Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Bauaufsichtsrechtliche Nutzungsuntersagung und Zwangsgeldandrohung bei genehmigungswidriger Nutzung von Büroräumen zu Wohnzwecken

Aktenzeichen  AN 9 K 19.00476

Datum:
20.4.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10442
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZVG Art. 29, Art. 31, Art. 36, Art. 38
BayBO Art. 76 S. 1, S. 3

 

Leitsatz

1. Bauaufsichtliche Anordnungen haben gegenüber derjenigen Person zu ergehen, die die sicherheitsrechtliche Verantwortung für den baurechtswidrigen Zustand trägt. Bei einer Störermehrheit hat die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Inanspruchnahme eines Störers zu entscheiden. Das Auswahlermessen hat sich dabei an den Umständen des Einzelfalls, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot der schnellen und effektiven Gefahrenbeseitigung zu orientieren.   (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
2. Regelmäßig erscheint es sachgerecht, den Handlungsstörer vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen, wenn nicht ausnahmsweise die Wirksamkeit der Maßnahme eine andere Reihenfolge gebietet. Bezogen auf die Nutzungsuntersagung ist derjenige Handlungsstörer, der für die formelle und materiell rechtswidrige Nutzung unmittelbar verantwortlich ist (hier Heranziehung der gekündigten Mieterin von als Büroraum genehmigten Räumlichkeiten als Handlungsstörerin wegen weiterer rechtwidriger Nutzung zu Wohnzwecken und zum Betrieb einer Kindertagesstätte. (Rn. 51 – 52) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A.
Streitgegenstand der vorliegenden Klage ist eine isolierte, nicht mit dem zugrundeliegenden, bereits unanfechtbaren Grundverwaltungsakt vom 23. Juli 2018 verbundene Androhung eines erneuten Zwangsgeldes unter Setzung einer Nachfrist zur Erfüllung der Anordnung Nr. 1 des unanfechtbaren Bescheides vom 23. Juli 2018 (Nutzungsuntersagung).
Der zugrundeliegende Bescheid vom 23. Juli 2018 ist auch bereits unanfechtbar geworden, insbesondere wurde entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten kein Widerspruch eingelegt, der den Eintritt der Unanfechtbarkeit hätte hindern können. Das Schreiben der Klägerin vom 28. August 2018 ist, wie die Beklagte zutreffend ausführt, schon nicht als Widerspruch zu werten, da inhaltlich ausschließlich um eine Fristverlängerung ersucht wird und auch die festgesetzten Kosten bezahlt wurden, was für ein grundsätzliches Einverständnis mit dem Bescheid spricht. Jedenfalls wäre aber der Widerspruch auch kein statthafter Rechtsbehelf gewesen, was sich aus § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 2 AGVwGO ergibt, der das grundsätzliche Entfallen des Widerspruchsverfahrens anordnet. Es ist nicht ersichtlich, dass eine der Varianten des Art. 15 Abs. 1 AGVwGO einschlägig wäre, wonach ein Vorverfahren statthaft sein könnte.
Der Bescheid vom 23. Juli 2018 wurde somit bestandskräftig, und die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene isolierte Zwangsgeldandrohung kann gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 3 BayVwZVG mit der Anfechtungsklage nur insoweit angegriffen werden, als eine Rechtsverletzung durch die Androhung selbst geltend gemacht wird. Einwendungen gegen den unanfechtbaren Grundverwaltungsakt sind ausgeschlossen (vgl. BayVerfGH Entscheidung v. 24.1.2007 – Vf. 50-VI-05 – juris). Die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 23. Juli 2018 ist somit nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
B.
Die zulässige Klage, über die auf Grund des Einverständnisses der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Die Zwangsgeldandrohung erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Die erneute Zwangsgeldandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, 31 und 36 BayVwZVG.
II.
Hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit bestehen keine Bedenken.
III.
Auch die materielle Rechtmäßigkeit ist zu bejahen.
1. Der der Vollstreckung zugrunde liegende Grundverwaltungsakt, der Bescheid vom 23. Juli 2018, ist unanfechtbar im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG. Der Verwaltungsakt ist auch wirksam; Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit gem. Art. 44 BayVwVfG sind nicht ersichtlich.
2. Die Pflicht zur Unterlassung der Nutzung stellt eine Unterlassenspflicht dar; das Zwangsgeld ist somit das richtige und auch das mildeste Zwangsmittel (Art. 31 Abs. 1 BayVwZVG).
3. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes wird von der Klägerin nicht substantiiert angegriffen und ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie bewegt sich mit 1.500,00 EUR im Rahmen des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG, wonach das Zwangsgeld mindestens 15,00 EUR und höchstens 50.000,00 EUR betragen darf. Angesichts der Tatsache, dass eine nicht genehmigte Wohnnutzung vorliegt und mangels genehmigter Nutzung beispielsweise keine Überprüfung der Rettungswege erfolgt ist, erscheint die Höhe als absolut angemessen.
