Medizinrecht

Zumutbarkeit einer Obdachlosenunterkunft

Aktenzeichen  W 5 E 16.161

Datum:
16.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG LStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
BayVwVfG BayVwVfG Art. 3 Abs. 1 Nr. 3
GO Art. 57 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Zu den Gefahren, die die Gemeinden gemäß Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG abzuwehren haben, gehört die Obdachlosigkeit. Die örtliche Zuständigkeit zur Behebung dieser Gefahr liegt bei der Gemeinde, in der die Obdachlosigkeit eintritt (ebenso VGH München, BeckRS 2002, 20901). (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Auswahl unter geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten verfügt die Gemeinde über ein weites Ermessen, das nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände eingeschränkt ist. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Unterkunft muss nicht den an eine Wohnung zu stellenden Anforderungen genügen. Es ist ausreichend, wenn sie vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt (ebenso VGH München, BeckRS 2010, 22580). (redaktioneller Leitsatz)
4 Zur Mindestausstattung einer menschenwürdigen Unterbringung gehören eine Heizmöglichkeit, ein Stromanschluss, ein Wasseranschluss bzw. eine Waschgelegenheit sowie die Möglichkeit der Mitbenutzung einer Toilette sowie einer Dusche oder eines Bades. Es ist der untergebrachten Person insbesondere zumutbar, wenn sie sanitäre Anlagen nur nach Verlassen ihres Raums durch die Außentür (mit-)benutzen kann. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihn im Rahmen der Obdachlosenfürsorge in einer angemessenen gemeindlichen Verfügungswohnung vorläufig unterzubringen.
1.
Am 15. Februar 2016 beantragte der Antragsteller bei Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Gemeinde Estenfeld dahingehend,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn im Rahmen der Obdachlosenfürsorge in einer angemessenen gemeindlichen Verfügungswohnung unterzubringen.
Zur Begründung trug der Antragsteller vor, dass ihm die Antragsgegnerin zugesichert habe, ihn in einer Unterkunft unterzubringen. Die für ihn vorgesehene Unterkunft habe sich aber als garagenartiger Raum, der als Lager genutzt und am Wochenende geräumt worden sei, erwiesen. Der Raum sei ca. 10 m² groß und nicht abschließbar. Er sei ohne Anschluss für Herd oder Spüle, also ohne Kochgelegenheit, ohne Dusche und ohne Fernseheranschluss. Geheizt werde der Raum mit zwei kleinen, an der Wand hängenden Heizkörpern. Ausgestattet sei der Raum mit einer Pritsche (klappbares Notbett) und einem Schreibtisch mit Stuhl, nicht einmal ein Schrank sei vorhanden. Der Boden sei nur mit PVC ausgelegt, welche die vom Boden abstrahlende Kälte durchlasse.
2.
Die Antragsgegnerin stellte den Antrag,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Bei der Unterkunft handele es sich um einen sog. Baucontainer, der beheizbar und für den Antragsteller zu jeder Zeit begehbar sei. Die Unterkunft verfüge über ausreichend Stauraum und Tageslicht, sei mittlerweile abschließbar und sehr gut bewohnbar. Den Schlüssel werde der Antragsteller umgehend erhalten. Waschbecken und Toilette befänden sich direkt neben der Schlafmöglichkeit. In Absprache mit dem Bauhofleiter sei es dem Antragsteller jederzeit möglich, die Duschräume des Bauhofs aufzusuchen, welche sich unmittelbar in der Nähe seiner Unterkunft befänden. Zwischenzeitlich sei die Unterkunft mit einer Kochmöglichkeit sowie Töpfen und Geschirr ausgestattet worden.
3.
Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die die sowohl von Antragsteller- wie auch von Antragsgegner-seite vom Container gefertigten und übermittelten Lichtbilder enthalten, Bezug genommen.
II.
Der Antrag des Antragstellers nach § 123 VwGO ist zulässig, aber nicht begründet.
1.
Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Diese Voraussetzungen sind nach summarischer Prüfung nicht gegeben.
2.
Gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO war der Antrag dahingehend auszulegen, dass die Unterbringung des Antragstellers im Rahmen der Obdachlosenfürsorge für einen eng befristeten Zeitraum in einer angemessenen Unterkunft, in einer anderen („besseren“) Unterbringung als in dem von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Container zu erfolgen hat.
