Miet- und Wohnungseigentumsrecht

8 O 1045/18

Aktenzeichen  8 O 1045/18

Datum:
1.2.2022
Gerichtsart:
LG Erfurt 8. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LGERFUR:2022:0201.8O1045.18.00
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend LG Erfurt 8. Zivilkammer, 1. November 2021, 8 O 1045/18

Tenor

Der sofortigen Beschwerde der Beklagten vom 18.11.2021 gegen den Beschluss vom 01.11.2021 wird nicht abgeholfen.

Gründe

I.
Am 15.06.2020 hat der abgelehnte Richter im hiesigen Rechtsstreit einen Vorlagebeschluss vor dem EuGH erlassen, der unter anderem die Aussetzung des Ausgangsverfahrens anordnet. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 17.02.2021 hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie die streitgegenständliche Forderung nebst Zinsen erfüllt hat und zugleich angekündigt, dass sie sich einer Erledigungserklärung der Klägerin anschließen und die Kosten des Rechtsstreits dem Grunde nach anerkennen werde. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 04.03.2021 hat die Klägerin die Zahlung bestätigt und mitgeteilt, sie gehe davon aus, dass das laufende Vorabentscheidungsverfahren hiervon unberührt bleibe. Für den Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens hat sie sich die Erklärung der Erledigung vorbehalten. Mit Verfügung vom 23.03.2021 hat der abgelehnte Richter der Beklagten eine Frist zur Stellungnahme zu dem Schriftsatz vom 04.03.2021 von 2 Monaten eingeräumt.
Mit Beschluss vom 20.04.2021 hat der abgelehnte Richter entschieden, dass das Ausgangsverfahren ausgesetzt bleibt und der Europäische Gerichtshof in dem anhängigen Verfahren (C-276/20) weiterhin um eine Antwort auf die Fragen aus dem Vorlagebeschluss vom 15.06.2020 ersucht wird. Eine Stellungnahme der Beklagten zum Schriftsatz der Klägerin vom 04.03.2020 lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor.
Hieran schloss sich das (zweite) Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 19.05.2021, das die Kammer mit Beschluss vom 01.11.2021 als unbegründet zurückgewiesen hat.
II.
Der sofortigen Beschwerde wird nicht abgeholfen.
Die Beklagte wiederholt in ihrer Beschwerdebegründung im Wesentlichen die Argumente ihres zweiten Ablehnungsgesuchs.
Entgegen des – insofern neuen – Vorbringens der Beklagten, hat das Gericht im Beschluss vom 01.11.2021 die im Einzelnen vorgebrachten Ablehnungsgründe nicht nur für sich genommen betrachtet, sondern auch bereits in einer Gesamtschau gewürdigt.
Der Erlass des Beschlusses vom 20.04.2021, obwohl die der Beklagten gesetzte Frist zur Stellungnahme auf den Schriftsatz der Gegenseite vom 04.03.2021 noch nicht abgelaufen war, stellt aus Sicht einer vernünftigen Partei weder für sich genommen noch bei einer Gesamtbetrachtung der aufgeführten Ablehnungsgründe einen Umstand im Sinne von § 42 ZPO dar, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Das Gericht hat bereits in seinem Beschluss vom 01.11.2021 dargelegt, dass Verfahrensfehler, die jedem Richter unbeabsichtigt passieren können, unberücksichtigt zu lassen sind. Anlass aus der darin liegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs an der Objektivität und Neutralität des abgelehnten Richters zu zweifeln, ergeben sich hieraus auch deshalb nicht, weil die Beklagte gleichwohl noch Gelegenheit hatte, innerhalb der gesetzten Frist zu dem Schriftsatz der Gegenseite vom 04.03.2021 und damit zu der Frage der weiteren Aussetzung des Verfahrens Stellung zu nehmen und hiervon mit der sofortigen Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss auch Gebrauch gemacht hat.
Die Tatsache, dass der abgelehnte Richter den Vorlagebeschluss am 20.04.2021 in Kenntnis des Umstandes erlassen hat, dass die Beklagte die streitgegenständliche Forderung nebst Zinsen mit Überweisung vom 16.02.2021 beglichen und angekündigt hat, auch die Kosten des Rechtsstreits dem Grunde nach zu übernehmen, gibt ebenfalls weder für sich genommen noch bei einer Gesamtbetrachtung der aufgeführten Ablehnungsgründe Anlass, an der Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu zweifeln. Eine Beendigung des Prozesses war mit der Erfüllung der Klageforderung nicht verbunden, da es hierfür an einer übereinstimmenden Erledigungserklärung fehlt. Zudem hat der abgelehnte Richter in dem Vorlagebeschluss vom 20.04.2021 ausführlich und sachlich begründet, warum er die Vorlagefrage weiterhin für entscheidungserheblich erachtet.
Es gibt auch keine konkreten Anhaltspunkte, aus denen sich ergeben könnte, dass der abgelehnte Richter das vorliegende Verfahren für eigene Interessen „missbraucht“. Solche Anhaltspunkte hat die Beklagte weder dargetan, noch sind sie sonst ersichtlich. Es handelt sich vielmehr um eine Schlussfolgerung, die die Beklagte aus den im Übrigen angeführten Ablehnungsgründen zieht.
