Medizinrecht

Versammlungsrecht, Angezeigte Versammlung unter freiem Himmel, Verlegung des Versammlungsortes (auf die Hellip*), Verbot einer fortbewegenden Versammlung

Aktenzeichen  M 33 S 22.259

Datum:
19.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 395
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8
BayVersG Art. 15

 

Leitsatz

Tenor

I. Unter der Maßgabe, dass der Antragsteller am heutigen Tag, dem 19. Januar 2022, bis spätestens 18:00 Uhr, beim Verwaltungsgericht München Klage erhebt, wird die aufschiebende Wirkung dieser noch zu erhebenden Klage hinsichtlich der Nummer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom … Januar 2022 insoweit angeordnet, als
– darin die Versammlung nicht nur auf eine ortsfeste Durchführung beschränkt, sondern vom O … auf die T … verlegt wurde und
– mit der Maßgabe, dass die angezeigte Versammlung auf einem verfügbaren Platz nahe des O … vor dem R … stattfindet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Von den Kosten des Verfahrens haben der Antragsteller ¾ und die Antragsgegnerin ¼ zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin vom … Januar 2022, mit dem versammlungsbeschränkende Auflagen bzw. eine Teiluntersagung (Verlegung) für eine vom Antragsteller für Mittwoch, 19. Januar 2022, ab 18.30 Uhr in M … angezeigte Versammlung angeordnet wurden.
Der Antragsteller zeigte mit Schreiben vom … Januar 2022 eine für Mittwoch, 19. Januar 2022 von 18:30 Uhr bis ca. 21:00 Uhr geplante fortbewegende Versammlung unter freien Himmel unter dem Motto: „Für Bewegungsfreiheit und gegen KVR- und Polizeiwillkür in M …“ bei der Antragsgegnerin an. Dabei trete der Antragsteller als Veranstalter und Versammlungsleiter auf. Die Aufstellung solle ab 18:00 Uhr am O … in M … erfolgen und es sei mit 20 Versammlungsteilnehmern zu rechnen. Für die bewegte Versammlung sei folgende Route geplant: O … – L … straße – … Platz – … … Platz – S … straße – … straße – T … straße – L … straße – …
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom … Januar 2022 wurden u.a. folgende Anordnungen getroffen:
„1. Örtliche Verlegung/Teiluntersagung
Die Durchführung der von Ihnen angezeigten Versammlung wird am 19.01.2022 stationär auf die T … verlegt. Die Aufstellung erfolgt innerhalb der im anliegenden Lageplan markierten Fläche und ggf. nach näherer Weisung der polizeilichen Einsatzleitung. Der Lageplan ist Bestandteil dieses Bescheides.
Die Modalität einer sich fortbewegenden Versammlung ist somit untersagt.
(..)
5. Maskenpflicht
Es gilt für alle Teilnehmer*innen während der gesamten Versammlung eine FFP2-Maskenpflicht. Hiervon ausgenommen sind die Versammlungsleitung während Durchsagen und Redner*innen für die Dauer ihres Redebeitrags, Blasmusiker*innen, Sänger*innen und Tänzer*innen während ihrer Darbietung. Dabei haben Redner*innen/Blasmusiker*innen/Sänger*innen/Tänzer*innen für die Dauer ihres Redebeitrags bzw. während ihrer Darbietung einen Mindestabstand von 2 m zu anderen Personen einzuhalten.
Im Übrigen gilt § 2 Abs. 3 der 15. BayIfSMV entsprechend, d.h.:
– Kinder sind bis zum sechsten Geburtstag von der Tragepflicht befreit.
– Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Maske aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, sind von der Trageverpflichtung befreit; die Glaubhaftmachung erfolgt bei gesundheitlichen Gründen insbesondere durch eine ärztliche Bescheinigung, die die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICE 10 sowie den Grund, warum sich hieraus eine Befreiung der Tragpflicht ergibt, enthält.
– Kinder und Jugendliche zwischen dem sechsten und dem 16. Geburtstag müssen nur eine medizinische Gesichtsmaske tragen.
