Medizinrecht

Zur Notwendigkeit einer Schülerbeförderung mit einem privaten Fahrzeug

Aktenzeichen  B 3 K 16.105

Datum:
31.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SchBefV SchBefV § 3 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, S. 2, § 4 Abs. 1
SchKfrG SchKfrG Art. 3 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges zur Schülerbeförderung ist dann notwendig iSd § 3 Abs. 2 S. 2 SchBefV, wenn die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels zwar möglich ist, sich aber mit dem privaten Kraftfahrzeug die regelmäßige Abwesenheit von der Wohnung an mindestens drei Tagen in der Woche um mehr als zwei Stunden verringert. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine solche Notwendigkeit kann sich auch aus anderen Belangen der Schüler ergeben, die gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 SchBefV angemessen zu berücksichtigen sind. Hier hat der Normgeber die näheren Kriterien festzulegen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Es ist nicht zu beanstanden, wenn hinsichtlich einer körperlichen Behinderung deren Dauerhaftigkeit verlangt wird, da es sich bei der Schulwegkostenfreiheit um eine freiwillige soziale Leistung des Staates handelt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Im Einverständnis der Beteiligten konnte die Streitsache ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig.
Die minderjährige, durch ihre Mutter vertretene Klägerin ist klagebefugt. Die Rechtsprechung sieht übereinstimmend den Schüler bzw. die Schülerin als Anspruchsinhaber der Schulwegkostenfreiheit an, erkennt aber jedenfalls für den Fall eines Erstattungsanspruches nach den jeweiligen Landesgesetzen zur Schulwegfreiheit auch die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten weitgehend zusätzlich als Anspruchsinhaber an (vgl. VG Ansbach vom 08.10.2015, Az. AN 2 K 13.01829 mit weiteren Nachweisen, in juris).
Die Klage hat jedoch keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der beantragten Kosten für die Beförderung der Klägerin im privaten PKW zum Unterricht an der Staatlichen Berufsschule P* … Der Ausgangsbescheid vom 13.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2016 ist deshalb rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
1. Die Schulwegkostenerstattung richtet sich nach dem Gesetz über die Kostenfreiheit des Schulwegs (Schulwegkostenfreiheitsgesetz – SchKfrG) in der Fassung vom 22.07.2014.
1.1 Aufgabenträger ist gemäß § 1 Satz 2 Verordnung über die Schülerbeförderung (Schülerbeförderungsverordnung – SchBefV in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.09.1994, letzte Änderung durch § 5 V.v. 17.08.2012, 443) i.V.m. Art. 2 Abs. 3 SchKfrG der Landkreis des gewöhnlichen Aufenthalts der Schülerin, hier der Beklagte.
1.2 Gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SchKfrG erstattet der Aufgabenträger für Schüler/innen u.a. an staatlichen Berufsschulen im Teilzeitunterricht die Kosten der notwendigen Beförderung, soweit die nachgewiesenen, vom Unterhaltsleistenden aufgewendeten Gesamtkosten der Beförderung die Familienbelastungsgrenze übersteigen. Soweit ein Unterhaltsleistender Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach dem SGB II hat, werden die aufgewendeten Kosten der notwendigen Beförderung gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 6 und 7 SchKfrG in voller Höhe erstattet.
Gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 8 SchKfrG erfolgt die Kostenerstattung „insbesondere“ gegen die Vorlage von Fahrkarten.
Diesem Wortlaut ist zu entnehmen, dass auch die Möglichkeit eines anderen Kostennachweises besteht. Die Klägerin hat zwar keinerlei Nachweise vorgelegt; da aber hinsichtlich der Höhe einer Wegstreckenentschädigung in § 3 Abs. 3 Satz 2 SchBefV (entsprechend anwendbar gemäß § 4 Nr. 1 Halbsatz 2 SchBefV) auf Art. 6 Abs. 6 des Bayerischen Reisekostengesetzes verwiesen wird, und darin seit 01.08.2008 eine Erstattung von 0,25 EUR (unter Verweis auf § 1 Abs. 2 WegstrV (GVBl 2008, 493) je Kilometer festgelegt ist, steht die fehlende Vorlage von Kostennachweisen einem Kostenerstattungsanspruch nicht grundsätzlich entgegen.
Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SchKfrG – unabhängig davon, ob berufsschulpflichtige oder nicht berufsschulpflichtige Berufsschüler betroffen sind – wird auf die Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 15.04.1987, Az. Vf 1-VII-85 und vom 25.01.1990, Az. Vf 2-VII-88, Vf. 1-VII-89 Bezug genommen.
2. Der Klägerin steht gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SchKfrG dem Grunde nach ein Anspruch auf Kostenerstattung zu; dies wird vom Beklagten auch nicht in Frage gestellt. Die Voraussetzungen hierfür sind erfüllt:
2.1 Die Klägerin besuchte eine öffentliche Berufsschule: die staatliche Berufsschule P* …
2.2 Die Beförderung zur Schule war unstreitig notwendig im Sinne von Art. 3 Abs. 2 SchKfrG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG.
2.3 Dieser Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach umfasst jedoch nicht jegliche Beförderungsart. Gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über die Schülerbeförderung (Schülerbeförderungsverordnung – SchBefV) gelten die Regelungen der §§ 2 und 3 Abs. 1 bis 3 dieser Verordnung entsprechend für die hier maßgebliche Kostenerstattung nach Art. 3 Abs. 2 SchKfrG. Danach erfüllen die Aufgabenträger (hier der Beklagte) gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 SchBefV) ihre Beförderungspflicht vorrangig mit Hilfe des öffentlichen Nahverkehrs. Ein privates Kraftfahrzeug ist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 SchBefV nur einzusetzen, soweit dies notwendig oder insgesamt wirtschaftlicher ist. Entsprechendes gilt im Rahmen der Kostenerstattung.
Insofern steht der Klägerin keinesfalls ein Wahlrecht bezüglich des Beförderungsmittels zu (vgl. BayVGH v. 28.04.2008, Az. 7 ZB 07.1035 -in juris-).
2.4. Die Beförderung der Klägerin auf dem Schulweg über den bewilligten Umfang hinaus mit dem privaten Kraftfahrzeug war vorliegend nach Überzeugung der Kammer nicht notwendig oder wirtschaftlicher im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 2 SchBefV.
Der Beklagte hat mit Bescheid vom 13.10.2015 den Einsatz des privaten PKWs zur Beförderung der Klägerin zwischen der Wohnung in Birk und dem Bahnhof in R … am Sonntag sowie zwischen der Haltestelle Abzweigung Birk und der Wohnung in Birk am Freitag als notwendig anerkannt und im Übrigen auf die zumutbare öffentliche Verkehrsverbindung zwischen R … und P … bzw. zwischen P … und der Haltestelle Abzweigung B … verwiesen.
Die Parteien streiten sich, ob darüber hinaus der Einsatz des privaten PKWs im streitgegenständlichen Zeitraum notwendig im Sinne des Gesetzes war oder nicht.
Weder das Gesetz noch die Schülerbeförderungsverordnung definieren näher, was unter „notwendig“ zu verstehen ist.
– Zur Auslegung des Begriffes „notwendig“ in Bezug auf die Beförderung mit einem privaten PKW statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln taugen die Regelungen in Art. 2 SchKfrG und § 2 Abs. 2 SchBefV, Entfernung und nicht zumutbarer Weg, nur begrenzt, da diese Normen der Begründung einer Beförderungspflicht dienen, während vorliegend die Notwendigkeit einer Beförderung mit einem privaten PKW anstelle mit dem öffentlichen Nahverkehr im Streit steht.
– Nach der nicht zu beanstandenden Praxis von Aufgabenträgern ist die Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges dann notwendig, wenn die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels zwar möglich ist, sich aber mit dem privaten Kraftfahrzeug die regelmäßige Abwesenheit von der Wohnung an mindestens drei Tagen in der Woche um mehr als zwei Stunden verringert. Diese Voraussetzungen sind jedoch – wegen des Blockunterrichts – nach den Ausführungen im Ausgangsbescheid vom 13.10.2015 nicht einschlägig.
Der Begriff „notwendig“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der grundsätzlich vom Gericht in vollem Umfang überprüfbar ist; vor dem Hintergrund, dass hier der Gesetz- und Verordnungsgeber einen Vorrang der Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs statuiert, der mit erheblichen öffentlichen Mitteln subventioniert wird, ist es deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Aufgabenträger Parallelverkehre durch eine einheitliche Vorgehensweise möglichst einschränken will und dementsprechend den Begriff „notwendig“ restriktiv anwendet. Der Aufgabenträger ist nämlich lediglich verpflichtet, eine Grundversorgung nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Schulwegkostenfreiheitsgesetzes und der Schülerbeförderungsverordnung sicherzustellen (vgl. BayVGH, B. v. 03.12.2010 – 7 ZB 10.2368 – in juris Rn. 19). Da es sich bei der Schulwegkostenfreiheit um eine freiwillige soziale Leistung des Staates handelt, ist von einem gewissen Gestaltungsspielraum der Verwaltung auszugehen.
