Aktenzeichen M 23 K 21.6378; M 23 S 21.6381
StVO § 45 Abs. 9
Leitsatz
Tenor
I.Die verkehrsrechtliche Anordnung vom 10. Dezember 2020 in der Fassung der letzten Verlängerungsanordnung vom 4. Oktober 2021 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die hierzu aufgestellten Verkehrsschilder umgehend zu entfernen.
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten vom 10. Dezember 2020 in der Fassung der letzten Verlängerungsanordnung vom 4. Oktober 2021, mit der versuchsweise eine Einbahnstraßenregelung auf der A* … Brücke B* … zwischen den beiden Brückenköpfen der A* … Brücke und der Grenze zu Österreich angeordnet wurde, ist rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Klagebefugnis dann zu bejahen, wenn das Klagevorbringen es zumindest als möglich erscheinen lässt, dass die angefochtene Maßnahme eigene Rechte des Klägers verletzt. Ein Verkehrsteilnehmer kann dabei als eine Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtsatzmäßigen Voraussetzungen für eine – auch ihn treffende – Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 StVO seien nicht gegeben. Im Rahmen der behördlichen Ermessensausübung kann er verlangen, dass seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen, abgewogen werden (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1993 – 11 C 35/92; U.v. 21.8.2003 – 3 C 15/03 – jeweils juris). Da der Kläger von der Einbahnstraßenregelung auf der A* … Brücke als sie regelmäßig benutzender Verkehrsteilnehmer betroffen ist, ist er demzufolge klagebefugt. Unerheblich ist, dass die streitige verkehrsrechtliche Anordnung wenige Tage nach der gerichtlichen Entscheidung ihre Wirksamkeit wegen Zeitablaufs verliert.
Auch die Klagefrist (Jahresfrist gemäß § 74 Abs. 1, § 58 Abs. 2 VwGO, vgl. BayVGH B.v. 4.12.2014 – 11 ZB 14.189 – juris Rn. 8) ist eingehalten.
2. Die Klage ist auch begründet.
Für die rechtliche Beurteilung von Verkehrszeichen als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung kommt es maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 – 3 C 42/09 – juris Rn. 14 m.w.N).
2.1 Die Beklagte stützt nach ihrer Einlassung in der Klageerwiderung vom 30. Dezember 2021 die Regelung zur Erprobung der Einbahnstraßenregelung auf der A* … Brücke auf die Rechtsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 6 StVO.
Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 StVO haben sie das gleiche Recht zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen.
Diese sog. „Experimentierklausel“ erlaubt der Straßenverkehrsbehörde verkehrsrechtliche Anordnungen zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen. Erfasst werden sollen mit dieser Vorschrift Fälle, in denen nicht die Frage zweifelhaft ist, ob überhaupt eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs vorliegt, sondern solche, in denen noch geklärt werden muss, welche Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und erforderlich sind.
Voraussetzung für die Durchführung eines Verkehrsversuchs nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO ist also zum einen, dass eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO festgestellt ist und dass zum anderen der Verkehrsversuch geeignet und erforderlich zur Erreichung des angestrebten Ermittlungsziels ist (BayVGH, B.v. 26.2.2015 – 11 ZB 14.2491 – juris Rn. 20). Das bedeutet, dass ein konkretes, die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs betreffendes Ziel formuliert werden muss, das mit dem Verkehrsversuch erreicht werden soll. Allein die Absicht der Straßenverkehrsbehörde, zu erproben, ob eine Gefahr im vorstehenden Sinne besteht, wird von dieser Norm daher nicht gedeckt. Einen Gefahrerforschungseingriff ermöglicht § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO nicht (vgl. VG München, U.v. 29.9.2014 – M 23 K 14.3323 – juris Rn. 36).