– das Abnehmen der Mund-Nasen-Bedeckung ist zulässig, solange es zu Identifikationszwecken oder zur Kommunikation mit Menschen mit Hörbehinderung oder aus sonstigen zwingenden Gründen erforderlich ist.
6. Subsidiäre Visierpflicht
Entfällt die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung auf der Grundlage von § 2 Abs. 3 der 15. BayIfSMV, wird für die jeweils Betroffenen das Tragen eines Visiers angeordnet. Diese Verpflichtung entfällt wiederum nur dann, wenn die gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 der 15. BayIfSMV vorgelegte ärztliche Bescheinigung konkrete Angaben darüber enthält, weshalb das Tragen eines Visiers aus gesundheitlichen Gründen für den jeweils Betroffenen nicht zumutbar ist.
7. Vorlage Glaubhaftmachung der Maskenbefreiung inkl. Identitätsnachweis
Diejenigen Personen, die sich auf eine Befreiung gem. § 2 Abs. 3 der 15. BayIfSMV aus gesundheitlichen Gründen berufen, haben sich vor dem Betreten des Versammlungsortes bei der Polizei vor Ort zu melden und ihre Befreiung durch Vorlage der ärztlichen Bescheinigung zusammen mit dem Personalausweis oder einem anderen amtlichen Lichtbildausweis glaubhaft zu machen.“
Die Antragsgegnerin stützt die Anordnungen auf Art. 15 Abs. 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) i.V.m. § 9 der Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (15. BayIfSMV) mit der Begründung, dass bei der der von öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel ausgehenden Infektionsgefahren die Gefahren auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben. Insbesondere sei davon auszugehen, dass einer sich fortbewegenden Versammlung des Veranstalters eine große Anzahl Personen aus dem Spektrum der sognannten „Mittwochsspaziergänger“ anschließen würde. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Veranstalter bemüht bzw. technisch oder organisatorisch darauf vorbereitet sei, die zu erwartende große Teilnehmerzahl unter Kontrolle zu haben. Die Versammlung könne jedoch stationär auf der T* …, die für eine größere Teilnehmerzahl ausreichend Platz biete, durchgeführt werden.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 18. Januar 2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 19. Januar 2022, einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellt. Im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt er sinngemäß die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen Nr. 1, Nr. 5, Nr. 6 und Nr. 7 des Bescheids der Antragsgegnerin vom … Januar 2022.
Zur Begründung trägt er vor, dass eine Verlegung einer Versammlung mit 20 Teilnehmern auf die T* … mit einer Fläche von 42 Hektar jegliche Wahrnehmung der Versammlung verhindere. Bei einer Versammlung an der frischen Luft mit 20 Teilnehmern, bei der der Mindestabstand von 1,5 m eingehalten werde, sei eine Masken- und Visierpflicht entbehrlich. Die Kontrolle von Ausweispapieren und ärztlichen Zeugnissen durch die Polizei habe abschreckende Wirkung, da die Versammlungsteilnehmer gerade ihre Meinung gegen staatliche Organe wie das KVR und die Polizei kundtun wollten. Im Übrigen stehe der Datenschutz dem entgegen. Darüber hinaus sei die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin nicht nachvollziehbar, es werde ein Zusammenhang mit einer Versammlung vom … Januar 2022 hergestellt, ohne dies näher zu beweisen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides. Ferner führt sie aus, dass auf Telegramm bereits angekündigt sei, dass die angeordnete stationäre Verlegung nicht akzeptiert werde. Gerade an Mittwochen sei mit umfangreichen, nicht angezeigten Versammlungen zu rechnen. Kollisionen zwischen mit der angezeigten Versammlung seien unvermeidbar. Die Verlegung auf einen größeren Innenstadtplatz sei kein gleich geeignetes milderes Mittel, da sich der angezeigten Versammlung größere Menschenmengen anschließen würden, die sich fortbewegen wollen würden.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag ist im Umfang des Tenors begründet, im Übrigen unbegründet, sodass im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage anzuordnen und der Antrag im Übrigen abzulehnen war.
