gewähren, wie sie sie als Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung im Krankheitsfalle erhalten würden. Eine weitere Ausdehnung des entschädigungsberechtigten Personenkreises, etwa auf Krankheitsverdächtige oder Tuberkulosekranke, wäre nicht sachgerecht. Krankheitsverdächtige im Sinne des Entwurfs sind krank, wie sich aus der Begriffsbestimmung nach § 2 ergibt. Sie sind durchweg auch mit Rücksicht auf die Krankheitserscheinungen, die den speziellen Krankheitsverdacht begründen, arbeitsunfähig, so daß die Leistungen der Krankenversicherung eintreten, wenn es sich um Versicherte handelt. Ein Bedürfnis, insoweit eine Entschädigungsregelung für die Nichtversicherten vorzusehen, besteht nicht, da diese Personen auch im Falle einer anderweitigen Erkrankung aus der gesetzlichen Krankenversicherung nichts erhalten würden. Tuberkulosekranke können allerdings, je nach den Umständen des Einzelfalles, arbeitsfähig sein. Für diesen Personenkreis ist indessen eine Sonderregelung im Tuberkulosehilfegesetz vorgesehen“ (BT-Drs. III/1888, 27).“
Hiernach hat der Gesetzgeber ausdrücklich Kranke aus dem Anwendungsbereich der Entschädigungsregelung ausgenommen und hierbei insbesondere bewusst davon abgesehen, eine Entschädigungsregelung für Nichtversicherte zu normieren, da diese Personen auch im Falle anderweitiger Erkrankungen nichts erhalten würden. Dass in der Begründung Krankheitsverdächtige als krank bezeichnet wurden und nunmehr Krankheitsverdächtige gem. § 56 Abs. 1 IfSG anspruchsberechtigt sind, führt nicht dazu, dass nun auch Kranke antragsberechtigt wären oder die Gesetzesbegründung nicht mehr den gesetzgeberischen Willen darstellt. Die Ursprungsfassung der Vorschrift im BSeuchG 1961 hatte insoweit einen von der heutigen Legaldefinition abweichenden Begriff des Krankheitsverdächtigen zum Hintergrund, demzufolge Krankheitsverdächtige stets erkrankt waren (vgl. BT-Drs. 3/1888, 2 u. 20). Nach den heutigen Begriffsbestimmungen in § 2 Nrn. 4 und 5 IfSG ist nunmehr zwischen Krankheitsverdächtige und Kranke zu differenzieren (vgl. Kümper in: Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 56 Rn. 8). Da die Krankheitsverdächtigen und Kranken i. S. d. BSeuchG 1961 heute beide unter die Definition der Kranken gem. § 2 Nr. 4 IfSG fallen würden, kann der Gesetzesbegründung insoweit weiterhin entnommen werden, dass Kranke keine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG erhalten sollen.
Dass der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung beim Ausschluss von Erkrankten davon ausging, dass diese arbeitsunfähig seien und aufgrund der Leistungen ihrer Krankenversicherung nicht in den Kreis der Entschädigungsberechtigten aufgenommen werden müssten, mag möglicherweise die Praxis des Beklagten der entsprechenden Anwendung der Entschädigungsregeln auf Kranke i.S.d. IfSG, die nicht arbeitsunfähig erkrankt, sind rechtfertigen, führt jedoch nicht dazu, dass auch arbeitsunfähig Erkrankte einen Anspruch erhalten würden. Dies stünde im klaren Widerspruch zur oben zitierten gesetzgeberischen Intention arbeitsunfähig Erkrankte aus der Regelung auszunehmen.
