Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Anforderungen an die mietrechtliche Räum- und Streupflicht bei Schnee und Eis im Voralpenland

Aktenzeichen  7 C 815/18

Datum:
30.10.2018
Fundstelle:
ZMR – 2019, 353
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Rosenheim
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 254 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 535 Abs. 1, § 823 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Räum- und Streupflicht des Vermieters besteht nur im Rahmen des Üblichen und Zumutbaren, d.h. in der Regel nur von 07:00 Uhr morgens bis zum Abend, dagegen nicht während der Nacht (Bestätigung von BGH v. 1402.2017, Az.: VI ZR 254/16, BeckRS 2017, 103286; OLG Koblenz BeckRS 2008, 07751). Im Rahmen des Zumutbaren bedeutet, dass insbesondere während besonders kritischen Lagen wie Blitzeis oder plötzlich eintretenden starken Schneefällen eine völlige Schnee- und Eisfreiheit auch nicht zur Tageszeit jederzeit garantiert werden muss. Im Rahmen des Üblichen bedeutet insbesondere im Voralpenland, in welchem sich die streitgegenständliche Wohnung befindet, dass wegen der oft langanhaltenden Schneefälle auch tagsüber eine permanente und sämtliche Flächen erfassende Schnee- und Eisfreiheit nicht geschuldet ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagtenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage war unbegründet.
A.
Die Klagepartei hat gegen die Beklagtenpartei weder gemäß den §§ 535 Abs. 1, 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB noch unter einer anderen Rechtsgrundlage Schadensersatz- oder Feststellungsansprüche aus dem streitgegenständlichen Vorfall gegen die Beklagtenpartei.
Der Vortrag über die Unfallumstände war insoweit unsubstantiiert, das Vorbringen in den Schriftsätzen vom 02. und 07.10.2018 als verspätet zurückzuweisen. Selbst wenn man den entsprechenden Vortrag zugelassen hätte, ist das Gericht aufgrund der informatorischen Anhörung und der Beweisaufnahme zur Überzeugung gelangt, dass die Beklagtenpartei ihre Räum- und Streupflichten nicht fahrlässig verletzt hat. Jedenfalls liegt selbst bei unterstelltem Bestehen einer Pflichtverletzung der Beklagtenpartei ein überwiegendes Mitverschulden der Klagepartei vor, welches jeden Schadenersatzanspruch ausschließt.
I.
Die Klagepartei hat binnen der in der Terminsladungsverfügung gesetzten Fristen keinen ausreichend substantiierten Vortrag hinsichtlich der Umstände der Pflichtverletzung und des Schadenseintritts vorgetragen. Selbst wenn man die versehentlich auf den 28.08.2018 und damit bereits abgelaufene Frist nicht umdeutet in eine Fristsetzung bis zum 28.09.2018, was jeder unbefangenen Partei sofort hätte auffallen müssen, so gilt jedenfalls die weitere gesetzte Frist von zwei Wochen vor dem Termin. Diese lief ab am 25.09.2018. Binnen dieser Frist ging kein Vortrag der Klagepartei ein.
Es wurde weder vorgetragen, zu welchem Tageszeitpunkt noch an welchem Ort am Mietanwesen der Vorfall sich ereignet haben soll. Des Weiteren wurden auch Umstände, welchen einen Schmerzensgeldanspruch rechtfertigen sollen, nicht vorgetragen. Es wurde lediglich geschildert, dass es zu einem Sehnenan- bzw. -abriss gekommen sei. Ob der Kläger hierdurch Schmerzen erlitt und von welcher Art und Dauer diese gewesen sein sollen, wurde nicht vorgetragen.
