Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Festsetzung von Dringlichkeit und Größe für eine neue Sozialwohnung

Aktenzeichen  M 12 K 16.590

Datum:
17.3.2016
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayWoBindG BayWoBindG Art. 4, Art. 5
BayWoFG BayWoFG Art. 14 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1 Die Heranziehung einer Punktetabelle zur Vorentscheidung über den Grad der sozialen Dringlichkeit für eine neue Sozialwohnung ist ein geeignetes Mittel, um die Bewertung der sozialen Dringlichkeit transparent zu machen und dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung zu tragen (ebenso VGH München BeckRS 1999, 26710). (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist nicht zu beanstanden, wenn wegen einer kleinen und kalten Wohnung 22 Grundpunkte wegen eines sonstigen Grundes, der eine geringe Dringlichkeit rechtfertigt, zuerkannt werden. (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Vormerkung für Wohnungen ab 10 qm für eine Einzelperson ohne besonderen Mehrraumbedarf ist nicht zu beanstanden. Die in einem nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 BayWoFG bzw. Art. 4 BayWoBindG ausgestellten Wohnungsberechtigungsschein angegebene maximale Wohnraumgröße ist nicht maßgebend. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte entschieden werden, obwohl die Klägerin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Die Klägerin wurde mit Postzustellungsurkunde am 23. Februar 2016 ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen. In der Ladung wurde sie darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die von der Klägerin erhobene Verpflichtungsklage ist zulässig, aber unbegründet. Die Festsetzung der Dringlichkeit des Antrages der Klägerin mit insgesamt 25 Punkten für einen Wohnraum ab 10 qm ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer höheren Dringlichkeit und auf mehr Wohnräume, §§ 113 Abs. 5 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist Art. 5 des Bayerischen Wohnungsbindungsgesetzes (BayWoBindG). Die Landeshauptstadt München gehört zu den Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf. Die Beklagte hat als zuständige Stelle in Bezug auf Sozialwohnungen nach Art. 5 Satz 2 BayWobBindG gegenüber den Verfügungsberechtigten ein Benennungsrecht. Bei der Benennung sind gemäß Art. 5 Satz 3 BayWoBindG insbesondere schwangere Frauen, Familien und andere Haushalte mit Kindern, junge Ehepaare, alleinstehende Elternteile mit Kindern, ältere Menschen und schwerbehinderte Menschen vorrangig zu berücksichtigen. Das Benennungsrecht ermächtigt die zuständige Behörde aus Gründen der Praktikabilität auch, vor der eigentlichen Benennung eine rechtlich verbindliche Vorentscheidung über die Voraussetzungen der Wohnberechtigung und über den Grad der sozialen Dringlichkeit zu treffen. Diese Vorentscheidung erfolgt durch Aufnahme in eine nach Dringlichkeitsstufen und Punkten differenzierende Vormerkkartei, wobei es sich um einen im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakt handelt (BayVGH vom 23.9.1987, DWW 1988, 55).
Zur gleichmäßigen Ermessensausübung hat die Beklagte eine Punktetabelle erstellt. Es handelt sich dabei um eine ermessensbindende interne Richtlinie, deren konsequente Anwendung dem Gleichbehandlungsgrundsatz entspricht und die regelmäßig zu einer Selbstbindung der Verwaltung führt. Diese Punktetabelle ist ein geeignetes Mittel, um die Bewertung der sozialen Dringlichkeit transparent zu machen und dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung zu tragen (BayVGH vom 14. 04. 1999 – 24 S 99.110). Nach der Punktetabelle können im Falle einer ausreichenden Unterbringung des Antragstellers 15 Punkte vergeben werden. Für sonstige Gründe, die eine geringe Dringlichkeit rechtfertigen, werden 22 Grundpunkte zuerkannt.
Die Bewertung des von der Klägerin vorgetragenen Sachverhaltes mit 22 Grundpunkten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist als Einpersonenhaushalt in ihrer jetzigen Wohnung mit einer Gesamtfläche von 32 qm ausreichend untergebracht. Angesichts der Deckung der erforderlichen Kosten für Unterkunft und Heizung durch Leistungen nach dem SGB II ist gewährleistet, dass die Klägerin auch in Zukunft ihre Miete erbringen können wird. Eine Dringlichkeit aus wirtschaftlichen Gründen, die nach der Punktetabelle der Beklagten die Vergabe von 36 Punkten rechtfertigen würde, scheidet deshalb aus. Die Beklagte hat hier berücksichtigt, dass die Wohnung der Klägerin klein und kalt ist und ihr deshalb 22 Grundpunkte wegen eines sonstigen Grundes, der eine geringe Dringlichkeit rechtfertigt, zuerkannt. Verglichen mit den anderen in der Punktetabelle aufgeführten Lebenssachverhalten, die eine höhere soziale Dringlichkeit aufweisen, konnte der Klägerin aufgrund ihrer derzeitigen Wohnsituation jedoch keine höhere Grundpunktezahl zugestanden werden. Die Beklagte hat hier auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin die Möglichkeit hat, sich an ihren Vermieter zu wenden, um Abhilfe bezüglich der geltend gemachten Mängel der Wohnung zu erlangen. Dieser ist verpflichtet, die Wohnung in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen und hat dafür Sorge zu tragen, dass die Wohnung ausreichend beheizt werden kann. Entsprechend wurde die Dringlichkeit des Antrags sachgerecht von der Beklagten mit 22 Grundpunkten festgesetzt. Fehler bei der Ausübung des Ermessens sind nicht ersichtlich.
