Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Eigentümerversammlung – Wirksamkeit von Beschlüssen

Aktenzeichen  14 C 3575/19 WEG

Datum:
20.12.2019
Fundstelle:
ZMR – 2020, 345
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG § 46 Abs. 1 Satz 2

 

Leitsatz

Ein Mehrheitsbeschluss widerspricht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn die Eigentümer bei der Beschlussfassung keine Vergleichsangebote hatten und daher nicht über die Kenntnis der wesentlichen Entscheidungsgrundlagen verfügten, um diese in die Abwägung der Beschlussfassung mit einbeziehen zu können. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.Der in der Eigentümerversammlung vom 23.04.2019 zu Tagesordnungspunkt 8/2019 (Anschaffung von Abstimmungsgeräten) gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.
2.Der in der Eigentümerversammlung vom 23.04.2019 zu Tagesordnungspunkt 16/2019/06 (Beschluss über die Sondervergütung des Verwalters) gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.
3.Die Beklagten tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits.
4.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. 
Beschluss    
Der Streitwert wird auf 2.446,88 € bis 29.07.2019 und danach auf 4.508,03 € festgesetzt (Streitwert im Verfahren Kläger zu 1) und 2) 2.446,88 €, Streitwert im Verfahren betreffend der Kläger zu 3) und 4) 2.061,15 €).