Die Begriffe der Eignung und Erforderlichkeit bedingen, schon um dem Erprobungscharakter gerecht zu werden, ein folgerichtiges, systematisches Vorgehen der Straßenverkehrsbehörde. Das verbietet es, nach dem Prinzip von „Versuch und Irrtum“ im Sinne einer freien, voraussetzungslos anwendbaren Experimentierklausel verkehrsregelnde Maßnahmen zur Probe zu treffen. Eine Verkehrsregelung zur Probe setzt eine sorgfältige Bestandsaufnahme und Bewertung derjenigen Umstände voraus, die als korrekturbedürftig angesehen werden und von den Zielen des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO gedeckt sind. Erst auf dieser Grundlage kann nämlich entschieden werden, welche verkehrsregelnden Maßnahmen überhaupt geeignet und erforderlich sein können, die Situation auf Dauer zu beseitigen oder zu entschärfen sowie welche von diesen sinnvollerweise zum Gegenstand einer Erprobung gemacht werden soll. Erst in diesem Stadium der Planung verkehrsrechtlicher Regelungen kommt der empirische Ansatz des Verkehrsversuches und dessen Auswertung als Voraussetzung für eine endgültige Regelung unter Berücksichtigung der Folgen der veränderten Situation auf andere, benachbarte Verkehrsbereiche in Betracht (VG München, U.v. 29.9.2014 – M 23 K 14.3323 – juris Rn. 36; vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2015 – 11 ZB 14.2491 – juris Rn. 20).
Die Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Alt. 2 StVO setzt zudem in zeitlicher Hinsicht voraus, dass die Dauer des Verkehrsversuchs dem Erprobungscharakter der Maßnahme entspricht; weiter, dass das Erprobungsziel konkret bestimmt und die erprobte Maßnahme geeignet und erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, sowie im Rahmen der Widmung möglich und dauerhaft rechtlich zulässig wäre (BayVGH, B.v. 28.6.2018 – 11 CS 18.964 – juris). Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung wird eine maximale Dauer von bis zu einem Jahr als zulässig angesehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2015 – 11 ZB 14.2491 – juris Rn. 21). Soweit der Versuch sich zeitlich weiter erstreckt, bedarf dies zumindest sachlicher Gründe (so implizit BayVGH, B.v. 28.6.2018 – 11 CS 18.964 – juris: Konstellation, in der Besonderheiten des Falles (starke Schwankungen des Kraftradaufkommens an verschiedenen Wochentagen und während verschiedener Jahreszeiten sowie mögliche, erfahrungsgemäß erst nach einiger Zeit einsetzende Reaktionen der Kraftradfahrer („Gewöhnungseffekt“) eine Dauer des Verkehrsversuchs von 14 Monaten gerechtfertigt haben).
2.2 Nach diesen Maßstäben erweist sich die Anordnung schon deshalb als rechtswidrig, weil ihre Dauer gegen das zeitliche Übermaßverbot verstößt.
Die Anordnung vom 10. Dezember 2020 sah zunächst einen Regelungszeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 vor, wurde dann ohne nähere Begründung am 24. Juni 2021 bis zum 30. September 2021 und am 4. Oktober 2021 schließlich erneut bis zum 31. März 2022 verlängert. Damit war sie insgesamt 15 Monate in Kraft, eine Zeitdauer, die ein Jahr deutlich überschreitet und damit grundsätzlich nach einer sachlichen Rechtfertigung verlangt.
