Medizinrecht

Verkehrsrechtliche Anordnung, Streitbefangenheit, Verwaltungsgerichte, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Straßenverkehrsbehörden, Ursprüngliches Klagebegehren, Gemeinderatsbeschluß, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Straßenverkehrsrechtliche Anordnung, Aufhebung, Aufstellung von Verkehrszeichen, Verkehrszeichenanordnung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Besondere örtliche Verhältnisse, mündlich Verhandlung, Teilweise Klagerücknahme, Erledigungserklärung, Befähigung zum Richteramt

Aktenzeichen  M 23 K 19.6198

Datum:
12.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 37593
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 45 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Klage (= Straßenverlauf der H* …-/B* … Straße über den Abschnitt zwischen südwestlichem Ortsschild aus B* … kommend bis zur Abzweigung der Vorderen S**straße hinaus) zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die im Vollzug des Gemeinderatsbeschlusses vom 12. Dezember 2018 erlassene verkehrsrechtlichen Anordnung der Beklagten vom 8. März 2019 wird aufgehoben (= Straßenabschnitt der B* … Straße zwischen südwestlichem Ortsschild aus B* … kommend bis zur Abzweigung der Vorderen S**straße).
III. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte der Berichterstatter anstelle der Kammer und ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Parteien hiermit ihr Einverständnis erklärten (§ 87b Abs. 3, § 101 Abs. 2 VwGO).
Soweit das Klagebegehren in der mündlichen Verhandlung von Klageseite vom örtlichen Umgriff her (deutlich) eingeschränkt wurde, ist dies als teilweise Klagerücknahme zu bewerten mit der Folge der Einstellung des Verfahrens insoweit (§ 92 Abs. 3 VwGO).
Der verbliebene Klageteil ist zulässig innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO erhoben worden. Zwar trifft der Vorhalt der Beklagtenseite zu, dass maßgeblich für den Beginn der Jahresfrist regelmäßig die Aufstellung des Verkehrszeichens ist (vgl. i. E. etwa Steiner in: Münchener Kommentar Straßenverkehrsrecht, § 45 StVO Rn. 24 ff. m.w.N.), was bedeuten würde, dass die mit der Klage ausdrücklich auch angefochtenen Verkehrszeichen 286 im streitbefangenen Abschnitt selbst lediglich bis spätestens Juli 2019 hätten angefochten werden können, nachdem die Kläger als Anwohner unmittelbar nach Aufstellung hiervon Kenntnis erlangten. Die Klage wurde vorliegend jedoch erst am … Dezember 2019 erhoben. Dies würde nach Beklagtendarlegung dazu führen, dass lediglich noch die durch verkehrsrechtliche Anordnung vom 8. März 2019 neu gefassten und angeordneten Zusatzzeichen hätten fristgerecht angefochten werden können. Dies würde bei einem Klageerfolg zweifelsohne zu einer Verschlechterung der Rechtsposition der Kläger führen.
Im vorliegenden Fall hat das Gericht jedoch von der Zulässigkeit der erhobenen Klage auszugehen. Die Beklagte hat ersichtlich konkludent darauf verzichtet, der Jahresfrist bezüglich der Zeichen 286 Geltung zu verschaffen, da der Gemeinderat der Beklagten selbst in dessen Sitzung am 12. Dezember 2018 (nochmals) beschlossen hat, „in der gesamten A. H* …straße/B* … Straße von Ortsschild bis Ortsschild beidseitig ein eingeschränktes Halteverbot mit Zusatzzeichen … anzuordnen“. Dies verdeutlicht, dass die Beklagte nochmals eine vollständige Neuanordnung treffen wollte, die dann (gerade auch bzgl. Zeichen 286) auch erstmals mit der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 8. März 2019 Verbindlichkeit nach außen erlangte und zu der nunmehr konkret vorgenommenen Beschilderung führte. Zwar trifft es zu, dass ein Formerfordernis für die Aufstellung von Verkehrszeichen nicht besteht. Dennoch wurde erst mit der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 8. März 2019 eine nach außen tretende verbindliche Regelung gefasst und formuliert. Dem entspricht es nämlich auch, dass die Beklagte selbst den damaligen „Widerspruchs“führern noch im August 2018 (Bl. 11 BA) mitgeteilt hatte, dass es sich mit der früheren Regelung (Zeichen 286 mit Zusatzzeichen „1.4. – 15.10.“ und „7.00 – 19.00 Uhr“) um eine Probephase für die (damalige) Saison gehandelt habe und hat kundgetan, dass nach deren – im Übrigen im Gemeinderatsbeschluss vom 16. Mai 2918 aber gar nicht erwähnten – „Ablauf“ eine neue Entscheidung getroffen werde. Hiermit wurde Drittbetroffenen kundgetan und durften diese darauf vertrauen, dass die damalige Regelung geprüft und ggf. nochmals angeordnet wird und kann sich die Beklagte nun mehr nicht darauf berufen, mit dem späteren Gemeinderatsbeschluss insofern keine eigene Regelung mehr getroffen zu haben. Die Jahresfrist wurde daher zumindest konkludent erneut in Gang gesetzt.
