Medizinrecht

Widerruf der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Altenpfleger

Aktenzeichen  RN 5 K 19.1911

Datum:
28.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12438
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AltPflG § 2 Abs. 1, Abs. 2
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Garantenpflicht nach § 13 Abs. 1 StGB stellt das strafrechtliche Pendant zur berufsrechtlichen Fürsorgepflicht des Altenpflegers dar. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn ein Altenpfleger sich einer Drucksituation ausgesetzt sieht und in einem Loyalitätskonflikt befindet, entbindet dies nicht von den erforderlichen Berufspflichten. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig aufgehoben.

Gründe

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der angefochtene Bescheid der Regierung von … vom 11.09.2019 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.
I.
1. Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 S. 2 AltPflG, § 2 Abs. 2 S. 4 AltPflG i.V.m. Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 5 BayVwVfG und § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltPflG sind gegeben.
Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltPflG ist die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ zu erteilen, wenn sich die antragstellende Person nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt. Gem. § 2 Abs. 2 S. 2 ist die Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich die Voraussetzungen nach Abs. 1 Nr. 2 weggefallen sind, vgl. auch Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayVwVfG. Diese Voraussetzungen sind vorliegend für den Kläger entfallen, da nachträglich die Zuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs des Altenpflegers weggefallen ist. Die Unzuverlässigkeit setzt ein Verhalten voraus, das nach Art, Schwere und Zahl von Verstößen gegen Berufspflichten die zu begründende Prognose rechtfertigt, der Betroffene biete aufgrund der begangenen Verfehlungen nicht die Gewähr, in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Dabei sind die gesamte Persönlichkeit des Betroffenen und seine Lebensumstände im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens zu würdigen (BVerwG, Urt. v. 26.09.2002 – 3 C 37/01 und BayVGH, U. v. 02.03.2010 Az. 21 B 08.3008).
Für die Überprüfung der berufsrechtlichen Zuverlässigkeit kann auf die Feststellungen des Strafgerichts zurückgegriffen werden, wenn keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen gegeben sind (BVerwG, Beschluss vom 06.03.2003 – 3 B 10/03).
Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger in dem Verfahren vor dem Landgericht Landshut umfassend und geständig eingelassen. Insoweit liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts unrichtig sein könnten. Das Gericht legt diese den Entscheidungsgründen folglich zugrunde.
Aufgrund des durch das Landgericht Landshut festgestellten Sachverhalts konstatiert das Gericht in concreto ein Verhalten, das nach seiner Art und Schwere einen Verstoß gegen einschlägige Berufspflichten begründet. Der Kläger unterließ es wissentlich und willentlich, sofort einen Arzt zu informieren, nachdem er von der Medikamentenverwechslung hinsichtlich des Patienten P. beim Schichtwechsel am 07.05.2016 erfuhr. Die Garantenpflicht gem. § 13 Abs. 1 StGB, auf welcher u.a. die Verurteilung fußt, stellt das strafrechtliche Pendant zur berufsrechtlichen Fürsorgepflicht des Altenpflegers dar. Diese hätte es geboten, sofort Maßnahmen zu ergreifen, welche zur Rettung des Patienten beigetragen hätten. Der Kläger klärte am 11.05.2016 den Hausarzt des Patienten Dr. … erstmals über die Medikamentenverwechslung auf, wartete demnach vier Tage ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung, bis