Anerkennenswerte Gründe, die eine ausnahmsweise Überschreitung der grundsätzlich zulässigen Dauer von maximal einem Jahr rechtfertigen würden, liegen aber nicht vor. Die Beklagte rechtfertigt die zweimalige Verlängerung der Anordnung damit, dass die Erhebung des Verkehrsaufkommens im Erprobungszeitraum durch die Corona-Maßnahmen der deutschen und österreichischen Behörden erschwert bzw. zeitweise unmöglich gewesen seien. Dem ist zum einen entgegenzuhalten, dass bereits zum Zeitpunkt der Anordnung im Dezember 2021 absehbar war, dass das Verkehrsaufkommen sich aufgrund der deutschen und österreichischen Corona-Bekämpfungsmaßnahmen auf unabsehbare Zeit nicht so gestalten würde wie zu „normalen“ Zeiten. Wenn man das Verkehrsaufkommen möglichst unbeeinflusst von Corona-Bedingungen hätte messen wollen, so hätte es daher nahegelegen, von vornherein auf die Erprobungsanordnung solange zu verzichten, bis die Corona-Maßnahmen so zurückgefahren sein würden, dass eine Erprobung zumindest halbwegs unter Normalbedingungen stattfinden könnte, statt eine Erprobungsphase zu starten, von der bereits klar sein musste, dass sie für die festgelegten Zeiträume keine aussagekräftigen Zahlen liefern würde. Zum anderen dürfte davon auszugehen sein, dass das, was mit dem Verkehrsversuch erreicht werden sollte, nämlich „die verkehrlichen Wirkungen (i.e. der streitgegenständlichen Einbahnstraßenregelung) hinsichtlich der Leistungsfähigkeit auf der Alternativroute abzuschätzen“, trotz der Corona-Beschränkungen in wesentlich kürzerer Zeit als der insgesamt angeordneten leistbar gewesen wäre. Denn das, was an Verkehrsuntersuchung unter Geltung der Einbahnstraßenregelungen (bezeichnet als „Nachher-Erhebungen“) stattgefunden hat, war im Wesentlichen, einerseits am 22. Februar 2022 an vier relevanten Knotenpunkten die Effekte der Anordnung zu dokumentieren sowie andererseits am 25. und 26. Februar 2022 die verkehrliche Situation auf der W* … Straße auf der österreichischen Seite per Video zu dokumentieren und die Ergebnisse auszuwerten. Dass diese Untersuchung samt Auswertung im Laufe des Jahres 2021 nicht möglich gewesen sein sollte, erschließt sich nicht. Insoweit wäre schon der Sommer 2021, etwa ab Mitte Juni/Juli/August 2021, ein günstiger Zeitpunkt für solche Erhebungen gewesen, nachdem zu diesem Zeitpunkt einerseits keine Lockdown-Maßnahmen mehr bestanden bzw. die Grenze nach Österreich offen war und andererseits ein gewisser Gewöhnungseffekt der Verkehrsteilnehmer bereits eingesetzt hatte.
Im Übrigen konstatiert bereits die (zweite) Ergänzung des Verkehrsgutachtens vom 19. Dezember 2021 (S. 7 und 8 des Gutachtens vom Juni 2020), dass die Ergebnisse der Erhebungen durch Seitenradarmessung in der B* …gasse im Herbst (2021) zeigten, dass sich die Verkehrsmenge bei der Einbahnregelung in etwa halbiere. Die Messungen am L* …berg hätten eine Reduzierung des Verkehrs um bis zu 2.500 Kfz täglich gezeigt. Auch insoweit ist nicht hinreichend dargetan worden oder sonst ersichtlich, welche Erkenntnisse eine Verlängerung der Erprobungszeit über diesen Zeitpunkt hinaus hätte erbringen sollen. Dies vermochte auch die Beklagte nicht darzulegen; eine Rechtfertigung der Gesamtdauer der Erprobungsmaßnahme ist daher nicht gegeben, zumal die in etwa eintretende Halbierung des Verkehrs auf der A* … Brücke bei Einbahnregelung sowie die damit einhergehenden Folgewirkungen auf der Ausweichstrecke von vornherein absehbar waren.
2.3 Es fehlt des Weiteren – und insofern die gerichtliche Entscheidung selbsttragend -an der auch für einen Verkehrsversuch erforderlichen sorgfältigen Bestandsaufnahme und Bewertung derjenigen Umstände, die als korrekturbedürftig angesehen werden und von den Zielen des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO gedeckt sind. Entsprechende Untersuchungen bzw. Dokumentation sind nicht aktenkundig.
