Medizinrecht

Versammlungsrechtliches Redeverbot

Aktenzeichen  AN 4 S 18.01603

Datum:
16.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19124
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG Art. 15 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5
StGB § 130
BayVwVfG Art. 39 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Bei der Anordnung eines Redeverbotes gem. Art. 15 BayVersG ist stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  zu beachten. Milderen, ebenso effektiven Mitteln ist dabei der Vorzug vor einem vollständigen Redeverbot zu gewähren. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Gefahr volksverhetzender Äußerungen (§ 130 StGB) eines Versammlungsredners kann unter Umständen durch  das Einschreiten des Versammlungsleiters begegnet werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 3. August 2018 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen ein von der Antragsgegnerin angeordnetes Redeverbot im Rahmen seiner für den 18. August 2018 geplanten Versammlung.
Der Antragsteller zeigte am 28. Juni 2018 bei der Antragsgegnerin die Durchführung einer öffentlichen Versammlung am 18. August 2018 in … mit dem Thema „Schutz und Sicherheit für unser Land“ an. Am 11. Juli 2018 fand zwischen den Beteiligten ein Kooperationsgespräch statt, bei dem insbesondere der Verlauf der Versammlung und die Rechte und Pflichten des Antragstellers als Versammlungsleiter erörtert wurden. Dabei wurde auch der Streckenverlauf einvernehmlich festgelegt. Der Antragsteller nannte der Behörde die vorgesehenen Redner und Rednerinnen, darunter auch … Mit Bescheid vom 25. Juli 2018 bestätigte die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung gemäß der Anzeige vom 28. Juni 2018 und erließ unter anderem folgende Beschränkungen:
„1.2 Der Versammlungsleiter muss durch geeignete Vorkehrungen sicherstellen, jederzeit auf alle Versammlungsteilnehmer zur Aufrechterhaltung der Ordnung einwirken zu können (zum Beispiel über Lautsprecherdurchsagen). Er muss durch geeignete Maßnahmen gewährleisten, dass er jederzeit unverzüglich auf Rednerinnen/Redner einwirken kann, um erforderlichenfalls die Rede unterbrechen zu können.
3. Der Versammlungsleiter muss durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass sowohl die verfügten Beschränkungen als auch die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes eingehalten werden. Insbesondere ist der Versammlungsleiter verpflichtet, bei Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung deeskalierend auf die Versammlungsteilnehmer einzuwirken. Vermag sich der Versammlungsleiter nicht durchzusetzen, hat er unverzüglich Kontakt mit der Polizei aufzunehmen.
9. In Reden, Sprechchören, musikalischen Darbietungen, Flugschriften und in Aufdrucken auf Kundgebungsmitteln und Bekleidungsstücken sind Inhalte verboten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder Strafgesetze verstoßen, insbesondere:
a) Inhalte, die gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstacheln, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern oder die die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, dass sie eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen der Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpfen, böswillig verächtlich machen oder verleumden,
b) Inhalte, die die religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisse anderer in einer Weise beschimpfen, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
c) Kennzeichen einer verbotenen Partei oder Vereinigung,
d) Inhalte, die das NS-Regime sowie Organisationen und deren Folgeorganisationen, verbotene Parteien oder Vereine einschließlich deren Folge- oder Ersatzorganisationen glorifizieren, verharmlosen oder sonst wiederbeleben.“
Am 1. August 2018 teilte das Polizeipräsidium … der Antragsgegnerin mit, dass die Staatsanwaltschaft … gegen … wegen Äußerungen gegen den Islam, die er als Redner auf einer Versammlung der … am 16. Januar 2016 in … getätigt hat, einen Strafbefehl wegen Volksverhetzung erlassen habe. Das Strafverfahren sei bislang nicht rechtskräftig abgeschlossen. Außerdem sei bei der Staatsanwaltschaft … ein Strafverfahren wegen volksverhetzender Äußerungen bei einer Versammlung der … am 28. April 2018 in … anhängig. Das Ermittlungsverfahren ist insoweit abgeschlossen und die Entscheidung über die Anklageerhebung bzw. den Erlass eines Strafbefehls steht noch aus.
In einem Telefonat zwischen den Beteiligten am 1. August 2018 äußerte sich der Antragsteller dahingehend, dass er von den Strafverfahren nichts gewusst habe und keine volksverhetzenden Redebeiträge auf der Versammlung am 18. August 2018 dulden werde. Es bestehe daher Einverständnis damit, … als Redner auszuschließen. Dies bestätigte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin in einem weiteren Telefonat am 2. August 2018.
Mit Bescheid vom 3. August 2018 ergänzte die Antragsgegnerin ihren Bescheid vom 25. Juli 2018 und erließ folgende Beschränkung:
„1. Herr … darf auf der Versammlung nicht als Redner auftreten noch in Form einer anderen Meinungskundgabe wiedergegeben werden (z.B. mittels Übertragung in Ton, Bildtexten, Filmen).“
Sie begründete dies mit den strafrechtlich relevanten Redebeiträgen von … bei den Versammlungen der … in … am 16. Januar 2016 und in … am 28. April 2018. Diese beiden Versammlungen seien nach Thema und zu erwartendem Teilnehmerkreis vergleichbar mit der vom Antragsteller angezeigten Versammlung am 18. August 2018 und stünden zu dieser auch in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang. Es bestehe daher eine konkrete Gefahr, dass …erneut volksverhetzende Äußerungen in seiner Rede tätige. Um diese Gefahr abzuwenden sei insbesondere ein Einschreiten der Polizei für den Fall, dass Herr … volksverhetzende Äußerungen tätigt, nicht ausreichend. Der Polizei sei es nicht möglich, solche Äußerungen schnell genug zu unterbinden, ehe sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, da sie zunächst die fraglichen Redeteile abwarten muss. Die Erfahrungen mit Herrn … auf vergangenen Versammlungen hätten zudem gezeigt, dass ihn auch die strafrechtliche Ahndung nicht davon abhalte, volksverhetzende Äußerungen zu tätigen.
Der Antragsteller ließ am 15. August 2018 sinngemäß beantragen,
die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2018 anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Bescheid wegen eines Begründungsmangels gemäß Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG formell rechtswidrig sei. Die Behörde habe nicht hinreichend dargelegt, weshalb strafrechtlich relevante Äußerungen des Redners … zu erwarten seien. Solange er nicht rechtskräftig strafrechtlich verurteilt ist, gelte die Unschuldsvermutung. Die Antragsgegnerin habe außerdem die Meinungsfreiheit des Redners nicht hinreichend berücksichtigt.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 15. August 2018, den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Zur Begründung trug sie vor, dass Herr … nicht nur volksverhetzende Äußerungen in seine Reden einbaue, sondern diese Passagen üblicherweise mit Hammerschlägen bekräftige und die Versammlungsteilnehmer Hassparolen mitskandieren lasse. Es sei nicht ersichtlich, welche Maßnahmen der Antragsteller dagegen ergreifen wolle. Die Antragsgegnerin stellte zudem klar, dass der Bescheid insoweit zu korrigieren sei, als dass die Rede am 16. Januar 2016 in … eine Strafanzeige, aber keinen Strafbefehl nach sich zog. Ein nicht rechtskräftiger Strafbefehl gegen Herrn … erging stattdessen wegen einer Rede am 30. November 2015 in … Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig und begründet. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO kam das Gericht daher zu dem Ergebnis, dass die aufschiebende Wirkung einer (noch zu erhebenden) voraussichtlich erfolgreichen Klage anzuordnen ist.
1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier Art. 25 BayVersG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der auf-schiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hin-gegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der wider-streitenden Interessen.
Die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. August 2018 voraussichtlich Erfolg haben wird. An der Rechtmäßigkeit der darin angeordneten Beschränkung bestehen durchgreifende Zweifel, sodass das Suspensivinteresse des Antragstellers gegenüber dem in Art. 25 BayVersG niedergelegten Vollzugsinteresse überwiegt.
a) Der streitgegenständliche Bescheid ist voraussichtlich rechtswidrig. Hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheides liegen die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 und 2 BayVersG nicht vor. Ferner ist die Beschränkung auch unverhältnismäßig, da nicht erforderlich.
aa) Die Beschränkung lässt sich nicht auf Art. 15 Abs. 1 Var. 1 BayVersG stützen.
Art. 15 Abs. 1 Var. 1 BayVersG setzt voraus, dass nach den zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst unter anderem die gesamte Rechtsordnung. Neben § 130 StGB fallen hierunter auch die im Bescheid vom 25. Juli 2018 angeordneten Beschränkungen. Das Merkmal der unmittelbaren Gefahr macht eine Prognoseentscheidung dahingehend erforderlich, ob bei der Durchführung der Veranstaltung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch eine Verletzung der Rechtsordnung (§ 130 StGB) oder der in dem Bescheid vom 25. Juli 2018 angeordneten Beschränkungen besteht. Eine unmittelbare Gefahr ist gegeben, wenn eine konkrete Sachlage vorliegt, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Bloße Vermutungen reichen für diese Annahme nicht aus. Erforderlich sind nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose. Es müssen erkennbare Umstände dafür gegeben sein, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BVerfG, B.v. 21.4.1998 – 1 BvR 2311/94 – NVwZ 1998, 834; B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – NJW 2010, 141). Die Darlegungs- und Beweislast trifft die Behörde. Aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf diese keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen (BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – NVwZ 2013, 570). Sie kann sich insbesondere nicht pauschal darauf beziehen, dass vorgesehene Redner eine aggressive, extremistische Ideologie vertreten würden. Erforderlich ist vielmehr der Nachweis konkret drohender Verstöße gegen § 130 StGB (OVG Bremen, U.v. 31.5.2014 – 1 B 140/14 – BeckRS 2014, 52710).
Dies zugrunde gelegt kann vorliegend nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, dass bei der Durchführung der Versammlung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass zwei der Reden von Herrn … strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB nach sich zogen. Dies genügt jedoch nicht, um eine konkrete, unmittelbare Gefahr hinsichtlich der Versammlung am 18. August 2018 anzunehmen. Herr … wurde bislang nicht rechtskräftig verurteilt. Bezüglich der Versammlung am 28. April 2018 in … steht eine Entscheidung über den Erlass eines Strafbefehls, eine Anklageerhebung oder einen anderweitigen Abschluss des Ermittlungsverfahrens sogar noch aus. Herrn … Äußerungen auf der Versammlung in … liegen inzwischen mehr als zweieinhalb Jahre zurück. Herr … tritt häufig auf derartigen Versammlungen als Redner auf. Äußerungen, die die Strafverfolgungsbehörden zu Ermittlungen veranlassten, tätigte er bisher aber nur bei zwei Versammlungen.
Auch unter Würdigung der mit der Antragserwiderung übermittelten Unterlagen liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine positive Gefahrenprognose vor. Die dem Gericht übermittelten Reden alleine sind nicht geeignet, eine Volksverhetzung im Rahmen der Rede am 18. August 2018 mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Herr … tritt häufig bei Versammlungen mit ähnlichen Themen als Redner auf, ohne dass dies von strafrechtlicher Relevanz wäre. Die am 30. November 2015 in … gehaltene Rede liegt zeitlich so weit zurück, dass sie für sich genommen im Rahmen der Prognose hinsichtlich der Versammlung am 18. August 2018 keine konkrete Gefahr einer Volksverhetzung begründen kann. Es ist insbesondere nicht dargelegt worden, inwiefern die beiden Reden aus … und … konkrete Rückschlüsse auf volksverhetzende Äußerungen von Herrn … während der nun geplanten Versammlung zulassen (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.2000 – 1 BvQ 10/00 – NVwZ-RR 2000, 554).
Im Rahmen der Gefahrenprognose muss auch der Umstand Beachtung finden, dass der Antragsteller als Versammlungsleiter in der Vergangenheit diesbezüglich nicht negativ aufgefallen ist. Die Annahme, er werde volksverhetzende Äußerungen dulden, ist daher nicht gerechtfertigt. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist nicht davon auszugehen, dass er keine Maßnahmen zur Unterbindung solcher Äußerungen ergreifen wird. Auch das Merkmal „bei Durchführung der Versammlung“ in Art. 15 Abs. 1 Var. 1 BayVersG erfordert aber eine Zurechnung des Verhaltens des Redners zum Veranstalter (Dürig-Friedl, VersammlG, Stand März 2016, § 15 Rn. 58). Der Antragsteller müsste die strafbaren Äußerungen eines Redners billigen oder beabsichtigen (BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – NJW 2010, 141). Davon ist nicht auszugehen, zumal er sich im Vorfeld in Gesprächen mit der Antragsgegnerin ausdrücklich von volksverhetzenden Äußerungen distanzierte und mitteilte, dass er diese nicht dulden wird.
bb) Aus diesem Grund kann die Beschränkung auch nicht auf Art. 15 Abs. 1 Var. 2 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 BayVersG, § 130 StGB gestützt werden: Aus den oben genannten Gründen ist nicht anzunehmen, dass der Antragsteller als Veranstalter der Versammlung volksverhetzende Äußerungen dulden wird.
Auch die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG liegen deshalb nicht vor. Die zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids erkennbaren Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass durch die Versammlung als Ganzes bzw. durch ihren Veranstalter eine Billigung der genannten Verhaltensweisen erfolgen wird.
cc) Darüber hinaus ist das Redeverbot – unabhängig davon, ob es auf Art. 15 Abs. 1 Var. 1 BayVersG, auf Art. 15 Abs. 1 Var. 2 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 BayVersG oder auf Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG gestützt wird – jedenfalls unverhältnismäßig.
Ordnet die Behörde Beschränkungen wie das im streitgegenständlichen Bescheid getroffene Redeverbot gemäß Art. 15 BayVersG an, hat sie stets den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG zu beachten. Milderen, ebenso effektiven Mitteln ist dabei der Vorzug vor einem vollständigen Redeverbot zu gewähren. Neben der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG ist dabei auch die Meinungsfreiheit des Redners gemäß Art. 5 GG zu berücksichtigen. Ein vollständiges Redeverbot greift als präventive Maßnahme besonders intensiv in die Meinungsäußerungsfreiheit des Redners aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ein. Abklärungen darüber, ob die zu erwartenden Äußerungen strafbar wären, werden infolge des Redeverbots unmöglich. Es werden zudem nicht nur einzelne, strafbare Aussagen unterbunden, sondern auch unbedenkliche Bestandteile der Rede. Das Redeverbot beeinträchtigt außerdem die Möglichkeit kommunikativer Entfaltung zwischen Redner und Versammlungsteilnehmern und greift deshalb stark in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG ein (BVerfG, B.v. 11.4.2002 – 1 BvQ 12/02 – NVwZ-RR 2002; B.v. 8.12.2001 – 1 BvQ 49/01 – NVwZ 2002, 713).
Ein milderes Mittel als ein vollständiges Redeverbot stellt vorliegend das Einschreiten durch den Antragsteller als Versammlungsleiter bzw. durch die Polizei dar für den Fall, dass Herr … volksverhetzende Äußerungen in seiner Rede tätigt. Die Antragsgegnerin trägt hierzu zwar zutreffend vor, dass ein Einschreiten erst erfolgen könne, wenn Herr … sich erstmals volksverhetzend geäußert hat. Bei der Folgenabwägung ist aber zu berücksichtigen, dass sich die befürchtete Straftat der Volksverhetzung, § 130 StGB, auf Vorgänge bezieht, die ungeachtet ihrer hohen Gemeinschädlichkeit keinen unmittelbaren Schaden für Personen oder Sachen verursachen (BVerfG, B.v. 5.9.2003 – 1 BvQ 32/03 – NVwZ 2004, 90). Der Gefahr kann durch den Einsatz von Ordnungskräften oder durch ein Einschreiten des Antragstellers mit hinreichender Effektivität entgegengewirkt werden. Der Antragsteller hat im Vorfeld mehrmals versichert, dass er keine volksverhetzenden Äußerungen dulden wird. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Aussage in Zweifel zu ziehen ist. Die Antragsgegnerin ordnete insbesondere mit Bescheid vom 25. Juli 2018 in Ziffer 1.2 an, dass der Antragsteller jederzeit auf alle Versammlungsteilnehmer zur Aufrechterhaltung der Ordnung einwirken können muss und gewährleisten muss, dass er jederzeit auf Redner und Rednerinnen einwirken kann, um erforderlichenfalls deren Rede zu unterbrechen. Auch Ziffer 3 des Bescheids vom 25. Juli 2018 sieht vor, dass der Antragsteller als Versammlungsleiter für die Einhaltung der verfügten Beschränkungen und des Versammlungsgesetzes zu sorgen hat und deeskalierend auf alle Versammlungsteilnehmer einzuwirken hat. Ziffer 9 dieses Bescheids beschränkt den Inhalt der Reden, weist auf die durch die verfassungsmäßige Ordnung und die Strafgesetze gesetzten Grenzen hin und regelt insbesondere, dass Inhalte, die zum Hass gegen eine Bevölkerungsgruppe aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern oder die Menschenwürde anderer durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden angreifen, verboten sind. Es liegen keine Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller als Versammlungsleiter diese Beschränkungen nicht befolgen wird. In der Konsequenz ist dann auch davon auszugehen, dass das ihm durch Bescheid vom 25. Juli 2018 auferlegte Einschreiten bei einer Rede mit strafrechtlich relevantem Inhalt ein geeignetes und effektives Mittel zur Gefahrenabwehr darstellt.
b) Im Ergebnis fällt die Abwägung der widerstreitenden Interessen daher zulasten der Antragsgegnerin aus. Neben den Erfolgsaussichten der Hauptsache sind dabei zugunsten des Antragstellers die schützenswerten Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit zu berücksichtigen. Hinter diesen hat das in Art. 25 BayVersG niedergelegte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheids vorliegend zurückzutreten.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 45.4 des Streitwertkataloges in der Fassung vom 18. Juli 2013.


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