Medizinrecht

Zur Rehabilitationsfähigkeit eines Patienten im Wachkoma

Aktenzeichen  S 15 KR 1484/18

Datum:
12.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40094
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
Rehabilitations-RL § 9, § 10
SGG § 54 Abs. 2

 

Leitsatz

Zur Rehabilitationsfähigkeit eines Patienten im Wachkoma.
1. Wenn keine ausreichende Rehabilitationsfähigkeit und Rehabilitationsprognose vorliegt, besteht kein Anspruch auf eine ambulante oder stationäre Rehabilitationsmaßnahme. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Rehabilitationsprognose ist eine medizinisch begründete Wahrscheinlichkeitsaussage für den Erfolg der Leistung zur medizinischen Rehabilitation auf der Basis der Erkrankung oder Behinderung, des bisherigen Verlaufs, des Kompensationspotentials oder der Rückbildungsfähigkeit unter Beachtung und Förderung individueller positiver Kontextfaktoren über die Erreichbarkeit eines festgelegten Rehabilitationsziels durch geeignete Leistung zu medizinischen Rehabilitation in einem notwendigen Zeitraum. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einem im Wachkoma liegenden, nicht motivierbaren und auf Ansprachen jeglicher Art nicht reagierenden Patienten ist eine ausreichende Rehabilitationsprognose nicht gegeben, zumal dieser auch nicht in der Lage wäre, die gehäuften Anwendungen in einer Rehabilitationsklinik auszuhalten. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine ambulante oder stationäre Rehabilitationsmaßnahme, da bei ihm keine ausreichende Rehabilitationsfähigkeit und -prognose vorliegt.
Der Anspruch auf Reha setzt Behandlungsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit und eine positive Rehabilitationsprognose voraus. Dies wird durch die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Rehabilitations-Richtlinie) vom 16.03.2004 (BAnz Nr. 63, S. 6769) in der Fassung vom 16.03.2017 (BAnz AT 08.06.2017 B1) konkretisiert. Nach § 9 Rehabilitations-Richtlinie sind Versicherte rehabilitationsfähig, wenn sie aufgrund ihrer somatischen und psychischen Verfassung die für die Durchführung und Mitwirkung bei der Leistung zur medizinischen Rehabilitation notwendige Belastbarkeit und Motivation oder Motivierbarkeit besitzen. Die Rehabilitationsprognose ist gemäß § 10 Rehabilitations-Richtlinie eine medizinisch begründete Wahrscheinlichkeitsaussage für den Erfolg der Leistung zur medizinischen Rehabilitation auf der Basis der Erkrankung oder Behinderung, des bisherigen Verlaufs, des Kompensationspotentials oder der Rückbildungsfähigkeit unter Beachtung und Förderung individueller positiver Kontextfaktoren über die Erreichbarkeit eines festgelegten Rehabilitationsziels durch eine geeignete Leistung zur medizinischen Rehabilitation in einem notwendigen Zeitraum (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2018 – L 11 KR 1154/18 -, Rn. 26, juris).
Nach diesen Grundsätzen ist eine Rehabilitationsfähigkeit nicht gegeben, da der Kläger weder in der somatischen noch in der psychischen Verfassung ist, eine notwendige Eigenmotivation aufzubringen. Nach dem schlüssigen und überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. E. ist der Kläger, der im Wachkoma liegt, nicht motivierbar und kann auf Ansprachen jeglicher Art nicht reagieren. Etwaige körperliche Reaktionen sind unwillkürlich und nicht Teil einer gewillkürten Reaktion im Sinne eines Kommunikationsversuchs. Dies wurde von Dr. E. ausführlich und begründend dargelegt. Aufgrund seines prekären physischen Zustands wäre der Kläger nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. E. auch nicht in der Lage, die gehäuften Anwendungen in einer Rehabilitationsklinik auszuhalten.
Auch eine ausreichende Rehabilitationsprognose ist nicht gegeben. Nach den überzeugenden Darstellungen von Dr. E. haben sich seit der letzten Reha-Behandlungen keine medizinisch validierbaren Verbesserungen gezeigt. Beim Kläger ist lediglich eine Heilmittelbehandlung mit dem Ziel einer Statuserhaltung möglich. Nach den schlüssigen Ausführungen von Dr. E. reicht hierzu eine Intensivierung der ambulanten Behandlungsformen aus.
Das Gericht verkennt nicht die tragischen Umstände des Falls. Es ist aber aufgrund der Aktenlage und nach dem eindeutigen Gutachten von Dr. E. nicht der Überzeugung, dass die von der Mutter des Klägers anvisierte (ambulante oder stationäre) Reha-Behandlung wegen der mangelnder Belastbarkeit des Klägers in dessen Interesse wäre.
Nach allem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


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