Denn der Bescheid der Antragsgegnerin ist in der Beschränkung in Nr. 4 (Verlegung auf die T* …*) voraussichtlich rechtswidrig und verletzt den Antragssteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO); im Übrigen ist voraussichtlich rechtmäßig.
1. Gem. § 80 Abs. Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage anordnen, wenn diese keine aufschiebende Wirkung hat. Dies ist gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit Art. 25 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) bei einer Klage gegen Versammlungsbeschränkungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG der Fall.
Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Suspensivinteresse des Antragsstellers am Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs vorzunehmen. Dabei prüft das Gericht nicht die Verwaltungsentscheidung, sondern trifft eine eigene, originäre Interessensabwägung, für die in erster Linie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich sind. Im Falle einer demnach voraussichtlich aussichtslosen Klage besteht dabei kein überwiegendes Interesse an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Wird dagegen der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein, so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Bei offenen Erfolgsaussichten ist eine Interessensabwägung vorzunehmen, etwa nach den durch § 80 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO getroffenen Grundsatzregeln, nach der Gewichtung und Beeinträchtigungsintensität der betroffenen Rechtsgüter sowie der Reversibilität im Falle von Fehlentscheidungen (Gersdorf in BeckOK VwGO, Stand 1.7.2021, § 80 Rn. 187 f. und 190).
Dem Charakter des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht dabei grundsätzlich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. Gersdorf in BeckOK VwGO, Stand 1.7.2021, § 80 Rn. 176). Zum Schutz von Versammlungen ist indes schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt (BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 18 m.w.N.).
2. Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (hierzu und zum Folgenden BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16).
Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wobei solche Beschränkungen im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Versammlungsgrundrechts auszulegen sind. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind daher nur zum Schutz gleichrangiger anderer Rechtsgüter und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Auflagen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 54, 63).
Dem entsprechend kann die zuständige Behörde gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG eine Versammlung verbieten oder beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei die Unverletzlichkeit und den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und Ehre des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und den Bestand der staatlichen Einrichtungen (BVerfG B. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – BVerfGE 69, 315). Erfasst sind damit auch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1989 – 7 C 50/88 – BVerwGE 82, 34 – juris Rn. 15).
Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, ist eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial verträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (BayVGH, B.v. 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 20; B.v. 13.11.2020 – 10 CS 20.2655 – juris Rn. 22; HessVGH, B.v. 30.10.2020 – 2 B 2655/20 – juris Rn. 5 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 64).
Mit der Aufnahme von Versammlungsbeschränkungen in den Katalog möglicher Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) gemäß § 28a Abs. 1 IfSG hat der Gesetzgeber die Wertung vorweggenommen, dass solche Beschränkungen grundsätzlich geeignet sind, Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner zu begegnen und einer Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken (vgl. § 28 Abs. 3 Satz 1 IfSG; BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – Rn. 17 ff.). Auf dieser Grundlage bestimmt § 9 Abs. 1 Satz 1 Fünfzehnte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (15. BayIfSMV) für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel einen Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Teilnehmern und die Vermeidung jeden Körperkontakts mit anderen Versammlungsteilnehmern oder Dritten. § 9 Abs. 1 Satz 2 13. BayIfSMV bestimmt jedoch die Pflicht der nach Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörde, soweit im Einzelfall erforderlich durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 BayVersG sicherzustellen, dass die Bestimmungen nach Satz 1 eingehalten werden und die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben. Diese Bestimmungen konkretisieren auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 28a IfSG (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2020 – 10 CS 20-2103 – juris Rn. 7).
3. Gemessen an diesen Maßstäben ist dem Eilantrag im tenorierten Umfang stattzugeben.
Die angegriffenen Beschränkungen des Bescheides nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG sind bezüglich der Untersagung des fortbewegenden Teils der Versammlung (Nr. 1), der Anordnung der FFP2-Maskenpflicht mit Ausnahmen (Nr. 5) und der subsidiären Visierpflicht (Nr. 6) sowie der Pflicht zur Glaubhaftmachung einer Maskenbefreiung durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung samt amtlichem Lichtbildausweis (Nr. 7) voraussichtlich rechtmäßig (hierzu unter 3.1.).