Die Vergabe von 3 Anwesenheitspunkten begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken, so dass die Einstufung der Dringlichkeit des Antrags der Klägerin mit insgesamt 25 Punkten in Rangstufe III rechtmäßig ist.
Auch die von der Beklagten festgesetzte Wohnungsgröße mit einem Wohnraum ab 10 qm ist rechtlich nicht zu beanstanden und wurde ermessensfehlerfrei festgesetzt. Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 des Bayerischen Wohnraumförderungsgesetzes (BayWoFG) in der Fassung vom 10. April 2007, zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. März 2009, wird ein Wohnberechtigungsschein erteilt, wenn die Größe des Wohnraums angemessen ist. Eine Definition der angemessenen Wohnraumgröße findet sich weder im Bayerischen Wohnraumförderungsgesetz noch im Bayerischen Wohnungsbindungsgesetz oder in der Verordnung zur Durchführung des Wohnraumförderungs- und Wohnungsbindungsrechts (DVWoR). Eine „punktgenaue“ Auslegung dergestalt, dass für einen konkreten Wohnungssuchenden nur eine Wohnung mit einer ganz bestimmten Quadratmeterzahl und/oder Zimmeranzahl angemessen wäre, scheidet naturgemäß aus. Die für den jeweiligen Wohnungssuchenden „angemessene“ Wohnungsgröße bewegt sich vielmehr innerhalb einer gewissen Bandbreite. Solange die Behörde diese Bandbreite nicht unter- oder überschreitet, also den Wohnungssuchenden nicht für eine unangemessen kleine oder unangemessen große Wohnung vormerkt, liegt es im Ermessen der Behörde, welchen Wohnungstyp bzw. welche Wohnungsgröße sie im Rahmen der Vormerkung festsetzt. Die Beklagte hat das ihr diesbezüglich zustehende Ermessen durch verschiedene Dienstanweisungen allgemein ausgeübt. Hinsichtlich der angemessenen Wohnraumgröße ist die Dienstanweisung Mehrraumbedarf (DA Mehrraum) vom 11.10.2001 zu berücksichtigen.
Unter Berücksichtigung der Vorgaben der DA Mehrraum steht der Klägerin kein Anspruch auf Vormerkung für eine größere Wohnung zu. Danach ist die Wohnungsgröße in der Regel angemessen, wenn auf jedes Haushaltsmitglied ein Wohnraum ausreichender Größe entfällt. Zusätzlicher Wohnraum kann insbesondere aus gesundheitlichen und beruflichen Gründen oder z. B. für junge Familien gewährt werden. Solange kein besonderer Mehrraumbedarf vorliegt, bewegt sich die Behörde innerhalb der durch den Begriff der Angemessenheit vorgegebenen Bandbreite, wenn sie Einpersonenhaushalte nur für Einzimmerwohnungen vormerkt. Die Beklagte verstößt mit dieser restriktiven Praxis auch nicht gegen die sie bindenden Regelungen in Nr. 5.7 Satz 2 der vom Bayerischen Staatsministerium des Innern erlassenen Verwaltungsvorschrift zum Vollzug des Wohnungsbindungsrechts (VVWoBindR) vom 2. Mai 2012, wonach für Alleinstehende bis zu 50 qm Wohnfläche oder bis zu zwei Wohnräume angemessen sind. Diese Regelung bezieht sich direkt nur auf die Ausstellung des Wohnberechtigungsscheins nach Art. 4 BayWoBindG (vgl. die Überschrift von Nr. 5 VVWoBindR), der in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf nicht zwingend erforderlich ist (vgl. § 3 Abs. 2 Halbsatz 2 DVWoR), in den Gebieten ohne erhöhten Wohnungsbedarf für den Verfügungsberechtigten jedoch den Nachweis darstellt, dass die freigewordene Wohnung dem Wohnungssuchenden überlassen werden darf, wenn die im Wohnberechtigungsschein angegebene Wohnungsgröße „nicht überschritten“ wird (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayWoBindG). Die in Nr. 5.7 VVWoBindR angegebenen Werte sind daher nur Obergrenzen. Das geht auch aus dem Wortlaut deutlich hervor. Dies korrespondiert auch mit den Wohnraumförderungsbestimmungen 2012 (WFB 2012) der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 22. Januar 2012, Az. IIC1-4700-001/11 (AllMBl S. 592). Nach Nr. 22.2 WFB 2012 ist eine Einzimmerwohnung mit höchstens 40 qm für eine Person angemessen.
Vorliegend hat die Klägerin keine Gründe im Sinne der DA Mehrraum nachgewiesen, die einen Mehrbedarf rechtfertigen würden. Die Vormerkung der Klägerin für einen Wohnraum ab 10 qm stellt daher keinen Ermessensverstoß dar.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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