Aktenzeichen 11 CS 16.1827
FeV FeV § 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 8, § 46 Abs. 3
Leitsatz
Wer bei einer Polizeikontrolle mit einem Kokaingemisch in der Hosentasche angetroffen wird, kann sich nicht darauf berufen, es bestehe die Möglichkeit, dass er es für jemand anderen aufbewahrt habe. Die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens zur Überprüfung etwaigen Drogenkonsums ist dann nicht zu beanstanden und wird durch den Verweis auf (lückenhafte) Urinscreenings nicht hinfällig. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
6 S 16.2997 2016-08-19 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A2 und B (einschließlich Unterklassen) und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins.
Mit Strafbefehl vom 23. Juni 2014 (hinsichtlich des Schuldspruchs rechtskräftig seit 31.7.2014) verurteilte das Amtsgericht München den Antragsteller wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, weil er am 5. April 2014 wissentlich und willentlich 0,6 Gramm Kokaingemisch mit sich geführt hatte.
Mit Schreiben vom 25. November 2014 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller deswegen auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens über seine Fahreignung hinsichtlich einer Einnahme von Betäubungsmitteln auf.
Weil der Antragsteller nachfolgend fünf Bestätigungen der FTC GmbH (Forensisch toxikologisches Centrum München) über Urinuntersuchungen auf Betäubungsmittel im Rahmen eines vom 23. April 2014 bis 23. April 2015 laufenden Abstinenzkontrollprogramms mit jeweils negativem Ergebnis vorgelegt hatte, widerrief die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 30. April 2015 die Anordnung zur ärztlichen Begutachtung und ordnete nunmehr die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV an, weil aufgrund der Vorlage der Abstinenznachweise von einem Betäubungsmittelkonsum in der Vergangenheit ausgegangen werden müsse. Danach gingen bei der Fahrerlaubnisbehörde noch ein sechstes Untersuchungsergebnis und eine Abstinenzbestätigung der FTC GmbH vom 22. April 2015 ein.
Mit Schreiben vom 1. Juli 2015 hob die Fahrerlaubnisbehörde die Gutachtensanordnung vom 30. April 2015 auf. Unter dem 24. November 2015 forderte sie den Antragsteller auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung innerhalb von drei Monaten ab Zustellung des Schreibens auf. Die Anordnung – wegen des Strafbefehls aufgrund des Besitzes von Kokain am 5. April 2014 – erfolge nach pflichtgemäßem Ermessen. Zur Erstellung des Gutachtens wurden unter Berücksichtigung des erbrachten Abstinenznachweises über ein Jahr noch zwei Urinscreenings im Rahmen der ärztlichen Begutachtung nach näher dargestellten Kriterien gefordert. Das Gutachten sollte die Frage beantworten:
„Nimmt bzw. nahm die/der Untersuchte Betäubungsmittel im Sinne des BtMG oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe im Sinne des StVG ein, die die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stellen?“
Da der Antragsteller kein Gutachten vorlegte, entzog die Behörde ihm nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 4. Juli 2016 die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), verlangte unter Androhung von Zwangsmitteln die Abgabe des Führerscheins (Nrn. 2 und 3) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 an.
Gegen den Bescheid erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht München. Den gleichzeitig gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. August 2016 ab.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der die Antragsgegnerin entgegentritt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerde-verfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
Zur Begründung der Beschwerde trägt der Antragsteller vor, er habe die Folienplombe erst wenige Minuten vor der Razzia der Polizei zur Aufbewahrung überreicht erhalten. Ein „Dritter“, der tatsächlich im Besitz der Droge gewesen sei, habe den Antragsteller gebeten, sie für ihn zu verwahren. Dieser habe die in die Bar eintretenden Drogenfahnder erkannt und, da er als Drogenkonsument bekannt gewesen sei, befürchtet, dass er mit einer Leibesvisitation zu rechnen habe – im Gegensatz zu dem völlig unbescholtenen Antragsteller. Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht behandelten den Antragsteller als Drogenkonsumenten, obwohl er durch die Urinscreenings nachgewiesen habe, dass er drogenfrei sei und kein Kokain konsumiere. Die erneute Anordnung eines ärztlichen Gutachtens sei unverhältnismäßig, da der Antragsteller bereits den Beweis erbracht gehabt habe, dass er über zwölf Monate drogenfrei gewesen sei.
1. Die Fahrerlaubnisbehörde hat auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen, da dieser das geforderte ärztliche Gutachten nicht vorgelegt hat. In der Gutachtensaufforderung hat sie ihm den Besitz eines Kokaingemischs zur Last gelegt. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Behörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV). Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, U. v. 9.6.2005 – 3 C 25/04 – NJW 2005, 3081). Die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens kann nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV dann angeordnet werden, wenn der Betroffene Betäubungsmittel im Sinn des Betäubungsmittelgesetzes widerrechtlich besitzt oder besessen hat. Weil § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV als Indiz für die Einnahme von Betäubungsmitteln deren Besitz genügen lässt, muss dieser Besitz konkret nachgewiesen werden (BayVGH, B. v. 22.1.2008 – 11 CS 07.2766 – juris).
Es besteht kein Zweifel daran, dass der Antragsteller am 5. April 2014 im Besitz des Kokaingemischs war. Nach dem Polizeibericht vom 7. April 2014 wurde die Folienplombe (mit 0,60 g/netto Kokain) in der „Five-Pockettasche“ seiner Hose, die er zu diesem Zeitpunkt trug, aufgefunden. Damit hatte er die alleinige Verfügungsgewalt. Der vom Antragsteller beanstandete Begriff des Mitführens, den das Verwaltungsgericht verwendete, stammt aus dem Strafbefehl, hat aber auch keine weitere rechtliche Relevanz.