er eigeninitiativ tätig wurde. Zwar mag diese Eigeninitiative auf autonome Motive zurückzuführen sein, allerdings ist der Handlungszeitpunkt der maßgebliche Aspekt. Bereits am 07.05.2016, als der Kläger sich dafür entschied, zunächst nichts zu unternehmen, verstieß er bereits gegen seine berufsspezifischen Pflichten. Dies war bedingt durch die Einflussnahme der Wohnbereichsleiterin Frau N. auf den Kläger. Diese hielt ihm insbesondere vor, welche möglichen beruflichen und strafrechtlichen Konsequenzen dies für sie selbst und die anderweitig Verurteilte Frau D. haben könnte. Darüber äußerte Frau N. die Hoffnung, der Geschädigte könne aufgrund seines unheilbaren und schlechten Zustandes endlich sterben. Zwar mag sich der Kläger einer Drucksituation ausgesetzt gesehen und in einem Loyalitätskonflikt momentan befunden haben. Dieser Umstand entbindet jedoch nicht von den erforderlichen Berufspflichten. Den Kläger hätte das Berufsethos, welches die Tätigkeit als Altenpfleger mit sich bringt, schon dazu veranlassen müssen, umgehend zum Wohle des Patienten tätig zu werden. Insoweit ist auch die Äußerung der Wohnbereichsleiterin, der Patient könne so nun endlich sterben, rechtlich und moralisch – ethisch. Die Selbstbestimmung über das eigene Leben ist ein hohes Verfassungsgut. Kein Mensch darf sich anmaßen, in einem solch gelagerten Fall, dem Betroffenen die Disposition über sein Leben und seine Willensentschließung zu nehmen. Folglich konnte der möglicherweise morbide Zustand des Patienten kein tragfähiges Argument für den Kläger bei seiner zögerlichen Entscheidungsfindung hinsichtlich der Ergreifung sofortiger Maßnahmen sein.
Im Bereich der Alten- und Krankenpflege sind die betroffenen Patienten sehr schutzbedürftig. Darauf aufbauend muss auch ein gewisses Vertrauen der Patienten und deren Angehörigen in die einwandfreie Funktionsfähigkeit der Altenpflege bestehen. Dieses Vertrauen würde jedoch erschüttert, würden die Grenzen hinsichtlich der Handlungsbereitschaft des Einzelnen nicht restriktiv gehandhabt. Das Gericht wertet diese Umstände dementsprechend entgegen der Ansicht des Klägers als belastend und nicht als entlastend. Durch das Verhalten wurde das Leben und die Selbstbestimmungsfreiheit des Patienten verletzt, mithin Verfassungsgüter von höchstem Rang; dies allein indiziert schon eine gewisse Schwere des Verstoßes.
Als Altenpfleger wusste der Kläger zudem um die möglichen Folgen, die eine Medikamentenverwechslung gerade bei älteren und krankheitsbedingt geschwächten Personen mit sich bringen kann. Dies zeigt auch die Äußerung des Klägers auf Seite 17 des Urteils gegenüber Frau N., dass „das doch Wahnsinn sei, was da passiert ist und umgehend gemeldet werden müsse“. Auch nachdem der Kläger erkannte, dass sich der Gesundheitszustand des Patienten stark verschlechterte, unternahm er – eingeschüchtert von den Aussagen der Wohnbereichsleiterin – nichts. Es sind keine Umstände ersichtlich, die dafürsprechen, dass es dem Kläger nicht zuzumuten gewesen wäre, unverzüglich eigenmächtig tätig zu werden und den Vorfall weiterzuleiten. Der Kläger hatte nämlich auch Kontaktmöglichkeiten zu der SAPV oder dem Hausarzt des Patienten P., nutzte diese jedoch (zunächst) nicht zur Meldung der Medikamentenverwechslung. Wie oben bereits dargelegt, mindert auch die Einflussnahme der Wohnbereichsleiterin auf den Kläger nicht die Zumutbarkeit etwaiger Handlungsalternativen. Aus dem Urteil des Landgerichts Landshut ergibt sich überdies, dass der Kläger und sein Verteidiger eine Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Klägers zur Tatzeit ausdrücklich verneint haben. Dem Kläger wäre ein sofortiges Handeln dementsprechend sowohl objektiv als auch subjektiv möglich und zumutbar gewesen.