Gegen die Klagebefugnis der Kläger als Anlieger und Verkehrsteilnehmer bestehen keine Bedenken.
Die Klage ist auch begründet. Die verkehrsrechtliche Anordnung vom 8. März 2019, basierend auf dem Gemeinderatsbeschluss vom 12. Dezember 2018, ist in ihrer Gesamtheit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Allerdings modifiziert und konkretisiert (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 28.9.2011 – 11 B 11.910 – juris) § 45 Abs. 9 S. 1 StVO diese Ermächtigungsgrundlage dahingehend, dass Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen sind, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist gerichtlich voll überprüfbar.
Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 45 Abs. 1 und Abs. 9 StVO erfüllt sind, stehen die Maßnahmen im Regelungsbereich dieser Vorschrift grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Straßenverkehrsbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 5.4.2001 – 3 C 23/00 – juris). An die Ermessensausübung sind jedoch angesichts der sehr strengen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 1 und 2 StVO keine allzu hohen Anforderungen zu stellen (vgl. BayVGH, U.v. 28.9.2011 – 11 B 11.910 – juris).
Die Vorschrift des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO und die gleichlautende Vorschrift des § 39 Abs. 1 StVO zielen darauf ab, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die „Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnungen“ zu verdeutlichen. „Zwingend geboten“ ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften daher nur dann, wenn das Verkehrszeichen die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Das ist nicht der Fall, wenn schon die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten (vgl. BayVGH, U.v. 28.9.2011 – 11 B 11.910
Grundsätzlich vermag es das Gericht nachzuvollziehen, dass die Beklagte die Erforderlichkeit einer verkehrsrechtlichen Anordnung für den streitbefangenen Abschnitt erkannt hat und sich veranlasst sah, verkehrslenkend einzugreifen. Die auch im Augenscheintermin des Gerichts festgestellte Lage des streitbefangenen Straßenabschnitts lässt ohne Weiteres den Schluss darauf zu, dass aufgrund des nahen Seezugangs bei Überfüllung des dortigen Parkplatzes Badende die Straße während ihres Badeaufenthalts zuparken. Dies mag, insbesondere falls dann durchgehend dicht beidseitig bzw. auch nur versetzt geparkt wird, zu den Verkehrszuständen, denen die Beklagte gerade auch wegen Zusammentreffens mit größeren landwirtschaftlichen Fahrzeugen zu begegnen versucht (so auch die der Gemeinderatsentscheidung im Mai 2018 zugrunde gelegte Sachverhaltsschilderung) führen. Das Gericht bezweifelt nicht, dass es in „typischen Badezeiten“ durch ein vollständiges Zuparken des streitbefangenen Straßenabschnitts zu besonderen Gefahrenlagen kommen kann.
