Medizinrecht

Wirtschaftlichkeitsprüfung einer MKG-Kleinpraxis

Aktenzeichen  S 38 KA 5036/19

Datum:
24.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 18738
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 106
Prüfvereinbarung (Anlage 4a zum GV-Z) § 20 Abs. 6
VwGO § 154
SGG § 197a

 

Leitsatz

1 Grundsätzlich ist der Vertragszahnarzt mit der Fachgruppe zu vergleichen, für die er zugelassen ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein statistischer Vergleich ist nur dann nicht möglich, wenn die Praxis unter 20% der Fälle der Vergleichsgruppe aufweist. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine vom Durchschnitt abweichende Patientenverteilung einen Mehraufwand bei bestimmten Leistungen nach sich zieht. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten der Verfahren.
Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegten Klagen sind zulässig, erweisen sich jedoch als unbegründet.
Rechtsgrundlage für die vom Beklagten vorgenommenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen auf der Basis statistischer Durchschnittsprüfungen ist § 106 SGB V in Verbindung mit § 20 Abs. 6 der Prüfvereinbarung (Anlage 4a zum GV-Z). Danach kann eine Prüfung nach Durchschnittswerten mit dem Ergebnis einer Vergütungsberichtigung aufgrund einer Schätzung durchgeführt werden, wenn der Gesamtfallwert des geprüften Bema-Teiles oder der Einzelleistungswert des geprüften Vertragszahnarztes in einem offensichtlichen Missverhältnis zum Landesdurchschnitt steht.
Bei der statistischen Durchschnittsprüfung wird davon ausgegangen, dass die durchschnittlichen Abrechnungen der Fachgruppe die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise widerspiegeln. Werden die Werte der Fachgruppe vom zu prüfenden Vertragszahnarzt erheblich überschritten, wovon in der Regel bei einer Überschreitung in Höhe von 40 – 50% beim Vergleich des Gesamtfallwertes und bei einer Überschreitung in Höhe von 100% beim Vergleich einzelner Leistungen auszugehen ist, liegt eine Unwirtschaftlichkeit vor.
Voraussetzung ist allerdings, dass eine Vergleichbarkeit gegeben ist. Weicht die Struktur der Praxis des geprüften Arztes sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung des Patientenklientels, als auch hinsichtlich des ärztlichen Diagnose- und Behandlungsangebots von der Typik beim Durchschnitt der Fachgruppe signifikant ab (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 50 S. 264; Nr. 57 S 319ff; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 1 RdNr. 11), dann liegt eine Unvergleichbarkeit vor, die zur Bildung einer engeren Vergleichsgruppe veranlassen würde. Grundsätzlich ist aber bei der Gruppe der MKG-Chirurgen und der Zahnärzte von einer hohen Homogenität auszugehen, so dass ein Spezialvergleich nicht anzustellen ist.
Der Umstand, dass die Fallzahlen des Klägers bis zu 60% unter dem Durchschnitt der Vergleichsgruppe liegen, schließt die Durchführung einer statistischen Durchschnittsprüfung nicht aus. Fakt ist allerdings, dass eine sogenannte „Kleinpraxis“ in der Regel weniger Verdünnerscheine aufweist, um einzelne schwere Fälle ausgleichen zu können. Insofern können sich – müssen aber nicht – einzelne schwere Fälle ungünstiger auswirken und den Fallwert einer „Kleinpraxis“ nach oben treiben. Ein statistischer Vergleich ist nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte aber nur dann nicht möglich, wenn die Praxis unter 20% der Fälle der Vergleichsgruppe aufweist (vgl. Urteil vom 09.09.1998, Az. B 6 KA 50/97 R).
