Aktenzeichen S 4 R 1365/16
SGB VI § 7 Abs. 1, § 28 p
GKG § 52 Abs. 3
Leitsatz
Ein Geschäftsführer einer GmbH, der aufgrund seiner Stellung als Vorstandsvorsitzender einer die Hauptanteile an der GmbH haltenden AG als versicherungsfrei eingestuft wurde, wird nicht dadurch zu einem versicherungspflichtig Beschäftigten der GmbH, dass er nach seiner Abberufung als Geschäftsführer sein Gehalt bis zum Ende des Dienstvertrages weiter bezieht. (Rn. 30)
Tenor
I. Der Bescheid vom 24. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2016 wird aufgehoben, soweit Beiträge und Umlagen für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. im Zeitraum vom 3. September 2012 bis 30. September 2013 in Höhe von 16.786,41 Euro und Säumniszuschläge in Höhe von 2.504,00 Euro erhoben werden.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen zu 1. sind nicht zu erstatten.
III. Der Streitwert wird auf 19.290,41 Euro festgesetzt.
Gründe
Die form- und fristgerecht zum zuständigen Sozialgericht Augsburg erhobene Anfechtungsklage ist zulässig. Sie erweist sich auch in vollem Umfang als begründet, da der streitgegenständliche Bescheid vom 24.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.12.2016 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, soweit Beiträge, Umlagen und Säumniszuschläge für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. erhoben werden.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 28p Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber dem Arbeitgeber.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte zu Unrecht Sozialversicherungsbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie Umlagen und Säumniszuschläge für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. im Zeitraum vom 03.09.2012 bis 30.09.2013 festgesetzt. Die Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung knüpft an die Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt an (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI)).
Der Beigeladene zu 1. war bei der Klägerin im Zeitraum vom 03.09.2012 bis 30.09.2013 nicht abhängig beschäftigt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Weisungsgebundenheit kann sich bei Diensten höherer Art zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinern. Eine Beschäftigung setzt voraus, dass die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht wird. Die eine Versicherungspflicht begründende abhängige Beschäftigung ist von einer selbstständigen Tätigkeit abzugrenzen. Die selbstständige Tätigkeit ist insbesondere durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte sowie die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und -zeit gekennzeichnet. Ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, richtet sich danach, welche der genannten Merkmale bei Betrachtung des Gesamtbildes der Verhältnisse überwiegen (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG -, vgl. zum Beispiel Urteile des BSG vom 28.11.2011, Az.: B 12 R 17/09 R, und vom 25.04.2012, Az.: B 12 KR 24/10 R, jeweils Juris).
Vorliegend hatte die Beklagte auf Antrag der Klägerin und des Beigeladenen zu 1. mit an den Beigeladenen zu 1. gerichteten Bescheid vom 13.08.2012 festgestellt, dass der Beigeladene zu 1. in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Klägerin nicht abhängig beschäftigt sei. Ob diese Feststellung zu Recht erfolgte, kann dahinstehen, da der Bescheid vom 13.08.2012 für die Zeit bis 02.09.2012 bestandskräftig ist. Für die Zeit vor dem 03.09.2012 ist keine Rücknahme des Bescheides vom 13.08.2012 erfolgt. Die Frage, ob der Beigeladene zu 1. in der Zeit bis zum 03.09.2012 bei der Klägerin abhängig beschäftigt war, ist nicht streitgegenständlich.
Die Beurteilung, dass der Beigeladene zu 1. in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin in der Zeit bis 03.09.2012 nicht abhängig beschäftigt war, beruhte auf seiner gleichzeitigen Stellung als Vorstandsvorsitzender der V. N.V., die die Mehrheit des Stammkapitals der Klägerin hält. Die Beklagte stützte ihre Beurteilung darauf, dass der Beigeladene zu 1. als Vorstandsvorsitzender der V. N.V. im Falle einer Pattsituation innerhalb des Vorstandes die ausschlaggebende Stimme habe und er über ein uneingeschränktes Vetorecht verfüge.
Der Kläger ist durch seine am 04.09.2012 erfolgte Abberufung als Vorstandsmitglied der V. N.V. und als Geschäftsführer der Klägerin nicht zu einem abhängig Beschäftigten der Klägerin geworden. Der Dienstvertrag zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. bestand bis zur einvernehmlichen vertraglichen Aufhebung zum 30.09.2013 fort und der Beigeladene zu 1. erhielt bis zu diesem Zeitpunkt noch die vereinbarten Bezüge. Eine Arbeitsleistung für die Klägerin hat er in dieser Zeit nicht erbracht und durfte dies aufgrund der Erteilung eines Hausverbotes für alle Geschäfts- und Diensträume der Klägerin auch nicht.
Zwar besteht nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ein Beschäftigungsverhältnis auch dann bis zum Ende der arbeitsvertraglichen Beziehungen fort, wenn bei fortlaufender Zahlung des Arbeitsentgeltes der Arbeitnehmer einvernehmlich und unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt ist (siehe Urteil des BSG vom 24.09.2008, Az.: B 12 KR 22/07 R, Juris). Jedoch ist Voraussetzung hierfür, dass ein auf die Ausübung einer abhängigen Beschäftigung gerichtetes Dienstverhältnis vorlag (BSG vom 11.04.1984, Az. B 12 RK 45/83, Juris).