3.
Der Antragsteller hat insoweit jedoch keinen Anordnungsanspruch gegen die Gemeinde Estenfeld glaubhaft gemacht. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung hat der Antragsteller keinen Rechtsanspruch gegen die Antragsgegnerin auf Unterbringung in einer anderen als der ihm zugewiesenen Unterkunft. Dies ergibt sich aus Folgendem:
3.1.
Nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG sind die Gemeinden als untere Sicherheitsbehörden verpflichtet, Gefahren abzuwehren und Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen. Dazu gehört die Unterbringung unfreiwillig Obdachloser.
Örtlich zuständig ist nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG die Gemeinde, in der der Betroffene obdachlos wird bzw. in der die Obdachlosigkeit einzutreten droht (BayVGH, B. v. 21.9.2006 – 4 CE 06.2465 – BayVBl 2007, 439; B. v. 14.1.2002 – 4 ZE 02.72 – juris; B. v. 26.4.1995 – 4 CE 95.1023 – BayVBl. 1995, 729; Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, S. 33 f.: entscheidend ist allein der tatsächliche Aufenthaltsort, weil dort die Gefahr entsteht). Auch nach der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs liegt der gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG für die örtliche Zuständigkeit entscheidende Anlass für die Amtshandlung im Bereich der Gefahrenabwehr dort, wo die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Die Gefahr für Leib oder Leben im Sinn des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG entsteht durch die Obdachlosigkeit. Die Zuständigkeit für die Behebung dieser Gefahr liegt deshalb dort, wo die Gefahr eintritt (vgl. BayVGH, B. v. 7.1.2002 – 4 ZE 01.3176 – NVwZ-RR 2002, 575). Unerheblich ist dagegen, wo der Antragsteller gemeldet ist oder war oder wo er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte (vgl. BayVGH, B. v. 7.1.2002 – 4 ZE 01.3176 – NVwZ-RR 2002, 575; weitergehend HessVGH, B. v. 5.2.2003 – 11 TG 3397/02 – NVwZ 2003, 1402, nach dem die Gemeinde zuständig ist, in deren Amtsbereich sich der Obdachlose gegenwärtig aufhalte und an die er sich mit der Bitte um Unterbringung wende). Obdachlos ist derjenige, der ohne Unterkunft ist bzw. dem der Verlust seiner ständigen oder vorübergehenden Unterkunft unmittelbar droht.
Nach der im Sofortverfahren nur möglichen summarischen Prüfung des Sachstandes muss davon ausgegangen werden, dass die Obdachlosigkeit des Antragstellers im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin eingetreten ist. Somit ist die Zuständigkeit der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall gegeben.
3.2.
Nach allem war die Antragsgegnerin als zuständige Behörde verpflichtet, den Antragsteller vorläufig obdachlosengerecht unterzubringen.
Allerdings verfügt die Gemeinde bei der Auswahl unter den geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten über ein sehr weites Ermessen, das nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände eingeschränkt ist. Die Anforderungen an die zur Verfügung zu stellende Unterkunft richten sich danach, was zur Abwendung der infolge der Obdachlosigkeit drohenden Gefahr erforderlich ist. Die zur Verfügung gestellte Unterkunft muss nicht den an eine Wohnung zu stellenden Anforderungen genügen, es besteht auch kein Anspruch des Obdachlosen auf Einweisung in eine bestimmte Unterkunft oder auf Einweisung in eine Pension. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B. v. 19.2.2010 – 4 C 09.3073 und vom 10.10.2008 – 4 CE 08.2647 – beide juris) ist es auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Da Obdachlosigkeit eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt, ist die Gemeinde als Sicherheitsbehörde verpflichtet, diese Störung zu beseitigen (Art. 57 Abs. 1 GO, Art. 6 LStVG). Die Unterbringung kann dabei immer nur eine Notlösung sein, so dass ein Obdachloser auch eine weitgehende Einschränkung seiner Wohnansprüche hinnehmen muss (vgl. Bengl/Berner/Emmering, LStVG, Stand. Sept. 2015, Art. 7 Rn. 184). Die Grenzen zumutbarer Einschränkungen liegen erst dort, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung nicht mehr eingehalten sind (BayVGH, B. v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – BayVBl. 1993, 569). Zur Mindestausstattung der zugewiesenen Räume gehört neben der Heizung ein Stromanschluss. Erforderlich sind außerdem ein Wasseranschluss bzw. eine Waschgelegenheit sowie die Möglichkeit der Mitbenutzung der Toilette bzw. einer Dusche oder eines Bades (vgl. Bengl/Berner/Emmering, LStVG, Art. 7 Rn. 185; Huttner, Die Unterbringung Obdachloser, 4. Aufl., Nr. 10.5.4.4; jew. mit weiteren Nachweisen).
Nach summarischer Prüfung hat die Antragsgegnerin mit der in Aussicht gestellten Zurverfügungstellung des Wohncontainers – unter den im Schreiben vom heutigen Tag getätigten Rahmenbedingungen – das getan, was ihr als Sicherheitsbehörde in den Fällen der Obdachlosigkeit obliegt.
Den Ansprüchen an eine Obdachlosenunterkunft genügen nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. B. v. 27.4.2001 – W 5 E 01.408 28.3.1996 – W 5 S 96.373 – beide juris) auch sog. Wohncontainer, wenn diese angemessenen Schutz vor der Witterung bieten (insbesondere also beheizbar sind) und die notwendigsten Bedürfnisse befriedigen, insbesondere die unerlässlichen Einrichtungen für die Körperhygiene vorhalten. Nach der telefonischen Auskunft des zuständigen Sachbearbeiters der Antragsgegnerin sowie der schriftlichen Antragserwiderung der Antragsgegnerin ist der betreffende Wohncontainer – und um einen solchen handelt es sich hier, auch wenn der Container bisher zu Bürozwecken genutzt wurde – zwischenzeitlich mit einer Kochgelegenheit sowie Kochgeschirr sowie mit einem Waschtisch und einem WC ausgestattet und genügt daher diesen Anforderungen.
An der Zumutbarkeit ändert sich auch nichts dadurch, dass der Toilettenraum nur erreichbar ist, wenn der Antragsteller den Wohnraum über die Außentüre verlässt. Denn dies ist dem Antragsteller ohne weiteres zumutbar. Hieran ändert sich auch nichts, dass sich in dem betreffenden Container selbst keine Duschmöglichkeiten befinden. Abgesehen davon, dass es zweifelhaft erscheint, ob solche Duschmöglichkeiten zum unabdingbaren Bestand einer Obdachlosenunterkunft zählen, sind entsprechende Einrichtungen unweit des Wohncontainers in den Duschräumen des gemeindlichen Bauhofes vorhanden und nach Rücksprache mit dem Bauhofleiter auch für den Antragsteller nutzbar. Jedenfalls ist die Mitbenutzung von Toilette und Dusche zumutbar, es bedarf keiner eigenen Toilette bzw. eines eigenen Bades bzw. Duschraums (vgl. VG Würzburg, U. v. 5.3.2009 – W 5 K 08. 2289 – juris; Bengl/Berner/Emmering, LStVG, Stand. Sept. 2015, Art. 7 Rn. 185; Huttner, Die Unterbringung Obdachloser, Nr. 10.5.4.4). Dass der Antragsteller notwendig darauf angewiesen ist, dass sich in dem ihm zugewiesenen Container selbst eine Duschmöglichkeit befindet, wurde von der Antragstellerseite nicht glaubhaft gemacht und ist auch sonst weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich. Wie bereits ausgeführt, hat jeder Obdachlose, der von der zuständigen Sicherheitsbehörde Unterbringung verlangt, auch erhebliche Einschränkungen seiner Ansprüche hinzunehmen. So ist bspw. auch die Möglichkeit eines Rundfunk- oder Fernsehempfangs nicht erforderlich (vgl. Bengl/Berner/Emmering, LStVG, Art. 7 Rn. 186).
Nach alledem war der Antrag, die Gemeinde Estenfeld zu verpflichten, ihn im Rahmen der Obdachlosenfürsorge für einen eng befristeten Zeitraum in eine angemessene Unterkunft, also in eine andere Unterbringung als die ihm von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Container unterzubringen, abzulehnen.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 und 63 Abs. 2 GKG i. V. m. Ziffern 35.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs 2013.


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