Medizinrecht

Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes bei Geltendmachung einer posttraumatischen Belastungsstörung

Aktenzeichen  11 ZB 17.31463

Datum:
6.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133236
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, § 80, § 83b
AufenthG § 60 Abs. 7, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

1 Aufgrund der häufigen Geltendmachung schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art als Abschiebungshindernis wollte der Gesetzgeber mit der Präzisierung in § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG klarstellen, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann in der Regel bei Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nicht angenommen werden. (Rn. 2) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Ereignisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, bedarf es in dem nach § 60a Abs. 2c AufenthG vorzulegenden qualifizierten Attest in der Regel auch einer Begründung, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG BeckRS 2008, 30091). (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

Au 2 K 17.32253 2017-06-22 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Zur Begründung des Zulassungsantrags lassen die Kläger vortragen, die Klägerin zu 2 sei – wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen sei – psychisch schwer erkrankt, was mit aussagekräftigen Attesten dokumentiert sei. In diesem Zusammenhang stelle sich die Frage der Behandlungsmöglichkeiten in Tschetschenien bzw. in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens. Nach Auskünften der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sei die Behandlung für posttraumatische Belastungsstörungen nicht ausreichend gewährleistet. Auch ein Ausweichen auf eine Behandlung außerhalb Tschetscheniens sei praktisch nicht möglich, insbesondere nicht für nicht finanzkräftige Personen.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die ausschließlich im Hinblick auf ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG wegen der Erkrankung der Klägerin zu 2 geltend gemacht wird, ist damit nicht hinreichend dargelegt. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der ab 17. März 2016 geltenden Fassung (BGBl S. 390) nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Aufgrund der häufigen Geltendmachung schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art (z.B. posttraumatische Belastungsstörungen) als Abschiebungshindernis wollte der Gesetzgeber mit der Präzisierung in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG klarstellen, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben darstellen (BT-Drs. 18/7538, S. 18). Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann nach der Gesetzesbegründung bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) regelmäßig nicht angenommen werden. In Fällen einer PTBS sei die Abschiebung grundsätzlich möglich, es sei denn, sie würde zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führen (BT-Drs. 18/7538 a.a.O.).
Somit könnte ein Abschiebungshindernis wegen einer PTBS der Klägerin zu 2 allenfalls in einem besonders gelagerten Ausnahmefall angenommen werden. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hätte es daher Ausführungen dazu bedurft, dass ein solcher Ausnahmefall hier vorliegt. Das geht jedoch aus der Antragsbegründung vom 9. Oktober 2017, die sich nicht mit der schon bei Erlass des Ablehnungsbescheids des Bundesamts vom 6. April 2017 geltenden Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und der dabei zu berücksichtigenden Intention des Gesetzgebers auseinandersetzt, nicht hervor. Das wäre jedoch für die Darlegung einer entscheidungserheblichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung erforderlich gewesen.
Im Übrigen hat die bereits im Mai 2013 eingereiste Klägerin zu 2 eine PTBS erstmals im Februar des Jahres 2015 geltend gemacht. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, bedarf es in der Regel auch einer Begründung in dem gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG vorzulegenden qualifizierten Attest, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 Rn. 15). Ausführungen hierzu enthält jedoch weder das vorgelegte Attest vom 3. Februar 2015 noch die beim Verwaltungsgericht Augsburg eingereichte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 21. April 2017.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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