Der Vorwurf der Beklagten, der abgelehnte Richter habe einen Ablehnungsgrund geschaffen, indem er eine Reihe von Quellen der allgemeinen Berichterstattung bemüht habe, um der Beklagten insgesamt ein „strategisches Vorgehen [der Beklagten] zur Verhinderung einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes“ zu unterstellen, ist ebenfalls weder für sich genommen noch in der Gesamtschau geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters zu begründen. Die von der Beklagten zitierten „Quellen der allgemeinen Berichterstattung“ sind gerade kein individuelles, sondern offenkundiges Wissen und damit nicht befangenheitsbegründend (Stackmann in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 42 ZPO, Tz. 41). Spätestens in der Beschwerdebegründung hatte die Beklagte zudem Gelegenheit, zu den aus den „Quellen der allgemeinen Berichterstattung“ entnommenen Tatsachen und der hieraus gezogenen Schlussfolgerung Stellung zu nehmen.
Soweit die Beklagte die erneute Ablehnung von Richter am Landgericht … damit begründet, er setze sich mehrfach in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und vertrete damit vehement Mindermeinungen zu Lasten der Beklagten, vermag dies gleichermaßen keine Ablehnung rechtfertigen. Selbst eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsmeinung ist – von Fällen einer offensichtlichen Unhaltbarkeit abgesehen – nicht geeignet, eine Ablehnung wegen Befangenheit zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.04.2018, Az. VIII ZR 127/17, Tz. 6 m.w.N. – zitiert nach juris). Unhaltbar sind die Rechtsansichten des abgelehnten Richters indes nicht. Die Gründe, die hier zu dem (zweiten) Ablehnungsgesuch geführt haben, sind auch in keiner Weise vergleichbar mit dem Sachverhalt, über den das Oberlandesgericht Stuttgart (Beschluss vom 01.07.2020, Az. 16a W 3/20) zu entscheiden hatte. Hier vermag der Vorwurf, der abgelehnte Richter vertrete zu Lasten der Beklagten Mindermeinungen, auch im Zusammenspiel mit den anderen Vorwürfen die Ablehnung nicht zu rechtfertigen.
Weiterhin ohne Erfolg wiederholt die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde ihren Vortrag, der abgelehnte Richter habe der Beklagten im hiesigen Verfahren ihren gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen, indem er den Rechtsstreit vor der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Aussetzungsentscheidung (Beschluss vom 20.04.2021) nicht gemäß § 348 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO der Kammer zur Übernahme vorgelegt hat. Zutreffend weist die Klägerin daraufhin, dass die Beklagte insoweit ihr Ablehnungsrecht nach § 43 ZPO verloren hat. Das Ablehnungsgesuch ist mithin bereits unzulässig, soweit es auf einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter gestützt wird.
Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH ist das Einlassen in eine Verhandlung iSd § 43 ZPO jedes prozessuale, der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln der Partei unter Mitwirkung des Richters, das der weiteren Sachbearbeitung und Streiterledigung dient (BGH, NJW-RR 2014, 382, Tz. 20 m.w.N. – zitiert nach beckonline).
Aus den Hinweisbeschlüssen vom 05.03.2019 und 25.03.2019, mit denen der abgelehnte Richter seine Absicht, den Rechtsstreit auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg (EuGH) vorzulegen, angekündigt und begründet hat sowie aus dem Vorlagebeschluss vom 15.06.2020 ergibt sich, dass der abgelehnte Richter selbst von Fragen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne vom § 348 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO ausgegangen ist. Gleichwohl hat die Beklagte weder einen der Hinweisbeschlüsse vom 05.03.2019 und 25.03.2019 noch den Vorlagebeschluss vom 15.06.2020 selbst zum Anlass genommen, ein Ablehnungsgesuch auf den Verstoß gegen den gesetzlichen Richter zu stützen, insbesondere benennt das erste Ablehnungsgesuch diesen Umstand nicht. Sie hat sich stattdessen zur Sache eingelassen, indem sie dem Gericht mit Schriftsatz vom 17.02.2021 die Begleichung der streitgegenständlichen Forderung nebst Zinsen mitgeteilt und angekündigt hat, sich einer Erledigungserklärung der Klägerin anschließen und die Kosten des Rechtsstreits dem Grunde nach anerkennen zu wollen. Dies geschah unter Mitwirkung des abgelehnten Richters, der den Schriftsatz vom 17.02.2021 an die Klägerin und die Stellungnahme der Klägerin hierzu vom 04.03.2021 an die Beklagte weitergeleitet hat.


Ähnliche Artikel


Nach oben