Medizinrecht

Wohngeld für die Zeit einer Inhaftierung

Aktenzeichen  B 4 K 15.83

Datum:
29.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WoGG WoGG § 5 Abs. 1 S. 1, § 24 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Entsprechend dem Regelbewilligungszeitraum für Wohngeld von zwölf Monaten ist Lebensmittelpunkt eines Strafgefangenen die Haftanstalt und nicht die Wohnung, wenn er eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verbüßen muss. Wohngeld als Mietzuschuss kann deshalb nicht gewährt werden. (redaktioneller Leitsatz)
Maßgeblich sind die für den Bewilligungszeitraum im Zeitpunkt der Antragstellung zu erwartenden Umstände. Schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität muss die Wohngeldbehörde keine strafvollstreckungsrechtlichen Erwägungen zu einer möglichen vorzeitigen Haftentlassung anstellen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.03.2014 bis 31.10.2014 Wohngeld in Höhe von 176,00 EUR zu gewähren, ist gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht auszusprechen, weil die Ablehnung des Wohngeldantrags rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 WoGG ist wohngeldberechtigte Person jede natürliche Person, die Wohnraum gemietet hat und diesen selbst nutzt. Die Ermittlung eines Wohngeldanspruchs für einen bestimmten Bedarfszeitraum ist nach § 4 WoGG neben anderen Faktoren von der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder abhängig. Haushaltsmitglied ist die wohngeldberechtigte Person, wenn der Wohnraum, für den sie Wohngeld beantragt, der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 WoGG). Der Entscheidung über den Wohngeldantrag und damit auch darüber, ob die wohngeldberechtigte Person Haushaltsmitglied ist, sind die Verhältnisse im Bewilligungszeitraum, die im Zeitpunkt der Antragstellung zu erwarten sind, zugrunde zu legen (§ 24 Abs. 2 Satz 1 WoGG). Treten nach dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Bekanntgabe des Wohngeldbescheides Änderungen der Verhältnisse im Bewilligungszeitraum ein, sind sie grundsätzlich nicht zu berücksichtigen; Änderungen i. S. d. § 27 Abs. 1 und 2, § 28 Abs. 1 bis 3 oder § 43 WoGG sollen berücksichtigt werden (§ 24 Abs. Abs. 2 Satz 2 WoGG).
Beantragt eine alleinlebende wohngeldberechtigte Person, die die von ihr gemietete Wohnung für einen bestimmten Zeitraum nicht nutzen kann, für diesen Zeitraum Wohngeld als Mietzuschuss, so hat die Wohngeldstelle bei der von ihr anzustellenden Prognose, ob die Wohnung weiterhin der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Antragstellers bleibt, seine aktuelle Lebenssituation zu überprüfen und dabei insbesondere zu berücksichtigen, ob mit einer Rückkehr zu rechnen ist. Bei Strafgefangenen ist die Strafanstalt Lebensmittelpunkt, wenn die Zeit der Strafhaft zu lang und ein Aufsuchen der Wohnung im Freigang oder bei Wochenendausgängen allenfalls selten möglich ist (vgl. VG Berlin, U. v. 14.12.2000 – 21 A 82.99 – juris zum vergleichbaren Begriff der vorübergehenden Abwesenheit in § 4 Abs. 3 WoGG a. F.). Bei der Entscheidung, welche Haftzeit als „zu lang“ anzusehen ist mit der Folge, dass der Inhaftierte von vornherein den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen nicht mehr in seiner Wohnung hat, ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Regelbewilligungszeitraum für Wohngeld gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 WoGG zwölf Monate beträgt. Deshalb haben Personen, die eine mehr als einjährige Freiheitsstrafe verbüßen und vorher allein gelebt haben, ihren Lebensmittelpunkt in der Strafanstalt (Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, WoGG, Stand März 2015, § 5 Rn. 11).
Gemessen daran ist die Prognoseentscheidung des Beklagten, nach den zum 06.03.2014 bekannten und ermittelbaren Umständen sei nicht zu erwarten, dass im Regelbewilligungszeitraum vom 01.03.2014 bis 28.02.2015 die Mietwohnung des Klägers Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen sein würde, nicht zu beanstanden, nachdem sich aus der vom Kläger vorgelegten Haftbescheinigung vom 03.03.2014 ergab, dass seine Strafhaft nach Angaben der JVA … voraussichtlich erst am 04.03.2015 enden würde.
Der Beklagte war nicht gehalten, stattdessen von dem für den Kläger günstigsten hypothetischen Fall auszugehen, dass er nach Verbüßen von zwei Dritteln seiner Strafhaft am 24.10.2014 entlassen und damit weniger als ein Jahr inhaftiert sein würde. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 06.03.2014 war für die Wohngeldstelle nicht verlässlich absehbar, ob das Landgericht B. – Strafvollstreckungskammer gemäß § 57 Abs. 1 StGB die Vollstreckung des Restes seiner zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen würde. Denn bei der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes ist nicht nur zu beachten, ob der Inhaftierte erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt, sondern nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB auch sein Verhalten im Vollzug zu würdigen, das bei Strafantritt, wenn erfahrungsgemäß der Wohngeldantrag gestellt wird, nicht vorherzusehen ist.
Darüber hinaus haben gerade in Bereichen der gewährenden Staatstätigkeit, in denen die Verwaltung, wie im Wohngeldrecht, in kurzer Zeit eine Vielzahl von Fällen zu entscheiden und dabei im Einzelfall die Bedürftigkeit des Antragstellers zu prüfen hat, Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungseffektivität besondere Bedeutung (BVerwG, U. v. 12.07.1984 – 5 C 133/83 – DÖV 1985, 283/284f.). Auch diese Grundsätze rechtfertigen die Verwaltungsübung der Wohngeldstelle, bei der Prüfung, wo ein Strafgefangener den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat, generell auf das voraussichtliche Haftende abzustellen, ohne im Einzelfall strafvollstreckungsrechtliche Erwägungen über mögliche Bewährungstatbestände anstellen zu müssen, die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht verlässlich prognostizierbar sind.
Nach dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Bekanntgabe des Wohngeldbescheides sind keine Änderungen der Verhältnisse im Bewilligungszeitraum eingetreten noch waren Änderungen zu erwarten, die gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 und Satz 3 WoGG hätten berücksichtigt werden sollen.
Das gilt auch, wenn man im Hinblick darauf, dass Ausgangs- und Widerspruchsverfahren eine Einheit bilden, im Rahmen des § 24 Abs. 2 Satz 2 WoGG auf die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2015 abstellt (BayVGH, B. v. 05.05.2014 – 12 ZB 14.701 juris Rn. 15; Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, a. a. O. § 5 Rn. 42). Der Kläger ist, solange er noch nicht wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld II bzw. von Leistungen nach dem SGB XII gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen war, trotz vorzeitiger Entlassung aus der Strafhaft wegen der anschließenden stationären Suchttherapie sowie der darauffolgenden Untersuchungshaft nicht in seine Wohnung zurückgekehrt, so dass eine Änderung der Verhältnisse im Bewilligungszeitraum im Sinne einer Erhöhung der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder von 0 auf 1 nicht eingetreten ist.
Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – dann allenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.


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