Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Zweipersonenhaushalt in Duisburg in Nordrhein-Westfalen – Angemessenheitsprüfung – schlüssiges Konzept – abstrakte Angemessenheit – methodische Voraussetzungen – gerichtliche Kontrolle

Aktenzeichen  B 4 AS 11/20 R

Datum:
17.9.2020
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2020:170920UB4AS1120R0
Normen:
§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2
§ 22 Abs 1 S 3 SGB 2
§ 22c SGB 2
Spruchkörper:
4. Senat

Leitsatz

Das Erfordernis, den Rechtsbegriff “Angemessenheit” durch ein schlüssiges Konzept zu konkretisieren, und die Ausgestaltung der gerichtlichen Kontrolle erlauben es nicht, abstrakte Angemessenheitswerte eines Konzepts zugrunde zu legen, wenn einzelne methodische Voraussetzungen dieses Konzepts ungeprüft bleiben.

Verfahrensgang

vorgehend SG Duisburg, 30. März 2017, Az: S 6 AS 2157/14, Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 5. September 2019, Az: L 7 AS 1327/17, Urteil

Tenor

Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. September 2019 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Höhe von Leistungen nach dem SGB II für Unterkunft und Heizung in der Stadt Duisburg für die Zeit von November 2013 bis April 2014.
2
Die 1965 geborene Klägerin zu 1. und ihr 2001 geborener Sohn, der Kläger zu 2., erhalten seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zum 1.12.2010 bezogen sie eine Wohnung in der H-Straße, Duisburg. Für diese 60,78 qm große Wohnung waren nach Mieterhöhungen ab 1.1.2013 monatlich 507,24 Euro (303,84 Euro Grundmiete; 143,40 Euro Betriebskosten; 60 Euro Heizkosten) zu zahlen.
3
Der Beklagte berücksichtigte die Miet- und Heizkosten zunächst in voller Höhe als Bedarf für Unterkunft und Heizung (Änderungsbescheid vom 6.12.2012). Mit einem Schreiben vom 10.4.2013 teilte er den Klägern mit, die Summe der Grundmiete und der kalten Betriebskosten (Bruttokaltmiete) von 447,24 Euro übersteige den höchstens für das Stadtgebiet Duisburg anzuerkennenden Betrag von 400,40 Euro (274,30 Euro Grundmiete, 126,10 Euro Betriebskosten). Die bisher anerkannte Bruttokaltmiete werde deshalb für längstens sechs weitere Monate übernommen. Danach werde der Leistungsberechnung eine Bruttokaltmiete von 400,40 Euro zuzüglich der übernahmefähigen Heizkosten zugrunde gelegt.
4
Im Auftrag des Beklagten erstellte die Immobilienberatungsgesellschaft A & K GmbH eine empirische Auswertung zur übernahmefähigen Bruttokaltmiete in Duisburg für SGB II-Leistungsberechtigte (
Mietwerterhebung Duisburg 2013
vom 24.6.2013). Nach einer zum Teil eigenen Datenerhebung wurden darin Bestands- und Angebotsmieten auf der Grundlage von Stichproben erfasst und gewürdigt. Für einen Zweipersonenhaushalt ergab sich danach eine abstrakt monatlich übernahmefähige Bruttokaltmiete von insgesamt 403,65 Euro, errechnet aus einem Betrag von 6,21 Euro/qm (4,36 Euro/qm für Grundmiete und 1,85 Euro/qm für Betriebskosten) x 65 qm.
5