2.3.1 Aus den Sitzungsprotokollen des Hauptausschusses sowie des Stadtrats der Beklagten im Vorfeld der Anordnung der Regelung ist keine ernsthafte Bestandsaufnahme der verkehrlichen Situation ersichtlich. Danach sei die Ausweisung der A* … Brücke als Einbahnstraße geeignet, das Verkehrsaufkommen am S* …platz zu reduzieren. Im Rahmen ihres Mobilitätskonzepts sei es Ziel der Beklagten, Bereiche in der Stadt zu beruhigen und den Verkehr entsprechend zu reduzieren. Die Ausweisung der A* … Brücke als Einbahnstraße sei eine mögliche Variante der Verkehrsberuhigung am S* …platz. Damit wird aber ein Ansatz gewählt, der verkehrsregelnde Anordnungen als Instrument der Gefahrenabwehr verkennten dürfte und stattdessen stadtplanerische und verkehrspolitische Zielsetzungen zugrunde legt. Eine notwendige Ermittlung und Dokumentation derjenigen Umstände, die den Verkehrsversuch rechtfertigen sollen, ist den Protokollen nicht zu entnehmen. Die begleitenden Stellungnahmen von örtlicher Polizei und Bundespolizei, die damals bei der Beklagten eingegangen sind, enthalten ebenfalls keine Anhaltspunkte, die die Konzeption einer Einbahnstraßenregelung auf der A* … Brücke zur Abwehr etwaig festgestellter Gefahren rechtfertigen.
2.3.2 Auch das Verkehrsgutachten vom Juni 2020 mit Ergänzungen vom Oktober 2020 und Dezember 2021, das mangels weiterer Unterlagen im Wesentlichen die Bestandsaufnahme der Beklagten hinsichtlich der Ausgangssituation darstellt, enthält nicht die notwendige Dokumentation und Bewertung der gegebenen Verkehrssituation bzw. gegebener Gefahrenlagen, die als Grundlage des Verkehrsversuchs dienen könnten. Laut Verkehrsgutachten sei Anlass und Ziel der Maßnahme, die Aufenthaltsqualität auf dem S* …platz von B* … nachhaltig zu verbessern und Ziel der konkreten Untersuchung, „die verkehrliche Wirkung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit auf der Alternativroute abzuschätzen“ (S. 2). Durch eine Sperrung der A* … Brücke könnten auf Basis aktueller Verkehrserhebungen schätzungsweise 4.000 Kfz am Tag „beeinflusst“ werden, bei einer Einbahnstraßenlösung die Hälfte. Für eine Einbahnstraßenregelung werde trotz längerer Alternativroute eine „positive Bilanz um – 250.000 fahrzeugbelastete Anwohner“ prognostiziert. Für die größere Umfahrung bedeute die Sperrung einer Fahrtrichtung auf der A* … Brücke eine Verkehrsentlastung von ca. 2.000 – 3.000 Kfz täglich sowie eine nicht unerhebliche Reduzierung der Lärmwirkung. Die Aufenthaltsqualität insbesondere am M* …platz werde sich verbessern mit der Chance, eine situationsgerechtere Straßenraumgestaltung umsetzen zu können. Die Anzahl der Unfälle werde sich reduzieren. Zwischen 2016 und 2020 hätten sich nach der Dokumentation im Unfallatlas des Statistikportals zwischen dem S* …platz und der Einmündung der B* …in die M* … Straße etliche Unfälle auch mit Personenschäden ereignet.
Damit werden im Wesentlichen lediglich Prognosen darüber getroffen, wie sich die versuchsweise Regelung mutmaßlich auswirken werde, es werden aber keine konkret belastbaren Angaben zur Ausgangssituation im Sinne einer Bestandsaufnahme und Analyse des bestehenden Gefahrenpotentials gemacht. Die bloße Dokumentation der Verkehrsbelastung an den Einmündungen S* …platz/B* …gasse und T* … Straße/M* …gasse aufgrund Zählung im Juni 2020 ist jedenfalls nicht ergiebig, weil sich aus ihr lediglich eine quantitative Verkehrsbelastung ergibt, ohne dass hieraus eine konkrete verkehrsrechtliche Problemstellung abgeleitet würde.