Die örtliche Verlegung der angezeigten Versammlung auf die T* … (Nr. 1) ist aller Voraussicht nach rechtswidrig (hierzu unter 3.2.).
3.1. Hinsichtlich der Untersagung des fortbewegenden Teils, der Masken- bzw. Visierpflicht und der Glaubhaftmachungspflicht wird in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffende Begründung des Bescheides und der Antragserwiderung der Antragsgegnerin verwiesen. Die Kammer macht sich diese zu eigen und folgt den diesbezüglichen Ausführungen. Lediglich ergänzend ist auszuführen:
Die Antragsgegnerin dürfte in rechtsfehlerfreier Weise davon ausgegangen sein, dass die Anordnung der FFP2-Masken- bzw. Visierpflicht zur Gewährleistung der infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit der Versammlung erforderlich ist. § 9 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV i.V.m. Art. 15 BayVersG stellt hierzu eine ausreichende Rechtsgrundlage dar.
Dass in der 15. BayIfSMV eine generelle Maskenpflicht für Teilnehmer an Versammlungen i.S.d. Art. 8 GG wie schon in der 14. BayIfSMV nicht mehr vorgesehen ist, steht einer entsprechenden versammlungsrechtlichen Beschränkung nicht von vornherein entgegen. Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der 15. BayIfSMV verweist ausdrücklich auf die Möglichkeit weitergehender Beschränkungen i.S.d. Art. 15 BayVersG. Dass die Anordnung von Maskenpflicht aufgrund konkreter Umstände möglich bleibt, entspricht dem Willen des Normgebers (vgl. Begründung der Vierzehnten Bayerischen Immissionsschutzmaßnahmenverordnung, BayMBl. 2021 Nr. 616).
In tatbestandlicher Hinsicht ist es im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin bezüglich der infektiologischen Gefahrenlage u.a. die aktuelle Risikobewertung des Münchner Gesundheitsreferates und die Übersicht der Coronavirus-Infektionszahlen in Bayern des Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelrecht zugrunde legt. Ferner durfte die Antragsgegnerin der Einschätzung des Verordnungsgebers und des Robert-Koch-Instituts (RKI) folgen, dass insbesondere die derzeitigen Verschärfungen der epidemischen Lage durch die Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus besondere Schutzmaßnahmen bei Versammlungen erforderlich macht. Zwar ist dem Antragsteller insofern zuzustimmen, dass die Infektionsgefahr bei einer Versammlung unter freiem Himmel mit nur ca. 20 Teilnehmern, die einen Mindestabstand von 1.5 Metern einhalten, voraussichtlich nicht so hoch sein durfte. Bei ihrer Gefahrenprognose hat die Antragsgegnerin jedoch zu Recht berücksichtigt, dass sich der angezeigten Versammlung des Antragsstellers eine Vielzahl an Personen aus dem Spektrum der sogenannten „Mittwochsspaziergänger“ anschließen könnte, was die angeordnete Masken- bzw. Visierpflicht virologisch und aerosoltechnisch rechtfertigen würde.
Soweit der Antragsteller gegen die Anordnung der Masken- bzw. Visierpflicht einwendet, dass bei Versammlungen im Freien nahezu keine Infektionsgefahr bestehe, wird auf die obergerichtliche Rechtsprechung verwiesen, die sich mit diesem Gesichtspunkt bereits in mehreren Entscheidungen auseinandergesetzt hat. Zumindest in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wurde kein Anlass gesehen, die grundsätzliche Eignung der Verpflichtung des Tragens von Mund-Nasen-Bedeckungen bei Versammlungen auch unter freiem Himmel als Baustein zur Eindämmung der COVID 19-Pandemie infrage zu stellen. Die Übertragung von Viren über Aerosole komme im Freien zwar seltener vor, dies gelte nach den fachlichen Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts aber nicht bei engem Kontakt, z.B. Gesprächskontakt (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2021 – 25 NE 21.1814 – juris Rn. 23) und in Menschenmengen mit geringen Abständen (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2021 – 10 CS 21.249 – juris Rn. 33). Diese Einschätzung gilt erst Recht hinsichtlich der hoch ansteckenden Omikron-Variante.