Ab dem 1.8.2013 erhöhten sich die tatsächlichen Wohnkosten der Kläger auf monatlich 516,24 Euro, die sich aus 303,84 Euro Grundmiete, 149,40 Euro Betriebskosten und 63 Euro Heizkosten zusammensetzten. Diese Kostensteigerung berücksichtigte der Beklagte nur noch für den Zeitraum vom 1.8.2013 bis 31.10.2013 und gewährte entsprechend höhere Leistungen (Änderungsbescheid vom 17.7.2013).
6
Für den Zeitraum vom 1.11.2013 bis 30.4.2014 bewilligte er den Klägern Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nur noch in Höhe der nach der Mietwerterhebung Duisburg 2013 maximal übernahmefähigen Kosten für die Bruttokaltmiete von monatlich 403,65 Euro und der tatsächlichen monatlichen Heizkosten in Höhe von 63 Euro (Bescheid vom 27.9.2013; Widerspruchsbescheid vom 29.4.2014).
7
Das SG hat die auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten gerichteten Klagen abgewiesen (Urteil vom 30.3.2017). Die vom LSG zugelassenen Berufungen der Kläger blieben erfolglos (Urteil des LSG vom 5.9.2019). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, es habe zwar nicht aus eigener Sachkunde feststellen können, ob die der Ermittlung des Quadratmeterpreises zugrunde liegende Datenerhebung durch die Firma A & K in allen Punkten insbesondere den Anforderungen an die Repräsentativität und Validität der Datenerhebung entsprochen habe. Der Senat verfüge nicht über die erforderliche statistisch-fachwissenschaftliche Sachkunde und dürfe sich eine solche auch nicht anmaßen. Bei einem – hier durch die so genannte “Schürkes-Liste” der Stadt Duisburg erbrachten – Nachweis ausreichender Wohnraumversorgung zu dem vom Leistungsträger planmäßig ermittelten Quadratmeterpreis habe jedoch kein Anlass bestanden, gutachterlich prüfen zu lassen, ob die angemessenen Unterkunftskosten ohne methodische Fehler ermittelt worden seien.
8
Mit ihren vom LSG zugelassenen Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Sie machen geltend, dass die “Mietwerterhebung Duisburg 2013” kein schlüssiges Konzept darstelle. Insbesondere seien die zugrunde liegenden Daten nicht repräsentativ. Die vom LSG herangezogene so genannte “Schürkes-Liste” über Wohnraumangebote könne nicht dazu führen, dass aus einem unschlüssigen ein schlüssiges Konzept werde.
9
Die Kläger beantragen,das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. September 2019 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 30. März 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 27. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2014 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihnen in der Zeit vom 1. November 2013 bis 30. April 2014 jeweils monatlich weitere 24,80 Euro zu zahlen.
10
Der Beklagte beantragt,die Revisionen zurückzuweisen.
11
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend und geht von einer Schlüssigkeit des Konzepts sowie der Zulässigkeit der Plausibilitätskontrolle mittels der “Schürkes-Liste” aus. Letztlich sei Unsicherheit ein Wesen empirischer Untersuchungen und im Grundsatz hinzunehmen.

Entscheidungsgründe

12
Die zulässigen Revisionen sind im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG kann der Senat unter Berücksichtigung der generellen Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zur Festlegung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten nicht abschließend beurteilen, ob die Kläger für den streitbefangenen Zeitraum vom 1.11.2013 bis 30.4.2014 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung beanspruchen können.
13
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid des Beklagten vom 27.9.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.4.2014, soweit diese für den Leistungszeitraum 1.11.2013 bis 30.4.2014 Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 SGB II betreffen (zur Zulässigkeit einer solchen Beschränkung: BSG vom 4.6.2014 – B 14 AS 42/13 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10; zuletzt BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 24/18 R – BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 10). Ihr Begehren auf weitere Leistungen in konkret bezifferter Höhe verfolgen die Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 54 Abs 4 SGG).
14
2. Rechtsgrundlage eines Anspruchs der Kläger auf Leistungen für die Unterkunft und Heizung sind §§ 19, 22 SGB II, hier maßgebend nach dem “Geltungszeitraumprinzip” (vgl BSG vom 19.10.2016 – B 14 AS 53/15 R – SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 15 mwN) in der Fassung, die das SGB II durch Gesetz vom 7.5.2013 (BGBl I 1167) erhalten hat. Die Kläger lebten nach den Feststellungen des LSG iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II in Bedarfsgemeinschaft und waren erwerbsfähig. Ein Leistungsausschlusstatbestand nach dem SGB II lag nicht vor.
15
Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II; zusammenfassend BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 24/18 R – BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 14 ff mwN; vgl auch BSG vom 3.9.2020 – B 14 AS 34/19 R; Senatsurteil vom heutigen Tage – B 4 AS 22/20 R). Zur Bestimmung des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft ist von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen. Will das Jobcenter nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkennen, weil es sie für unangemessen hoch hält, muss es grundsätzlich – wie hier auch erfolgt – ein Kostensenkungsverfahren durchführen und der leistungsberechtigten Person den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang der Aufwendungen mitteilen (§ 22 Abs 1 Satz 3 SGB II).
16
Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft hat in zwei größeren Schritten zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten (= Bruttokaltmiete), zu ermitteln; dann ist die konkrete Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen zu prüfen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen, einschließlich eines Umzugs.
17
Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie (“Wohnungsgröße in Quadratmeter multipliziert mit dem Quadratmeterpreis”) in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen: Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en), Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept, Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten. Für einen angemessenen Wohnungsstandard muss die Wohnung nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen und keinen gehobenen Wohnstandard aufweisen, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist (stRspr; vgl nur BSG vom 12.12.2017 – B 4 AS 33/16 R – BSGE 125, 29 = SozR 4-4200 § 22 Nr 93, RdNr 15 mwN).
18
3. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben konnte der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die Kläger (nach dem Kopfanteilsprinzip je zu 1/2) Anspruch auf Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 516,24 Euro (303,84 Euro Grundmiete, 149,40 Euro Betriebskosten und 63 Euro Heizkosten) statt der gewährten 403,65 Euro für Bruttokaltmiete und 63 Euro für Heizkosten haben. Hierzu bedarf es weiterer Feststellungen des LSG.
19
Nicht zu beanstanden ist zwar, dass das LSG die von dem Beklagten für zwei Personen als angemessen zugrunde gelegte Wohnungsgröße von 65 qm (vgl zur Festlegung nach den landesrechtlichen Bestimmungen BSG vom 16.5.2012 – B 4 AS 109/11 R – RdNr 18) und den als maßgeblich erachteten Vergleichsraum (Stadtgebiet Duisburg; vgl BSG vom 20.12.2011 – B 4 AS 19/11 R – BSGE 110, 52 = SozR 4 – 4200 § 22 Nr 51, RdNr 18) bestätigt hat. Weitere Feststellungen sind aber dazu erforderlich, ob das von der Beklagten für die Festlegung der abstrakt angemessenen Nettokaltmiete pro Quadratmeter für diese Wohnungsgröße herangezogene Konzept auch darüber hinaus den Anforderungen an ein schlüssiges Konzept entspricht.
20
Nach der Rechtsprechung des BSG soll das schlüssige Konzept die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen zudem bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert trotz Methodenvielfalt insbesondere eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard, Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung, Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht, Repräsentativität und Validität der Datenerhebung, Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung, Vermeidung von “Brennpunkten” durch soziale Segregation sowie eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird (grundlegend BSG vom 22.9.2009 – B 4 AS 18/09 R – BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 18 f; zuletzt ausführlich BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 24/18 R – BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 24; zur Berücksichtigung der § 22a Abs 3, § 22b Abs 1, 2, § 22c Abs 1 SGB II vgl Senatsurteil vom heutigen Tage – B 4 AS 22/20 R).
21
Ob ein solches Konzept die genannten methodischen Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist, ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar (BSG vom 18.11.2014 – B 4 AS 9/14 R – BSGE 117, 250 = SozR 4-4200 § 22 Nr 81, RdNr 14; vgl auch BSG vom 20.12.2016 – B 4 AS 247/16 B – RdNr 5). Das BSG hat aus § 22 Abs 1 SGB II lediglich verallgemeinerbare, dh nicht von den jeweiligen Wohnungsmärkten abhängige und entwicklungsoffene Grundsätze bzw Prüfungsmaßstäbe entwickelt, die Raum für die Berücksichtigung von regionalen Bedingungen lassen (BSG vom 18.11.2014 – B 4 AS 9/14 R – BSGE 117, 250 = SozR 4-4200 § 22 Nr 81, RdNr 14; zur Entwicklungsoffenheit zuletzt BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 24/18 R – BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 24). Ob diese generellen Anforderungen im konkreten Fall erfüllt sind, ist eine Frage tatrichterlicher Beweiswürdigung (§ 163 SGG; BSG vom 18.11.2014 – B 4 AS 9/14 R – BSGE 117, 250 = SozR 4-4200 § 22 Nr 81, RdNr 21, 30). Revisionsgerichtlich ist deshalb nur zu überprüfen, ob diese auf einem Rechtsirrtum beruht oder das Berufungsgericht die Grenzen des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verletzt hat, indem es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (vgl hierzu nur BSG vom 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R – BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, RdNr 13; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 128 RdNr 10 ff mwN).
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Eine weitere Einschränkung des revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs ergibt sich zudem aus der nach der BSG-Rechtsprechung anzunehmenden Ausgestaltung der gerichtlichen Kontrolle von Konzepten zu den Wohnkosten als nachvollziehende Kontrolle im Sinne einer Verfahrenskontrolle (auch dazu zuletzt BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 24/18 R – BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 24, mwN). Die gerichtliche Verpflichtung zur Amtsermittlung findet ihre Grenze in der Mitwirkungslast der Beteiligten (§ 103 Satz 1 SGG; hierzu zuletzt BSG vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – SozR 4-5562 § 9 Nr 15 RdNr 22; vgl auch Burkiczak, NZS 2011, 326, 327 f), die vorliegend dadurch geprägt ist, dass die Methodenauswahl dem Jobcenter vorbehalten ist und es nicht Aufgabe des Gerichts ist, ein unschlüssiges Konzept mit sachverständiger Hilfe schlüssig zu machen. Wenn also das (Tatsachen-) Gericht sich keine Überzeugung von der Schlüssigkeit bilden kann und es dem Jobcenter nicht gelingt, die Beanstandungen durch Stellungnahmen, ggf nach weiteren eigenen Ermittlungen, auszuräumen, besteht für das Gericht regelmäßig kein Anlass, sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen. In Ermangelung eines in der rechtlich gebotenen Weise bestimmten Angemessenheitswerts darf es dann auf die durch die erhöhten Wohngeldwerte begrenzten tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft abstellen (vgl zum tatrichterlichen Vorgehen zusammenfassend BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 24/18 R – BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 28 ff).
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4. Diese Konkretisierung des Rechtsbegriffs “Angemessenheit” und die Ausgestaltung der gerichtlichen Kontrolle erlauben es allerdings nicht, abstrakte Angemessenheitswerte eines Konzepts zugrunde zu legen, dabei gleichzeitig aber einzelne der genannten rechtlichen und methodischen Voraussetzungen eines schlüssigen Konzepts ungeprüft zu lassen. Es fehlt dann an systematisch gewonnenen abstrakten Maßstäben als Rechtfertigung für die Anwendung. Entgegen der Auffassung des LSG kann daher weder die Repräsentativität und Validität der Datenerhebung noch die Frage, ob anerkannte mathematisch-statistische Grundsätze bei der Datenauswertung beachtet worden sind, dahinstehen. Auch insoweit ist – ohne dass dafür zwingend ein Sachverständigengutachten einzuholen wäre – eine eigenständige Prüfung und Beurteilung des Konzepts, ggf unter Mitwirkung des Jobcenters, vorzunehmen (beispielhaft etwa LSG NRW vom 12.10.2017 – L 19 AS 502/16 – juris RdNr 57 ff; Bayerisches LSG vom 28.3.2018 – L 11 AS 52/16 – juris RdNr 44 ff, bestätigt durch BSG vom 3.9.2020 – B 14 AS 34/19 R; zu dem hier vorliegenden Konzept SG Duisburg vom 19.4.2016 – S 48 SO 528/12 – juris RdNr 36 ff).
24
Dabei kann es bereits ausreichen, ohne dass dies stets zwingend wäre, unter Auswertung der mittlerweile vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Erstellung schlüssiger Konzepte (vgl insbesondere Forschungsbericht 478 des BMAS zur Ermittlung existenzsichernden Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung, Institut Wohnen und Umwelt, 2017; Hinweise zu Erstellung von Mietspiegeln, Sonderpublikation des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumwesen , 3. aktualisierte Aufl 2020) und allgemeiner Publikationen zum örtlichen Wohnungsmarkt (etwa Wohnbericht 2017 – Daten und Analysen zum Duisburger Wohnungsmarkt, 2018) die gewählte Methode zu identifizieren und ihre fachliche Umsetzung im Allgemeinen – ggf unter besonderer Würdigung der mit ihr verbundenen Schwächen – zu verifizieren. Dies trägt der Methodenvielfalt und der damit verbundenen Methodenfreiheit der Leistungsträger Rechnung. Einer ins Einzelne gehenden Überprüfung bestimmter Detailfragen, worunter auch die Repräsentativität und Validität der dem konkreten Konzept zugrunde gelegten Daten zu fassen sind, bedarf es erst dann, wenn fundierte Einwände erhoben werden, die insbesondere über ein Bestreiten der Stimmigkeit bestimmter Daten hinausgehen müssen. Insoweit kann auch einer Verletzung der in § 22c SGB II für eine Satzungsregelung enthaltenen Vorgaben zur Datenerhebung, -auswertung und -überprüfung Bedeutung zukommen.
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5. Die Heranziehung der Werte des vorliegenden Konzepts ohne dessen abschließende Beurteilung entspricht auch unter Berücksichtigung der so genannten “Schürkes-Liste” nicht den methodischen Anforderungen. Bei dieser Liste handelt es sich um eine Datenbank über freie Wohnungen in allen Größen, verteilt über das Duisburger Stadtgebiet. Eine solche wöchentlich aktualisierte tabellarische Aufstellung über preisgünstigen Wohnraum bis zur Mietobergrenze der jeweiligen Haushaltsklassen ersetzt kein planmäßiges Vorgehen des Beklagten und auch nicht die Prüfung der Schlüssigkeit eines Konzepts. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Werte der “Schürkes-Liste” selbst nicht planmäßig ermittelt worden sind, denn diese Datensammlung grenzt den Gegenstand der Beobachtung nicht ausreichend ein und erfasst wesentliche Faktoren, wie zB den Wohnungsstandard, nicht in der gebotenen Weise (vgl BSG Urteil vom 20.12.2011 – B 4 AS 19/11 R – BSGE 110, 52 = SozR 4-4200 § 22 Nr 51, RdNr 22).
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6. Das LSG wird unter Berücksichtigung dieser Maßgaben im wiedereröffneten Berufungsverfahren also noch die Repräsentativität und Validität der Datenerhebung zu beurteilen haben sowie, ob anerkannte mathematisch-statistische Grundsätze bei der Datenauswertung beachtet worden sind. Kommt es auch unter Berücksichtigung dieser Punkte im Rahmen seiner tatrichterlichen Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, das Konzept erfülle die methodischen Voraussetzungen, um als schlüssig angesehen zu werden (so SG Duisburg vom 19.4.2016 – S 48 SO 528/12 – juris RdNr 36 ff), wäre von der abstrakten Angemessenheit der von dem Beklagten berücksichtigten Bruttokaltmiete auszugehen und die Berufungen unbegründet.
27
Soweit das LSG die konkrete Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen auf der Grundlage seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen, auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit eines Umzugs, bejaht hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Insbesondere ist nicht von Bedeutung, ob die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung zusammen möglicherweise eine Gesamtangemessenheitsgrenze iS von § 22 Abs 10 SGB II nicht überschreiten würden. Denn zum einen ist § 22 Abs 10 SGB II, der die Bildung einer solchen Gesamtangemessenheitsgrenze entgegen der bisherigen Rechtsprechung (vgl BSG vom 2.7.2009 – B 14 AS 36/08 R – BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23, RdNr 18; BSG vom 20.8.2009 – B 14 AS 41/08 R – RdNr 25) ausdrücklich anerkennt, erst durch das Gesetz vom 26.7.2016 (BGBl I 1824) zum 1.8.2016 und damit nach dem streitbefangenen Zeitraum in Kraft getreten (vgl zu den Motiven BT-Drucks 18/8041 S 41 f). Zum anderen aber geht das von dem Beklagten angewandte Konzept ausdrücklich nicht von einer Gesamtangemessenheitsgrenze aus.
28
Sollte das LSG indessen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept nicht erfüllt sind, wäre der Beklagte zur Zahlung der tatsächlichen Unterkunftskosten, ggf begrenzt durch die erhöhten Werte der Wohngeldtabelle, zu verurteilen, wenn auch die weiteren Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere die vom LSG im Einzelnen noch nicht geprüfte Hilfebedürftigkeit, vorliegen.
29
Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG ebenfalls zu entscheiden haben.


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