Medizinrecht

Widerruf der Approbation wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln

Aktenzeichen  M 16 K 15.3275

Datum:
14.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BÄO BÄO § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 S. 1, § 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Approrbation ist wegen Unwürdigkeit zu widerrufen, wenn der Arzt auf Grund seines Verhaltens nicht mehr das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufs unabdingbar ist. Dies setzt ein schwerwiegendes Fehlverhalten voraus, das eine weitere Berufsausübung untragbar erscheinen lässt. (redaktioneller Leitsatz)
Das unerlaubte Verschreiben von Betäubungsmitteln an Patienten, deren bestehende Sucht damit gefördert und deren Gesundheit gefährdet wird, sowie betrügerische Falschabrechnungen gegenüber der Krankenkasse stellen ein schwerwiegendes Fehlverhalten dar, das zur Unwürdigkeit führt. (redaktioneller Leitsatz)
Rechtskräftige Strafurteile können regelmäßig der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden, es sei denn, es werden gewichtige Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit substantiiert vorgetragen und belegt (vgl. BVerwG BeckRS 2014, 48928). (redaktioneller Leitsatz)
Der Widerruf der Approbation ist zwingende Rechtsfolge. Es besteht kein Raum für eine Abwägung mit privaten Belangen der Betroffenen. Dem Grudsatz der Verhältnismäßigkeit wird durch die Möglichkeit der Wiedererteilung der Approbation und der Erteilung einer beschränkten Berufsausübungserlaubnis Rechnung getragen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerin über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Klägerin über ihre Bevollmächtigte nachweislich des Empfangsbekenntnisses vom 11. Mai 2016 ordnungsgemäß geladen wurde und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf der Approbation der Klägerin gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Bundesärzteordnung (BÄO) gegeben sind, ist der im Urteil vom Landgericht Deggendorf festgestellte Sachverhalt zugrunde zu legen.
a) Der in rechtskräftigen Strafurteilen festgestellte Sachverhalt kann – ebenso wie die vorgenommene strafgerichtliche Würdigung – regelmäßig zur Grundlage einer behördlichen oder gerichtlichen Beurteilung der betroffenen Persönlichkeit gemacht werden, soweit sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit solcher Feststellungen ergeben. Etwas anderes könnte ausnahmsweise nur dann gelten, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen sprechen. Es bedarf insoweit der Darlegung substantiierter, nachprüfbarer Umstände, die eine Unrichtigkeit der in dem rechtskräftigen Strafurteil getroffenen Feststellungen belegen können (vgl. BVerwG, B. v.13.2.2014 – 3 B 68.13 – juris Rn. 5; BayVGH, U. v. 18.10.2011 – 21 BV 11.55 – juris Rn. 28 ff.).
b) Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass die der Verurteilung zugrunde liegenden, im Urteil vom Landgericht aufgeführten unerlaubten Verschreibungen von Betäubungsmitteln und Abrechnungsfehler objektiv betrachtet nicht aufgetreten wären. Sie beruft sich lediglich darauf, dass einige der ihr zur Last gelegten Taten strittig gewesen seien, was aus Sicht des Gerichts jedoch keine gewichtigen Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen darstellt. Insbesondere hat die Klägerin keine neuen Tatsachen oder Beweismittel, die eine für sie günstigere strafrechtliche Entscheidung zu begründen geeignet sind, vorgetragen.
Die Klägerin beruft sich auf Aussagen aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einzelner Patienten, denen sie Fentanylpflaster verschrieben hat. Hierbei handelt es sich aber nicht um neue Tatsachen oder Beweismittel, sondern um eine Tatsachengrundlage, die dem Strafgericht bereits bekannt war.
Letztlich hat die Klägerin alle ihr vorgeworfenen Taten gestanden. Das Strafgericht hat sich allerdings richtigerweise nicht auf das Geständnis der Klägerin verlassen, sondern das Urteil auf die Aussagen von zwei Polizeibeamten gestützt, welche die Einlassungen der Klägerin bestätigten. Dass die Aussage der beiden Polizeibeamten nicht zutreffend sei, trägt die Klägerin nicht vor, weshalb auch aus diesem Grund von der Richtigkeit der strafrechtlichen Tatsachenfeststellung auszugehen ist.
2. Eine Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO ist gegeben.
Nach der Rechtsprechung ist ein Arzt zur Ausübung des ärztlichen Berufs unwürdig, wenn er durch sein Verhalten nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufs unabdingbar nötig ist. Dies setzt ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Arztes voraus, das bei Würdigung aller Umstände seine weitere Berufsausübung im maßgeblichen Zeitpunkt untragbar erscheinen lässt. Hierfür ist unerheblich, inwieweit das Fehlverhalten des Arztes in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Entscheidend ist vielmehr, dass das Verhalten des Arztes für jeden billig und gerecht Denkenden als Zerstörung der für die ärztliche Tätigkeit unverzichtbaren Vertrauensbasis erscheint (vgl. BVerwG, B. v. 28.1.2003 – 3 B 149/02 – juris Rn. 4).
An den Voraussetzungen der Rechtsprechung gemessen, ist die Klägerin als zur Ausübung des ärztlichen Berufs unwürdig anzusehen.