3.1.2. Die aufgezeigte Gefahrenlage zugrunde gelegt ist die Untersagung des fortbewegenden Teils der Versammlung voraussichtlich ebenfalls rechtmäßig.
Eine fortbewegende Versammlung ist ein dynamisches Geschehen, weil sie sich nicht gleichmäßig bewegt, sondern es regelmäßig je nach individuellem Gehtempo beziehungsweise Entwicklung der Versammlung zu (unerwarteten) Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen innerhalb der Gruppe der Versammlungsteilnehmer kommt, weshalb grundsätzlich die Gefahr besteht, dass es zu nicht unerheblichen Unterschreitungen des aus Infektionsschutzgesichtspunkten gebotenen Mindestabstandes kommt (BayVGH B.v. 16.4.2021 – 10 CS 21.1114 – juris Rn. 33).
Insofern sind die Auführungen der Antragsgegnerin, dass bei einer sich fortbewegenden Versammlung vom einem sog. Ziehharmonika-Effekt auszugehen sei, nicht zu beanstanden. Zur hinreichenden Gewährleistung der nach § 9 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfsMV erforderlichen Abstände ist es auch geeignet, erforderlich und im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit des Antragstellers zum Schutz von Leben und Gesundheit von Teilnehmenden, Passanten und Einsatzkräften nach Art. 2 GG sowie im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens auch angemessen, eine Fortbewegung im konkreten Fall – insbesondere aufgrund der zu erwartenden Vervielfachung der Versammlungsteilnehmer – zu untersagen.
Aus Sicht der Kammer überwiegt vorliegend das (öffentliche) Interesse am Vollzug dieser Beschränkungen (Maskenpflicht und stationäre Durchführung). Im Verhältnis zur eher geringen und – die Erforderlichkeit zur Vermeidung von rechtlich relevanten Infektionsgefahren unterstellt – zumutbaren Grundrechtseinschränkung ist das Interesse an der Vermeidung zusätzlicher COVID-19-Infektionen höher zu gewichten. Dass die Maskentragepflicht zu demgegenüber schwerwiegenden oder irreparablen Grundrechtseingriffen führen würde, ist nicht erkennbar, zumal die Adressaten der Beschränkung bei Vorliegen medizinischer Gründe in Übereinstimmung mit § 2 Abs. 3 Nr. 2 15. BayIfSMV von der Pflicht befreit sind (vgl. Nr. 5 des Bescheids).
3.1.2. Hinsichtlich der Rechtsmäßigkeit der Pflicht zur Glaubhaftmachung einer Maskenbefreiung durch die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung und die zusätzliche Ausweisung bestehen nach Auffassung der Kammer nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eine konstituierende Bedeutung für die freiheitlich demokratische Grundordnung (BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 – BVerfGE 69, 315) und gehört – ebenso wie die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG – zu den Minderheitenschutzrechten. Das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG soll zumindest im Grundsatz gewährleisten, dass auch solche Personen an einer Versammlung teilnehmen (können), die – etwa aus Furcht vor Sanktionen des Arbeitgebers, staatlicher Erfassung der eigenen Person oder der geäußerten politischen Meinung – nicht bereit sind, ihre Identität zu offenbaren (so VG Köln, B.v. 7.5.2020 – 7 L 809/20 – juris Rn. 9; anders aber bzgl. eines mehrtägigen Protestcamps NdsOVG B.v. 23.9.2020 – 13 B 1422/20 – juris). Insofern ist die Anonymität zentraler Bestandteil des Versammlungsrechts und kann nur unter engen Voraussetzungen aufgehoben werden.
Darüber hinaus ist es schon unklar, ob eine zwingende Vorlagepflicht von ärztlichen Bescheinigungen nicht über die Anforderungen des § 2 Abs. 3 der 15. BayIfSMV hinausgeht, der lediglich von der Möglichkeit, die Befreiung glaubhaft zu machen, spricht.
