Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Anwendbarkeit der Pfändungsschutzvorschriften im Zwangsverwaltungsverfahren

Aktenzeichen  44 T 1009/18

Datum:
4.9.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 49433
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 850i
ZVG § 149 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Der Schuldner im Zwangsverwaltungsverfahren genießt Pfändungsschutz nach § 850i ZPO. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 149 Abs. 3 S. 2 ZVG. Dem Schuldner ist daher aus den Mieterträgen der verwalteten Wohnung zumindest das Existenzminimum zu gewähren (aA BGH BeckRS 2019, 30828). (Rn. 3 – 4 und 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 L 5/16 2018-07-10 Bes AGMEMMINGEN AG Memmingen

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 19.07.2018 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Memmingen – Abteilung für Zwangsvollstreckung – vom 10.07.2018 (Aktenzeichen 1 L 5/16) wird kostenfällig als unbegründet zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der monatlich an den Schuldner auszuzahlende Betrag auf 511,03 € herabgesetzt wird.
2. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.132,60 € festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aufgrund vollstreckbarer Ausfertigungen dreier Grundschuldbestellungsurkunden vom 09.12.1994, 08.07.1996 und 26.03.2001 mit einem Grundschuldkapital von zusammen 829.114,85 €. Auf dieser Grundlage beantragte die Gläubigerin unter dem 08.02.2016 die Anordnung der Zwangsverwaltung der Miteigentumsanteile verbunden mit Sondereigentum an der Wohnung B4 im Obergeschoss nebst Kellerraum im Untergeschoss des Anwesens …. Mit Beschluss vom 10.02.2016 (Bl. 5/8 der Akte) ordnete das Amtsgericht Memmingen antragsgemäß die Zwangsverwaltung an und bestellte den weiteren Beteiligten … zum Zwangsverwalter. In dem Verteilungstermin vom 06.10.2016 (Niederschrift Bl. 89/94 der Akte) stellte das Amtsgericht Memmingen einen Teilungsplan auf.
Mit Schriftsatz vom 09.05.2018 (Bl. 141/144 der Akte) teilte der Schuldner mit, dass er seit Februar 2016 ohne jegliche Einkünfte sei und seinen Lebensunterhalt mit Hilfe von Freunden und Bekannten auf Darlehensbasis bestritten habe. Dies sei nicht mehr länger zumutbar. Daher habe er nunmehr Sozialhilfe beantragt und bittet um eine Bestätigung, dass ihm der Zwangsverwalter keine Mieterträge auskehren dürfe.
Das Amtsgericht Memmingen wies mit Beschluss vom 16.05.2018 (Bl. 146/147 der Akte) daraufhin, dass der Schuldner einen Antrag nach § 850i ZPO bei dem Zwangsversteigerungsgericht stellen könne. Im Hinblick auf eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs sei zu erwägen, dass § 850 i ZPO nach der Neufassung die Auskehrung eines Erlösteils an den Schuldner ermöglichen könnte. Daraufhin beantragte der Schuldner unter dem 22.05.2018 (Bl. 150/151 der Akte) gesetzliche Grundsicherung gemäß § 850i ZPO aus den Erträgen der Immobilien. Das Amtsgericht ließ der Gläubigerin mit Verfügung vom 23.05.2018 (Bl. 152 der Akte) nach, zu dem Antrag Stellung zu nehmen. Gleichzeitig regte das Amtsgericht an, sich vergleichsweise auf eine Unterhaltsgewährung in Höhe des Regelsatzes ALG II in Höhe von € 416,00 pro Monat zzgl. Krankenversicherungskosten zu einigen. Die Gläubigerin nahm hierzu unter dem 30.05.2018 (Bl. 153 der Akte) dahingehend Stellung, dass es keinen entsprechenden Anspruch und keine entsprechende höchstrichterliche Rechtsprechung gäbe. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass weder der Schuldner noch seine Mutter in den letzten zwei Jahren Hausgeld oder Nebenkosten bezahlt hätten. Zudem könne der Schuldner seine wirtschaftliche Situation allein durch einen freihändigen Verkauf von vier bis fünf der insgesamt sechs Wohnungen zeitnah verbessern. Der Zwangsverwalter nahm unter dem 14.06.2018 (Bl. 154/155 der Akte) dahingehend Stellung, dass die betreibende Gläubigerin mit einer Unterhaltsgewährung nicht einverstanden sei. In sämtlichen Kommentierungen werde einhellig vertreten, dass eine Unterhaltsgewährung nicht möglich sei. Zudem habe der Bundesgerichtshof ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei Anordnung der Zwangsverwaltung nicht die auf die Zwangsvollstreckung in Forderung und Vermögensrechte beschränkten Pfändungsschutzvorschriften gelten würden, sondern die besonderen Bestimmungen des § 149 ZVG. Daher bestehe keine Rechtsgrundlage für Unterhaltszahlungen. Das Amtsgericht Memmingen ließ dem Schuldner mit Verfügung vom 20.06.2018 (Bl. 159 der Akte) nach, zu dem Vorbringen der betreibenden Gläubigerin Stellung zu nehmen und wies auf die Notwendigkeit eines bezifferten Antrages hin.
Daraufhin beantragte der Schuldner unter dem 04.07.2018 (Bl. 164/166 der Akte) die Auskehrung von Grundsicherung aus den Mieterträgen in Höhe von 416,00 € Grundsicherung zzgl. 95,03 € Versicherungsbeiträge, mithin insgesamt 511,05 €. Mit Beschluss vom 10.07.2018 (Bl. 167/171 der Akte) wies das Amtsgericht Memmingen den Zwangsverwalter an, an den Schuldner aus den Erträgen der Immobilie vorrangig zu den Zahlungen gemäß Zahlungsplan bis auf weiteres monatlich € 511,05 zu bezahlen. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass dem Schuldner monatlicher Unterhalt in der tenorierten Höhe zu gewähren sei. Dies beruhe auf einer entsprechenden Anwendung des § 149 Abs. 3 Satz 2 ZVG i.V.m. § 850i ZPO. Zwar solle der Schuldner nach einhelliger Auffassung der Kommentarliteratur keinen Anspruch auf Unterhalt aus der Masse haben. Dies würde jedoch von allen Autoren unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken begründet. Diese sei allerdings mit der Neufassung des § 850i ZPO durch das Gesetz vom 07.07.2009 und der dadurch bewirkten Erweiterung des Pfändungsschutzes von Arbeitseinkommen auf sonstige Einkünfte auch im Falle der Zwangsverwaltung nicht zu vereinbaren. Daher sei dem Schuldner zumindest das Existenzminimum zu gewähren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschlussgründe Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss, der der betreibenden Gläubigerin ausweislich des bei der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses am 18.07.2018 zugestellt worden war, legte die betreibende Gläubigerin mit Schriftsatz vom 19.07.2018, beim Amtsgericht Memmingen eingegangen am 20.07.2018 (Bl. 194/195 der Akte), „Beschwerde“ ein und führte zur Begründung aus, dass das Amtsgericht den wesentlichen Unterschied zwischen dem ZVG und den Pfändungsschutzvorschriften der ZPO verkannt habe. Im Gegensatz zu Zahlungen im Sinne des § 850 i ZPO handele es sich bei den Ansprüchen nach ZVG um Ansprüche des Gläubigers und nicht um solche des Schuldners. Eine analoge Anwendung der Vorschriften auf Zwangsverwaltungen gehe am Gesetzeszweck vorbei. Zudem könne der Schuldner seinen Lebensunterhalt durch Verkauf einiger Wohnungen befriedigen. Schließlich sei die Höhe des Unterhalts unangemessen. Der Schuldner bewohne eine völlig überdimensionierte Wohnung, für welche er seit zweieinhalb Jahren keine Nebenkosten bezahle. Hinzu komme, dass der Schuldner eine ordnungsgemäße Zwangsverwaltung behindere.
