Medizinrecht

Versammlungsrecht, FFP2-Maskenpflich, Fortbewegende Versammlung (nicht durch Bescheid beschränkt)

Aktenzeichen  M 33 S 22.675

Datum:
11.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4107
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 8
BayVersG Art. 15
VwGO § 80

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt Eilrechtsschutz gegen einen versammlungsrechtlichen Bescheid der Antragsgegnerin.
1. Die Antragstellerin ist stellvertretende Versammlungsleiterin einer am … Januar 2022 bei der Antragsgegnerin für den Sonntag, … Februar 2022 von 16:00 bis 18:00 Uhr in R… … angezeigten, sich fortbewegenden Kundgebung zum Thema „Komm geh mit uns für mehr Menschlichkeit“.
2. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid der Antragsgegnerin vom … Februar 2022 wurde ein erster Versammlungsbescheid vom …. Februar 2022 aufgehoben und die angezeigte Versammlung unter Ziffer III. (u.a.) wie folgt beschränkt:
„13. Es gilt für alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen während der gesamten Versammlung eine FFP-2-Maskenpflicht. Hiervon ausgenommen sind die Versammlungsleitung und ihre Stellvertreterin während Durchsagen. § 2 Abs. 3 der 15. BayIfSMV bleibt hiervon unberührt und gilt entsprechend. Das Tragen einer FFP-2-Maske aus Infektionsschutzgründen stellt keinen Verstoß gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot (Art. 16 BayVersG) dar.“
Zur Begründung führt die Antragsgegnerin auf Seite 7 unter Ziffer 13 des streitgegenständlichen Bescheids unter anderem aus: Ein mobiler Aufzug, der sich wie hier über eine längere Strecke hinziehe, stelle ein dynamisches Geschehen dar, das unerwartet Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen innerhalb der Versammlungsgruppe erwarten lasse. Schon bei einer Teilnehmerzahl von 250 Personen handele es sich nicht um ein jederzeit übersichtliches Versammlungsgeschehen, bei dem sich der gebotene Sicherheitsabstand hinreichend sicher einhalten lasse. Bei einem durch einen innerstädtischen Bereich führenden Aufzug könnten sich spontan weitere Personen anschließen oder sich Interaktionen der Versammlungsteilnehmer mit Passanten ergeben, wodurch sich die Problematik der Einhaltung von Mindestabständen zusätzlich verschärfen würde. Angesichts der angezeigten Zahl von 1.200 Teilnehmern und der Erfahrungen aus der Vergangenheit mit am …. Januar 2022 sogar 3.700 Teilnehmern stehe ernsthaft zu befürchten, dass es zu vielfachen Verstößen gegen das Abstandsgebot im Zusammenhang mit Passanten, unbeteiligten Dritten und Versammlungsteilnehmenden kommen werde. Die sich hieraus ergebenden Gefahren wären auch bei einer sehr viel geringeren Teilnehmerzahl nur bei einer FFP2-Maskenpflicht vertretbar. Andernfalls müsste ein Verbot der sich fortbewegenden Versammlung erwogen werden. Bei einer sich fortbewegenden Versammlung sei insbesondere von einem erhöhten Ansteckungsrisiko durch die Übertragung von Aerosolen mit dem SARS-CoV-2-Virus bei Unterschreitung der Mindestabstände und Nichttragens einer FFP2-Maske auszugehen. Die immer noch kritischen Infektionszahlen in R… … bestätigten bzw. verschärften die Gefahrenlage nochmals. Die 7-Tages-Inzidenz der Stadt R… … am 9. Februar 2022 betrage 2505,07. Sie steige seit dem 29. Dezember 2021 wieder kontinuierlich an. Die unter III. Nr. 13 angeordnete und auf § 9 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV, Art. 15 BayVersG gestützte Anordnung der FFP2-Maskenpflicht als Beschränkung der angezeigten Versammlung sei geeignet und erforderlich, die Infektionsgefahr zu verringern. Sie sei darüber hinaus angemessen. Andere Masken könnten angesichts der erhöhten 7-Tages-Inzidenz in R… … den Schutz nicht gleichermaßen gewährleisten. Im Übrigen wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen.
3. Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2022, bei Gericht eingegangen am 11. Februar 2022 erhob die Antragstellerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (geführt unter M 33 K 22.684) gegen die Beschränkung in III. Nr. 13 des streitgegenständlichen Bescheids und dessen diesbezügliche Begründung. Zugleich beantragt sie im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes im vorliegenden Verfahren sinngemäß:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer III. Nr. 13 des Bescheides der Antragsgegnerin vom … Februar 2022 wird angeordnet.
Zur Begründung führt die Antragstellerin unter Beifügung des Schriftverkehrs mit der Antragsgegnerin und weiterer Unterlagen im Wesentlichen aus, die Tragepflicht insbesondere für FFP2-Masken im Freien sei medizinisch unbegründet und erzeuge wissenschaftlichen Erkenntnissen folgend Gesundheitsschäden. Die Antragsgegnerin habe es abgelehnt, eine Erklärung zur Haftung für gesundheitliche Schäden durch die angeordnete Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken abzugeben. Im Übrigen wird auf die Antragsbegründung Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf den Inhalt des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen. Zudem legte die Antragsgegnerin eine Stellungnahme des Gesundheitsamtes R… … vom 10. Februar 2022 vor, der zufolge das hohe Risiko der Infektionsübertragungen der vorherrschenden, sehr infektiösen SARS-CoV-2 Virusvariante „Omikron“ sehr wirkungsvoll durch das Tragen einer FFP2-Maske aller Teilnehmer der Versammlung minimiert werden könne. Im Übrigen wird auf die Antragsbegründung verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
I. Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Bescheid vom … Februar 2022 hat keinen Erfolg.
Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn diese keine aufschiebende Wirkung hat. Die erhobene Klage entfaltet gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung.
Das Gericht hat eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Bei dieser Abwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von maßgeblicher Bedeutung, soweit sie bereits überschaubar sind (BayVGH, B.v. 4.6.21 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 14). Dabei muss unter Berücksichtigung der Bedeutung des Versammlungsrechts die Prüfungsdichte im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO umso eingehender sein, als die angegriffenen Maßnahmen Unabänderliches bewirken; die Fragen der Offensichtlichkeit von der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der behördlichen Maßnahmen ist dann – insoweit über die summarische Prüfung hinausgehend – erschöpfend im Sinne einer vollständigen Rechtsprüfung unter – den Umständen nach tatsächlich möglicher – Sachverhaltsaufklärung vom Gericht zu klären (BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – juris Rn. 18; B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE, 69, 315/363 f. = Juris Rn. 96; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 104). Lassen sich die Erfolgsaussichten bei dem hiernach gebotenen Prüfungsmaßstab nicht abschließend beurteilen, hat das Gericht unter Berücksichtigung der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit im Rahmen einer eigenen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der behördlichen Verfügung, das private Interesse des Betroffenen und die Interessen Dritter, vorläufig von deren Wirkung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen.
1. Der Antrag ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid bzgl. der angeordneten FFP2-Maskenpflicht voraussichtlich rechtmäßig ist und die Antragstellerin insoweit nicht in ihren Rechten verletzt.
Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16). Art. 8 GG schützt aber nicht die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen (BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 – BVerfGE 104, 92/104f. = juris Rn. 44)
Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Beschränkungen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a.− BVerfGE 104, 92/111 = juris Rn. 63). Insoweit gilt die Regel, dass kollektive Meinungsäußerungen in Form einer Versammlung umso schutzwürdiger sind, je mehr es sich bei ihnen um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (stRspr, vgl. BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 – BVerfGE 73, 206/258 = juris Rn. 102).
2. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. § 9 Abs. 1 15. BayIfSMV kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
2.1 Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, wie etwa Leben Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und dessen allgemeine Persönlichkeitsrechte, den Bestand staatlicher Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates sowie die Rechtsordnung als Ganzes, zu der neben den Strafgesetzten auch verwaltungsrechtliche Gebots- und Verbotsnormen gehören (BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2246 – juris Rn. 53; BVerfG B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE 69, 315/352 = juris Rn. 77). Mit der Aufnahme von Versammlungsbeschränkungen in den Katalog möglicher Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) gemäß § 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG hat der Bundesgesetzgeber die Wertung vorweggenommen, dass solche Beschränkungen grundsätzlich geeignet sind, Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner zu begegnen und einer Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken (vgl. BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – Rn. 17 ff.). Der Bayerische Landtag stellte gemäß § 28a Abs. 8 IfSG für das Gebiet des Freistaates fest, dass eine konkrete Gefahr einer epidemischen Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bestehe (BayMBl. 2021 Nr. 826). Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV haben die zuständigen Versammlungsbehörden im Einzelfall sicherzustellen, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein vertretbares Maß beschränkt bleiben. Diese Bestimmungen konkretisieren auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 28a IfSG (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2020 – 10 CS 20.2103 – juris Rn. 7).
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen aber keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.). Für diese Gefahrenprognose können durchaus Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (stRspr des BVerfG, vgl. zuletzt B.v. 22.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 11; vgl. auch BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – Rn. 6). Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten; gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9 m.w.N.). Speziell für die infektionsschutzrechtliche Gefahrenprognose verlangt § 9 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren insgesamt auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben. Dabei verlangt infektionsschutzrechtliche „Vertretbarkeit“ gerade keine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen „Unbedenklichkeit“. Vielmehr muss die Behörde bei ihrer Prüfung eigene Überlegungen zur Minimierung von Infektionsrisiken anstellen und vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit sich zunächst um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.2020 – 1 BvQ 37/20 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 10 CS 20.999 – juris Rn. 24).
2.2 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Tatbestand des Art. 15 Abs. 1 BayVersG voraussichtlich erfüllt. Nach den zur Zeit des Erlasses der Anordnungen erkennbaren Umständen wäre die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung am … Februar 2022 unmittelbar gefährdet.
Dass von einer durch die angezeigte Versammlung ausgehenden Infektionsgefahr ausgegangen wird, ist nicht zu beanstanden. Nach der Einschätzung des Verordnungsgebers und des Robert Koch-Instituts (RKI) macht die aktuelle epidemiologische Lage besondere Schutzmaßnahmen bei Versammlungen erforderlich. Das RKI empfiehlt in seiner aktuellen Risikobewertung vom 14. Januar 2022 zur nachhaltigen Senkung der Infektionszahlen unter anderem die Kontaktreduktion und Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln sowie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen im Alltag; die Verbreitung der Omikronvariante verstärke dabei die Notwendigkeit intensiver kontaktreduzierender Maßnahmen und eine konsequente Einhaltung der zuvor erwähnten Maßnahmen (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html abgerufen am 11.2.2022). Die 7-Tages Inzidenz der kreisfreien Stadt R… … lag im Zeitpunkt des Bescheidserlasses bei 2505,07 pro 100.000 Einwohner. Von den in der kreisfreien Stadt R… … insgesamt zur Verfügung stehenden 46 Intensivbetten waren am 10. Febraur 2022 34 Betten belegt; für den Landkreis R… … ergab sich bei einer zur Verfügung stehenden Intensivbettenzahl von 68 eine Bettenbelegung von 56 (https:…www.proplanta.de/karten/lk_r… …-covid-19_patienten_an_der_gesamtzahl_ der_intensivbetten_(kreisebene)-einzelkreiskarte8012020_09187.html). Die Lage im Gesundheitswesen ist damit nach wie vor nicht beruhigt und weiterhin vulnerabel. Auch wenn die Übertragung von Viren über Aerosole im Freien zwar seltener vorkomme, gilt dies nach den fachlichen Einschätzungen des RKI aber nicht bei engem Kontakt, z.B. Gesprächskontakt (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2021 – 25 NE 21.1814 – juris Rn. 23) und in Menschenmengen mit geringen Abständen (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2021 – 10 CS 21.249 – juris Rn. 33). Dies gilt umso mehr, als vorliegend eine sich fortbewegende Versammlung mit bis zu 1.300 Teilnehmern stattfinden soll. Denn ein mobiler Aufzug stellt ein dynamisches Geschehen dar, da er sich nicht gleichmäßig bewegt, sondern es regelmäßig je nach individuellem Gehtempo beziehungsweise Entwicklung der Versammlung zu (unerwarteten) Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen innerhalb der Gruppe der Versammlungsteilnehmer kommt und deshalb grundsätzlich die Gefahr besteht, dass es zu nicht unerheblichen Unterschreitungen des aus Infektionsschutzgesichtspunkten gebotenen Mindestabstandes kommt (BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 16.1.2021 – 10 CS 21.166 – juris; B.v. 24.1.2021 – 10 CS 21.21.249 – juris; B.v 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – juris; B.v. 27.2.2021 – 10 CS 21.602 – juris; B.v. 16.4.2021 – 10 CS 21.1114 – juris).
3. Die versammlungsrechtliche Beschränkung in Form der FFP2-Maskenpflicht erweist sich aus Sicht des Gerichts voraussichtlich als verhältnismäßig.
3.1 Versammlungsbeschränkungen dürfen als Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen allerdings nur verfügt werden, wenn sie geeignet und erforderlich sind und der hierdurch bewirkte Grundrechtseingriff insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den die Beschränkung zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit betroffenen Rechten Dritter, ist eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris Rn. 32).
3.2 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich die getroffene behördliche Anordnung unter III. Nr. 13 aus Sicht des Gerichts voraussichtlich als verhältnismäßig.
Eine angeordnete Maskenpflicht bei Versammlungen unter freiem Himmel stellt eine grundsätzlich geeignete Infektionsschutzmaßnahme zur Bekämpfung von COVID-19 dar; bzgl. der Begründung wird auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu §§ 3 i.V.m. 9 Abs. 1 Satz 3 der Dreizehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung verwiesen (BayVGH, B.v. 20.7.2021 – 25 NE 21.1814 – juris Rn. 22 ff.). Ferner indiziert auch § 28a Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 IfSG die Geeignetheit der Verpflichtung zum Tragen einer Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) oder einer medizinischen Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz) (so bereits BayVGH, B.v. 28.1.2022 – 10 CS 22.233 – S. 8 n.v.). Insoweit folgt das Gericht den Ausführungen der Antragstellerin zur mangelnden grundsätzlichen Geeignetheit einer FFP2-Maske als Mittel zur Verhinderung weiterer Infektionen mit SARS-CoV-2 nicht.
Sie ist auch erforderlich, insbesondere stellt das in § 9 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV geltende Abstandsgebot kein milderes aber gleich effektives Mittel zur Gefahrenbekämpfung dar. Bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung kommt es bei größeren Menschenansammlungen, wie der zu erwartenden Versammlung, durch die natürlichen Bewegungsabläufe der Versammlungsteilnehmer innerhalb des Versammlungsortes regelmäßig zu einer Unterschreitung des Mindestabstandes von 1,5m, womit die Weiterverbreitung des Coronavirus, welches sich mittels Tröpfcheninfektion überträgt, begünstigt wird. Die Maskenpflicht bietet hier einen zusätzlichen, wichtigen Beitrag zur Verhinderung der Weiterverbreitung des Coronavirus, insbesondere bei längeren Gesprächen und gesichtsnahen Kontakten der Versammlungsteilnehmer untereinander sowie in unübersichtlichen Situationen während der Versammlung (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 25 NE 21.2066 – juris Rn. 64). Dies gilt umso mehr, wie oben dargelegt, für eine sich fortbewegende Versammlung.
Die mit der angeordneten Maskenpflicht einhergehenden Grundrechtseinschränkungen Versammlungsteilnehmer in Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG stehen derzeit auch nicht außer Verhältnis zu Gewicht und Dringlichkeit der die Maßnahmen rechtfertigenden antragsgegnerischen Gefahrenprognose; auf obige Ausführungen zur vorliegenden unmittelbaren Gefahrenlage wird verwiesen (vgl. hierzu ferner auch OVG NRW, B.v. 16.9.2021 – 13 B 1489/21.NE – juris Rn. 69 ff. und 93; BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 25 NE 21.2066 – juris Rn. 78). Soweit die Antragstellerin vorträgt, die FFP2-Maske sei eine „Virenschleuder“, ist dem entgegenzuhalten, dass es der Antragstellerin und den Versammlungsteilnehmern freisteht, Ihre Maske(n) nach Ablauf der nur wenige Stunden andauernden Versammlung durch eine neue frische Maske auszutauschen. Der antragstellerische Vortrag, die FFP2-Maske sei aufgrund einer ausgeprägten Kohlendioxid-Rückatmung gesundheitsgefährdend, verfängt nicht. Die Antragstellerin trägt vor, dass eine Messung der Luft unter der Maske durch einen Umweltingenieur eine Kohlendioxid-Konzentration von 3-5 Vol.% ergeben hätte, obwohl der Maximalwert für eine Kohlendioxid-Konzentration am Arbeitsplatz von 0,5 Vol.% gelten würde und das Umweltbundesamt Werte oberhalb von 0,2 Vol.% für gesundheitlich bedenklich halte. Die Behauptung der Messung von 3-5 Vol.% ist antragstellerseits schon nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Weder wird die für die Messung verantwortliche Person benannt, noch werden die genauen Umstände und Bedingungen der Untersuchung dargelegt, weshalb es dem Gericht nicht möglich ist, die Seriosität dieser Behauptung zu überprüfen.
Der mit der angeordneten Maskenpflicht verfolgte individuelle Gesundheitsschutz sowie der Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung dürfte daher gegenwärtig nach wie vor überwiegen. Insbesondere enthält die angeordnete Maskenpflicht auch einen Befreiungstatbestand für Kinder bis zum sechsten Lebensjahr sowie bei Vorliegen gesundheitlicher Gründe. Dass hier entsprechend § 2 Abs. 3 15. BayIfSMV die angeordnete Maskenpflicht insoweit als spezielle Maskenpflicht i.S.e. Pflicht zum Tragen einer sog. FFP2-Maske ausgestaltet ist, begegnet ebenfalls keinen Bedenken; für Kinder und Jugendliche zwischen dem sechsten und dem vollendeten 16. Lebensjahr besteht im Übrigen auch nur eine Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske.
4. Die behördliche Anordnung unter III. Nr. 13 beruht voraussichtlich auf einer pflichtgemäßen Ermessensausübung.
Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG sieht auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen der Versammlungsbehörde vor. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage steht die Anordnung von Beschränkungen der Versammlung im Ermessen der Behörde. Dieses ist von ihr im Rahmen des Art. 40 BayVwVfG auszuüben. Insoweit ist die Ermessensausübung der Versammlungsbehörde durch die Gerichte nach § 114 Satz 1 VwGO überprüfbar. Die Versammlungsbehörde hat das ihr auf Grundlage von Art. 15 Abs. 1 BayVersG zustehende Ermessen erkannt und richtig ausgeübt. Fehler beim Entschließungs- oder Auswahlermessen hinsichtlich der verhältnismäßigen Beschränkung sind nicht erkennbar. Die Antragsgegnerin hat insbesondere auch eine Abwägung der in den Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG enthaltenen verfassungsrechtlich garantierten Rechte der Antragstellerin durchgeführt.
5. Im Übrigen wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf den streitgegenständlichen Bescheid und dessen Begründung Bezug genommen.
6. Auch bei isolierter, reiner Interessensabwägung überwiegt das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse nicht. Hierbei ist dem Gericht bewusst, dass es im Rahmen des privaten Aussetzungsinteresses der Antragstellerin zum einen die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit, als die für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierende Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, und zum anderen den Umstand der Unabänderlichkeit des Vollzugs der versammlungsrechtlichen Beschränkungen zu berücksichtigen hat. Zu berücksichtigen ist vorliegend zugunsten des öffentlichen Vollzugsinteresse, dass die Versammlung trotz der Modifizierung in Gestalt der angegriffenen FFP2-Maskenpflicht weitgehend ermöglicht wird und ihr Charakter insoweit gewahrt wird, dass auch keine Beschränkung mit dem Gewicht eines faktischen Verbots vorliegt. Hierbei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Versammlungsbehörde dem zentralen Anliegen der Versammlung „Komm, geh mit uns für mehr Menschlichkeit“, als eine fortbewegende Versammlung durchzuführen, nachgekommen ist und dem sich hierdurch erhöhenden Infektionsrisiko mit einer FFP2-Maskenpflicht begegnet.
II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Das Gericht hält aufgrund der vorwegnehmenden Wirkung der Entscheidung eine Anhebung des Streitwerts bis zur Höhe des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens für geboten.


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