Eine Auslegung oder entsprechende Anwendung dahingehend, dass eine Antragsberechtigung des Klägers bestehe, da er mangels Krankentagesgeldversicherung im Gegensatz zu anderen arbeitsunfähigen Kranken keine Leistungen erhalte und deshalb aufgrund des Charakters des § 56 Abs. 1 IfSG als Billigkeitsleistung eine Entschädigung erhalten müsse, scheidet ebenfalls aufgrund des klaren gesetzgeberischen Willens, die Entschädigung nicht auf nichtversicherte Kranke auszudehnen, da diese auch im Falle einer anderweitigen Erkrankung keine Leistungen der Krankenversicherung erhalten würden (vgl. BT-Drs. III/1888, 27), aus. Darüber hinaus ist § 56 Abs. 1 IfSG als Billigkeitsanspruch ohnehin eng auszulegen (Erdle, IfSG, 8. Aufl. 2021, S. 190).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es keine gesetzliche Verpflichtung für Selbständige zum Abschluss einer Krankentagegeldversicherung gibt. Dies begründet keinen Anspruch auf die Billigkeitsleistung. Die Entscheidung, keine solche Versicherung abzuschließen, ist ausschließlich der Risikosphäre des Selbständigen zuzuordnen. Wird keine solche Versicherung abgeschlossen, wird bewusst die Entscheidung getroffen im Falle jeglicher Erkrankung, welche zu einer Arbeitsunfähigkeit führt, keine entsprechenden Leistungen zu erhalten. Wenn der Selbständige dieses Risiko mit einkalkuliert, muss er es sich auch dahingehend entgegenhalten lassen, dass es billig ist, ihm die Entschädigung zu verwehren.
Der klägerische Vortrag, er sei aufgrund seiner Erkrankung auch sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 3 IfSG, führt ebenfalls nicht zu einer Antragsberechtigung. Insoweit ist zunächst bereits fraglich, ob dies zu einer Antragsberechtigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG führen würde, da diese nur in Satz 1 als Antragsberechtigte aufgeführt sind. Jedenfalls war der Kläger aber schon nicht sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 3 IfSG. Solche sind Personen, die Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr einer Weiterverbreitung besteht (sog. Carrier). Bei ihnen ist positiv nachgewiesen, dass eine Ansteckung mit einem Krankheitserreger vorliegt. Mangels bestehender Symptome sind diese Personen jedoch nicht als Kranke oder Krankheitsverdächtige zu qualifizieren (Johann/Gabriel in BeckOK, InfSchR, 11. Ed. 1.4.2022, IfSG § 31 Rn. 12; Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 31 Rn. 6). Da der Kläger jedoch Kranker i. S. d. § 2 Nr. 4 IfSG war, war er kein sonstiger Träger von Krankheitserregern.
Der mangelnden Antragsberechtigung des Klägers steht auch nicht Art. 3 GG entgegen, da arbeitsunfähige Kranke nach § 56 Abs. 1 IfSG, unabhängig davon, ob Arbeitnehmer oder nicht, keinen Anspruch auf die Verdienstausfallentschädigung haben und daher diesbezüglich schon keine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung vorliegt. Da schon keine Ungleichbehandlung in Bezug auf arbeitsunfähig Erkrankte vorliegt, ist der klägerische Vortrag, es bestünde eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen Erkrankten, die aufgrund der Erkrankung einen Anspruch auf Versicherungsleistungen bzgl. ihres Verdienstausfalles hätten, und Erkrankten, die mangels Versicherungsschutzes, zu welchem sie schon nicht gesetzlich verpflichtet seien, keinen solchen Anspruch hätten und daher in die Gefahr materieller Not kommen könnten, unerheblich. Jedenfalls wäre eine solche Ungleichbehandlung aber gerechtfertigt, da Letztere gerade die Entscheidung getroffen haben, sich nicht durch Versicherungen vor diesem Risiko zu schützen. Einer Ungleichbehandlung von arbeitsunfähigen Kranken und nach § 56 Abs. 1 IfSG Antragsberechtigten liegt der sachgemäße Differenzierungsgrund der Erkrankung zu Grunde.
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht auf Grund der Gesetzesänderung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG zum 31. März 2021, nach der auch Kranke i. S. d. § 2 Nr. 4 IfSG einen Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung haben können. Davon abgesehen, dass hierdurch wohl lediglich ein Anspruch für arbeitsfähig Erkrankte normiert wurde, scheitert ein Anspruch jedenfalls daran, dass der Änderung nach der Gesetzesbegründung keine Rückwirkung zukommt (BTDrs. 19/27291, S. 61).
Damit ist der Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG im vorliegenden Fall nicht gegeben.
In der Folge besteht auch kein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für soziale Sicherung gem. § 58 Satz 1 IfSG, da hierfür der Anspruch gem. § 56 Abs. 1 IfSG Voraussetzung wäre.
Gemäß vorstehender Erwägungen war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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