Medizinrecht

Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung

Aktenzeichen  L 4 KR 614/16

Datum:
25.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3259
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 109 Abs. 4 S. 3
SGG § 153 Abs. 2
GG Art. 1
KHEntgG § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Zur Frage, ob ein kurzer Gang zur Toilette eine – schädliche – Unterbrechung des Monitorings im Rahmen des OPS 8-981.1 darstellt. (Rn. 22 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 KR 303/16 2016-10-13 Urt SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 13. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 4.326,82 EUR festgesetzt.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Klägerin steht der Vergütungsanspruch zu (§ 109 Abs. 4 S. 3 SGB V, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG)).
Zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 4.326,82 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im Berufungsverfahren auf Folgendes hinzuweisen.
Unstreitig sind grundsätzlich die im OPS 8-981.1 (Stand 2013) beschriebenen Mindestmerkmale bei der Behandlung der Patientin I.H. erfüllt. Die Mindestmerkmale der Kodierung einer neurologischen Komplexbehandlung eines Schlaganfalls setzen ein 24-Stunden-Monitoring von mindestens sechs der folgenden Parameter voraus: Blutdruck, Herzfrequenz, EKG, Atmung, Sauerstoffsättigung, Temperatur, intrakranieller Druck, EEG, evozierte Potentiale. Die Klägerin hebt zutreffend hervor, ein solches 24-Stunden-Monitoring durchgeführt zu haben.
Streitig ist allein die Frage, ob der kurze Gang zur Toilette, der als solcher ebenfalls unstreitig ist, eine – schädliche – Unterbrechung des Monitorings im Rahmen des OPS 8-981.1 darstellt. Das Monitoring darf nur zur Durchführung spezieller Untersuchungen oder Behandlungen unterbrochen werden (OPS 8-981).
Soweit sich die Beklagte auf die Stellungnahmen des SMD beruft, ist dies für den Senat ohne durchgreifende Bedeutung, da es sich hier um die rechtliche Frage der Auslegung des OPS handelt, für die eine Klärung medizinischer Gesichtspunkte nicht ausschlaggebend ist.
Die Beklagte beruft sich im Berufungsverfahren allein auf die Entscheidung des LSG für das Saarland vom 17.02.2016 (a.a.O., S. 11). Das LSG bezieht sich vor allem auf den Wortlaut der OPS-Regelung, der eindeutig und einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich sei. Der Toilettengang sei keine spezielle Untersuchung und Behandlung, sondern eine gegebenenfalls grundpflegerisch zu begleitende Maßnahme. Ferner nimmt das LSG für das Saarland Bezug auf die Rechtsprechung des BSG (BSG, Urt. v. 21.04.2015, Az.: B 1 KR 8/15 R).
Grundsätzlich hat das Monitoring kontinuierlich, d.h. fortlaufend zu erfolgen. Bei einem Gang zur Toilette ohne gleichzeitiges Monitoring liegt eine tatsächliche Unterbrechung vor. Der Senat kann offen lassen, ob es sich bei den Toilettengängen zugleich um eine ergotherapeutische Behandlung handelt. Im Vordergrund steht jedenfalls bei dem Gang zur Toilette ein menschliches Grundbedürfnis, bei dem ggf. eine Hilfe in Form der Grundpflege erforderlich ist.
Nach Ansicht des Senats ist die OPS-Regelung jedoch dahingehend auszulegen, dass nur eine (medizinisch) relevante Unterbrechung schädlich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Monitoring bei Schlaganfall oder bei Verdacht auf Schlaganfall Teil einer umfassenden „neurologischen Komplexbehandlung“ (OPS 8-981) ist. In diesem Gesamtrahmen dient das Monitoring der Kontrolle und Dokumentation. Hinsichtlich der Dokumentation hatte der MDK Baden-Württemberg bereits 2013 in der SEG-4 Kodierempfehlung KDE-471 empfohlen, die überwachten Parameter mit einem maximalen Abstand von vier Stunden als Ausdruck oder in der Kurve zu dokumentieren. Mit der ab 