Das Gericht vermag jedoch die nunmehr konkret vorgenommene Beschilderung, ins besondere im Zusammenspiel mit der vorgenommenen Zusatzbeschilderung in saisonaler und zeitlicher Hinsicht, nicht in Übereinstimmung mit diesen Belastungssituationen infolge übermäßigen Parkverkehrs zu bringen. Unter Berücksichtigung des Erfordernisses einer Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 1 S. 1 StVO und unter der weiteren tatbestandlichen Voraussetzung der zwingenden Erforderlichkeit aus § 45 Abs. 9 S. 1 StVO sind über die zuvor beschriebenen „Hochzeiten“ an heißen Sommertagen hinaus weder konkrete Gefahrenlagen aus der Vergangenheit belegt bzw. nachzuvollziehen, noch weist der Straßenabschnitt besondere örtliche Verhältnisse auf. In der mündlichen Verhandlung wurde dargelegt, dass es bislang keine Unfallsituationen gegeben hat. Auch polizeiliche Erkenntnisse liegen nicht vor (die Beteiligung der Polizei wurde entgegen Ziff. 1 VwV zu § 45 StVO von vornherein unterlassen). Der Augenschein hat gezeigt, dass die B* … Straße / A. H* …straße im streitbefangenen Abschnitt keine besonderen örtlichen Verhältnisse aufweist, die aufgrund dessen ein straßenverkehrsrechtliches Eingreifen notwendig machen würden. Die Straße ist weitgehend gerade, weist eine übliche Breite auf, ist von Anfang bis Ende einsehbar und hat lediglich ein leichtes Gefälle/einen leichten Anstieg. Beidseits der Straße ist die seeseitige Straßenseite unbebaut und weist die nördliche Straßenseite vor den dort befindlichen Grundstücken und Anwesen einen Fußgängerweg auf, der es verhindert, dass Fußgänger den Straßenbereich selbst benutzen müssen. Landwirtschaftliche Fahrzeuge und PKW können bei entsprechender Vorsicht einander selbst dann passieren, wenn vereinzelte Fahrzeuge dort einseitig oder auch versetzt parken; im Übrigen gilt ohnehin § 12 Abs. 3 StVO.
Hiervon geht letztlich auch die Beklagte aus, da sie, was die Zusatzzeichen belegen, selbst keine Notwendigkeit einer zeitlich uneingeschränkten Anordnung des Zeichens 286 sah.
Vor diesem Hintergrund erweist sich die verkehrsrechtliche Anordnung vom 8. März 2019, die durch eine entsprechende Beschilderung umgesetzt wurde, als rechtswidrig, zumal weder die saisonale Ausdehnung noch die auf die angegebenen Uhrzeiten tatsächlich zwingend erforderlich ist. Es ist keine (zwingende) Notwendigkeit dargetan oder ersichtlich, die saisonale Geltung bereits ab April eines Jahres und bis Mitte November eines Jahres anzuordnen, da doch Badende in relevanter größerer Zahl (ansonsten steht der nahe Parkplatz zur Verfügung) wetter- und temperaturbedingt zusätzliche Parkflächen in einem deutlich kürzeren saisonalen Zeitraum beanspruchen. Weiter ist weder ersichtlich noch belegt, dass es eine zwingende Notwendigkeit gäbe, zwischen 7.00 Uhr und bis 21.00 Uhr den streitbefangenen Straßenabschnitt freihalten zu müssen. Badende beschränken sich typischerweise auf einen Zeitraum vom späten Vormittag bis allenfalls in den frühen Abend.
Das Gericht hat nach der mündlichen Verhandlung ohnehin den Eindruck gewonnen, dass es der Beklagten zuletzt gar nicht mehr um die Gefahr übermäßiger Nutzung der Straße durch Badegäste ging, vielmehr eigentlich um einen – dem Gericht jedoch nicht nachzuvollziehenden – „Nutzungskonflikt“ zwischen Anwohnern und Landwirten. Nachdem die Straße dort jedoch die zuvor beschriebenen Merkmale und über die Nähe zum Seezugang hinaus keine Besonderheiten aufweist, bewegt sich die Anordnung der Beklagten in der konkreten Form ersichtlich nicht in dem Bereich der Gefahrenabwehr. Wünsche bzw. Bequemlichkeiten der den Straßenabschnitt nutzenden Landwirte (so tendenziell aber das Ergebnis des Runden Tisches) rechtfertigen die Anordnung vor dem Hintergrund der strengen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 StVO nicht.
Zusammenfassend erweist sich die konkret vorgenommene straßenverkehrsrechtliche Anordnung daher weder als tatbestands- noch als ermessensgerecht. Da es dem Gericht jedoch verwehrt ist, sich gerade in Ausübung des Ermessens an die Stelle der Beklagten zu setzen, war die straßenverkehrsrechtliche Anordnung insgesamt und vollständig aufzuheben; die vorgenommene Beschilderung ist in diesem Straßenabschnitt vollständig zu beseitigen (§ 113 Abs. 1 S. 2 VwGO).
Die Kostenfolge ergibt sich §§ 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Das Obsiegen der Klagepartei für den streitbefangenen Abschnitt (§ 154 Abs. 1 VwGO) war in Relation zu setzen mit dem – deutlich längeren – Straßenabschnitt der B* … Straße/A. H* …straße, für den am Klagebegehren nicht festgehalten, vielmehr das Klagebegehren zurückgenommen wurde (§ 155 Abs. 2 VwGO).
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben