Medizinrecht

Versorgung, Leistungen, Anfechtungsklage, Krankenversicherung, Bescheid, Arzt, Facharzt, Verpflichtungsklage, Leistungserbringer, Krankenhaus, Aufhebung, Auslegung, Genehmigung, Behandlung, sachlicher Grund, unterschiedliche Behandlung, gesetzliche Krankenversicherung

Aktenzeichen  S 28 KR 499/21

Datum:
5.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35402
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 5 ASV-RL ist dahingehend auszulegen, dass es allein bei gem. § 116b Abs. 2 Satz 1 SGB V berechtigten institutionellen Leistungserbringern (also MVZ, ermächtigten Einrichtungen und Krankenhäusern) möglich ist, statt der namentlichen Benennung der (bei diesen institutionellen Leistungserbringern angestellten) hinzuzuziehenden Fachärztinnen und Fachärzten eine institutionelle Benennung vorzunehmen.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Klage ist, soweit sie als Anfechtungsklage erhoben worden ist, zulässig, aber nicht begründet. Für die (in Kombination mit der Anfechtungsklage) erhobene Verpflichtungsklage besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Der Bescheid des Beklagten vom 29.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Kammer ist in dem vorliegenden Rechtsstreit zuständig. Es handelt sich um eine Streitigkeit des krankenversicherungsrechtlichen Leistungserbringerrechts, die dem Aufgabengebiet „Aufgaben der Krankenversicherung einschließlich der Krankenversicherung der Landwirte und Studenten“ zuzuordnen ist. Eine Zuständigkeit der besonderen Spruchkörper für das Vertragsarztrecht (§ 10 Abs. 2 SGG) besteht nicht (vgl. BSG, Urteil vom 15.03.2012, Az. B 3 KR 13/11 R, Rn. 11ff., insbesondere Rn. 13 zur am 01.01.2012 in Kraft getretenen Neufassung des § 116b SGB V). Es handelt sich bei der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung um einen eigenständigen (sektorenübergreifenden) Versorgungsbereich mit eigenen Vergütungsstrukturen (§ 116b Abs. 6 SGB V); die Aufgabenwahrnehmung gemäß § 116b Abs. 2 SGB V obliegt dem erweiterten Landesausschuss, dem u.a. auch Vertreter der Krankenhäuser angehören (§ 116b Abs. 3 SGB V). Eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts liegt somit nicht vor (so im Ergebnis auch Knittel in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand Mai 2021, § 116b Rn. 56; Köhler-Hohmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 116b Rn. 154).
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der gem. § 87 SGG fristgemäß eingelegten Anfechtungsklage sind erfüllt.
Der beklagte erweiterte Landesausschuss ist eine Behörde i.S.v. § 1 Abs. 2 SGB X und gem. § 70 Nr. 4 SGG beteiligtenfähig.
Vorliegend ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart. Die Klägerin kann ihr Rechtsschutzziel allein durch Aufhebung des angegriffenen Bescheids erreichen. Denn im Fall einer Aufhebung des Negativbescheids des Beklagten wäre die Klägerin gemäß § 116b Abs. 2 Satz 4 SGB V infolge Ablaufs der Frist von zwei Monaten berechtigt, an der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung teilzunehmen. Eine weitergehende Verpflichtung des Beklagten ist daher nicht erforderlich, so dass für eine Verpflichtungsklage kein Rechtsschutzbedürfnis besteht (so im Ergebnis auch Knittel, ebenda, § 116b Rn. 20; Bogan in; Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, Stand: 01.06.2021, § 116b SGB V Rn. 14; Gerlach in: Detttling/Gerlach, Krankenhausrecht, 2. Auflage 2018 § 116b SGB V Rn. 28, Becker in: Becker/Kingreen, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, 7. Auflage 2020, § 116b Rn. 17; a.A. Blöcher in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: 02/17, § 116b Rn. 53: Anfechtungs- und Verpflichtungsklage).
Ein Vorverfahren gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG ist durchgeführt worden; ein gesetzlicher Ausschluss der Durchführung eines Vorverfahrens existiert nicht (§ 78 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Anfechtungsklage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin ist nicht berechtigt, Leistungen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung gemäß § 116b Abs. 1 SGB V zu erbringen. Aus diesem Grund ist eine institutionelle Benennung der Klägerin gem. § 2 Abs. 2 Satz 5 Richtlinie über die ambulante spezialfachärztliche Versorgung nach § 116b SGB V (i.d.F. vom 21.03.2013, zuletzt geändert am 17.06.2021 und 18.03.2021; im Folgenden: ASV-RL) nicht möglich.
Gem. § 116b Abs. 2 Satz 1 SGB V sind an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer und nach § 108 zugelassene Krankenhäuser berechtigt, Leistungen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung nach Absatz 1, deren Behandlungsumfang der Gemeinsame Bundesausschuss nach den Absätzen 4 und 5 bestimmt hat, zu erbringen, soweit sie die hierfür jeweils maßgeblichen Anforderungen und Voraussetzungen nach den Absätzen 4 und 5 erfüllen und dies gegenüber dem nach Maßgabe des Absatzes 3 Satz 1 erweiterten Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach § 90 Abs. 1 unter Beifügung entsprechender Belege anzeigen.
An der vertragsärztlichen Versorgung nehmen gem. § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB V zugelassene Ärzte und zugelassene medizinische Versorgungszentren sowie ermächtigte Ärzte und ermächtigte Einrichtungen teil.
Danach sind Berufsausübungsgemeinschaften keine an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und somit auch nicht leistungsberechtigt i.S.d. § 116b Abs. 2 Satz 1 SGB V.
Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die BAG als Kooperationsform im vertragsarztrechtlichen System einen besonderen vertragsärztlichen Status hat, der zwar in verschiedener Hinsicht dem Status von zugelassenen Ärzten und MVZ angenähert ist, einem solchen jedoch nicht entspricht. Denn sie besitzt gerade keinen eigenen Zulassungsstatus, ihr statusrelevanter Bescheid ist vielmehr die Genehmigung nach § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV (vgl. Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020, § 95 Rn. 446ff. m.w.N. sowie ders., ebenda, Rn. 150 zu den Unterschieden zwischen BAG und MVZ).
Weil eine BAG kein berechtigter Leistungserbringer i.S.d. § 116b Abs. 2 Satz 1 SGB V, § 2 Abs. 1 Satz 1 ASV-RL ist, kommt auch eine institutionelle Benennung der Klägerin als BAG gem. § 2 Abs. 2 Satz 5 ASV-RL nicht in Betracht.
Der GBA hat in der (auf Grundlage von § 116b Abs. 4 SGB V beschlossenen) ASV-RL u.a. die näheren personellen Anforderungen für ein interdisziplinäres Team geregelt, das aus einer Teamleiterin oder einem Teamleiter (Teamleitung), dem Kernteam und bei medizinischer Notwendigkeit zeitnah hinzuzuziehenden Fachärztinnen und Fachärzten besteht (§ 3 Abs. 2 Satz 1 ASV-RL). Dabei sind hinzuzuziehende Fachärztinnen und Fachärzte solche, deren Kenntnisse und Erfahrungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Krankheitsverlauf typischerweise bei einem Teil der Patientinnen und Patienten ergänzend benötigt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 7 ASV-RL). Im Rahmen des Anzeigeverfahrens sind die Teamleitung sowie die übrigen Mitglieder des Kernteams nach § 3 Absatz 2 namentlich zu benennen (§ 2 Abs. 2 Satz 4 ASV-RL). Nach § 2 Abs. 2 Satz 5 ASV-RL ist für die hinzuzuziehenden Fachärztinnen und Fachärzte auch eine institutionelle Benennung als Beleg ausreichend.
Gem. Anlage 1.1 b) Teil 1 Nr. 3.1. c) ASV-RL erfolgt die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen (Erwachsene) durch ein interdisziplinäres Team, das u.a. aus hinzuzuziehenden Fachärztinnen und Fachärzten der Fachrichtung Nuklearmedizin besteht.
Die Klägerin kann vorliegend ihr Klagebegehren nicht auf § 2 Abs. 2 Satz 5 ASV-RL stützen. Aufgrund der obigen Ausführungen zur Leistungsberechtigung kann die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 5 ASV-RL nur dahingehend ausgelegt werden, dass es allein bei gem. § 116b Abs. 2 Satz 1 SGB V berechtigten institutionellen Leistungserbringern (also MVZ, ermächtigten Einrichtungen und Krankenhäusern) möglich ist, statt der namentlichen Benennung der (bei diesen institutionellen Leistungserbringern angestellten) hinzuzuziehenden Fachärztinnen und Fachärzten eine institutionelle Benennung vorzunehmen. Eine institutionelle Benennung ist hingegen im Fall von Fachärztinnen und Fachärzten einer BAG nicht möglich. Denn andernfalls hätte eine Anzeige mit einer institutionellen Benennung einer BAG – sofern kein Negativbescheid erfolgt – zur Folge, dass die BAG ASV-Leistungsberechtigte werden würde. Dies wäre mit der Vorschrift des § 116b Abs. 2 Satz 1 SGB V (s. auch § 2 Abs. 1 Satz 1 ASV-RL), die den Kreis der Leistungserbringer regelt, nicht vereinbar.
Auf die tragenden Gründe des GBA zu seinem Beschluss vom 21.03.2013 kommt es nicht an. Die Kammer weist im Übrigen darauf hin, dass den Ausführungen des GBA die fehlerhafte Annahme zugrunde liegt, dass „die dritte Ebene des Behandlungsteams durch ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), eine Berufsausübungsgemeinschaft oder ein Krankenhaus sichergestellt wird“. Dies trifft, wie oben dargelegt, auf eine Berufsausübungsgemeinschaft wie die Klägerin gerade nicht zu.
Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt nicht vor. Der Kreis der aus der vertragsärztlichen Versorgung stammenden Leistungsberechtigten i.S.d. § 116b Abs. 2 Satz 1 SGB V lehnt sich an die gesetzgeberische Grundentscheidung des § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB V an.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.


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