4. Die gesetzte Frist begegnet ebenfalls keinen Bedenken, Art. 36 Abs. 1 BayVwZVG. Auf das Vorbringen der Klägerin wurde ihr eine Fristverlängerung bis 31. Dezember 2018 eingeräumt. Diese Frist ist erfolglos verstrichen. Der streitgegenständliche Bescheid räumt eine Nachfrist von weiteren 6 Monaten ab Zustellung des Bescheides ein. Es ist davon auszugehen, dass diese Frist angemessen ist, um eine neue Wohnung zu finden; dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin bereits im April 2018 über die bevorstehende Nutzungsuntersagung informiert wurde und somit bereits ausreichend Zeit bestanden hat, sich auf die Situation einzustellen. Auch bezüglich der Angemessenheit der Frist gilt zu bedenken, dass gegenwärtig eine Wohnnutzung ohne geprüfte Rettungswegsituation erfolgt und bereits vor diesem Hintergrund eine zeitnahe Beendigung dieses Zustandes angezeigt ist.
5. Gem. Art. 36 Abs. 6 Satz 2 BayVwZVG ist die erneute Androhung eines Zwangsmittels erst dann zulässig, wenn die vorausgegangene Androhung des Zwangsmittels erfolglos geblieben ist. Auch diese Voraussetzung ist gegeben. Die Nutzung der Wohnung besteht nach Aktenlage weiterhin fort, Gegenteiliges wurde nicht vorgetragen. Somit durfte gem. Art. 36 Abs. 6 Satz 2 BayVwZVG eine erneute Zwangsgeldandrohung unter Fristsetzung erfolgen.
6. Auch unter sonstigen Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bestehen keine Bedenken. Die Behörde hat bereits über einen langen Zeitraum zugewartet und der Klägerin auch schon faktisch eine Nachfrist eingeräumt, obwohl die Klägerin die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung (Löschung der beim Amt für Existenzsicherung angegebenen Kriterien „Erdgeschoss“ und „Haustiere“) gar nicht erfüllt hat. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten seitens der Klägerin 4 durch das Amt für Existenzsicherung angebotene Wohnungen abgelehnt wurden.
Soweit Bedenken gegen die Störerauswahl geltend gemacht werden, hätten diese bereits gegen den Grundverwaltungsakt vorgebracht werden müssen. Selbst wenn man die Störerauswahl aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen würde, so begegnet die Inanspruchnahme der Klägerin als Handlungsstörerin keinen Bedenken.
Bauaufsichtliche Anordnungen haben gegenüber derjenigen Person zu ergehen, die die sicherheitsrechtliche Verantwortung für den baurechtswidrigen Zustand trägt. Bei einer Störermehrheit hat die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Inanspruchnahme eines Störers zu entscheiden. Das Auswahlermessen hat sich dabei an den Umständen des Einzelfalls, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot der schnellen und effektiven Gefahrenbeseitigung zu orientieren. Regelmäßig erscheint es sachgerecht, den Handlungsstörer vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen, wenn nicht ausnahmsweise die Wirksamkeit der Maßnahme eine andere Reihenfolge gebietet (BayVGH, B.v. 28.5.2001 – 1 ZB 01.664 – juris Rn. 5; VG Ansbach,U.v. 10.10.2019 – A N 9 K 18.00119 – juris Rn. 61). Bezogen auf die Nutzungsuntersagung ist derjenige Handlungsstörer, der für die formelle und materiell rechtswidrige Nutzung unmittelbar verantwortlich ist (siehe hierzu VG Ansbach, U.v. 16.8.2018 – AN 9 K 17.02668 – juris Rn. 45).
Vor dem Hintergrund, dass nach dem Akteninhalt und dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten gerade nicht mehr von einem wirksamen Mietvertrag auszugehen ist, da dieser durch den Vermieter und Wohnungseigentümer mit Kündigung vom 28. November 2017, durch Boten am 29. November 2017 übergeben, fristlos gekündigt wurde, erscheint die Heranziehung der Klägerin als Handlungsstörerin als angemessen und rechtmäßig. Der Vermieter und Wohnungseigentümer, gegen den die Behörde zunächst vorgegangen war, hat mit der Kündigung reagiert. Insoweit begegnet es keinen Bedenken, die Klägerin als Handlungsstörerin heranzuziehen, da sie gegenwärtig für die rechtswidrige Nutzung unmittelbar verantwortlich ist und somit auch am besten geeignet ist, den Zustand der nicht genehmigten Nutzung durch Aufgabe der Nutzung zu beenden. Der Wohnungseigentümer und Vermieter erweist sich keinesfalls als sachnäher als die Klägerin.
Auch die klägerseits vorgelegten Nachweise hinsichtlich der Bemühungen, eine Wohnung zu finden, führen nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Anordnung. Diese wären nur für die Gewährung einer Fristverlängerung bis zum 31.12.2018 von Bedeutung gewesen. Diese Fristverlängerung wurde faktisch aber ohnehin gewährt; es gibt aber keinen Grund, warum künftig von der Durchsetzung der Anordnung abgesehen werden sollte. Auch hier ist wiederum auf die bereits durch das Amt für Existenzsicherung angebotenen Wohnungen, die ohne Angabe von wichtigen Gründen abgelehnt wurden, zu verweisen. Vor diesem Hintergrund ist eine Unverhältnismäßigkeit nicht erkennbar.
C.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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