Trotz eines einmaligen Verstoßes rechtfertigt dieser nach Art und Schwere und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der Persönlichkeit des Klägers die Prognose, er biete auch zukünftig nicht die Gewähr, seine berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Bei dem Leben eines Menschen handelt es sich um ein besonders hohes Individualrechtsgut. Der bisherige Arbeitseinsatz und das einsichtige sowie reumütige Verhalten des Klägers nach der Tat sind zwar Indizien dafür, dass der Kläger sich zukünftig bemühen werde, seinen Berufspflichten mit höchster Sorgfalt nachzukommen. Auch hat das Gericht berücksichtigt, dass der Kläger seiner Beschäftigung als Altenpfleger augenscheinlich in tadelloser Weise nachgegangen ist und auch das Vertrauen des Trägers des Alten- und Pflegeheimes … genoss. Allerdings berechtigt der in Rede stehende Verstoß zur Annahme, dass sich ein solches Szenario wiederholen könnte, sobald der Kläger in eine vergleichbare Drucksituation durch einen Vorgesetzten oder andere Beteiligte gelangt. Eine solche Wiederholungsgefahr ist – und möge sie noch so klein sein – ein entscheidender Faktor für die zu bestimmende Prognose. Das Gericht hat i.R.d. Gesamtabwägung von Tatumständen und Persönlichkeit des Täters durchaus die vorliegenden in der Person des Klägers liegenden positiven Aspekte bedacht. Allerdings ergibt sich hieraus nicht automatisch, der Kläger werde mit Sicherheit nicht mehr so handeln, sollte er in eine vergleichbare Situation kommen, in der Druck von außen auf ihn ausgeübt wird. Auch die durch den Kläger zitierte Entscheidung des VG München, wonach u.a. die subjektive Vorwerfbarkeit zu berücksichtigen sei, veranlasst das Gericht zu keiner anderen Entscheidung. Gerade wenn der Kläger wie vorliegend solch gute Berufsjahre aufzuweisen hat, erscheint es in besonderer Weise als vorwerfbar, dass er in der konkreten Situation nicht entsprechend seiner Berufspflichten handelte.
Weiterhin spielt es keine Rolle, dass der Kläger seine staatliche Prüfung zum Altenpfleger mit einem guten Ergebnis abgelegt und während seiner Tätigkeit an Weiterbildungen teilgenommen hat (VG München, Beschluss vom 02.08.2016 – M 16 S 16.2504). In Anbetracht des hohen Ranges des zu schützenden Rechtsguts, kann eine solche Prognose nur dann zugunsten des Klägers ausfallen, wenn mit Sicherheit auszuschließen wäre, dass sich ein etwaiges Verhalten nicht mehr wiederholt. Gesamtbetrachtend ist dies für den konkreten Fall folgerichtig zu verneinen.
An dieser Beurteilung ändert auch die Tatsache nichts, dass der Strafausspruch des Landgerichts Landshut von einem Jahr und sechs Monaten für den Kläger zur Bewährung ausgesetzt wurde. Anders als im Strafrecht basiert die in Frage stehende berufsrechtliche Prognose auf sicherheitsrechtlichen Erwägungen. Ausschlaggebend ist, ob eine weitere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu besorgen ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst sowohl den Schutz des Lebens als auch die Einhaltung der Rechtsordnung. Insoweit gibt es eine Parallele zwischen sicherheitsrechtlichen Erwägungen und § 56 Abs. 1 StGB, der darauf abstellt, dass sich der Angeklagte die Verurteilung als Warnung dienen lassen und keine weiteren Straftaten begehen werde. Primäres Ziel der berufsrechtlichen Prognose i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 2 AltPflG ist jedoch der Schutz des Lebens und nicht die Beurteilung, ob ein Altenpfleger erneut eine mit der berufsspezifischen Verfehlung verbundene Straftat begehen werde. Das berufsrechtliche Verfahren und das Strafverfahren verfolgen somit unterschiedliche Zwecke, so dass auch der Maßstab der Prognose jeweils ein anderer ist.
