Medizinrecht

Zustandsstörereigenschaft bei Befall mit Eichenprozessionsspinner

Aktenzeichen  AN 15 K 18.01381

Datum:
18.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31319
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 9 Abs. 2
BBodSchG § 4 Abs. 2, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Von den Nestern des Eichenprozessionsspinners geht eine Gesundheitsgefahr aus. Brennhaare und alte Larvenhäute sowie alte Gespinstnester sind anhaltende Gefahrenquellen. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zustandsstörerhaftung durch von dritter Seite ausgehende oder durch Naturereignisse verursachte gefahrenträchtige Einwirkung auf das Grundstück ist weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht begrenzt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Befall der auf dem an Wohnbebauung angrenzenden Grundstück des Klägers stehenden Eiche mit dem Eichenprozessionsspinner ist ein relevanter Umstand, der geeignet ist, den engen Wirkungszusammenhang und das Überschreiten der Gefahrengrenze durch den Zustand der Sache herzustellen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO).
Die zulässige Anfechtungsklage vom 17. Juli 2018 gegen den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2018 ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger zu Recht Anordnungen bezüglich der Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners getroffen.
Vorliegend besteht keine vorrangige Eingriffsbefugnis i.S.d. Art. 7 Abs. 2 LStVG. Ziffer 4 der Bekanntmachung der Regierung von Mittelfranken zur Überwachung und Bekämpfung des Schwammspinners (Lymantria dispar) und des Eichenprozessionsspinners (Thaumetopoea processionea) in der Form der gemeinsamen Bekanntmachung der Regierung von Unterfranken, Gz. 11-7833.00-2/07, der Regierung von Mittelfranken, Gz. 10-7833.1-2/04, der Regierung von Oberfranken, Gz. 10-7833-1/04 vom 16. Dezember 2009, welche eine Bekämpfungspflicht des Waldeigentümers bzw. Nutzungsberechtigten vorsähe, kommt vorliegend als Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Ungeachtet dessen, dass schon fraglich ist, ob das Waldgrundstück des Klägers einen Wald im Sinne der Ziffer 1 der o.g. Bekanntmachung darstellt, greift Ziffer 4 der Bekanntmachung jedenfalls nur im Falle eines bestandsbedrohenden Befalls durch Eichenprozessionsspinner. Dem lässt sich entnehmen, dass Zweck der o.g. Bekanntmachung nicht der Schutz der Bevölkerung vor Gefahren durch Brennhaare des Eichenprozessionsspinners, sondern der Schutz der Wälder im Sinne des Pflanzenschutzgesetzes ist. Der Anwendungsbereich der in dieser Bekanntmachung dargestellten Normen ist somit vorliegend schon nicht eröffnet.
Rechtsgrundlage der in Ziffer 1 des Bescheids getroffenen Anordnung ist hingegen Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG. Danach können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder Sachwerte, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen. Ein Zusammenhang mit einer vorher begangenen rechtswidrigen Tat ist für den Tatbestand nicht erforderlich (Holzner in BeckOK PolR Bayern, LStVG, 8. Ed. 1.4.2018, Art. 7 Rn. 41). Eine Bedrohung dieser Rechtsgüter liegt dann vor, wenn eine konkrete Gefahr gegeben ist (Holzner in BeckOK PolR Bayern, LStVG, 8. Ed. 1.4.2018, Art. 7 Rn. 46). Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall bei ungehindertem Fortgang des Lebenssachverhalts in überschaubarer Zukunft ein Schaden an den genannten Schutzgütern droht oder der Schaden bereits eingetreten ist und noch andauert. Die Feststellung einer konkreten Gefahr ist eine Prognoseentscheidung, die grundsätzlich objektiv aus der Sicht eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Bediensteten zu beurteilen ist. Die Gesundheit von Personen ist dann bedroht, wenn zu besorgen ist, dass ihre körperliche, geistige oder seelische Integrität beeinträchtigt wird (Holzner in BeckOK PolR Bayern, LStVG, 8. Ed. 1.4.2018, Art. 7 Rn. 43).
Im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 10. Juli 2018 konnte die Beklagte bei verständiger Würdigung vom Vorliegen einer entsprechenden Gefahrenlage ausgehen. Am 12. Juni 2018 wurden im Rahmen eines Ortstermins an der streitgegenständlichen Eiche Nester des Eichenprozessionsspinners festgestellt. Von diesen Nestern geht eine Gesundheitsgefahr aus (vgl. BayVGH, B.v. 11.6.2019 – 10 CS 19.684 – juris Rn. 9).
Die Brennhaare der Raupen des Eichenprozessionsspinners brechen leicht und werden bei günstiger Witterung durch Luftströmungen über weite Strecken getragen. Die alten Larvenhäute bleiben nach der Häutung in den Nestern hängen, weshalb die Konzentration an Brennhaaren oft sehr hoch ist. Alte Gespinstnester, ob am Baum haftend oder am Boden liegend, sind eine anhaltende Gefahrenquelle. Die Raupenhaare sind lange haltbar und reichern sich über mehrere Jahre in der Umgebung an, besonders im Unterholz und im Bodenbewuchs. Für den Menschen gefährlich sind die Haare des dritten Larvenstadiums (Mai/Juni) des Eichenprozessionsspinners. Sie halten sich auch an Kleidern und Schuhen und lösen bei Berührungen stets neue toxische Reaktionen aus. Die (fast unsichtbaren) Brennhaare dringen leicht in die Haut und Schleimhaut ein und setzen sich dort mit ihren Häkchen fest. Die durch sie ausgelöste Raupendermatitis kann sich hierbei in drei verschiedenen klinischen Erscheinungsbildern zeigen, nämlich in Quaddeln, Hautentzündung und anhaltenden Papeln (Knötchen), die an Insektenstichreaktionen erinnern. Die Hautreaktionen halten (unbehandelt) oft ein bis zwei Wochen an. Des Weiteren können Reizungen an Mund- und Nasenschleimhaut durch Einatmen der Haare zu Bronchitis, schmerzhaftem Husten und Asthma führen. Begleitend treten Allgemeinsymptome wie Schwindel, Fieber, Müdigkeit und Bindehautentzündung auf. In Einzelfällen neigen überempfindliche Personen zu allergischen Schockreaktionen (aus: Wikipedia, die freie Enzyklopädie).
Mithin besteht eine erhebliche Gesundheitsgefahr für die Anwohner sowie für sonstige Personen, die sich in dem fraglichen Gebiet im Freien aufhalten. Insbesondere, weil sich in der näheren Umgebung Kinder, eine Schwangere und nach unbestrittenem Vortrag der Beklagten mindestens eine Person, die allergisch auf die Brennhaare reagiert, befinden.
Gemäß Art. 9 Abs. 2 LStVG kann eine Maßnahme gegen den Zustandsstörer gerichtet werden, also die Person, die Eigentümer oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt über eine Sache, von der eine Gefahr ausgeht, ist.
Die Zustandsstörerhaftung des Abs. 2 ist dem Wortlaut der Norm nach auch im Falle einer „Opferposition“ des Zustandsstörers (durch von dritter Seite ausgehende oder durch Naturereignisse verursachte gefahrenträchtige Einwirkung auf das Grundstück) weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht begrenzt. Die mit dieser weitgehenden sicherheitsrechtlichen Verantwortlichkeit des Zustandsstörers einhergehenden Härten sind im Lichte des Art. 14 GG lediglich bei der Auswahl des Störers und der Bemessung des störungsbeseitigenden Mittels im Rahmen der Verhältnismäßigkeit aufzufangen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 16.2.2000 – 1 BvR 242/91, 1 BvR 315/99 – juris) ist die Zumutbarkeitsgrenze dann als erreicht anzusehen, wenn die Kosten für die Gefahrenabwehr oder Störungsbeseitigung die Höhe des Verkehrswertes des Grundstücks erreichen (Lindner in BeckOK PolR Bayern, LStVG, 8. Ed. 1.4.2018, Art. 9 Rn. 35-38).
