Medizinrecht

Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung

Aktenzeichen  S 2 KR 395/15

Datum:
28.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 160186
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 2, § 39 Abs. 1 S. 3, § 108 Nr. 2, § 275 Abs. 1c
KHentgG § 7

 

Leitsatz

Bei der Prüfung eines Vergütungsanspruchs des Krankenhauses ist darauf abzustellen, ob die stationäre Behandlung nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung und dem damals verfügbaren Kenntnis- und Wissensstand des Krankhausarztes zu Recht als medizinisch notwendig beurteilt wurde.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.220,55 Euro zuzüglich Verzugszinsen von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21. Mai 2014 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 1.220,55 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig. Dies ergibt sich daraus, dass es um eine auf Zahlung der Behandlungskosten gerichtete Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse in einem so genannten Gleichordnungsverhältnis geht, d.h. in einem Fall, wo eine Regelung durch einen Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war daher nicht durchzuführen und eine Klagefrist nicht einzuhalten.
Die zulässige Klage ist auch in vollem Umfang begründet, denn die stationäre Behandlung des Versicherten war im gesamten Zeitraum vom 18.03.2013 bis 21.03.2013 notwendig. Dies ergibt sich nach Auffassung des Gerichts in Würdigung des Gutachtens von Herrn Dr. D. und dessen ergänzender Stellungnahme. Die ursprüngliche Rechnung war daher durch die Beklagte zunächst zu Recht in voller Höhe beglichen worden. Die danach erfolgte spätere Verrechnung bzw. Aufrechnung war zu Unrecht erfolgt. Die Beklagte ist daher zu verurteilen gewesen, die restlichen 1.220,55 EUR an die Klägerin zu zahlen, zuzüglich Verzugszinsen von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2014.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 108 Nr. 2 SGB V in Verbindung mit der Budgetvereinbarung in Verbindung mit § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHentgG) in Verbindung mit Anlage 1 der im streitigen Zeitraum geltenden Fallpauschalenvereinbarung. Die Zahlungspflicht der Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten.
Dabei korrespondiert der Zahlungsanspruch des Krankenhauses mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Dementsprechend müssten beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus grundsätzlich die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegen, wobei unter Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ein Zustand verstanden wird, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Neben der Krankenbehandlung, die bereits notwendig ist, wenn es gilt, die Verschlimmerung einer Krankheit zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, verlangt eine Behandlung mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses nach § 39 SGB V die medizinische Notwendigkeit eines besonders qualifizierten Pflegepersonals, besondere apparative Ausstattung und insbesondere die intensive Behandlung und jederzeitige Präsenz bzw. Rufbereitschaft qualifizierter Ärzte. Die Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus muss gemäß § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V erforderlich sein, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre und ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Für die Frage, ob eine stationäre Behandlung medizinisch erforderlich war, sind nur die Umstände des konkret betroffenen Versicherten entscheidend (Landessozialgericht – LSG – Berlin vom 30.04.2009, L 9 KR 34/05). Das Bundessozialgericht (BSG) hat außerdem ausgeführt (BSG vom 25.09.2007, GS 1/06), dass das Gericht die Frage, ob eine stationäre Krankenausbehandlung medizinisch erforderlich war, uneingeschränkt zu überprüfen hat, dabei jedoch von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen hat. Es ist daher zu fragen, ob die stationäre Behandlung nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung und dem damals verfügbaren Kenntnis- und Wissensstand des Krankhausarztes zu Recht als medizinisch notwendig beurteilt wurde. Dabei kann jedoch nicht für die gesamte Behandlungsdauer auf den Kenntnisstand am Aufnahmetag abgestellt werden, da zu diesem Zeitpunkt oft noch nicht absehbar ist, welche Behandlungsmaßnahmen im Einzelnen notwendig werden und welche Behandlungsdauer dafür erforderlich ist. Dies ist vielmehr vom weiteren Verlauf der Erkrankung abhängig, der nicht immer von Beginn an vollständig vorhersehbar ist. Aufgrund dessen muss der Krankenhausarzt sich auf die weitere Entwicklung und gegebenenfalls eintretenden Veränderungen einstellen und die weitere Erforderlichkeit der Behandlung jeweils erneut überprüfen und beurteilen (LSG Hamburg vom 26.03.2015, L 1 KR 42/13). Vor diesem Hintergrund ergibt sich nach Auffassung des Gerichts, dass der stationäre Aufenthalt im gesamten Zeitraum vom 18.03. bis 21.03.2013 erforderlich war.
