Medizinrecht

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Aktenzeichen  W 5 E 21.227

Datum:
15.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2874
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der am 15. Februar 2021 um 14.30 Uhr bei Gericht eingereichte Antrag betreffend eine für denselben Tag um 15.30 Uhr stattfindende Veranstaltung ist zulässig und unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei dieser Entscheidung hat es entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sowie hier insbesondere die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 GG.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat der Antrag keinen Erfolg.
1. Der Antragsteller wendet sich gegen die Verlegung des Veranstaltungsorts. Im streitgegenständlichen Bescheid ist als Veranstaltungsort die E. straße (vgl. Lageplan) genannt, in der Anzeige gemäß Art. 13 BayVersG dagegen der Vierröhrenbrunnen und alternativ die Alte Mainbrücke.
Rechtsgrundlage für die Verlegung des Versammlungsorts ist Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde eine Versammlung insbesondere beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
1.1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG sind erfüllt.
Bei der vom Antragsteller angezeigten ortsfesten Veranstaltung unter freiem Himmel am 15. Februar 2021 in Würzburg handelt es sich um eine Versammlung i.S.v. Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 BayVersG. Eine Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 – juris Rn. 41; BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 6 C 23/06 – juris Rn. 15). Weitgehend übereinstimmend definiert Art. 2 Abs. 1 BayVersG Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes als Zusammenkünfte von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.
1.2. Die Verlegung der Versammlung stellt eine Beschränkung i.S.v. Art. 15 Abs. 1 BayVersG dar. Zwar kann eine angeordnete Verlegung einer Versammlung nach den Umständen des Einzelfalls als faktisches Verbot zu qualifizieren sein. Das ist vorliegend aber nicht der Fall, weil es bei der Verlagerung des vom Antragsteller gewünschten Versammlungsplatzes nur um eine Modalität der Versammlungsdurchführung in örtlicher Hinsicht geht, die nicht so wesentlich ist, dass die Maßgabe einem Verbot gleichkommt. Der Antragsteller kann die von ihm geplante Versammlung nämlich zur selben Zeit und mit demselben Thema in der von ihm beabsichtigten Art und Weise durchführen. Die Veranstaltung konnte zudem nach wie vor in der Würzburger Innenstadt an zentraler Stelle durchgeführt werden. Eine rechtlich relevante Beeinträchtigung der Meinungskundgabe oder der Öffentlichwirksamkeit der Versammlung ist damit nicht verbunden.
1.3. Nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen ist die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung an den vom Antragsteller gewünschten Standorten unmittelbar gefährdet.
In Ansehung der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) darf die Behörde bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die von ihr vorzunehmende Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde und den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 Abs. 1 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16).
1.4. Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen wird sich die örtliche Verlegung der angezeigten Versammlung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen. Die Beschränkung lässt sich auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV stützen.
Nach diesen Bestimmungen hat die zuständige Behörde durch Beschränkungen oder Versammlungsverbote sicherzustellen, dass bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel im Sinne des BayVersG zwischen allen Teilnehmern ein Mindestabstand von 1,5 m gewahrt wird und Körperkontakte, auch mit Dritten, vermieden werden. Verstöße gegen dieses Abstandsgebot beeinträchtigen das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit, das neben dem Schutz der Rechtsgüter Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Vermögen des Einzelnen die Unversehrtheit der Rechtsordnung insgesamt umfasst (Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2016, § 15 Rn. 40). Wird eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die anzustellende Gefahrenprognose hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BayVGH, U.v. 10.07.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26). In die Prognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen einbezogen werden, soweit sich hinsichtlich des Versammlungsthemas, des Ortes, des Datums oder des Teilnehmer- und Organisatorenkreises bei verständiger Würdigung Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – NJW 2010, 141).
Vorliegend bestehen aufgrund der Umstände des Einzelfalles hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Verstöße gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV.
Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Bescheid (vgl. S. 8 f.) hinreichend konkret dargelegt, dass am Vierröhrenbrunnen und der Alten Mainbrücke die Verkehrs- und Aufenthaltsflächen nicht geeignet sind, um eine Versammlung mit einer Teilnehmerzahl von 50 bis 100 Personen unter Einhaltung der infektionsschutzrechtlichen Vorgaben durchführen zu können. Die Kammer hat hierbei keine Bedenken gegen die von der Behörde zugrunde gelegte Teilnehmerzahl von bis zu 100 Personen, da aufgrund der Bewerbung der Veranstaltung vor allem über facebook mit mehr als 50 Teilnehmern zu rechnen ist.
Aufgrund der Gesamtumstände der geplanten Versammlung ist nicht ersichtlich, dass die Einhaltung des Abstandsgebots des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 der 11. BayIfSMV unter den vom Antragsteller angezeigten Voraussetzungen sichergestellt werden könnte. Bereits in der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der 11. BayIfSMV kommt zum Ausdruck, dass Versammlungen mit zunehmender Teilnehmerzahl unübersichtlicher und schwerer beherrschbar werden. Sowohl für die Veranstalterseite als auch für die polizeilichen Einsatzkräfte wird es bei hohen Teilnehmerzahlen immer schwieriger, auf die Einhaltung von infektionsschutzrechtlichen Vorgaben hinzuwirken (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2020 – 10 CE 20.1236 – juris). Das gilt selbst dann, wenn ein Ordner-Teilnehmer-Verhältnis eingehalten wird, der für eine kleiner dimensionierte Versammlung ausreichen würde. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass durch ein Sicherheitskonzept, etwa durch eine Zugangskontrolle, ein unkontrolliertes Anwachsen der Versammlung an einem Knotenpunkt des Fußgängerverkehrs der Würzburger Innenstadt wie dem Vierröhrenbrunnen verhindert werden könnte. Diese Beurteilung ändert sich auch nicht durch die auf § 7 Abs. 1 Satz 3 11. BayIfSMV gestützte „Maskenpflicht“, da der Verordnungsgeber das Tragen von Masken nicht als funktionales Äquivalent zur Einhaltung der Mindestabstände vorsieht, sondern als weitere Sicherheitsvorkehrung bei Versammlungen mit hoher Teilnehmerzahl.
1.5. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Das behördliche Entschließungsermessen dürfte schon aufgrund des hohen verfassungsrechtlichen Rangs des Infektions- bzw. Gesundheitsschutzes ohnehin auf Null reduziert sein (vgl. insoweit auch den Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 und 4 11. BayIfSMV). Auch die Ausübung des Auswahlermessens stellt sich bei summarischer Prüfung als verhältnismäßig dar. Die örtliche Verlegung der Versammlung in die E. straße ist geeignet und erforderlich, um den dargelegten Gefahren zu begegnen. Eine andere, in gleicher Weise geeignete und die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) des Antragstellers weniger beeinträchtigende Maßnahme, um die Einhaltung von Mindestabständen zwischen den Teilnehmern sicherzustellen, ist nicht ersichtlich. Die genannte Beschränkung bewirkt auch einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Versammlungsgrundrecht des Antragstellers auf der einen und dem dagegen abzuwägenden Schutzgut des Gesundheitsschutzes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auf der anderen Seite. Auch wenn Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich dem Veranstalter das Recht einräumt, den Zeitpunkt und den Ort der Versammlung selbst zu bestimmen, so ist es zur Gewährleistung des geringstmöglichen Eingriffes möglich, dass gegenüber dem Antragsteller ein alternativer Standort bestimmt wird. Hierbei ist auch von Bedeutung, ob durch die Auflage die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beseitigt werden kann, ohne den durch das Zusammenspiel von Motto und geplantem Veranstaltungsort geprägten Charakter der Versammlung erheblich zu verändern (vgl. BVerfG, B.v. 18.07.2015 – Rn. 9; OVG NRW, B.v. 24.05.2020 – 15 B 755/20 – juris Rn. 13; jeweils m.w.N.). Hieran gemessen ist es dem Antragsteller hier auch unter Berücksichtigung des hohen Stellenwerts des Versammlungsgrundrechts zumutbar, seine kommunikativen Anliegen im Wege einer Kundgebung an einem alternativen, aber ebenfalls zentral gelegenen Versammlungsort zum Ausdruck zu bringen.
2. Soweit sich der Antragsteller gegen die in Ziffern 2.1. und 2.2. geregelte Verpflichtung wendet, die auf dem Lageplan markierte Fläche gut sichtbar abzusperren, ist ebenfalls die Rechtsgrundlage in Art. 15 Abs. 1 BayVersG zu erblicken. Im Bereich der Fußgängerzone handelt es sich um stark frequentierte Verkehrsflächen. Damit ist die Gefahr verbunden, dass auch dort die erforderlichen Mindestabstände zum Durchgangsverkehr nicht eingehalten werden können. Um die Anforderungen an die öffentliche Sicherheit und Ordnung unter besonderer Berücksichtigung der Vorgaben der 11. BayIfSMV umsetzen zu können, ist diese Anordnung geeignet, erforderlich und angemessen.
3. Dies zugrunde gelegt, erweist sich die Regelung hinsichtlich der Verlegung des Versammlungsorts als rechtmäßig.
Daher überwiegt insofern das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Der Antrag war daher abzulehnen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.


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