Das Vorbringen in Schriftsätzen vom 02. und 07.10.2018 war zurückzuweisen, da die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte und die Verspätung auch auf grober Nachlässigkeit beruht, § 296 Abs. 1, 2 ZPO. Binnen gesetzter Fristen ging keine Stellungnahme der Klagepartei ein. Die Beklagtenpartei war daher nicht in der Lage, sich durch Benennung gegebenenfalls weiterer Zeugen, wie z. B. Herrn X, der offensichtlich am Nachmittag des 04.01.2017 die streitgegenständlichen Räumarbeiten durchgeführt haben soll, diesen zu benennen. Es hätte daher eine erneute Frist beantragt werden müssen von der Beklagtenpartei und, da die Ladung der Zeugen nicht mehr möglich gewesen wäre, ein erneuter Termin anzusetzen gewesen. Hierdurch hätte sich der Rechtsstreit verzögert. Eine Stellungnahme der Klagepartei, warum erst verspätet vorgetragen wurde, erfolgte nicht.
Es gilt der absolute Verzögerungsbegriff. Danach ist auf den Vergleich abzustellen, ob der Rechtsstreit allein durch Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei seiner Zurückweisung. Dies ist der Fall.
II.
Selbst bei Zulassung des Vorbringens aus den Schriftsätzen vom 02. und 07.10.2018 wäre der Klagepartei aber der Nachweis einer (fahrlässigen) Pflichtverletzung des Erfüllungsgehilfen der Beklagtenpartei, des Hausmeisterservices X gem. §§ 535 Abs. 1, 280 Abs. 1, 276, 278 BGB nicht gelungen.
Die Beklagtenpartei hat ihre Räumverpflichtungen nicht verletzt, jedenfalls hat sie sich aber ausreichend exkulpiert, §§ 280 Abs. 1 S.2, 276, 278 BGB.
1. Der -insoweit beweisbelastetenKlagepartei ist der Nachweis einer Pflichtverletzung durch die Beklagtenpartei nicht zur Überzeugung des Gerichtes gelungen:
Vorliegend trug der Beklagte als Vermieter die Verkehrssicherungspflicht aus dem Mietvertrag gem. § 535 Abs. 1 BGB. Hierzu gehört die Pflicht, die auf dem Mietobjekt befindlichen Zu- und Abgänge sowie die zugehörigen Wege zu räumen und gegebenenfalls mit abstumpfenden Mitteln zu streuen (Staudinger/V Emmerich (2018), § 535 BGB, Rn 33). Diese Pflicht besteht jedoch nur im Rahmen des Üblichen und Zumutbaren, d. h. in der Regel nur von 07:00 Uhr morgens bis zum Abend, dagegen nicht während der Nacht (BGH v. 1402.2017, Az.: VI ZR 254/16; OLG Koblenz, NJW-RR 2008, 1331). Im Rahmen des zumutbaren bedeutet, dass insbesondere während besonders kritischen Lagen wie Blitzeis oder plötzlich eintretenden starken Schneefällen eine völlige Schnee- und Eisfreiheit auch nicht zur Tageszeit jederzeit garantiert werden muss. Im Rahmen des Üblichen bedeutet insbesondere im Voralpenland, in welchem sich die streitgegenständliche Wohnung befindet, dass wegen der oft langanhaltenden Schneefälle auch tagsüber eine permanente und sämtliche Flächen erfassende Schnee- und Eisfreiheit nicht geschuldet ist.
Ein einzelner Eis- oder Schneefleck während der Abendstunden, auf welchem der Kläger zu Sturz kam, stellt daher schon keine Pflichtverletzung des Erfüllungsgehilfen der Beklagtenpartei, welche sich letztere grundsätzlich zurechnen lassen muss, dar. Während starken Schneefällen ist insbesondere am Tagesbeginn bzw. in den Abendstunden eine völlige Schneefreiheit sämtlicher Wege nicht geschuldet. Dass es keine Ausweichmöglichkeiten für die Klagepartei auf einen geräumten Bereich gegeben hat, wurde nicht vorgetragen.
2. Selbst wenn man eine Pflichtverletzung als nachgewiesen erachten sollte, hat der Streitverkündete als Erfüllungsgehilfe der Beklagtenpartei nicht fahrlässig gehandelt:
Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass frühs von 04:00 – 06:00 Uhr bereits geräumt worden war und dann auch nochmals um 15:00 Uhr geräumt bzw. nachgestreut wurde. Selbst bei einem unterstellten Unfallzeitpunkt zwischen sechs und halb sieben abends ist damit ausreichend oft gestreut und geräumt worden. Es kann nicht verlangt werden, dass in einem Intervall von weniger als 3 Stunden geräumt und gesalzen wird. Das Gericht hält die Aussage des Zeugen X, nicht zuletzt aufgrund des persönlichen Eindrucks, insoweit für glaubhaft. Er hat seine Aussagen auch durch Vorlage von Regieberichten und von Abrechnungen, wonach tatsächlich auch Leistungen in Rechnung gestellt wurden für den Nachmittag und welche in Augenschein genommen wurden, untermauert. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass der Beklagte Streitverkündeter ist und somit der Prozess für ihn auch persönlich finanzielle Konsequenzen haben könnte. Jedoch erscheint die Aussage im Zusammenspiel mit den in Augenschein genommenen Unterlagen glaubhaft.
III.
Zudem bestehen erhebliche Zweifel, ob die behaupteten Verletzungen tatsächlich auf dem behaupteten Sturz beruhen. Der Kläger hat sich erstmals Ende März 2017, also fast ein Vierteljahr nach dem behaupteten Sturz, im Rahmen einer Kernspintomographie genauer untersuchen lassen. Diese Untersuchung wurde zudem lediglich aufgrund einer nicht im Zusammenhang mit dem Sturz stehenden Operation durchgeführt.
Zudem bestehen erhebliche Diskrepanzen, was den Zeitraum bzw. Zeitpunkt des Sturzes betreffen aufgrund der vorgelegten E-Mail Anlage K4. Der Kläger hat vortragen lassen, dass sich der Sturz am Abend des 04.01.2017 zugetragen haben soll, lässt aber eine Mail vom selben Tag vorlegen, laut welcher der Sturz sich am Tag zuvor ereignet haben soll.
IV.
Selbst bei Annahme eines Verschuldens des Erfüllungsgehilfen der Beklagtenpartei, welche sich die Beklagtenpartei zurechnen lassen muss, steht diesem Verschulden jedenfalls ein fahrlässiges Mitverschulden des Klägers gegenüber, welches im Rahmen der nach § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung der Verschuldensanteile dazu führt, dass die Beklagtenpartei für die Folgen des Sturzes des Klägers nicht einzustehen hat.
Der Kläger hat seinen Sturz fahrlässig mitverursacht, indem er den Weg ohne genauere Prüfung der Begehbarkeit und ohne Vorkehrungen gegen eine Rutschgefahr betrat. Der Kläger kannte, wie er selbst in seiner E-Mail Anlage K4 ausgeführt hat, aufgrund des Betretens des Weges am Morgen und des dort bereits erfolgten Sturzes sämtliche, die Gefahrenlage begründenden Umstände. Er wusste nach eigenen Angaben, dass der Hausmeisterservice „unzuverlässig“ war. Er hatte Kenntnis von dem massiven Wintereinbruch. Er wurde zudem kurz vor dem behaupteten Sturz von seinem Enkelsohn vorgewarnt, dass es eisglatt sei. Er hätte deshalb die Verkehrssicherheit des Wegs prüfen, gegebenenfalls einen anderen Weg nehmen und Vorkehrungen gegen bestehende Eisglätte treffen müssen. Dies hat er nicht getan.
Aufgrund Mitverschuldens ist daher ein Schadenersatzanspruch ausgeschlossen (so auch OLG Naumburg, Az.: 2 U 77/13 v. 27.02.2014).
V.
Nach alledem besteht ein Schadenersatzanspruch der Klagepartei gegenüber der Beklagtenpartei weder auf vertraglicher noch auf deliktischer Grundlage.
B.
Da kein Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagtenpartei besteht, war auch der Feststellungsantrag auf Bestehen weiterer Schadensersatzansprüche abzuweisen.
C.
Mangels Bestehen einer Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Verzugszinsen.
D.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige über die die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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