Ferner ist zu beachten, dass Leistungen aufgrund von Überweisungen zu einer nach Art und Umfang festgelegten Behandlung nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung unterliegen, soweit der MKG-Chirurg/Vertragszahnarzt den Inhalt der Überweisung nachweist (§ 20 Abs. 9 der Anlage 4a zum GV-Z = Prüfvereinbarung). Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass er – anders als dies grundsätzlich bei MKG-Chirurgen der Fall ist – nicht oder nur in geringem Umfang in Auftrag anderer Vertragszahnärzte tätig wird.
Grundsätzlich ist der Vertragszahnarzt mit der Fachgruppe zu vergleichen, für die er zugelassen ist. Übertragen auf das streitgegenständliche Verfahren bedeutet dies, den Kläger mit der Gruppe der MKG-Chirurgen zu vergleichen, da er eine entsprechende Zulassung beantragt hat und auch besitzt.
Die Problematik in den streitgegenständlichen Verfahren besteht darin, dass der Kläger zwar als MKG-Chirurg zugelassen ist, jedoch – worauf die Prozessbevollmächtigte des Klägers, aber auch die übrigen Beteiligten hinweisen – größtenteils Leistungen erbringt, die dem allgemeinzahnärztlichen Bereich zuzurechnen sind. Hierzu gehören auch die Leistungen der Bema-Nummern (Bema-Nrn. 04, 10, 25 und 105), die Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfungen sind.
Zu erwägen wäre, den Kläger aufgrund seiner Praxisausrichtung nicht mit der Gruppe der MKG-Chirurgen zu vergleichen, sondern mit der Gruppe der Allgemeinzahnärzte. Dagegen spricht sein Zulassungsstatus, aber auch, dass sein Abrechnungs- und Leistungsverhalten auch nicht 1 zu 1 der Gruppe der Allgemeinzahnärzte entspricht. Auf jeden Fall erschiene mit der Prüfmethode „Prüfung nach Durchschnittswerten“ unvereinbar, den Kläger bei einzelnen Leistungen mit der Fachgruppe der MKG-Chirurgen, bei anderen mit der Fachgruppe der Allgemeinzahnärzte zu vergleichen. Ein solches Splitting wäre überdies nicht nur unpraktikabel, sondern würde dem Kläger gegenüber anderen, bei denen nur eine Vergleichsgruppe herangezogen wird, unangemessen zum Vorteil gereichen.
Wenn der Beklagte deshalb den Kläger zuvorderst mit der Gruppe der MKG-Chirurgen vergleicht, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Möchte der Kläger dies in Zukunft vermeiden, steht es ihm anheim, eine Zulassung als Allgemeinzahnarzt zu beantragen.
Selbstverständlich muss und kann, sofern eine Atypik vorliegt, dieser durch Anerkennung von Praxisbesonderheiten Rechnung getragen werden. Der Beklagte hat hier davon abweichend die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei ca. 200% Überschreitung angenommen.
Der Beklagte hat hier zwar keinerlei Praxisbesonderheiten anerkannt, geschweige denn diese quantifiziert. Er hat sich aber mit der Frage auseinandergesetzt, ob auch Überschreitungen festzustellen wären, wenn man den Kläger mit der Gruppe der Allgemeinzahnärzte vergleichen würde. Dabei haben sich selbst bei einem Vergleich des Klägers mit der Gruppe der Allgemeinzahnärzte deutliche Überschreitungen – je nach Bema-Nr. unterschiedlich – in Höhe des 2,5 fachen bis zum 6,5 fachen ergeben. Insofern ist es rechtlich unbedenklich, wenn keinerlei Praxisbesonderheiten anerkannt werden. Bei weniger deutlichen Überschreitungswerten, erst Recht bei Unterschreitungen hätte für den Beklagten Veranlassung bestanden, Praxisbesonderheiten im Hinblick auf die allgemeinzahnärztliche Ausrichtung des Klägers festzustellen und diese zu quantifizieren.
Rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass bei der Prüfung der Bema-Nr. 25 eine Relation zu den Leistungen nach den Bema-Nrn. 13 (Füllungsleistungen) hergestellt wurde. Zwar schließt sich die 38. Kammer des Sozialgerichts München der Auffassung der 21. Kammer des Sozialgerichts München (vgl. SG München, Urteil vom 26.11.2015, Az. S 21 KA 5121/13) grundsätzlich an, wonach eine solche Prüfmethode weder eine Rechtsgrundlage in der Prüfvereinbarung, noch in der Rechtsprechung findet und deshalb als unzulässig anzusehen ist. Den Wirtschaftlichkeitsprüfungsgremien ist aber nicht verwehrt, im Rahmen der zu fordernden intellektuellen Prüfung, z.B. bei der Festlegung der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis zu untersuchen, in welcher Relation die Begleitleistung der Bema-Nr. 25 zu den Füllungsleistungen als Bezugsleistungen steht.
