Medizinrecht

Verlegung des Versammlungsorts

Aktenzeichen  B 7 E 20.456

Datum:
22.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10929
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayIfSMV § 7
BayVersG Art. 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die Nr. 2.1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom … wird insoweit angeordnet, als damit der Versammlungsort vom … in … auf den …am … verlegt wurde.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Verlegung ihrer für den … angezeigten Versammlung vom … in … auf den … am … Am Samstag, den … zeigte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin für den … eine Versammlung mit dem Thema „Nicht ohne uns – Auseinandersetzung mit den „Corona-Maßnahmen“ – Hinweis zum Selbstverständnis: Wir arbeiten für die Verfassung. „Rückwärts“ vom liberalen Grundgesetz ist bei uns kein Platz! Für die vollständige Wiederherstellung aller Grundrechte, für eine pluralistische Gesellschaft, in der auch unterschiedliche wissenschaftliche Stimmen Gehör finden und Sorgen von Bürgern im sozialen und wirtschaftlichen Bereich Platz haben!“ an.
Die Versammlung soll um 15:30 Uhr beginnen, am …z in … durchgeführt werden und um 16:30 Uhr enden. Es würden 30 teilnehmende Personen erwartet, bei „50+“ werde man ggf. ausschließen. Es seien mindestens fünf Ordner vorgesehen. Als Kundgebungsmittel wurden u.a. Mikrofon und Lautsprecherbox benannt.
Nachdem die Antragstellerin bereits am … einen am selben Tag wegen Unzulässigkeit abgelehnten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt hatte (Az. B 7 E 20.452), wandte sie sich am … um 23.36 Uhr erneut per Telefax an das Verwaltungsgericht Bayreuth.
Sie beantragte (erneut) den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Am Vormittag des … wurde ihr der streitgegenständliche Bescheid vom selben Tag, mit dem die angezeigte Versammlung bestätigt und u.a. als Versammlungsort der … am … festgelegt wurde, zugeleitet.
Zum Versammlungsort hatte sich im Rahmen der Behörden-/ Fachstellenbeteiligung der Fachbereich Gesundheitswesen der Antragsgegnerin am … zu einer früheren, für den … geplanten Versammlung dahin geäußert, dass medizinisch gesehen Versammlungen oder Demonstrationen im Innenstadtbereich aufgrund der Erfahrungen vom vorangegangenen Wochenende für sehr kritisch gehalten würden. Insbesondere das Verhalten der Zuschauer, die von den Veranstaltern nur wenig beeinflussbar seien, stelle infektiologisch ein kaum beherrschbares Risiko dar. Das Straßenverkehrsamt teilte zur konkret anstehenden Versammlung mit, dass keine Einwände gegen die angezeigte Versammlung bestünden. Die Polizeiinspektion … teilte der Antragsgegnerin mit, dass aus dortiger Sicht eine Verlegung der Versammlung aus der Innenstadt dringend geboten sei (wurde näher erläutert).
Die Verlegung des Versammlungsortes wird im Bescheid vom … im Wesentlichen damit begründet, dass diese geeignet sei, die Versammlung in infektiologisch vertretbarer Weise durchführen zu können, was angesichts der Erfahrungen aus der Durchführung von thematisch gleichgelagerten Versammlungen einer anderen Anmelderin im gleichen Zeitraum an den vorangegangenen Wochenenden erforderlich sei. Es habe sich gezeigt, dass ein Versammlungsthema, welches sich kritisch mit den Beschränkungen während der Corona-Pandemie auseinandersetze, in … erheblich mehr Personen anziehe, als der Versammlungsanmelder erwarte – sogar ein Vielfaches der angezeigten Personenzahl. Zu einer für Samstag, … mit bis zu 50 Personen angezeigten Versammlung seien letztlich mehrere hundert Personen gekommen, die sich zum Zuschauen/Zuhören auf dem … aufgehalten hätten (wurde näher erläutert). Versuche der Versammlungsleitung, auf eine Reduzierung der Teilnehmer hinzuwirken, seien fehlgeschlagen. Insofern hätten Abstände zu Passantenverkehren nicht eingehalten werden können. Am Ende seien Personen, die augenscheinlich als Teilnehmer zur Versammlung gekommen gewesen seien, durchmischt mit Personen gestanden, die sich spontan zur Versammlungsteilnahme entschieden hätten und Schaulustigen auf dem … Es wurde die Problematik anhand einer thematisch gleichgelagerten Versammlung am vergangenen Samstag aufgezeigt. Platzverweise seien nötig gewesen. Nunmehr seien die weitergehenden Lockerungen der anlässlich der Pandemie verfügten Einschränkungen zu berücksichtigen; mit erhöhtem Passantenverkehr etc. sei zu rechnen. Eine Vielzahl von Personen werde versuchen, sich einen Platz in der Versammlung der Antragstellerin zu „ergattern“. Diese werde von einer interessierten Öffentlichkeit angesteuert werden. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird als gesteigert beschrieben, was die Problematik noch verschärfen könne. Die kommunikative Einwirkung der Antragstellerin werde nicht ausreichend sein. Es sei eine Gemengelange zu befürchten, die durch die notwendigen Polizeikräfte noch verschärft werden werde. So bestehe die Gefahr, dass Verweisungen/Platzverweise mit Rücksicht auf daraus resultierende Gefahren für den dichten Fußgängerverkehr zugunsten einer deeskalierenden Duldung dieser Personengruppen vor Ort zurückgestellt würden. Als mildestes Mittel erweise sich die Verlegung des Versammlungsortes (wurde näher ausgeführt).
Die Antragstellerin meldete sich auf ein Telefax des Gerichts telefonisch und teilte dem Vorsitzenden nach Hinweisen zur verfahrens- und kostenrechtlichen Situation mit, dass der Eilantrag aufrechterhalten bleibe. Sie verweise auf ihren Schriftsatz, auch in der abgeschlossenen Streitsache B 7 E 20.452. Eine schriftliche Äußerung könne sie derzeit nicht vorlegen, da sie unterwegs sei und kein Telefaxgerät zur Verfügung habe. Sie machte deutlich, dass es ihr, nachdem nun ein Bescheid der Antragsgegnerin vorliege, weiterhin darum gehe, dass die angezeigte Versammlung auf dem … stattfinden könne.
Vor diesem Hintergrund beantragt die Antragstellerin sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die Nr. 2.1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom … insoweit anzuordnen, als damit der Versammlungsort vom … in … auf den …am … verlegt wurde.
Die Antragsgegnerin legte in Ergänzung zu den bereits im Verfahren B 7 E 20.452 übermittelten Akten die seither zusätzlich angefallenen Aktenteile ohne förmliche Antragstellung vor.
Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen, auch diejenigen des Verfahrens Az. B 7 E 20.452.
II.
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere steht der Zulässigkeit in der hier gegebenen besonderen Konstellation nicht entgegen, dass die Antragstellerin eine Klage gegen die angeordnete Verlegung des Versammlungsortes bisher nicht erhoben hat. Nach einer verbreiteten Auffassung setzt die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO voraus, dass jedenfalls bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung ein Rechtsbehelf – hier die Anfechtungsklage – erhoben wurde, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt oder angeordnet werden kann. Es wird darauf hingewiesen, dass dies ein Gebot der Logik sei und dass jemand, der gerichtlichen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Anspruch nimmt, zumutbar auch den Hauptsacherechtsbehelf einlegen könne. Das Verfahren diene nicht dazu, die Auffassung des Gerichts zu einer Rechtsfrage zu erfahren, bevor die Entscheidung zur Erhebung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache getroffen werde. Die Gegenansicht verweist u.a. auf Überlegungen zur Verkürzung der für Rechtsbehelfe geltenden Überlegungsfristen (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, § 80, Rn. 81).
Die vorliegende Konstellation ist jedoch von weiteren Besonderheiten gekennzeichnet, so dass die Kammer ausnahmsweise vom Erfordernis einer bereits erhobenen Klage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung absieht. Der Eilantrag wurde bereits vor dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheids erhoben und das Antragsbegehren der nicht anwaltlich vertretenen Antragstellerin wurde in zulässiger Weise sachdienlich umgestellt. Zudem hat die Antragstellerin telefonisch glaubhaft dargelegt, dass sie aufgrund Abwesenheit aktuell kein Telefaxgerät zur Verfügung habe.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei dieser Entscheidung hat es entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sowie hier insbesondere die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 GG.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat der Antrag Erfolg.
Nach § 5 BayIfSMV sind vorbehaltlich spezieller Regelungen in dieser Verordnung u.a. Versammlungen landesweit untersagt. Ausnahmegenehmigungen können auf Antrag von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erteilt werden, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. Jedoch werden durch die speziellere Norm des § 7 Satz 1 BayIfSMV öffentliche Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärt. Nach § 7 Satz 2 gilt § 5 Satz 2 BayIfSMV entsprechend.
Im Falle der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin eine solche sog. privilegierte Versammlung im Sinne des § 7 Satz 1 BayIfSMV angenommen. Bedenken an dieser Einordnung hegt das Gericht bei summarischer Prüfung nicht. Damit gelten für die konkret in Rede stehende Versammlung die allgemeinen Vorschriften des Bayerischen Versammlungsgesetzes, wobei die Einhaltung der maßgeblichen – auch infektions-schutzrechtlichen – Voraussetzungen bzw. Beschränkungen von der zuständigen Behörde durch entsprechende Verfügungen sicherzustellen ist.
Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die Antragsgegnerin als zuständige Behörde die Versammlung beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der die Antragsgegnerin ihr Ermessen nach dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und insbesondere die gesetzlichen Grenzen des Ermessens (Art. 40 BayVwVfG, § 114 Satz 1 VwGO) einzuhalten und damit insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren hat. Für die infektionsschutzrechtliche Gefahrenprognose ist vor allem auch die Versammlungsörtlichkeit und -zeit von großer Bedeutung. Hier sind vor allem räumliche Aspekte wie Platzbedürfnisse der angemeldeten Versammlung, die Frequentierung der Örtlichkeit während des Versammlungszeitraums durch Passanten sowie die außerhalb des Versammlungsbereichs noch zur Verfügung stehenden Flächen für Passanten, weitere Verkehrsteilnehmer und insbesondere der Einsatz- und Rettungskräfte zu berücksichtigen (vgl. Vollzugshinweise des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration vom 13.05.2020).
Die durch Bescheid vom … verfügte Verlegung des Versammlungsortes kann bei summarischer Prüfung nicht als rechtmäßig bestätigt werden.
Zwar ist bei Durchführung der Versammlung auf dem inmitten von … gelegenen … am Samstagnachmittag durchaus mit einer erheblichen Anzahl von Passanten zu rechnen. Es mag auch zutreffen, dass angesichts der Aktualität und des großen Meinungsspektrums nicht wenige Passanten und sonstige Interessierte auf die Versammlung aufmerksam werden und sich dieser nähern dürften. Es liegt auf der Hand, dass damit die konkrete Gefahr gegeben ist, dass der infektiologisch derzeit für notwendig erachtete Mindestabstand von 1,5 m zwischen zwei Personen (vgl. § 1 Abs. 1 BayIfSMV) nicht in jedem Fall (sogleich) wird eingehalten werden.
Art. 15 BayVersG rechtfertigt grundsätzlich jedoch nur Eingriffe aufgrund von Gefahren, die von der angemeldeten Versammlung selbst hervorgerufen werden, d.h. überwiegend aus dem Teilnehmerkreis der Demonstranten und nicht von außenstehenden Dritten. Ist beispielsweise zu befürchten, dass von Gegendemonstranten Störungen ausgehen, muss die Versammlung primär vor solchen Beeinträchtigungen geschützt werden (vgl. Madeja in PdK, Art. 15 BayVersG, Nr. 2.1.1).
Es ist den dem Gericht vorliegenden Unterlagen in Verbindung mit den Ausführungen der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid unter Berücksichtigung des hohen Schutzgehalts des Art. 8 GG nicht hinreichend zu entnehmen, dass etwaigen Verstößen gegen die geltenden Abstandsregelungen und sonstigen Zuwiderhandlungen vor allem auch außerhalb des Kreises der Demonstrationsteilnehmer durch die Sicherheitsbehörden nicht wirksam begegnet werden könnte. Erforderlichenfalls wird die Polizei Personen ansprechen, diesen Hinweise und ggf. mündliche Anordnungen erteilen (müssen), die unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ggf. auch im Wege des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden können.
Es ist nicht dargetan, dass es den Polizeibehörden nicht möglich wäre, vor Ort auf die Einhaltung des geltenden Rechts hinzuwirken. Hinreichende Anhaltspunkte diesbezüglich ergeben sich insbesondere nicht aus der im Verwaltungsverfahren abgegebenen Stellungnahme der Polizeiinspektion … Soweit darin der Platzbedarf angesprochen wird, ist dem Gericht die Örtlichkeit im Wesentlichen bekannt bzw. kann anhand von Luftbildern ausreichend eingeschätzt werden. Es ist eine hinreichende Begründung nicht ersichtlich, dass eine grundlegende Steuerung der verschiedenen Personengruppen, sei es Teilnehmer, Interessierte, Passanten und sonstige Personen auf diesem zentral gelegenen Platz mit erheblichen Ausmaßen nicht möglich wäre und/oder dass gegen etwaige Zuwiderhandlungen nicht wirksam eingeschritten werden könnte, ohne freilich Unbeteiligte, Polizeikräfte oder andere Personen (wie auch die Störer selbst) einer nicht vertretbaren Gefährdung auszusetzen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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