Dies gilt insbesondere auch insoweit, als eine Reduzierung der Lärmwirkungen prognostiziert wird, da hier offenbleibt, von welchem Ist-Zustand hinsichtlich der Lärmwirkungen ausgegangen wird. Aus dem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Lärmschutzgutachten der Firma S* … & Partner GmbH vom 1. März 2022 ergibt sich gerade nicht, dass vor Erlass der streitgegenständlichen Anordnung eine Bestandsaufnahme der Verkehrsgeräuschbelastung gemacht worden wäre. Der Auftrag zur Erstellung der schalltechnischen Untersuchung wurde offenbar erst Anfang des Jahres 2022 und damit erst gegen Ende des Verkehrsversuchs erteilt. Auch insoweit dürfte es an einem auch für einen Verkehrsversuch notwendigen planvollen und systematischen Vorgehen der Straßenverkehrsbehörde fehlen.
Auch die Angaben zu Unfällen im Bereich des L* …bergs, entnommen dem Unfallatlas der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, kommen schließlich zwar im Ansatz für eine relevante Bestandsaufnahme im Hinblick auf eine konkrete Gefahrenlage in Betracht, reichen als Dokumentation hierfür aber schon deshalb nicht aus, weil nicht hinreichend substantiiert wird bzw. ersichtlich wäre, was diese Unfälle konkret mit der Verkehrssituation auf der A* … Brücke und am S* …platz verbindet.
2.3.3 Die nach Ergehen der versuchsweisen Regelung im gerichtlichen Verfahren, dort namentlich in dem Klageabweisungsschriftsatz vom 30. Dezember 2021, im Schriftsatz vom 7. März 2022 und insbesondere im nach der gerichtlichen Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit von der Beklagten vorgelegten Schriftsatz vom 17. März 2022 gemachten Erwägungen und vorgelegten Unterlagen vermögen den Mangel einer fehlenden Bestandsaufnahme vor Erlass der Anordnung nicht zu heilen. Sinn der oben angesprochenen Ermittlungs- und Dokumentationspflichten ist es gerade, die Beklagte zu einer genauen Ermittlung der den Verkehrsversuch rechtfertigenden Tatsachen im Vorfeld der versuchsweisen Anordnung anzuhalten, um so einen Verkehrsversuch „ins Blaue hinein“ zu verhindern.
2.4 Ob tatsächlich eine die – versuchsweise oder dauerhafte – Anordnung der Einbahnstraßenregelung auf der A* … Brücke rechtfertigende Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 StVO tatsächlich vorliegt, kann nach dem Gesagten daher dahinstehen.
Mit welchen straßenverkehrsrechtlichen Mitteln etwaige Gefahren zu beseitigen sein würden, die bei einer Entscheidung über eine verkehrsregelnde Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO ins Ermessen der Beklagten gestellt sind, bedarf mithin keiner Erörterung. Das Gericht weist daher lediglich ergänzend darauf hin, dass aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten wegen des konzentrierten und dichten Schulbetriebs am S* …platz und einer vom Beklagten erkannten damit einhergehenden Gefahr allenfalls eine zeitlich differenzierte straßenverkehrsrechtliche Regelung (bestimmte (Schul-) Tage und Tageszeiten) bzw. bei einseitiger Sperrung für den überregionalen Verkehr auch Gewährung einer Ausnahmeregelung zugunsten von der Regelung besonders nachteilig betroffener Anwohner, etwa der Anlieger, die auf oberösterreichischer Seite brückennah in der A* … Siedlung wohnen, in Betracht kommen könnte, was einer umfassenden Ermessensbetätigung sowie tunlichst einer Abstimmung mit der Gemeinde H* …-A** bedürfte. Eine dauerhafte Anordnung wäre an § 49 Abs. 9 Satz 3 StVO zu messen. Besondere örtliche Verhältnisse, denen nicht schon durch bestehende verkehrsrechtliche Anordnungen begegnet wurde, vermochte das Gericht – abgesehen vom vorbeschriebenen Schulgeschehen – bei dem Augenschein vor Ort nicht festzustellen.
Die verkehrsrechtliche Anordnung der Beklagten vom 10. Dezember 2021 war nach allem antragsgemäß aufzuheben und die Beseitigung der angebrachten Verkehrszeichen im Wege der Folgenbeseitigung anzuordnen (§ 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Der Klage war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO stattzugeben.