Auch die Praxisgröße, gemessen an der Fallzahl, die weit unterdurchschnittlich ist, kann nicht per se als Praxisbesonderheit anerkannt werden.
Das Vorliegen von schweren und kostenintensiven Sanierungsfällen wurde zwar geltend gemacht, wurde aber seitens des Klägers nicht näher präzisiert. Folglich kann aufgrund dieser pauschalen Behauptungen – dem Kläger obliegt hier eine Darstellungsund Feststellungspflicht – eine Anerkennung als Praxisbesonderheit durch den Beklagten nicht erfolgen.
Gleiches gilt im Ergebnis für den Hinweis des Klägers, die Patientenverteilung sei eine andere, nämlich er habe einerseits wesentlich mehr Mitgliederversicherte, andererseits weniger Familienversicherte und Rentnerversicherte. Es gibt nämlich keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine vom Durchschnitt abweichende Patientenverteilung einen Mehraufwand bei bestimmten Leistungen nach sich zieht. Hinzu kommt, dass insbesondere ein hoher Ansatz der Leistungen nach den Bema-Nrn. 10 und 105 vorwiegend bei Rentnerversicherten zu vermuten wäre. Der Anteil dieser Patientengruppe beim Kläger ist aber deutlich unter dem Durchschnitt.
Soweit der Kläger Einsparungen in den Bereichen KCH, PAR, Zahnersatz-Leistungen und insbesondere bei Extraktionsleistungen nach den Bema-Nrn. 43, 44 und 45 geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass es sich um kausal-kompensatorische Leistungen handeln muss. Für eine entsprechende Kausalität zwischen dem Mehrbedarf und eventuellen Einsparungen gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.
Schließlich ist festzustellen, dass dem Kläger jeweils auch hohe Restüberschreitungen, weit über der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis belassen wurden; dies auch, wenn man den Kläger mit der Gruppe der Allgemeinärzte vergleichen würde.
Dagegen kann auch nicht die Rechtsprechung der Sozialgerichte (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 04.02.2009, Az. L 12 KA 27/06; Sozialgericht München, Urteil vom 24.10.2018, Az. S 38 KA 5022/18) angeführt werden. Danach genügt der Verweis auf eine hohe belassene Restüberschreitung als Begründung für eine Kürzung, ohne sich mit etwaigen Praxisbesonderheiten und Einsparungen auseinanderzusetzen, nicht. Dadurch, dass der Beklagte überprüft hat, ob auch Überschreitungen bei einem Vergleich des Klägers mit der Gruppe der Allgemeinzahnärzte vorliegen, hat er sich damit auseinandergesetzt, ob die Ausrichtung der klägerischen Praxis als Praxisbesonderheit zu werten ist. Insofern hat er sich einer Prüfung von Praxisbesonderheiten nicht entzogen. Ein Verstoß gegen § 35 SGB X ist somit nicht ersichtlich.
Dass nach Kürzung der vergleichsweise (im Vergleich zu MKG-Chirurgen) niedrige Fallwert weiter nach unten geht, trifft zu, führt aber ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der Kürzung. Denn bei dem Fallwert handelt es sich um den der Vergleichsgruppe der MKG-Chirurgen, der aufgrund deren schwerpunktmäßig chirurgischen Tätigkeit zwingendermaßen über dem der Allgemeinzahnärzte liegt. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, da er im Wesentlichen allgemeinzahnärztliche Tätigkeiten ausübt.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO bzw. § 162 Abs. 3 VwGO.


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