Gleichwohl hat der Aufgabenträger bei der Organisation der Schülerbeförderung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 SchBefV auch die Belange der Schüler/innen angemessen zu berücksichtigen und insbesondere auch die Zumutbarkeit des angebotenen Beförderungsmittels in den Blick zu nehmen. Der Normgeber hat allerdings davon abgesehen, hierfür nähere Kriterien festzulegen. Somit obliegt es dem jeweiligen Aufgabenträger unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls über die Art und Weise der Beförderung zu entscheiden (vgl. BayVGH, B. v. 3.12.2010, a.a.O. juris Rn. 20).
Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn in Ermangelung anderer Regelungen u.a. außer Kraft getretene Regelungen zur einheitlichen Auslegung des Begriffes „notwendig“ herangezogen werden.
So ist beispielsweise der zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Kostenfreiheit des Schulwegs vom 08.01.1975 zur Änderung des § 9 Abs. 1 (GVBl Nr. 2/1975) zu entnehmen, dass eine Beförderung mit dem privaten PKW dann als notwendig anerkannt werden kann, wenn für den Schüler wegen einer dauernden körperlichen Behinderung oder aus anderen gesundheitlichen Gründen eine andere Beförderung nicht nur vorübergehend nicht zumutbar ist. Auch in der dritten Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Kostenfreiheit des Schulwegs vom 12.04.1976 (GVBl Nr. 9/1976) wurde mit der Neueinführung von § 9a b zusätzlich aufgenommen, dass als behinderte Schüler im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Art. 3 Abs. 4 b SchulwegKFrG auch Schüler gelten, die wegen einer dauernden körperlichen Behinderung oder aus anderen gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend auf die Benutzung von privaten Kraftfahrzeugen angewiesen sind.
Nach den Ausführungen der Regierung von Oberfranken in ihrem Schreiben vom 22.08.2008 zu Auslegung des Begriffes „dauernde Behinderung“, verteilt an alle Landratsämter, liege eine solche vor, wenn der Schüler z.B. infolge einer Einschränkung des Gehvermögens etc. den Schulweg nicht zurückzulegen vermag und diese Behinderung mehr als 6 Monate dauert.
Gemeinsamer Nenner der oben genannten Maßstäbe ist, dass schwerpunktmäßig auf eine nicht nur vorübergehende Beeinträchtigung Wert gelegt wurde bzw. wird, um nicht in zahllosen Einzelentscheidung mit großem Verwaltungsaufwand über die jeweilige persönliche Zumutbarkeit entscheiden zu müssen, sondern diesen unter Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts auf ein überschaubares Maß zu beschränken. Diese zeitliche Einschränkung bei der Auslegung des Begriffes „notwendig“ bietet die Grundlage für eine praktikable Handhabung sowie eine einheitliche Vorgehensweise bei der Kostenerstattung und entspricht im Übrigen den gesetzlichen Rahmenbedingung zu zeitlichen Anforderungen, wie sie in § 2 Abs. 1 SGB IX zum Ausdruck kommen.
Vorliegend erfüllt die nachgewiesene körperliche Beeinträchtigung der Klägerin die obige zeitliche Komponente des Begriffes „notwendig“ nicht; sie stellt eine vorübergehende Gehbehinderung dar, die im Laufe der Behandlung von drei Monaten sukzessive abheilte; die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel war nicht grundsätzlich unmöglich.
Ausweislich des vorgelegten ärztlichen Attestes des Klinikums … vom 05.01.2016 befand sich die Klägerin in der Zeit vom 01.05. bis 03.08.2015 wegen eines Distorsionstraumas in ambulanter Behandlung. Diesem Attest lässt sich das Ausmaß der Schädigung und der damit verbundenen (vorübergehenden) Gehbeeinträchtigung nicht entnehmen. Nach den Angaben ihrer Prozessbevollmächtigten konnte sie in dieser Zeit nur mit Hilfe von zwei Unterarmstützen laufen. Es braucht vorliegend jedoch nicht weiter aufgeklärt zu werden, ob dies tatsächlich über die gesamte Zeitdauer der ambulanten Behandlung der Fall war. Da die Distorsionsbehandlung insgesamt drei Monate andauerte, ist nach den oben dargelegten Maßstäben die Beeinträchtigung jedenfalls als vorübergehend zu bezeichnen.
In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei der Schulwegkostenfreiheit um eine freiwillige soziale Leistung des Staates handelt und deshalb ein Gestaltungsspielraum der Verwaltung besteht, ist die einheitliche Vorgehensweise des Beklagten nicht zu beanstanden.
Aus diesen Gründen steht der Klägerin kein Anspruch auf Kostenerstattung zu.
3. Als unterlegene Beteiligte hat die Klägerin nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

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