2. Die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens ist auch nicht ermessensfehlerhaft oder unverhältnismäßig. Es kann offenbleiben, ob der Besitz von Betäubungsmitteln (ausgenommen Cannabis) in jedem Fall die Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigen kann oder ob weitere und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen müssen, dass bei dem Besitzer auch die konkrete Absicht bestand, das Betäubungsmittel zu konsumieren. Bei dem Besitz einer kleinen, extra abgepackten Menge, die gerade für einen Einzelkonsum ausreicht, liegen solche Anhaltspunkte vor, soweit die Droge nicht zum Weiterverkauf bestimmt ist, was der Antragsteller nicht behauptet und wofür hier auch keine Anhaltspunkte bestehen.
Das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, er habe das Kokaingemisch für einen anderen aufbewahrt, ist nicht glaubhaft. Er hatte sich im Strafverfahren nicht zur Sache geäußert. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (Schriftsatz vom 7.7.2016 S. 6) hat der Antragsteller einen Fremdbesitz ausdrücklich nicht behauptet, sondern nur auf die Möglichkeit hingewiesen, dass es so gewesen sein könnte. Nach dem Polizeibericht vom 7. April 2014 wurden der Antragsteller und eine weitere Person dabei beobachtet, wie sie zusammen in eine Kabine der Herrentoilette „verschwanden“. Nachdem beide nach kurzer Zeit wieder herausgekommen seien, sei bei ihnen eine Personenkontrolle durchgeführt worden. Unter diesen Umständen ist die vom Antragsteller geschilderte Erwartung, er würde im Gegensatz zu der anderen, entsprechend polizeibekannten Person nicht kontrolliert werden, nicht nachvollziehbar. Der Verdacht des Eigenkonsums, der für die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens ausreicht, wurde daher nicht ausgeräumt.
Schließlich ist auch offensichtlich, dass der Verdacht durch die Vorlage von negativen Urinscreeningergebnissen nicht ausgeräumt werden kann, da das Gesetz ein ärztliches Gutachten verlangt. Ein solches erschöpft sich ersichtlich nicht in der Darstellung von Laborergebnissen von Urinuntersuchungen.
Der Senat folgt dem Antragsteller auch nicht in der Bewertung, es sei durch die Urinscreenings bewiesen, dass er kein Betäubungsmittel konsumiert habe. Die erste Urinuntersuchung erfolgte am 14. Mai 2014; damit kann nicht bewiesen werden, dass der Antragsteller bis wenige Tage vor diesem Datum keine Betäubungsmittel konsumiert hat. Eine zeitnahe Haaruntersuchung, die einen längeren rückwirkenden Zeitraum hätte abdecken können, hat der Antragsteller nicht vornehmen lassen, zumindest dessen Ergebnis nicht vorgelegt.
3. Die Antragsgegnerin hat auch nicht etwa ihre Befugnis, vom Antragsteller ein ärztliches Gutachten zu fordern, dadurch verwirkt, dass sie die erste dahingehende Gutachtensaufforderung vom 25. November 2014 mit Schreiben vom 30. April 2015 widerrief. Unabhängig von einem etwaigen vorausgehenden (Fehl-)Verhalten hat eine Sicherheitsbehörde wie hier die Fahrerlaubnisbehörde die vom Gesetz zur Gefahrenabwehr vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen, soweit die Gefahr noch besteht und nicht durch Zeitablauf entfallen ist. Eine Zusicherung, ein ärztliches Gutachten nicht (mehr) anzuordnen, liegt in der bloßen Aufhebung einer solchen Anordnung nicht.
Die Anordnung, zur Klärung der Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeuges gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV wegen nachgewiesenen Drogenbesitzes ein ärztliches Gutachten beizubringen, ist nicht an die Einhaltung einer festen Frist nach dem Besitz gebunden. Entscheidend ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände noch hinreichende Anhaltspunkte zur Begründung eines Gefahrenverdachts bestehen. Die vom 5. April 2014 bis zur zweiten Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens am 24. November 2015 verstrichene Zeit ist kein Hinderungsgrund für die Anordnung gewesen. Der Verdacht des Konsums von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes, der sich aus dessen Besitz ergibt, wird nicht dadurch ausgeräumt, dass der Besitz vor über eineinhalb Jahren festgestellt wurde. Das ist kein Zeitraum, bei dem davon ausgegangen werden könnte, dass die Gefahr nicht mehr besteht.
4. Nur durch das angeordnete ärztliche Gutachten hätte geklärt werden können, ob der Antragsteller Drogen konsumiert hat. Wäre im ärztlichen Gutachten nicht positiv festgestellt worden, dass dies der Fall gewesen sei, hätte es damit sein Bewenden gehabt. Andernfalls hätte sich der Antragsteller, da er über ein Jahr Drogenfreiheit nachgewiesen hat und daher die Wiedererlangung seiner Fahreignung nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV zu prüfen gewesen wäre, einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterziehen müssen, um zu überprüfen, ob sein Einstellungswandel stabil und motivational gefestigt ist. Durch die Nichtbeibringung des zu Recht verlangten ärztlichen Gutachtens hat er sich beider Möglichkeiten begeben und die Behörde hat zu Recht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Nichteignung geschlossen.
5. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzu-weisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).