a. Die Klägerin hat in 100 Fällen Fentanylpflastern ohne therapeutische Zielsetzung und Kontrolle der Patienten und ohne eine Kontrolle, ob eine Heilung der angeblichen Beschwerden auf eine andere, weniger gefährdende Weise erreicht werden konnte, verschrieben. Zudem wollte die Klägerin sich durch die fehlerhafte Verschreibung der Fentanylpflaster eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang erschließen. Dies stellt einen Verstoß gegen §§ 29 Abs. 1 Ziffer 6a, Abs. 3 Ziffer 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und gleichzeitig eine gravierende berufliche Verfehlung dar. Durch das Verschreiben der Betäubungsmittel an Patienten, die nicht an chronischen Schmerzen litten, sondern durch den Gebrauch der Schmerzmittel ihre bereits bestehende Sucht förderten, gefährdete die Klägerin die Gesundheit dieser Patienten erheblich. Auch und gerade gegenüber einem von Medikamenten bzw. Drogen abhängigen Patienten muss ein Arzt dem Wunsch nach einer Verschreibung des Betäubungsmittels und Drogenersatzes Fentanyl kritisch entgegentreten (vgl. auch OVG Nds, U. v. 11.05. 2015 – 8 LC 123/14 – juris Rn. 52). Die Pflichtenverstöße der Klägerin sind auch deshalb von bedeutendem Gewicht, weil sie den Patienten, indem sie deren Forderungen nach einer Verschreibung nachgab, ernsthaften Gesundheitsgefahren aussetzte. Eine Unkenntnis hinsichtlich der Gesundheitssysteme zwischen Ungarn und Deutschland vermag das Verhalten der Klägerin nicht zu entschuldigen, da es zu ihren beruflichen Pflichten gehört, sich über die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen in den Ländern, in denen sie praktiziert, zu informieren.
Würde die Öffentlichkeit von dem verantwortungslosen Betäubungsmittelverschreibungen, die erst vor rund drei Jahren stattfanden, und den damit einhergehenden Gesundheitsgefahren für die betroffenen Patienten sowie von der Absicht, sich hierdurch eine Einnahmequelle von einiger Dauer zu verschaffen, erfahren, so wäre das Vertrauen in die Ärzteschaft nachhaltig geschädigt. Nicht entscheidend ist, ob die Öffentlichkeit in B… oder an einem anderen Ort tatsächlich von den Verfehlungen erfährt oder erfahren hat, so dass der Einwand der Klägerin, die Öffentlichkeit in B… wisse nichts von ihren Verfehlungen, ins Leere läuft.
b. Die Gefährdung der finanziellen Basis der Krankenkassen durch betrügerische oder leichtfertige Falschabrechnungen stellt eine weitere gravierende berufliche Verfehlung der Klägerin dar (BVerwG, B. v. 20.9.2012 – 3 B 7/12 – juris Rn. 5). Eine solche schwerwiegende Pflichtverletzung durch einen Abrechnungsbetrug ist hier gegeben.
Durch den systematischen Betrug über zwei Quartale im Jahr 2013 hinweg sollte eine Einnahmequelle der Klägerin von einigem Umfang geschaffen werden. Das Vertrauen in die Berufsausübung der Öffentlichkeit wird vorliegend insbesondere auch durch die Bereitschaft erschüttert, Behandlungsleistungen nebenbei vorzunehmen, ohne mit den betreffenden Patienten Rücksprache zu halten. Dadurch geht das Patientenvertrauen verloren und jedenfalls ein Teil der Patienten fühlt sich hierdurch instrumentalisiert.
3. Da bereits die Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs den Widerruf der Approbation rechtfertigt, kann hier dahinstehen, ob auch eine Unzuverlässigkeit der Klägerin im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO anzunehmen wäre.
4. Eine Unverhältnismäßigkeit des Widerrufs der Approbation ist nicht festzustellen. Bei Vorliegen des Tatbestands gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 BÄO sieht das Gesetz den Approbationswiderruf als zwingende Rechtsfolge vor; der Behörde steht bei dieser Entscheidung kein Ermessen zu. Der Beklagte hatte die Approbation der Klägerin demnach zu widerrufen, ohne dass eine zusätzliche Abwägung der damit verbundenen beruflichen und privaten Folgen für die Klägerin möglich gewesen wäre.
Im Falle des Approbationswiderrufs wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch die Möglichkeit Rechnung getragen, einen Antrag auf Wiedererteilung zu stellen, wenn sich nach Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens an der Sachlage nachweislich etwas zum Guten geändert hat (BverwG, B. v. 23.07.1996 – 3 PKH 4/96 – juris Rn. 3; B. v. 15.11.2012 – 3 B 36/12 – juris Rn. 7). Die Approbation ist wieder zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO erneut vorliegen. Dies setzt voraus, dass die Lebensführung und die berufliche Entwicklung des Arztes nach der Widerrufsentscheidung eine positive Bewertung hinsichtlich der Würdigkeit und Zuverlässigkeit erlauben (BayVGH, B. v. 19.7.2013 – 21 ZB 12.2581 – juris Rn. 16). Zuvor kommt unter Umständen bereits die Erteilung einer zeitlich beschränkten Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufes nach § 8 Abs. 1 BÄO in Betracht (vgl. BVerwG, B. v. 15.11.2012 – 3 B 36/12 – juris Rn. 6, unter Verweis auf BayLSG, B. v. 27.01.2011 – L 12 KA 85/10 B ER – juris Rn. 26).
5. Die Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Beklagten begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 30.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 16.1 des Streitwertkatalogs 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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