Das Amtsgericht Memmingen entschied mit Beschluss vom 25.07.2018 (Bl. 201/202 der Akte), der sofortigen Beschwerde nicht abzuhelfen und die Akten dem Landgericht Memmingen zur Entscheidung vorzulegen. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass § 850 i ZPO auch auf die Ansprüche des Schuldners aus Mieteinnahmen anwendbar sei. Auf ein etwaiges Fehlverhalten des Schuldners im Rahmen der Zwangsverwaltung komme es demgegenüber nicht an. Unerheblich sei zudem, ob der Schuldner seine wirtschaftliche Not durch den Verkauf von Wohnungen beseitigen könnte. Im Rahmen des § 850i ZPO komme es nach dem Gesetzeswortlaut nur auf die Verdienstmöglichkeiten des Schuldners und nicht auf die Vermögensverhältnisse an. Die seitens der betreibenden Gläubigerin verlangte Nichtgewährung des Existenzminimus sei keine im Gesetz vorgesehene Sanktionsmöglichkeit. Das Beschwerdegericht ließ den Beteiligten mit Verfügung vom 15.08.2018 (Bl. 209 der Akte) nach, zu dem Nichtabhilfebeschluss Stellung zu nehmen; Stellungnahmen sind nicht eingegangen.
Mit Beschluss vom 30.08.2018 (Bl. 210/212 der Akte) wurde das Verfahren der Kammer zur Entscheidung übertragen.
II.
Die statthafte (§ 793 ZPO) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Zur Begründung nimmt die Kammer zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden und durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Erwägungen des Amtsgerichts Memmingen aus dem angegriffenen Beschluss vom 10.07.2018 sowie aus der zugehörigen Nichtabhilfeentscheidung vom 25.07.2018, welche sich die Beschwerdekammer nach Prüfung jeweils vollumfänglich zu eigen macht.
Ergänzende Ausführungen sind weder möglich noch veranlasst, da das Amtsgericht das Beschwerdevorbringen in dem Nichtabhilfebeschluss vollständig wie auch zutreffend gewürdigt hat und hierzu trotz ausdrücklicher Gewährung einer entsprechenden Gelegenheit keine Stellungnahmen mehr abgegeben wurden.
Es war lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ein dem Amtsgericht Memmingen wie auch dem Schuldner unterlaufener Rechenfehler zu korrigieren. Der Schuldner begehrt die Auszahlung einer Grundsicherung in Höhe von 416,00 € sowie von Versicherungsbeiträgen in Höhe von 95,03 €. Die Addition der vorgenannten Summen ergibt lediglich einen Betrag von 511,03 €. Der auszukehrende Betrag war daher entsprechend herabzusetzen.
Im Übrigen war der sofortigen Beschwerde der Erfolg zu versagen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Soweit der monatlich auszuzahlende Betrag um 0,02 € herabgesetzt wurde, ist dieses Obsiegen der betreibenden Gläubigerin so gering, dass unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO eine teilweise Kostenüberbürdung nicht veranlasst war.
Gegen diese Entscheidung war gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Rechtsbeschwerde zuzulassen, da über die Frage der Anwendbarkeit des § 850i ZPO im Rahmen von Zwangsverwaltungen – soweit ersichtlich – bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist und diese Frage für eine Vielzahl von Zwangsverwaltungen Bedeutung haben kann.
Für die Festsetzung des Beschwerdewerts ist auf die Höhe des monatlich begehrten Unterhaltsbetrages abzustellen. Als Geschäftswert erscheint der Jahresbetrag angemessen (§ 3 ZPO, so auch Landgericht München II, Beschluss vom 24.09.2001, Aktenzeichen 6 T 4374/01).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Mietrecht: Was tun bei Heizungsausfällen?

Gerade in den kälteren Monaten ist eine funktionierende Heizung für die Wohnqualität von Mietern unerlässlich. Ein plötzlicher Heizungsausfall kann nicht nur unangenehm sein, sondern auch rechtliche Fragen aufwerfen. Hier sind einige wichtige Informationen, was Mieter beachten sollen.
Mehr lesen