Medizinrecht

Voraussetzungen für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis bei Alkoholabhängigkeit

Aktenzeichen  11 ZB 19.627

Datum:
12.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13766
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1, Abs. 8, Abs. 9 S. 1 und S. 2
FeV § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e

 

Leitsatz

Gemäß Nr. 8.3 Anlage 4 zur FeV besteht bei Alkoholabhängigkeit keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betreffende im Straßenverkehr auffällig geworden ist, denn bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung oder Versagung der Fahrerlaubnis zur Folge; die Überwindung muss gutachterlich nachgewiesen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 18.1120 2019-02-14 Ent VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B und BE, die sie mit dem dafür vorgesehenen Formular des Landratsamts Bamberg (im Folgenden: Landratsamt) am 16. Oktober 2017 beantragt hat.
Das Landratsamt holte daraufhin eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister ein, die sieben Eintragungen enthielt. Unter anderem hat das Amtsgericht Bamberg der Klägerin mit seit 18. Mai 2013 rechtskräftigem Strafbefehl vom 2. Mai 2013 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (Blutalkoholkonzentration von 1,60 Promille) die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die Wiedererteilung bis 1. März 2014 angeordnet.
Darüber hinaus ergibt sich aus dem Fahreignungsregister, dass die Klägerin auf die am 28. Januar 2016 wiedererteilte Fahrerlaubnis am 10. Juni 2016 verzichtet hat. Dem lag zu Grunde, dass dem Landratsamt eine Alkoholauffälligkeit vom 23. Februar 2016 bekannt wurde und das daraufhin angeordnete ärztliche Gutachten vom 2. Mai 2016 zu dem Ergebnis kam, dass die Klägerin ihre Alkoholabhängigkeit nicht überwunden habe.
Mit Schreiben vom 9. November 2017 forderte das Landratsamt die Klägerin auf Grundlage des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV i.V.m. Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV auf, bis 3. Januar 2018 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Es sei zu klären, ob körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vorlägen, die mit der Alkoholabhängigkeit in Zusammenhang gebracht werden könnten, ob eine erfolgreiche Entwöhnung stattgefunden habe, ggf. ein nachgewiesener Abstinenzzeitraum für die zurückliegenden zwölf Monate vorliege und insbesondere nicht zu erwarten sei, dass die Klägerin unter Alkoholeinfluss wieder am Straßenverkehr teilnehmen werde.
Die Klägerin legte verschiedene Abstinenznachweise vor, die belegen, dass sie von ca. April 2016 bis ca. Mitte Januar 2017 sowie von Mitte Mai 2017 bis Mitte Februar 2018 abstinent gewesen ist. Ein Gutachten legte sie nicht vor.
Mit Bescheid vom 26. April 2018 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ab. Die Klägerin sei nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da sie das zu Recht angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorgelegt habe.
Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Regierung von Oberfranken mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2018 zurück. Die Klägerin habe kein Gutachten vorgelegt. Die Abstinenznachweise würden darüber hinaus kein zusammenhängendes Jahr abdecken und ein Nachweis über eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung liege nicht vor. Die Klägerin sei daher ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Mit Gerichtsbescheid vom 14. Februar 2019 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die Klage gegen den Bescheid vom 26. April 2018 und den Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2018 zurück. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis, da sie kein medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt habe.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Sie macht geltend, sie habe durch ausreichende Abstinenznachweise ihre Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen belegt. Daraus könne auf eine stabile Verhaltensänderung geschlossen werden. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei fehlerhaft gewesen. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV sei keine speziellere Regelung zu § 11 Abs. 3 FeV und bei der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung sei stets Ermessen auszuüben. Dies sei hier nicht erfolgt. Darüber hinaus habe die Auffälligkeit im Februar 2016 keinerlei Zusammenhang mit dem Straßenverkehr gehabt.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124a Rn. 54), ergeben sich keine Berufungszulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 VwGO).
Der Senat legt die Begründung des Antrags dahingehend aus, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheids geltend gemacht werden, da die Klägerin keinen konkreten Berufungszulassungsgrund genannt hat. Dabei kann offen bleiben, ob die Begründung den formalen Vorgaben in § 124 Abs. 4 VwGO entspricht, obwohl sie in erheblichen Teilen wortgleich mit den erstinstanzlichen Schriftsätzen ist und damit nicht die Zulassung der Berufung, sondern die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils beantragt wird, denn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind damit nicht hinreichend dargelegt. Solche Zweifel liegen nur vor, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16).
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 7 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. April 2019 (BGBl I S. 430), ist eine Fahrerlaubnis zu erteilen, wenn die dort normierten Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere muss der Bewerber nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sein. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG ist geeignet, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 2 Abs. 8 StVG, §§ 11 ff. der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. März 2019 (BGBl I S. 218), anordnen, dass der Antragsteller ein Gutachten oder Zeugnis eines Facharztes oder Amtsarztes, ein Gutachten einer amtlichen anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr innerhalb einer angemessenen Frist beibringt. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.).
Gemäß Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV besteht bei Alkoholabhängigkeit keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betreffende im Straßenverkehr auffällig geworden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216 = juris Rn. 5). Denn bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung oder Versagung der Fahrerlaubnis zur Folge (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 11 B 16.1755 – juris Rn. 23; B.v. 24.7.2018 – 11 CS 17.2152 – juris Rn. 11). Nach Nr. 8.4 der Anlage 4 besteht Eignung oder bedingte Eignung nach Abhängigkeit (Entwöhnungsbehandlung) erst wieder, wenn Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Ist zu klären, ob Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht, ist die Fahrerlaubnisbehörde im Neuerteilungsverfahren gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV verpflichtet, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, ohne dass ihr insoweit ein Ermessensspielraum zustünde.
Die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass sie früher alkoholabhängig gewesen ist, behauptet aber nunmehr, die Abhängigkeit überwunden zu haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das ärztliche Gutachten vom 2. Mai 2016 nach § 2 Abs. 9 Satz 1 und 2 StVG noch verwertbar ist und damit weiterhin Zweifel an der Fahreignung der Klägerin bestehen. Es ist daher zwingend erforderlich, mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV zu klären, ob dies zutrifft. Die Rechtsansicht der Klägerin, dabei sei Ermessen auszuüben und mit der Vorlage verschiedener Abstinenzbelege sei hinreichend nachgewiesen, dass sie ihre Alkoholabhängigkeit überwunden habe, findet keine Stütze im Gesetz und kann nicht zur Zulassung der Berufung führen.
Als unterlegene Rechtsmittelführerin hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG und der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, Anh. § 164 Rn. 14).
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben