Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Gewerberaummiete – Umfang der Mitbenutzungsrechte von Gemeinschaftsflächen

Aktenzeichen  14 O 4339/19

Datum:
10.12.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42085
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 535 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der Mieter von Geschäftsräumen in einem Einkaufscenter hat auch ohne besondere Vereinbarung im Mietvertrag Anspruch auf Mitbenutzung der Gemeinschaftsflächen, die für den Zugang zu den Geschäftsräumen wie Treppenhaus, Fahrstuhl oder Flure, typischerweise erforderlich sind. (Rn. 32 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein direkter barrierefreier überdachter Zugang von einem Parkhaus zum Einkaufscenter, stellt insbesondere in Innenstadtlagen einen erheblichen Umstand für die Attraktivität der Ladenlokale dar, sodass unter Berücksichtigung des maßgeblichen objektiven Empfängerhorizonts die Mitbenutzung des Parkhauses und des überdachten Zugangs zwischen Parkhaus und Center zum Inhalt des Mietverhältnisses für das Ladenlokal wird. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, die im Zugangswegbereich zwischen den Parkebenen P2, P3 und P4 des auf dem Anwesen … gelegenen Parkhauses und dem dort über diesen Zugangsweg verbundenen Einkaufszentrum … mit der postalischen Adresse … befindlichen Zu- und Ausgangstüren (Türanlage) wieder zu öffnen und die Öffnung dieses Zu-/Ausgangs zumindest während der Öffnungszeiten des Einkaufszentrums dauerhaft aufrecht zu halten, soweit dem nicht etwa notwendige Reparaturarbeiten der Zu-/Ausgangstüren entgegenstehen.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer 1 vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen ist das Urteil nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird bis 27.08.2020 auf 40.000,00 € und danach auf 122.241,88 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet, die zulässige Widerklage dagegen unbegründet.
I. Der Klägerin steht gemäß § 535 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Wiedereinräumung der direkten Zugangsmöglichkeit zwischen Parkhaus und dem Center über den derzeit gesperrten überdachten Zugangsweg zu.
1. Gemäß § 535 Abs. 1 BGB wird der Vermieter durch den Mietvertrag verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren. Der Vermieter hat die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten.
a) Maßgeblich ist für die Frage, wie weit die räumliche Überlassungspflicht des Vermieters geht, demnach die schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den Parteien. Der Vermieter hat dem Mieter zur Erfüllung seiner Überlassungspflicht sämtliche Bestandteile der Mietsache zu übergeben. Welche Räume und Grundstücksflächen als Bestandteil der Mietsache mitvermietet sind, ist in erster Linie anhand der vertraglichen Vereinbarungen zu ermitteln, kann sich aber auch aus Treu und Glauben und/oder der Verkehrssitte ergeben (Lindner-Figura/Oprée/Stellmann Geschäftsraummiete, Kapitel 14. Ansprüche und Rechte des Mieters im Rahmen der Gebrauchsüberlassung und Gebrauchsgewährung Rn. 63).
Werden in einem Objekt Geschäftsräume vermietet, erstreckt sich das Recht des Mieters zur Benutzung der gemieteten Räume auf das Recht zur Mitbenutzung der Gemeinschaftsflächen des Objekts. Sind keine besonderen Vereinbarungen getroffen, ist die übliche Benutzung umfasst und deckt alle mit der Benutzung von Geschäftsräumen typischerweise verbundenen Umstände (vgl. BGH, NJW 2007, 146). Regelmäßig kann der Mieter davon ausgehen, dass das Treppenhaus, der Fahrstuhl und Flure, soweit sie für den Zugang zur Mietsache und zu den mitvermieteten Gemeinschaftsflächen durchschritten werden müssen, mitbenutzt werden dürfen, auch wenn sie selbst nicht Gegenstand des Mietvertrages, also vermietet sind (Schmidt-Futterer/Eisenschmid, BGB § 535 Rn. 25).
b) Was Gegenstand des Mietvertrages und damit der Gebrauchsgewährungspflicht des Vermieters ist, richtet sich in erster Linie nach dem jeweiligen Mietvertrag. Trifft dieser – wie üblich – nur unvollständige Regelungen, kommt der am Vertragszweck orientierten Auslegung gemäß § 157 BGB besondere Bedeutung zu; hilfsweise ist der Vertragsgegenstand nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte zu bestimmen (Bub/Treier MietR-HdB, Kapitel III. Durchführung des Mietverhältnisses Rn. 2775).
Die Gebrauchsüberlassung setzt bei der Miete nicht in jedem Falle voraus, dass dem Mieter auch der (Mit-)Besitz an der Sache verschafft wird. Was der Vermieter im Einzelfall tun muss, um seiner Pflicht zu genügen, dem Mieter die Mietsache zum Gebrauch zu überlassen und während der Mietzeit zu belassen, richtet sich nach der Art und dem Umfang des Gebrauchs, der dem Mieter nach dem Vertrag gestattet ist. Nur wenn hiernach der Gebrauch der Mietsache notwendig deren Besitz voraussetzt, gehört zur Gebrauchsgewährung auch die Verschaffung des Besitzes. Ist dagegen der vertragsmäßige Gebrauch nur ein beschränkter, richtet er sich namentlich nur auf eine gelegentliche, dem jeweiligen Bedarf angepasste Nutzung und ist daher eine Überlassung des Besitzes zur Ausübung des Gebrauchs nicht erforderlich, so entfällt damit nicht der Begriff der Gebrauchsgewährung und infolgedessen auch nicht der der Miete. Dementsprechend kann es auch die Pflicht des Vermieters sein, die ungestörte Benutzung der Sache – in der Art und dem Umfang, wie es der Vertrag vorsieht, – zu gewähren (BGH: NJW-RR 1989, 589).