Art. 49 BayVwVfG ist zwar über § 2 Abs. 2 S. 4 AltPflG im Übrigen anwendbar. Liegen die Voraussetzungen für die Zuverlässigkeit so wie im konkreten Fall jedoch nicht mehr vor, ist die Erlaubnis zu widerrufen, § 2 Abs. 2 S.2 AltPflG. Der Gesetzgeber hat der Behörde in diesem Fall keinen Ermessensspielraum eingeräumt.
2. Der Widerruf der Erlaubnis stellt zwar einen Eingriff in die Berufsfreiheit des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG dar. Dieser ist jedoch gerechtfertigt. Fraglich ist, ob es sich schon um einen Eingriff auf der Stufe der Berufswahl handelt, wenn der Kläger weiter als Pflegekraft – nur ohne Führung der Bezeichnung als Altenpfleger – tätig bleiben darf, wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt, oder lediglich um eine Beschränkung der Berufsausübung. Das BVerfG stellt Eingriffe in die Arbeitsplatzwahl Berufswahlbeschränkungen dabei weitgehend gleich (NZA 1995, 619 – 1 BvR 1397/93). Dies kann jedoch dahinstehen, da es sich vorliegend um den Schutz von wichtigen Gemeinschaftsgütern handelt. Neben dem Schutz des Einzelnen sind hierunter auch die Funktionsfähigkeit der Gesundheitspflege, das Vertrauen der Patienten in das Pflegepersonal, die Wertschätzung der Pflegeberufe in der Gesellschaft und die Integrität des krankenpflegerischen Berufsstandes zu fassen. Auf dieser Stufe muss die Berufsfreiheit des Klägers hinter der körperlichen Integrität der Patienten (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) und den aufgeführten Gemeinschaftsgütern zurückstehen. Insofern genügt die Rechtfertigung unter Berücksichtigung der Art und Schwere des Verstoßes auch den Anforderungen an einen Eingriff in die Berufswahl des Klägers. I.R.d. Verhältnismäßigkeit hat das Gericht ebenfalls berücksichtigt, dass es dem Kläger wie bereits angedeutet durch den Widerruf nicht verwehrt ist, weiterhin einen pflegerischen Beruf auszuführen. Des Weiteren ist es dem Kläger möglich, erneut die Bezeichnung zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ zu beantragen, sofern er die nötige Zuverlässigkeit wiedererlangt und ihm ein diesbezüglicher Nachweis gelingt.
3. Die Verpflichtung zur Herausgabe der Urkunde vom 01.09.2006 über die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Altenpfleger im Original ergibt sich aus Art. 52 S. 2 BayVwVfG. Dies bezieht sich auch auf die im Besitz des Klägers befindlichen Ablichtungen, Abschriften und Ausfertigungen.
4. Mit der Klage begehrte der Kläger u.a. die Aufhebung von Ziffer 6 des Bescheids der Regierung von … vom 11.09.2019, in welchem dem Kläger eine Gebühr für die Erhebung des Bescheids in Höhe von 150,- Euro auferlegt wurde. Der klägerische Vortrag enthielt zwar rechtlich keine Monierung hierzu, jedoch musste das Gericht diesen Antrag auslegen, §§ 86 Abs. 3, 88 Hs. 2 VwGO. In seinem Bescheid erhebt die Regierung von … Kosten in Höhe von 150,- Euro, gestützt auf Art. 1, 2 Abs. 1 Art. 5, 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 KG i.V.m. Tarifnr. 3.III.3/2.4 des Kostenverzeichnisses. Die vorbezeichnete Tarifnummer sieht allerdings für Rücknahme oder Widerruf einer Anerkennung oder Erlaubnis nur eine Kostenerhebung zwischen 15,- und 50,- Euro und nicht von 150,- Euro vor. In der Begründung ihres Bescheides vom 11.09.2019 geht die Regierung von … jedoch nicht über einen Betrag von 50,- Euro hinaus, will also nur 50,- Euro als Gebühr erheben.
II.
Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung (§ 167 Abs. 2 VwGO) beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 Alt. 2 ZPO.


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