Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Heizkostennachforderung – unwirtschaftliches Heizverhalten – Überschreiten des Grenzwertes des bundesweiten Heizkostenspiegels – konkrete Angemessenheitsprüfung – Notwendigkeit einer Kostensenkungsaufforderung

Aktenzeichen  B 14 AS 57/19 R

Datum:
19.5.2021
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2021:190521UB14AS5719R0
Normen:
§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2
§ 22 Abs 1 S 3 SGB 2
Spruchkörper:
14. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Neubrandenburg, 22. Oktober 2013, Az: S 14 AS 1633/11, Urteilvorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, 9. Januar 2019, Az: L 14 AS 524/13, Urteil

Tenor

Auf die Revisionen der Klägerinnen wird das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 9. Januar 2019 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 22. Oktober 2013 zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Klägerinnen auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1
Im Streit sind Leistungen für Unterkunft und Heizung für Mai 2011.
2
Die Klägerinnen sind 2005, 2006 und 2008 geboren und leben bei ihrer Mutter. Für die von September 2009 bis 5.1.2011 bewohnte, 85,78 qm große Mietwohnung berücksichtigte das beklagte Jobcenter als Bedarfe für Unterkunft und Heizung neben der Miete in tatsächlicher Höhe ua Heizkosten in Höhe von monatlich 74,11 Euro für Januar, 78,28 Euro für Februar bis Mai 2010 und von 138,96 Euro für Juni bis Dezember 2010 entsprechend den Abschlagsforderungen des Vermieters und nach Abzug der Pauschalen für Warmwasserbereitung.
3
Am 6.1.2011 zog die Familie mit Zustimmung des Beklagten in eine andere Wohnung um; bis dahin bezogen neben der Mutter auch die Klägerinnen Leistungen nach dem SGB II. Auf ihren Antrag bewilligte der Beklagte nur der Mutter der Klägerinnen für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 Leistungen; Leistungen für die Klägerinnen wurden wegen ihres den jeweiligen Bedarf übersteigenden Einkommens zunächst nicht, im weiteren Verlauf nur für Juni 2011 bewilligt (Bescheid vom 27.12.2010; Änderungsbescheide vom 26.3. und 12.5.2011; Widerspruchsbescheid vom 21.6.2011; im Mai 2011 hatten die Klägerinnen Einkommen in Form von Unterhaltsvorschuss, Wohngeld und Kindergeld). Gegen die Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids haben allein die Klägerinnen Klage erhoben.
4
Bereits im April 2011 hatte der frühere Vermieter ua eine Heizkostennachforderung in Höhe von 690,35 Euro geltend gemacht, fällig am 1.5.2011. Der Beklagte lehnte (mit einem nur an die Mutter der Klägerinnen gerichteten Bescheid vom 24.6.2011) die Übernahme der Heizkostennachzahlung wegen Unangemessenheit ab, soweit sie 148,58 Euro übersteige (teilweise Abhilfe des Widerspruchs im Widerspruchsbescheid vom 6.10.2011). Das dagegen gerichtete Klageverfahren (Aktenzeichen S 14 AS 2598/11), geführt von den Klägerinnen und ihrer Mutter, wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG, in dem auch das vorliegende Verfahren verhandelt und entschieden worden ist, für erledigt erklärt.
5
Während das SG den Beklagten verurteilt hat (Urteil vom 22.10.2013), den Klägerinnen Leistungen für Mai 2011 unter Berücksichtigung der dort fälligen Heizkostennachzahlung in Höhe von 690,35 Euro zu bewilligen, hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 9.1.2019). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, ein Leistungsanspruch der Klägerinnen für Mai 2011 bestehe nicht; insbesondere sei die Heizkostennachforderung nicht (anteilig) bedarfserhöhend zu berücksichtigen. Die Heizkosten seien unangemessen hoch und beruhten auf einem offensichtlich grob unwirtschaftlichen Heizverhalten. Sie überstiegen die Grenzwerte des “Bundesweiten Heizspiegels”. Einer Kostensenkungsaufforderung durch den Beklagten habe es nicht bedurft. § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II ziele vornehmlich auf diejenigen Fälle ab, in denen die unangemessenen Heizkosten auf einer unangemessenen Wohnungsgröße beruhten. Einschränkungen der Übernahmefähigkeit aufgrund unwirtschaftlichen Heizverhaltens habe auch das BSG angenommen (Verweis auf BSG vom 19.9.2008 – B 14 AS 54/07 R).
6
Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen rügen die Klägerinnen eine Verletzung des § 22 Abs 1 SGB II. Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, Heizkosten, die auf einem grob unwirtschaftlichen Verhalten beruhten, seien auch ohne vorherige Kostensenkungsaufforderung nicht als Bedarf zu berücksichtigen. Dies stehe in Widerspruch zu § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II, der nur zwischen angemessenen und unangemessenen Kosten differenziere. Unangemessene Kosten seien danach so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder zumutbar sei, sie zu senken. Deshalb habe das BSG bereits entschieden, dass unangemessene Heizkosten so lange zu übernehmen seien, bis eine Kostensenkungsaufforderung erfolgt sei. Das Gegenteil ergebe sich auch nicht aus der vom LSG genannten Entscheidung.
7
Die Klägerinnen beantragen,das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 9. Januar 2019 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 22. Oktober 2013 zurückzuweisen.
8
Der Beklagte beantragt,die Revisionen zurückzuweisen.
9
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.


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