Medizinrecht

Versammlungsrechtliche Auflage, den Namen Rudolf Heß nicht zu nennen

Aktenzeichen  10 ZB 16.224

Datum:
17.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 53498
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VersG Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2
VwGO § 113 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3
StGB § 130 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Die versammlungsrechtliche Beschränkung, den Namen Rudof Heß nicht zu erwähnen, um die Würde der Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft nicht zu gefährden, ist rechtmäßig und begründet keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen. Das Verbot, die Worte “yes, yes, yes” zu skandieren, ist nicht zu beanstanden, weil das Verbot, den Namen Heß zu nennen, dadurch wegen der phonetischen Nähe unterlaufen würde. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Auslegung des Tatbestandes einer Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne von Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 VersG ist durch die vorliegende Rechtsprechung – insbesondere den Beschluss des BVerfG vom 4.11.2009 (BeckRS 2009, 41463, 41503) zu § 130 Abs. 4 StGB – hinreichend geklärt und rechtfertig deshalb nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 13.822 2015-12-16 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) in Bezug auf zwei durch den Beklagten angeordnete Beschränkungen der vom Kläger für den 7. Oktober 2013 angemeldeten Versammlung in Wunsiedel zu dem Thema „Heldengedenken 2013 – Tot sind nur jene, die vergessen werden“ weiter verfolgt, ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsverfahren ergeben sich weder die geltend gemachten besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) noch kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO); letztere hat der Kläger schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.
1. Die Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geben würden, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 106). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Kläger sieht die geltend gemachten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten darin, dass mit der angefochtenen Beschränkung jegliche – sogar die bloße namentliche – Erwähnung der historischen Person Rudolf Heß gestützt auf die „Verhinderung unmittelbarer Gefährdungen der Würde der Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“ verboten worden sei. Wegen der Unschärfe der Begrifflichkeiten sei es rechtlich schwierig zu beurteilen, ob die vom Beklagten vermuteten Vorgänge bereits „unmittelbar“ die Würde der Opfer gefährdeten. Die Schwierigkeit ergebe sich auch daraus, dass sich der Beklagte bei der Feststellung der Unmittelbarkeit auf eine vorangegangene Versammlung vom 30. Juli 2011 mit dem Motto „Fremdarbeiterinvasion stoppen“ stütze, in der die Parole „Hier marschiert der nationale Widerstand, yes, yes, yes“ gerufen worden sei, obwohl das englische Wort (yes) nichts mit „Heß“ zu tun habe. Die besondere rechtliche Schwierigkeit liege demnach darin begründet, dass es um die Wahrnehmung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG gehe, welche im Spannungsverhältnis zwischen dem Versammlungsgesetz des Bundes und dem bayerischen Versammlungsgesetz liege. Jedenfalls gebe es einen Unterschied zwischen der Rolle von Heß im historischen Nationalsozialismus und seinem persönlichen Leidensweg nach dem Krieg in über 40 Jahren Haft.
Eine besondere, über das normale Maß hinausgehende rechtliche Schwierigkeit der vorliegenden Streitsache, die die Durchführung eines Berufungsverfahrens notwendig machen würde, vermag der Senat auch vor dem Hintergrund des Zulassungsvorbringens nicht zu erkennen. Die Frage der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals einer „unmittelbaren Gefahr einer Beeinträchtigung der Würde der Opfer“ bereitet im vorliegenden Fall keine derartige Schwierigkeit. Unmittelbar ist eine Gefahr für das bedrohte Schutzgut dann, wenn nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besteht, wofür eine gesicherte Gefahrenprognose anhand erkennbarer Umstände notwendig ist (vgl. BVerfG, B. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 – NJW 1985, 2398 = juris Rn. 93, 103, Brokdorf II; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Aufl. 2016, § 15 VersG Rn. 27 zum Begriff „unmittelbar gefährdet“). Im Rahmen von Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 VersG gilt demnach ein strengerer Prognosemaßstab als etwa bei Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a VersG; dort genügt das Bestehen einer bloßen Besorgnis, die Würde der Opfer könne beeinträchtigt werden (vgl. Gesetzesbegründung, LT-Drs. 15/10181, S. 23). Im vorliegenden Fall bestand die konkrete Gefahr, dass bei der unter dem Motto „Heldengedenktag 2013 – Tot sind nur jene, die vergessen werden“ angemeldeten Versammlung ohne die beiden hier streitgegenständlichen Beschränkungen Straftaten nach § 130 Abs. 4 StGB begangen worden wären, indem durch die positive Hervorhebung eines Verantwortungsträgers des nationalsozialistischen Regimes (hier: „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß) die Herrschaft des Nationalsozialismus als solche gutgeheißen und dadurch die Würde der Opfer beeinträchtigt worden wäre (vgl. BVerwG, U. v. 25 6. 2008 – 6 C 21.07 – BVerwGE 131, 216; BayVGH, B. v. 6.2.2014 – 8 ZB 12.2096 – juris Rn. 14). Die erkennbaren Umstände, aus denen der Beklagte diese Gefahrenprognose ableiten konnte, sind im angefochtenen Bescheid (S. 9, 5. a) näher dargelegt; es handelt sich dabei um aus früheren vergleichbaren Versammlungen gewonnenes Erfahrungswissen und um aktuelle Erkenntnisse (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 15 VersG Rn. 28, 30). Im angefochtenen Urteil wird hierauf in zulässiger Weise Bezug genommen und näher erläutert, welche konkreten Anzeichen dafür vorlagen, dass die als „Heldengedenktag 2013“ angemeldete Versammlung als Ersatz für die in der Vergangenheit verbotenen Heß-Kundgebungen ausgestaltet werden sollte (UA, S. 10); gegen diese Annahme werden im Übrigen auch in der Zulassungsbegründung keine Einwendungen erhoben. Als geeignetes und auch sonst verhältnismäßiges Mittel konnte der Beklagte die hier angefochtenen versammlungsrechtlichen Beschränkungen verfügen, ohne dass dabei die geltend gemachten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten erkennbar werden.
Das Verbot, die Worte „yes, yes, yes“ zu skandieren, wirft ebenfalls keine besonderen Rechtsprobleme auf. Dass mit diesen Worten das strikte Verbot der Erwähnung des Namens Heß schon wegen der phonetischen Nähe ohne weiteres unterlaufen werden könnte, bedarf keiner näheren Begründung. Der Beklagte hat mitgeteilt, dass im Rahmen einer vorangegangenen Versammlung am 30. Juli 2011 in Wunsiedel (Motto: „Fremdarbeiterinvasion stoppen“) durch das jeweils dreifache Rufen des englischen Wortes „yes“ zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass die Versammlung letztlich doch dem Gedenken und der Verehrung von Rudolf Heß dient; für einen Außenstehenden sollte dieser Eindruck bewusst erweckt werden. Der damit beabsichtigten und bewirkten Umgehung des Verbots der Erwähnung eines bestimmten Namens konnte in verhältnismäßiger Weise über eine versammlungsrechtliche Beschränkung entgegengewirkt werden.
Schließlich zeigt auch die Forderung, es müsse zwischen dem Politiker Hess im historischen Nationalsozialismus und seinem „persönlichen Leidensweg“ im Nachkriegsdeutschland unterschieden werden, keine besondere Schwierigkeit in der vorliegenden Fallgestaltung auf. Eine derartige, vom Veranstalter beabsichtigte „Trennung“ der Biografie von Rudolf Heß in zwei voneinander unabhängige Abschnitte war hier weder zu erwarten noch wäre sie plausibel und durchführbar, weil seine Verurteilung durch den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg und die sich anschließende lebenslange Inhaftierung ohne den vorangegangenen Lebensabschnitt als hoher Verantwortungsträger für ein verbrecherisches Regime nicht verständlich wären. Seine Heranziehung als „Märtyrer“ bezweckt gerade die Billigung seiner Taten während der Zeit des Nationalsozialismus und verletzt dadurch die Würde der Opfer dieser Periode.
2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt. Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72).
Der Kläger trägt vor, er halte Art. 15 VersG für verfassungswidrig, weil hierdurch die Art. 5 und Art. 8 GG in ihrem Kernbereich verletzt würden. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht die Bestimmung mit zweifelhafter Begründung gerade noch gerettet, dabei jedoch einen Pfeiler des Verfassungsrechts umgeworfen. Die Frage der verfassungskonformen Auslegung von Art. 15 VersG bedürfe richterlicher Rechtsfortbildung, woraus sich die grundsätzliche Bedeutung ergebe.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Kläger keine konkrete, über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage auf, und erfüllt nicht die dargestellten Anforderungen an eine Grundsatzrüge. Die Frage, wann durch eine Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost wird, ist anhand der in jedem Einzelfall vorliegenden Umstände zu beantworten und daher einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Dasselbe gilt für die Frage, ob durch eine versammlungsrechtliche Beschränkung in zulässiger Weise untersagt werden kann, eine bestimmte Person der Zeitgeschichte namentlich zu erwähnen. Ebenso wenig vermag die Rüge des Unterbleibens einer richterlichen Rechtsfortbildung, die notwendig sei, um für eine verfassungskonforme Auslegung ein „praktikables Korsett“ zu erhalten, der Rechtssache die behauptete grundsätzliche Bedeutung zu verschaffen.
Im Übrigen steht seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2009 (1 BvR 2150/08 – BVerfGE 124, 300, 320 f., Wunsiedel-Beschluss) auch die Verfassungsmäßigkeit von § 130 Abs. 4 StGB fest, nach dessen Vorbild der Tatbestand von Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 VersG ausgestaltet ist (BayVGH, B. v. 3.12.2010 – 10 ZB 10.147 – juris). Für den vorliegenden Fall ist zudem geklärt, dass der Tatbestand einer Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinn von Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 VersG auch durch ein ehrendes Gedenken an einen „führenden Repräsentanten des Nationalsozialismus“ wie Rudolf Heß erfüllt werden kann, weil damit ein positives Werturteil über eine für die Verbrechen verantwortliche Person gefällt wird, das sich zugleich als Billigung der Gewalt- und Willkürherrschaft darstellt (BVerfG, B. v. 4.11.2009, a. a. O. = juris Rn. 101, 107 f.; Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 15 VersG Rn. 177, 178). Einer richterlichen Rechtsfortbildung bedarf es für die Fälle einer Beschränkung oder des Verbots von Versammlungen speziell mit Bezug auf Rudolf Heß auch deswegen nicht, weil vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung zu Art. 15 Abs. 2 VersG (LT-Drs. 15/10181, S. 21, 23) bereits Rechtsprechung in ausreichendem Umfang vorliegt (vgl. BayVGH, U. v. 26.3.2007 – 24 B 06.1894 -; Beschlüsse v. 13.11.2009 – 10 CS 09.2811 -; v. 3.12.2010 – 10 ZB 10.147; v. 6.2.2014 – 8 ZB 12.2096 -, jeweils juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG i. v. m. Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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