Die Bedenken des Antragstellers, die angeordnete Identitätskontrolle von Versammlungsteilnehmern hätte eine abschreckende Wirkung und wäre überdies aus datenschutzrechtlichen Erwägungen bedenklich, sind für das Gericht auch nachvollziehbar.
Vor dem Hintergrund, dass einerseits von einer qualifizierten Maskenbefreiung wahrscheinlich die wenigsten der Teilnehmer betroffen sind, andererseits die Durchsetzung der Maskenpflicht ohne die Glaubhaftmachungs- und Vorlagepflicht erheblich erschwert wäre, hält die Kammer nach nur summarischer Prüfung die Anordnung in Nummer 7 des angefochtenen Bescheids für noch vertretbar.
3.2. Hinsichtlich der Festlegung eines anderen Versammlungsortes erweist sich der angefochtene Bescheid hingegen aller Voraussicht nach als rechtswidrig und mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG unvereinbar. Vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters nach Art. 8 Abs. 1 GG ist auch die Auswahl des Ortes der Versammlung umfasst. Die Bürgerinnen und Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls, aber nicht notwendig auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können (BVerfG, einstweilige Anordnung vom 18. Juli 2015 – 1 BvQ 25/15 -, juris Rn. 9 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 14. 5.1985 – 1 BvR 233/81 – BVerfGE 69, 315-372; U.v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226-278). Die Versammlungsbehörde hat im Normalfall lediglich zu prüfen, ob durch die Wahl des konkreten Versammlungsortes Rechte anderer oder sonstige verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit beeinträchtigt werden, und eine entsprechende Abwägung vorzunehmen. Dem hat die Antragsgegnerin trotz eines entsprechenden richterlichen Hinweises nicht genügend Rechnung getragen.
Aus Sicht der Kammer hat die Antragsgegnerin nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass die Durchführung der Versammlung am angezeigten Ort oder jedenfalls in unmittelbarer Nähe des gewünschten Versammlungsortes mit hoher Wahrscheinlichkeit zu infektionsschutzrechtlich unvertretbaren Zuständen führen würde, denen auch durch versammlungsrechtliche und polizeiliche Maßnahmen vor Ort nicht begegnet werden könnte. Aus Sicht der Kammer kann eine Versammlung mit ca. 20 Teilnehmern grundsätzlich – zumindest unter entsprechender polizeilicher Begleitung und Absicherung – auch unter derzeitigen Bedingungen und unter Berücksichtigung der generellen Versammlungslage in zentraler Innenstadtlage stattfinden. Das würde – zumindest im Bereich des O* … – selbst dann gelten, wenn die angezeigte Teilnehmerzahl deutlich überschritten würde. Es drängt sich auch nicht von vornherein auf, dass auch unter Berücksichtigung des Platzbedarfs für den allgemeinen Passanten- und Publikumsverkehr eine Versammlung der in Rede stehenden Größenordnung in infektionsschutzrechtlicher Sicht am O* … bzw. einem anderen zentral gelegenen Ort in der Innenstadt zu raumgreifend wäre. Insofern erweist sich eine örtliche Verlegung auf die T* … als nicht erforderlich, zumindest sind jedenfalls mildere Mittel, die dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über den Versammlungsort besser Rechnung tragen, vorhanden. Im zur Verfügung stehenden Zeitrahmen – die Versammlung wurde bereits am … Januar 2022 angezeigt – hätte die Versammlungsbehörde insoweit kooperativ mit dem Veranstalter andere Optionen erörtern und eine grundrechtsschonendere Lösung finden können. Die Ausführungen der Antragsgegnerin zu den zu erwartenden Verhältnissen am O* … sind nicht hinreichend substantiiert. Die Verlegung der Versammlung auf die T* … ist daher nach summarischer Prüfung voraussichtlich nicht verhältnismäßig und insoweit die aufschiebende Wirkung einer – allerdings bis Versammlungsbeginn – noch zu erhebenden Klage anzuordnen.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO. Gemäß dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen erschien eine verhältnismäßige Verteilung der Kosten auf den Antragsteller mit ¾ und die Antragsgegnerin mit ¼ angemessen.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, besteht kein Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben