Medizinrecht

Vertrags(zahn)arztangelegenheiten

Aktenzeichen  S 38 KA 1261/15

Datum:
12.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6429
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 35, § 63 Abs. 2
SGG § 54 Abs. 1
SG§B V § 95 Abs. 3 S. 1, § 72 Abs. 1
VwGO § 54
Ärzte-ZV § 19a

 

Leitsatz

Ist über die Rechtmäßigkeit einer Auswahlentscheidung nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 Bedarfsplanungs-Richtlinie zu entscheiden, ist als maßgeblicher Zeitpunkt grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Tatsacheninstanz zugrunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az B 6 KA 44/13 R). (Rn. 9)

Tenor

I. Der Beschluss des 1. Berufungsausschusses für Ärzte Bayern vom 29.10.2015, ausgefertigt am 18.11.2015 (Az.) wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine hälftige Zulassung am Vertragsarztsitz C-Stadt zu erteilen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten des Klägers erforderlich ist.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.
Es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verbescheidungs-/Verpflich-tungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG. Für die rechtliche Beurteilung kommt es auf den maßgeblichen Zeitpunkt an. Hierbei ist zu differenzieren zwischen den jeweiligen Klagearten. Während bei einer (reinen) Anfechtungsklage die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides maßgeblich ist, ist bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor der Tatsacheninstanz abzustellen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, Rn 32, 33, 34 zu § 54). Letzteres gilt auch für Verpflichtungsklagen bei Ermessensentscheidungen, Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum und Prognoseentscheidungen. Diese grundsätzlichen Überlegungen finden auch Anwendung im Vertragsarztrecht, so bei Entscheidungen der Zulassungsgremien über die Erteilung einer Zulassung (BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 44/13 R).
Nachdem es sich hier um eine Auswahlentscheidung des Beklagten handelt, ist auch hier der maßgebliche Zeitpunkt der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht München. Das Vorliegen einer Ausnahmekonstellation ist nicht ersichtlich. Dies bedeutet, dass Änderungen, die zwischenzeitlich eingetreten sind, zu berücksichtigen sind. Eine Änderung hat sich insofern ergeben, als sich der Beigeladene zu 8 auf einen anderen freien hälftigen Chirurgensitz im Planungsbereich beworben und die Zulassung erhalten hat. Seine bisherige hälftige Zulassung ist somit zur „Vollzulassung“ erstarkt.
Wie sich aus § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V, § 19a Zulassungsverordnung-Ärzte (Ärzte-ZV) und §§ 1 ff. Bedarfsplanungs-Richtlinie ableiten lässt, gibt es nur einen vollen Versorgungsauftrag (vollzeitige Ausübung mit einem Anrechnungsfaktor für die Bedarfsplanung von 1,0) bzw. einen hälftigen Versorgungsauftrag (Anrechnungsfaktor für die Bedarfsplanung von 0,5).
Durch den Erhalt eines weiteren hälftigen Versorgungsauftrags verfügt der Beigeladene zu 8 nunmehr über einen vollen Versorgungsauftrag. Würde die angefochtene Entscheidung des Berufungsausschusses (Sitzung vom 29.10.2015) bestandskräftig, hätte dies zur Folge, dass der Beigeladene zu 8 nunmehr über einen Versorgungsauftrag mit dem Anrechnungsfaktor 1,5 verfügen würde. Dies wäre aber mit § 95 Abs. 3 SGB V, § 19a Ärzte-ZV und §§ 1 ff. Bedarfsplanungs-Richtlinie nicht zu vereinbaren und somit contra legem.
Das Sozialgericht war gehindert, die Klage abzuweisen, weil dies zu den oben beschriebenen Folgen geführt hätte.
Das Sozialgericht war aber auch gehindert, die Klage zu Gunsten des Klägers zu entscheiden verbunden mit der Verpflichtung des Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nochmals zu befinden. Denn eine Auswahlentscheidung, wie sie zunächst zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 8 nach den in § 26 Abs. 4 Nr. 3 Bedarfsplanungs-Richtlinie genannten Kriterien stattfand, war im Hinblick auf die Änderung der Sachlage (Zulassung des Beigeladenen zu 8 mit insgesamt vollem Versorgungsauftrag) nicht mehr zu treffen. Auch hierbei handelt es sich um eine rechtliche Unmöglichkeit. Das Gericht kann dem Beklagten nicht zu einem Handeln (hier: Auswahlentscheidung) verpflichten, auf das kein Anspruch besteht.
Was die Überlegungen des Beklagten betrifft, den Kläger beim Beigeladenen zu 8 anzustellen, wären diese grundsätzlich als geeignet anzusehen gewesen, den Rechtsstreit einvernehmlich zu beenden. Dabei muss aber kritisch hinterfragt werden, ob dies den Interessen des Klägers entsprochen hätte und damit nicht eine ungerechtfertigte Erhöhung des Status des Beigeladenen zu 8 verbunden wäre, indem letzterem eben doch de facto ein 1,5-facher Versorgungsauftrag zugestanden würde.
Angesichts der Sach- und Rechtslage hätte es nahe gelegen, dass der Beigeladene zu 8 seinen Antrag auf Zulassung zurückzieht. Damit wäre die Grundlage für die Entscheidung des Berufungsausschusses (Sitzung vom 29.10.2015) entfallen, aber auch die für die Entscheidung des Sozialgerichts München (Urteil vom 26. Juli 2015, Az. S 21 KA 1110/14). Letztendlich wären dann die Entscheidungen des Zulassungsausschusses und des Berufungsausschusses, die der letzten Entscheidung des Berufungsausschusses vorausgegangen sind, wieder wirksam geworden. Offenbar vor dem Hintergrund, dass sich der Beigeladene zu 8 mehrere Optionen offen lassen wollte, wurden jedoch keine diesbezüglichen Überlegungen angestellt. Dies ist nicht nachvollziehbar, da für solche taktischen Überlegungen im Vertragsarztrecht – im Vordergrund sollte die Versorgung der Patienten stehen (§ 72 Abs. 1 SGB V) – kein Raum bleibt.
Abgesehen davon ist nicht erklärbar, weshalb bei Erteilung der jüngst erfolgten hälftigen Zulassung (Beschluss des Zulassungsausschusses Ärzte-Oberpfalz vom 29.11.2017) zu Gunsten des Beigeladenen zu 8 durch den Zulassungsausschuss nicht mittels entsprechender Nebenbestimmungen sichergestellt wurde, dass das Entstehen einer solchen Konstellation vermieden werden konnte.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 54 VwGO.
Für die im Tenor unter III. getroffene Entscheidung gilt § 63 Abs. 2 SGB X.


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