Dies war vorliegend nach der Statusbeurteilung der Beklagten in dem an den Beigeladenen zu 1. gerichteten Bescheid vom 13.08.2012 nicht der Fall. Die Abberufung des Beigeladenen zu 1. als Geschäftsführer der Klägerin und Vorstandsvorsitzender der V. N.V. änderte nicht den Inhalt des Dienstvertrages zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. vom 06.02.2012, der auf die Leitung der Gesellschaft als Vorsitzender der Geschäftsführung gemeinsam mit den übrigen Geschäftsführern gerichtet war. Eine einvernehmliche Änderung des Dienstvertrages bzw. eine wirksame Änderungskündigung ist nicht erfolgt. Es bestand lediglich noch die einseitige Verpflichtung der Klägerin, mangels wirksamer Beendigung des Dienstvertrages die vereinbarte Vergütung weiterzuzahlen, ohne dass dafür eine Gegenleistung durch den Beigeladenen zu 1. in Form einer Dienstleistung zu erbringen war.
In einer derartigen Situation gilt der Grundsatz, dass die Nicht-Arbeit allenfalls der tatsächlichen Arbeitsleistung versicherungs- und beitragsrechtlich gleichgestellt wird, niemals aber umgekehrt erst Versicherungs- und Beitragspflicht auslöst (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 09.02.1983, Az.: L 8 KR 705/81, Juris, im Ergebnis bestätigt durch nachgehendes Urteil des BSG vom 11.04.1984, a.a.O.). Der bloße Zustand der Verhinderung einer vertraglich geschuldeten Geschäftsführung kann keine Beitragspflicht begründen.
Auch unter Anwendung der allgemeinen Grundsätze ist nach der Abberufung des Beigeladenen zu 1. als Geschäftsführer kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis entstanden. Der Beigeladene zu 1. hat nach seiner Abberufung als Geschäftsführer keinerlei Tätigkeiten für die Klägerin mehr erbracht. Er hat infolgedessen auch keine Weisungen der Klägerin entgegengenommen und war nicht in den Betrieb der Klägerin eingegliedert.
Der Beigeladene zu 1. war aufgrund seiner Spitzenposition in der Wirtschaft mit einem dementsprechenden Einkommen auch wirtschaftlich und sozial nicht schutzbedürftig. Er war in der Lage, selbst außerhalb der Sozialversicherung Vorsorge gegen die Risiken des Arbeitslebens zu treffen.
Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass die für die Zeit nach Abberufung eines Vorstandsmitgliedes einer Aktiengesellschaft getroffene Entscheidung des BSG vom 11.04.1984, a.a.O., entsprechend für einen Geschäftsführer einer GmbH gilt, der aufgrund seiner Stellung als Vorstandsvorsitzender einer die Hauptanteile an der GmbH haltenden Aktiengesellschaft als versicherungsfrei eingestuft worden war. Der Beigeladene zu 1. wurde nicht allein dadurch zum versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigten der Klägerin, dass er nach seiner Abberufung als Geschäftsführer sein Gehalt bis zum Ende seines Dienstvertrages weiter bezog.
Mangels Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die dem Erlass des an den Beigeladenen zu 1. gerichteten Bescheides vom 13.08.2012 zu Grunde lagen, erfolgte deshalb die Aufhebung des genannten Bescheids nach § 48 SGB X für die Zeit ab 03.09.2012 durch an den Beigeladenen zu 1. gerichteten Bescheid vom 21.03.2016 zu Unrecht. Gegenüber der Klägerin war keine Aufhebung des Bescheids vom 13.08.2012 erforderlich, da der genannte Bescheid nur gegenüber dem Beigeladenen zu 1. erlassen worden war. Eine Aufhebung nach § 48 SGB X wäre, wie oben dargestellt wurde, mangels Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse auch nicht rechtmäßig gewesen.
Infolgedessen war der Klage in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder die Klägerin noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören und die Beklagte die unterliegende Partei des Rechtsstreits ist. Da auch der Beigeladene zu 1. unterlegen ist und mit seinem Antrag auf Feststellung von Sozialversicherungspflicht vom 03.12.2015 das Verwaltungsverfahren und damit letztendlich das Klageverfahren veranlasst hat, hält das Gericht eine Übernahme seiner außergerichtlichen Kosten weder durch die Beklagte noch durch die Staatskasse für angezeigt.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag einen auf eine bezifferte Geldleistung bezogenen Verwaltungsakt betraf, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG). Mit der Klage sind ein auf den Beigeladenen zu 1. entfallender Anteil der im streitgegenständlichen Bescheid vom 24.03.2016 festgesetzten Nachforderung von 16.786,41 € und Säumniszuschläge in Höhe von 2.504 € angefochten worden. Der Streitwert beträgt somit 19.290,41 €.