Diese Problematik stellt sich vorliegend jedoch nicht. Obwohl zu dem Verkehrswert des Grundstücks nichts konkret vorgetragen ist, ist aufgrund der vergleichsweise geringen Beseitigungskosten von 700,00 EUR bis 1.200,00 EUR davon auszugehen, dass der Verkehrswert des Grundstücks diese um ein Vielfaches übersteigt.
Der Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 LStVG ist jedoch weiterhin dahingehend eingeschränkt, dass eine gewisse Kausalität zwischen der Sache und der Gefahr gefordert wird. Die Sache selbst muss die Gefahrenquelle sein (Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand August 2018, Art. 9 Rn. 41). Erforderlich ist somit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gefahr und dem Zustand der Sache. Die Zustandshaftung des Sacheigentümers ist auf die Fälle beschränkt, in denen die Gefahr unmittelbar mit dem Zustand der Sache ursächlich in Verbindung steht. Unmittelbarkeit ist gegeben, wenn bei wertender Betrachtung aller Umstände durch den Zustand des Gegenstandes selbst die Gefahrengrenze überschritten wird (Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand August 2018, Art. 9 Rn. 42 m.w.N.).
Kernfrage ist demnach, ob in dem streitgegenständlichen Verfahren dieses Unmittelbarkeitserfordernis hinreichend erfüllt ist. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass eine hinreichend unmittelbare Verknüpfung zwischen der Sache und der Gefahr vorliegt. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gefahr und dem Zustand der Sache, also des Grundstücks des Klägers. Durch die an der Eiche anhaftenden Gespinstnester und – bei wertender Betrachtung aller Umstände – daher durch den Zustand der Sache selbst wird die Gefahrengrenze für die betroffenen Menschen überschritten (BayVGH, B.v. 11.6.2019 – 10 CS 19.684 – juris Rn. 9).
Weder der Einwand der Klägerseite, dass bei der Bestimmung der sicherheitsrechtlichen Zustandsverantwortlichkeit das Grundstück mit dem befallenen Baum (Eiche) nur isoliert, d.h. im nicht befallenen, ursprünglichen Zustand zu betrachten sei noch der Einwand, dass ein Befall durch den Eichenprozessionsspinner nicht typisch oder regelmäßig, sondern vielmehr zufällig sei, ändern an dieser Beurteilung etwas. Gleiches gilt sowohl für den Umstand, dass die feinen Brennhaare der Eichenprozessionsspinnerraupe durch Luftströmungen auch über größere Entfernungen verbreitet werden können als auch für den klägerischen Einwand, dass er regelmäßig keine Einflussmöglichkeit habe, einen Befall mit dem Eichenprozessionsspinner zu verhindern (vgl. BayVGH, B.v. 11.6.2019 – 10 CS 19.684 – juris Rn. 9). Damit ist der Befall mit dem Eichenprozessionsspinner bei wertender Betrachtung ein im Sinne von Art. 9 Abs. 2 LStVG relevanter Umstand, der geeignet ist, den engen Wirkungszusammenhang und das Überschreiten der Gefahrengrenze durch den Zustand der Sache – an Wohnbebauung angrenzendes Grundstück des Klägers mit befallener Eiche – herzustellen (BayVGH, B.v. 11.6.2019 – 10 CS 19.684 – juris Rn. 9).
Die Anordnung ist auch verhältnismäßig, insbesondere zur Gefahrenabwehr geeignet. Sie ist zudem erforderlich, da eine mildere, gleich effektive Maßnahme nicht ersichtlich ist. Sie ist auch angemessen, da sie die Rechte des Klägers unter Abwägung der drohenden Gefahren für die Gesundheit von Personen nicht unverhältnismäßig beschränkt. Auch etwaige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
Nach alldem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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