Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Anspruch auf Besitzeinräumung einer Wohnung gegen den Bauträger

Aktenzeichen  72 O 4112/19

Datum:
7.1.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 65
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 940

 

Leitsatz

1. Haben die Käufer die vereinbarten Raten bis auf den vereinbarten Sicherheitseinbehalt gezahlt und sind Mängel unstreitig, besteht ein Anspruch auf Besitzeinräumung. (Rn. 22 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verfügungsgrund für eine derartige Leistungsverfügung liegt vor, wenn das Abwarten auf einen Titel im ordentlichen Verfahren nicht zumutbar ist. Dies ist der Fall, wenn die Käufer bereits ihre bisherige Wohnung gekündigt haben, über Kindergartenplätze in der Nähe der Wohnung verfügen, die anderenfalls nicht genutzt werden können und eine Arbeitsstelle ohne die Wohnung nicht angetreten werden kann. (Rn. 33 – 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, den Antragstellern die Wohnung Nr. 2 im Erdgeschoss des Anwesens … zu übergeben.
2. Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, den Antragstellern sämtliche Wohnungs- und Briefkastenschlüssel der Wohnung Nr. 2 des Anwesens … sowie mindestens zwei Haustür- und Tiefgaragenschlüssel des Anwesens … zu übergeben.
3. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 40.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erweist sich als zulässig und begründet.
A.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gemäß § 940 ZPO zulässig. Eine Einstweilige Verfügung kann danach auf Leistung gerichtet sein, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist (vgl. Zöller/Vollkommer § 940 Rn. 6).
B.
Der Antrag erweist sich auch als begründet. Die Antragsteller haben einen Anspruch auf Einräumung des Besitzes an der streitgegenständlichen Wohnung (1.) Ein Verfügungsgrund besteht (2.).
1. Die Antragsteller haben einen Anspruch auf Einräumung des Besitzes.
Es wurden antragstellerseits die maßgebenden Raten bezahlt. Die Antragsteller durften einen Sicherheitseinbehalt in Höhe von 5 % zurückhalten. Dieser Sicherheitseinbehalt ist nach wie vor nicht fällig. Die Schlussrate ist erst bei vollständiger Fertigstellung des Objekts fällig.
Der Bauträgervertrag sieht vor, dass der Verkäufer eine Sicherheit in Höhe von 5 % des Kaufpreises zu leisten hat. Mit dieser Sicherheit soll die rechtzeitige Herstellung des Werkes sowie der Umstand abgesichert werden, dass das Werk ohne wesentliche Mängel geleistet wird.
Die Herstellung erfolgte unstreitig nicht rechtzeitig. Sogar die Antragsgegnerin geht von Schadensersatzansprüchen der Antragsteller in Höhe von insgesamt 6.077,50 € sowie weiteren 1.870,00 € aus. Des weiteren dient die Sicherheit der Herstellung des Werkes ohne wesentliche Mängel.
Nachdem antragsgegnerseits die behaupteten Mängel nicht bestritten wurden, steht fest, dass im gesamten Kellerbereich die Kellerinnenwände und damit die Abtrennungen der Kellerabteile, der Fliesenbelag im Kellergeschoss und die Elektroinstallation im Keller fehlen.
Der Kaufpreis setzt sich zusammen aus dem Preis für die Wohnung sowie dem Preis für die Tiefgaragenstellplätze und dem Keller. Auf die Kellerräume entfällt ein Betrag von 10.000,- €. Wesentlicher Bestandteil eines Kellerraumes ist eine Kellerwand, mit der das Kellerabteil gegenüber den anderen abgegrenzt wird. Allein dieser Umstand führt schon dazu, dass von einem wesentlichen Mangel auszugehen ist. Der Einwand der Antragsgegnerin, dass der Sicherheitseinbehalt fällig wäre, weil keine wesentlichen Mängel vorliegen, ist für das Gericht daher nicht nachvollziehbar. Abgesehen davon ist der Sicherheitseinbehalt schon deswegen nicht fällig, weil den Antragstellern Schadensersatzansprüche für verspätete Fertigstellung entstanden sind. Auch diese sollen mit dem Sicherheitseinbehalt abgesichert werden.
Nachdem eine Besitzübergabe noch nicht stattgefunden hat, ist die Höhe dieses Schadensersatzanspruches derzeit auch noch nicht bezifferbar. Auch das spricht schon gegen die Fälligkeit des Sicherheitseinbehaltes.
Die sonstigen Raten wurden von der Antragstellern vollständig bezahlt. Selbst die Rate, die erst Zug um Zug gegen Besitzübergabe zu bezahlen war, wurde von den Antragstellern bereits bezahlt.
Die Schlussrate ist nicht fällig, weil Voraussetzung hierfür die vollständige Fertigstellung des Objekts ist. Es kommt hier nicht darauf an, ob vollständige Fertigstellung auch das Gemeinschaftseigentum betrifft. Es ist ja auch das Sondereigentum – jedenfalls im Bereich des Kellers – nicht fertiggestellt. Es fehlen dort die Trennwände, die Elektroinstallation und der Bodenbelag. Eine vollständige Fertigstellung ist angesichts dieser Mängel fernliegend.
Die Antragsteller haben ein schützenswertes Interesse daran, die Beseitigung der behaupteten Mängel am Sondereigentum sowie die vollständige Herstellung der Wohnanlage durch Einbehalt der Schlussrate sowie des Sicherheitseinbehaltes abzusichern.
Es fehlt schlicht an der Fälligkeit der letzten Rate. Der Sicherheitseinbehalt ist so lange nicht fällig, wie wesentliche Mängel vorliegen. Eine Übersicherung der Antragsteller liegt schon deswegen nicht vor, da die Fertigstellung der genannten Mängel den zurückbehaltenen Betrag rechtfertigen, zumal ja auch eine Abnahme noch nicht stattgefunden hat und die absehbare Mangelhaftigkeit der Eigentumswohnung ein weitergehendes Sicherungsinteresse rechtfertigt.
2. Ein Verfügungsgrund besteht ebenfalls. Im Falle einer Leistungsverfügung setzt eine einstweilige Verfügung voraus, dass der Antragsteller auf die Leistung dringend angewiesen ist, das Abwarten auf einen Titel im ordentlichen Verfahren nicht zuzumuten ist und der durch die Nichtleistung entstehende Nachteil außer Verhältnis zu dem Schaden ist, den die Antragsgegnerin durch die Leistung erleidet (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO § 940 Rn. 6, Huber in Musielak/Voit, ZPO, 12. Auflage 2015, § 940 Rn. 14).
Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Kinder der Antragsteller sind 13 Monate und 3 Jahre alt. Es sind Betreuungsplätze in der Kinderkrippe bzw. im Kindergarten reserviert. Die Antragsteller müssen pro Monat für diese Betreuungsplätze 1.551,- € bezahlen, da für nicht belegte Kindergarten-/Kinderkrippenplätze eine staatliche Förderung nicht vorgesehen ist. Aufgrund der fehlenden Kinderbetreuung in München kann die Antragstellerin zu 1) ihre Arbeitsstelle bei der Stadt München nicht antreten und daher ihr Arbeitseinkommen von 1.389,42 € pro Monat nicht erzielen. Die Wohnung der Antragsteller ist zum 31.01.2020 gekündigt. Es fällt Bereitstellungsprovision für die Finanzierung der Eigentumswohnung an und die Antragsteller müssen bis zum Einzug in die Eigentumswohnung weiter Miete bezahlen, bzw. die Unterkunft in einer Ersatzwohnung bezahlen. Es liegen daher erhebliche Zahlungsverpflichtungen der Antragsteller vor.
Auch das „Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache“ stand dem Erlass der einstweiligen Verfügung nicht entgegen. Die vorrangige Aufgabe der Gerichte ist es nicht, Entscheidungen zurückzustellen, sondern genau umgekehrt, effektiven, also schnellen Rechtsschutz zu gewährleisten. Die einzige Rechtfertigung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache liegt in der Verhinderung irreversibler Fakten durch die Vollziehung einer unrichtigen Eilentscheidung. Denn noch wichtiger als die Schnelligkeit einer gerichtlichen Entscheidung ist ihre Richtigkeit. Deshalb wird die Hauptsache aber dann nicht in unzulässiger Weise vorweggenommen, sobald auch unter den eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes zuverlässig feststellbar ist, dass nach dem materiellen Recht der geltend gemachte Anspruch einredefrei besteht und die Erfüllung unberechtigt verweigert wird (Kammergericht, Urteil vom 4. Oktober 2017, 21 U 79/17). Selbst wenn die Vollziehung der einstweiligen Verfügung „irreversible Fakten“ schaffen sollte, entsprechen diese jedenfalls der Rechtslage. Folglich muss unter dieser Bedingung das verfassungsmäßige Gebot effektiven Rechtsschutzes den Vorrang gegenüber dem Interesse eines säumigen Schuldners haben, gerichtliche Prozesse zu entschleunigen, vgl. KG Urteil vom 05.12.2017, Az. 21 U 109/17.
Vorliegend haben die Antragsteller unstreitig alle Raten bezahlt, außer der Fertigstellungsrate und dem Sicherheitseinbehalt. Andererseits konnte die Antragsgegnerin auch in der mündlichen Verhandlung keinen Grund glaubhaft machen, weswegen der Sicherheitseinbehalt fällig wäre. Die Antragsgegnerin hat daher keinerlei nachvollziehbare Gründe dargelegt, die – nach Zahlung der „Besitzübergaberate“ – die Zurückhaltung der Wohnung rechtfertigen könnte. Dass die anderen Wohnungseigentümer dem Drängen der Antragsgegnerin auf vollständiger Zahlung des Kaufpreises ohne Sicherheitseinbehalt und ohne Fertigstellung des Objekts nachgegeben haben, kann eine Fälligkeit dieser Raten jedenfalls nicht begründen. Nachdem die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung durch den Geschäftsführer persönlich anwesend war und keinen nachvollziehbaren Grund benennen konnte ist auch nach den Erkenntnismöglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes festzustellen, dass die Antragsteller einen Anspruch auf Besitzübergabe gegen die Antragsgegnerin haben. Damit durfte die „Hauptsache vorweggenommen“ werden.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedurfte es gemäß §§ 936, 929 Abs. 1 ZPO nicht.
Der Streitwert war nach §§ 3 ff ZPO festzusetzen.


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