Der Sachverständige hat schlüssig dargelegt, dass im Rahmen des stationären Aufenthaltes ausgetestet werden sollte, woher die Schmerzen des Versicherten kamen. Zu diesem Zweck wurden intradiskale Infiltrationen, Facetteninfiltrationen sowie Wurzelinfiltrationen durchgeführt. Der Sachverständige hat dabei nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass diese Maßnahmen nicht an einem Tag erfolgen können, da insoweit die entsprechenden Wirkungen abgewartet werden müssen und auch Ruhephasen einzuhalten seien. Er kam dabei überzeugend zum Schluss, dass solche Maßnahme ambulant nur schwer durchführbar sind und außerdem bei ambulanter Durchführung der Erfolg solcher Maßnahmen fraglich ist, da dann keine ausreichenden Möglichkeiten zur Beobachtung des Versicherten nach Durchführung der Infiltrationen bestehen. Insoweit bestand die Notwendigkeit mehrerer Infiltrationen an der Wirbelsäule. Dabei ging es um den Ausschluss eines bandscheibenbedingten Schmerzens, eines Ausschlusses/Nachweises eines Wirbelgelenkschmerzes sowie um einen Ausschluss bzw. Nachweis einer Nervenwurzelirritation. Der Gutachter hat insoweit ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die erforderlichen Beobachtungszeiten und Ruhephasen unmöglich an einem einzigen stationären Aufenthaltstag zu bewerkstelligen sind.
Der Gutachter hat daher im Ergebnis nicht nur die vollstationäre Krankenhausbehandlung dem Grunde nach, sondern auch der Dauer nach für medizinisch erforderlich gehalten. Das Gericht hat keine begründeten Anhaltspunkte dafür gesehen, dem Gutachten nicht zu folgen. Zwar entscheidet letztlich darüber, ob dem Versicherten ein Anspruch auf Gewährung vollstationärer Krankenhausbehandlung als Sachleistung zusteht und darin eingeschlossen, ob eine stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, die Krankenkasse, gegen die sich der Anspruch richtet und ein Beurteilungsspielraum oder eine Einschätzungsprärogative im Sinne eines Entscheidungsfreiraums mit verminderter Kontrolldichte kommt dem Krankenhausarzt nicht zu (BSG vom 25.09.2007, GS 1/06). Die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung ist im Prozess vom Gericht jedoch vollständig zu überprüfen und dies gilt auch dann, wenn die Krankenkasse ihre Leistungspflicht nachträglich für einen zurückliegenden Zeitraum bestreitet. Vorliegend führte diese gerichtliche Überprüfung in Übereinstimmung mit den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen dazu, dass die Klage in vollem Umfang begründet erscheint. Das Gutachten bzw. die ergänzende Stellungnahme von Herrn Dr. D. erscheint schlüssig und nachvollziehbar. Der Gutachter hat sich umfassend mit den medizinischen Unterlagen auseinandergesetzt und kam nach Auffassung des Gerichts dabei nachvollziehbar zum Ergebnis, dass die stationäre Behandlung im gesamten Zeitraum vom 18.03. bis 21.03.2013 erforderlich war. Das Gericht hat daher keine Bedenken, das Gutachten und die ergänzende Stellungnahme von Herrn Dr. D. seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Anschluss an das Gutachten geltend macht, der Gutachter habe nicht alle medizinischen Aspekte, die notwendig für die Beurteilung sind, mit einbezogen. Soweit die Beklagte im Anschluss an das Gutachten geltend gemacht hat, dass der Gutachter nicht erwähnt habe, welche Medikamente eingesetzt worden seien und ob diese im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassung verabreicht wurden und somit nicht die Erforderlichkeit der stationären Behandlung überprüft werden könne, ist auf Folgendes hinzuweisen: Zum einen handelt es sich hierbei um einen unsubstantiierten Vortrag, des Weiteren wurde dieser Vertrag erstmals im Anschluss an das gerichtliche Gutachten geltend gemacht. Die Frage, welche Arzneimittel im Rahmen des stationären Aufenthaltes eingesetzt worden waren, war nicht Gegenstand des Prüfauftrags an den MDK im Jahr 2013. Damals betraf die Fragestellung an den MDK nur die Fragen, ob die medizinische Notwendigkeit der Aufnahme in ein Krankenhaus zur vollstationären Behandlung bestand und ob die Überschreitung der unteren Grenzverweildauer bzw. das Erreichen der UGVD medizinisch begründet war. Zudem war der MDK damals selbst zum Ergebnis gekommen, dass eine stationäre Aufnahme des Versicherten erforderlich war. Strittig blieb aufgrund den MDK-Feststellungen lediglich, wie lange der stationäre Aufenthalt erforderlich war. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der MDK bei seiner Prüfung im August 2013 in den Räumen der Klägerin auch die Möglichkeit hatte, Einsicht in die Behandlungsakte zu nehmen. Der MDK hatte im Zuge dessen keine Einwände dahingehend erhoben, dass die Beklagte im Rahmen der stationären Behandlung keine evidenzbasierte leitliniengerechte medizinische Behandlung vorgenommen hat oder das Stufenschema der Schmerztherapie nicht eingehalten worden sei. Insoweit handelt es sich bei den von der Beklagten im Anschluss an das Gutachten vorgetragenen Einwänden um einen völlig neuen und unsubstantiierten Vortrag. Auch der Einwand der Beklagten, dass der Gutachter keine stichhaltigen Gründe dafür nenne, weshalb die durchgeführten Maßnahmen ambulant nur schwer durchführbar seien, ist nach Auffassung des Gerichts nicht nachvollziehbar. Vielmehr hat der Gutachter nachvollziehbar dargelegt, dass die entsprechenden Maßnahmen zur Austestung der Schmerzursache nicht an einem Tag durchgeführt werden können, da die entsprechenden Wirkungen abgewartet werden müssen und dazwischen Erholungsphasen zu beachten sind. Außerdem wäre bei ambulanter Durchführung der Erfolg der Maßnahmen fraglich, da dann keine entsprechenden Möglichkeiten ausreichend bestehen zur Beobachtung des Patienten. Für die Beurteilung, ob die stationäre Behandlung im gesamten Behandlungszeitraum notwendig war, muss zudem eine Beurteilung im Einzelfall erfolgen. Es kann nicht allgemein darauf verwiesen werden, dass die durchgeführten Maßnahmen generell, zum Beispiel in anderen Krankenhäusern, ambulant durchgeführt werden. Insoweit kann jeweils nur eine konkrete Einzelfallprüfung erfolgen, um die Erforderlichkeit der Behandlungsdauer festzustellen.
Soweit die Beklagte schließlich einwendet, dass der Gutachter nicht dazu Stellung genommen habe, ob das Stufenschema der Schmerztherapie eingehalten worden sei, ist darauf zu verweisen, dass nach dem überzeugenden Gutachten von Herrn Dr. D. nicht die Schmerztherapie im Vordergrund des stationären Aufenthaltes stand, sondern es vielmehr vorrangig um die Austestung der Schmerzursache ging, was durch gezielte Infiltration mit Lokalanästhetika (ohne Medikamentenzusatz) an die Wirbelgelenke und an die Nervenwurzeln bzw. durch eine Schmerzprovokation durch eine Discographie erfolgen sollte. Nachdem derartige Infiltrationen regelmäßig CTgesteuert oder zumindest unter einem Bildwandler durchgeführt werden, ist auch nachvollziehbar, dass der Aufwand für solche Maßnahme entsprechend hoch ist. Außerdem ist von den Patienten auch eine Bettruhe danach einzuhalten. Schließlich muss dann im Anschluss auch der Patient beobachtet werden. Dass heißt, es muss festgestellt werden, wie sich der Patient danach bewegt bzw. belastet, um die entsprechenden Schmerzänderungen zu dokumentieren und daraus Rückschlüsse für eine Therapie ziehen zu können. Insoweit erscheint es nachvollziehbar, dass der Gutachter solche Maßnahmen ambulant nicht für sinnvoll durchführbar hält bzw. darauf hinweist, dass bei ambulanter Durchführung keine sicheren Rückschlüsse für therapeutische Konsequenzen gezogen werden können. Dabei ist auch zu beachten, dass vorliegend aus dem Schmerzverhalten des Patienten nach den entsprechenden Infiltrationen geschlussfolgert wurde, dass bei weiterer Beschwerdepersistenz eine Wirbelsäulenversteifungsoperation indiziert ist.
Nach alledem war die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die restlichen 1.220,55 EUR an die Klägerin zu zahlen.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 17 der Budgetvereinbarung für den Budgetzeitraum 2013 sowie daraus, dass am 21.05.2014 die Beklagte zu Unrecht die Aufrechnung vorgenommen hat und daher seit diesem Zeitpunkt mit der Zahlung in Verzug war.
Die Klage war damit in vollem Umfang begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

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