2016 geltenden Fassung hat der OPS 8-981.1 weiter vermerkt: „Alle Parameter müssen im Abstand von 4 Stunden oder häufiger erhoben und dokumentiert werden“ (so auch der OPS 2017). Es handelt sich nicht um eine Erweiterung der bisherigen Regelung, wie das LSG für das Saarland in den Raum gestellt hat, sondern um eine Konkretisierung der bisherigen Regelung, worauf die Kodierempfehlung SEG-4, KDE-471 (Aktualisierung 12.06.2017) ausdrücklich hinweist. Die OPS-Regelung erfasst dabei auch die Erhebung der Parameter: Alle Parameter müssen im Abstand von 4 Stunden oder häufiger erhoben und dokumentiert werden.
Insoweit ist nach Auffassung des Senats die fragliche Regelung in der OPS 2013: „Das Monitoring darf nur zur Durchführung spezieller Untersuchungen oder Behandlungen unterbrochen werden“, einer Auslegung bzw. eine Analogie zugänglich. Eine derartige Rechtsfortbildung ist nach herrschender Auffassung auch bei eindeutigem Wortlaut nicht ausgeschlossen (BVerfGE 34, 269, 288 f bzgl. geänderter materieller Gerechtigkeitsvorstellungen). Eine Analogie kommt bei Vorliegen einer Regelungslücke in Betracht. Ein besonderer Aspekt der Auslegung ist die verfassungskonforme Auslegung mit dem Grundsatz, dass die Auslegung den verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen, insbesondere den Grundrechten, weitestmögliche Wirkung einzuräumen hat.
Die OPS-Regelung OPS 8-981.1 sah bereits eine Möglichkeit der unschädlichen Unterbrechung des Monitorings vor. Der Senat kann offen lassen, ob hinsichtlich einer weiteren Art der Unterbrechung – hier der Gang zur Toilette – ein Fall der ergänzenden, verfassungskonformen Auslegung oder der Analogie anzunehmen ist. Die Auslegung ist nämlich jedenfalls sachlich gefordert, um Patienten, die noch selbstständig die Toilette aufsuchen können, dies auch zu ermöglichen. Alternative wäre nämlich, dass – im Kosteninteresse des Krankenhauses – wohl regelmäßig ein Blasenkatheter gelegt werden würde. Schlaganfallpatienten haben eine akut gefährdende gesundheitliche Situation, bei der sie sich in besonderem Maße in die medizinische Verantwortung der Ärzte begeben müssen. D.h., Kostengesichtspunkte sind bei der Behandlung leichter durch das Krankenhaus durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund gebieten auch der Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Grundgesetz – GG) sowie das allgemeine Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 1 GG), die auch gegenüber den Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts wirken, eine erweiternde Auslegung der OPS-Regelung 8-981.1 dahingehend, nach Möglichkeit den selbstständigen Toilettengang zu gewährleisten.
Dem steht auch nicht die Entscheidung des BSG vom 21.04.2015 (BSG, Az.: B 1 KR 8/15 R – juris) entgegen. Diese Entscheidung betrifft vor allem das Mindestmerkmal „Behandlung auf einer spezialisierten Einheit durch ein multidisziplinäres, auf die Schlaganfallbehandlung spezialisiertes Team unter fachlicher Behandlungsleitung durch einen Facharzt für Neurologie“ und nicht die hier maßgebliche Frage der Unterbrechung des Monitorings.
An abweichende Auslegungen des LSG für das Saarland ist der Senat nicht gebunden.
Es liegt damit zwar eine Unterbrechung des Monitorings vor, die jedoch als unschädlich im Rahmen der Abrechnung über den OPS 8-981 anzusehen ist.
Die Abrechnung der Klägerin ist deshalb nicht zu beanstanden. Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG). Insbesondere sieht der Senat im Hinblick auf die Auslegung des OPS 8-981 aus dem Jahre 2013 auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Der Streitwert ergibt sich gemäß § 52 Abs. 3 S. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und richtet sich nach dem eingeklagten Zahlbetrag.


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