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Hinsichtlich dem Klageantrag zu TOP 16/2019/06 (Beschluss über die Sondervergütung des Verwalters) war gemäß dem Anerkenntnis der Beklagten ein Anerkenntnisurteil zu erlassen.
Hinsichtlich des Klageantrags zu TOP 8/2019 (Anschaffung von Abstimmungsgeräten) ist die Klage begründet und der gefasste Beschluss für ungültig zu erklären.
I. Die Beschlussanfechtungsklagen gegen die in der Eigentümerversammlung vom 23.04.2019 gefassten Beschlüsse zu TOP 8/2019 und TOP 16/2019/06 wurden fristgerecht eingelegt und begründet gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG. Die Klage der Kläger zu 1) und 2) vom 21.05.2019 ging am selben Tag bei Gericht ein und wurde mit Schriftsatz vom 19.06.2019, bei Gericht eingegangen am selben Tag, begründet. Die Klage der Kläger zu 3) und 4) vom 23.05.2019 ging per Fax am 23.05.2019 bei Gericht ein und wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 23.06.2019, per Fax eingegangen am 24.06.2019, begründet.
II. Die Beklagten haben den Antrag, den Beschluss zu Tagesordnungspunkt 16/2019/06 über die Sondervergütung des Verwalters anerkannt.
III. Der Beschluss unter TOP 8/2019 hinsichtlich der Anschaffung von Abstimmungsgeräten widerspricht ordnungsgemäßer Verwaltung und ist für ungültig zu erklären.
Der von den Eigentümern gefasste Mehrheitsbeschluss zu TOP 8/2019 widerspricht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, da die Eigentümer bei der Beschlussfassung keine Vergleichsangebote hatten und daher nicht über die Kenntnis der wesentlichen Entscheidungsgrundlagen verfügten, um diese in die Abwägung der Beschlussfassung mit einbeziehen zu können. Die Eigentümer hatten bei der Abstimmung lediglich ein Angebot der Firma zum Preis von 20.400,00 € inkl. MwSt. vorliegen. Die Verwaltung hat dazu mitgeteilt, dass es derzeit auf dem Markt nur einen Anbieter gibt, der ein verlässliches System zur Verfügung stellt. Weitere Angebote von anderen Geräten waren nicht eingeholt worden. Letztlich fehlte es den Eigentümer an vergleichbaren Angeboten und somit an der Entscheidungsgrundlage, um ihr Ermessen angemessen auszuüben.
Eine Maßnahme erfolgt dann nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn sie im Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer erfolgt und sie bei objektiver vernünftiger Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der gesonderten Umstände des Einzelfalles nützlich ist. Dies ist der Fall, wenn sich die Maßnahme bei einer an den konkreten Bedürfnissen und Möglichkeiten ausgerichteten Kosten-/Nutzenanalyse und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft im Einzelfall als vertretbar erweist. Maßstab ist der Standpunkt eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Wohnungseigentümers. Hierbei muss auch die konkrete Situation der Wohnungseigentümergemeinschaft Berücksichtigung finden, insbesondere auch die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft. Den Eigentümern verbleibt im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung ein Ermessenspielraum zwischen mehreren möglichen Maßnahmen. Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung ist jedoch, dass die Wohnungseigentümer über die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen verfügen und diese in die Abwägung bei der Beschlussfassung auch einbeziehen (Merle in Bärmann, WEG 13. Auflage, § 21 Randnummer 28 ff). Beim Beschluss über die Vergabe von größeren Aufträgen ist den Wohnungseigentümern zwar ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen, jedoch verstößt ein entsprechender Beschluss regelmäßig gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn nicht zuvor mehrere vergleichbare Konkurrenzangebote eingeholt worden sind und die Wohnungseigentümer über sämtliche relevaten Umstände aufgeklärt wurden (aaO § 21 Randnummer 31).
Vorliegend fehlte es den Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung über die Kenntnis der Entscheidungsgrundlage, da keine Konkurrenzangebote eingeholt wurden. Auch angesichts der Größe der vorliegenden Wohnungseigentümergemeinschaft und der Vielzahl der Eigentümer ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine größere Anschaffung mit Kosten von über 20.000,00 € handelt. Bei einem derartigen Kostenrahmen sind mehrere Vergleichsangebote einzuholen, um insbesondere auch die Leistungen der verschiedenen Angebote vergleichen zu können. Auch wenn es sich vorliegend – wie von der Beklagten vorgetragenbei diesem Angebot um das einzig zuverlässigste Abstimmungssystem handeln sollte – wäre es erforderlich gewesen, den Eigentümern auch andere Abstimmungssysteme vorzustellen und die Kosten hierfür mitzuteilen, sowie die Eigentümer zu informieren, auch welchen Gründen diese anderen Abstimmungssysteme unzuverlässiger funktionieren sollten. Den Eigentümern verbleibt bei der Abstimmung ein Ermessensspielraum und es ist Sache der Eigentümer, durch Stimmenmehrheit eine Auswahl zu treffen. Dabei müssen die Eigentümer nicht die kostengünstigste Alternative wählen. Es ist durchaus im Auswahlermessen der Wohnungseigentümer, sich für ein teureres Angebot zu entscheiden. Vorliegend hat die Verwaltung eine Vorauswahl getroffen und den Eigentümern lediglich ein Abstimmungssystem zur Abstimmung gestellt, dass nach der Vorprüfung der Verwaltung das zuverlässigste System ist. Erforderlich wäre es jedoch gewesen, den Eigentümern auch möglicherweise unzuverlässigere Systeme samt ihren Schwächen zu präsentieren mit Kostenangeboten, sodass die Eigentümer ihre Ermessensauswahl in umfassender Kenntnis aller Möglichkeiten treffen können.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 ZPO.
V. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 49 a Abs. 1 GKG.
Für die Anfechtung des TOP 8/2019 wird der Streitwert auf 147,90 € festgesetzt (20.400,00 € / Hunderttausendstel x 145 MEA x 5).
Bezüglich TOP 16/2019/06 beträgt der Streitwert für die Kläger zu 1) und 2) 2.298,98 € (2% der Sonderumlage von 15.855.000,00 / 100.000 x 145 x 5).
Der Streitwert der Kläger zu 3) und 4) betreffen TOP 16/2019/06 beträgt 2.060,50 € (2% der Sonderumlage von 15.855.000,00 / 100.000 x 145 x 130 x 5).
Auf die Kläger zu 1) und 2) entfällt ein Streitwert von insgesamt 2.446,88 €.
Auf die Kläger zu 3) und 4) entfällt ein Streitwert von 2.060,50 €.


Ähnliche Artikel


Nach oben