Den Entzug eines vertraglich begründeten Mitbenutzungsrechts braucht der Mieter nicht zu dulden (Bub/Treier MietR-HdB, Kapitel III. Durchführung des Mietverhältnisses Rn. 2778).
2. Gemäß der vertraglichen Vereinbarung besteht für die Klägerin und ihre Kunden ein Mitbenutzungsrecht an dem derzeit versperrten Zugangsweg.
a) Zwar handelt es sich bei dem Mietgegenstand selbst nur um die in Teil A 0.4 sowie Teil B 1.1 des Mietvertrages bezeichnete Mietfläche. Ausweislich Teil C 1.1 des Mietvertrages sind die Kfz-Stellplätze kein Mietgegenstand. Dies steht aber – wie dargestellt – der Annahme eines „bloßen“ Mitbenutzungsrechts an dem versperren Übergang nicht entgegen.
b) Aufgrund der am Vertragszweck orientierten Auslegung der vertraglichen Vereinbarung gemäß § 157 BGB besteht ein Mitbenutzungsrecht der Klägerin für sich und ihre Kunden an dem versperrten Übergang.
Gemäß Teil A Ziffer 7 des Mietvertrages sind Bestandteile des Mietvertrages die Teile A – D. In Teil C 1.1 des Mietvertrages wird festgehalten, dass dem Einkaufszentrum Kfz.-Stellplatzanlagen angegliedert sind und dem Mieter zugesichert, dass mindestens die behördlich geforderte Zahl von Stellplätzen vorgehalten wird. In Teil C Ziffer 2.1.1 B) werden die Stellplatzanlagen als Flächen von Serviceeinrichtungen des Einkaufszentrums bezeichnet. Gemäß Teil B Ziffer 6.1.1 a betreffen die in Ziffer 6.1.2 Teil B genannten Nebenkosten die „folgenden Anlagen und Einrichtungen sowie zum Einkaufszentrum gehörenden Gebäudeteile und Grundstücksflächen: Stellplatzanlagen (Parkplätze, Parkdecks, Parkhäuser, Tiefgaragen, Zweiradstellplätze; vgl. hierzu Teil C des Mietvertrages), Verkehrswege Grünanlagen (einschließlich Dachbegründung) und sämtliche sonstige außerhalb der Gebäude (…) befindlichen Außenanlagen (…);“. Aus dieser ausdrücklich vertraglich vereinbarten Regelung folgt, dass es sich bei den Parkplätzen im angegliederten Parkhaus und den Verkehrsweg vom Parkhaus ins Center um zum Einkaufszentrum gehörende Teile handelt.
Der überdachte barrierefreie Zugang vom Parkhaus zum Center und umgekehrt war schon von jeher – insbesondere jedenfalls schon lange Zeit vor Beginn des Mietverhältnisses zwischen den Parteien – möglich. Ein solcher überdachter Zugang zu einem Einkaufszentrum stellt einen Umstand dar, der für die Attraktivität des Einkaufszentrums in der Innenstadtlage, und damit auch für die darin befindlichen Geschäfte von sogar erheblicher Bedeutung ist (vgl. auch BGH NJW 2000 1714). Gerade aus der Möglichkeit eines direkten vom Wetter völlig unabhängigen Zuganges vom Parkhaus zum Center ergibt sich der besondere wirtschaftliche Standortvorteil der Anmietung eines Ladenlokals im Center. Es reicht im Hinblick auf die Wesentlichkeit gerade eines solchen Zuganges nicht aus, dass andere Wege für die parkenden Kunden zur Verfügung stehen. Insoweit ist nämlich zunächst zu berücksichtigen, dass es schon für einen gesundheitlich nicht eingeschränkten Kunden einen Unterschied macht, wenn er die Möglichkeit hat auch bei widrigen Wetterverhältnissen relativ warm, geschützt und trockenen Fußes zu einer Einkaufsmöglichkeit zu gelangen oder im strömenden Regen in der Kälte. Für Kunden, die unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden, gilt dies erst recht. Dieser Vorteil war den Parteien des Mietvertrages auch bei der Anmietung der Räumlichkeiten durch die Klägerin bewusst, sodass unter Berücksichtigung des maßgeblichen objektiven Empfängerhorizonts die Mitbenutzung des Parkhauses und des überdachten Zugangs zwischen Parkhaus und Center zum Inhalt des Mietverhältnisses zwischen den Parteien wurde.
c) Nachdem vorliegend durch die Sperrung des Zugangsweges den vertraglich vereinbarten Inhalt des Mietverhältnisses betrifft, liegt eine unmittelbare Beeinträchtigung der Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch vor. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu der von der Beklagten angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 2000, 1714), in welchem ein überdachter Zugangsweg zum Mietobjekt die Eignung der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch nur mittelbar betraf.
Dass vom Parkhaus aus andere Zugänge zum Center bestehen, ändert an der Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin ihr Nutzungsrecht zu ermöglichen nichts, da aufgrund der geschilderten Umstände gerade ein überdachter direkter Zugang von den Parkflächen P2 – P4 zum Center und umgekehrt zum Vertragsinhalt geworden ist. Dass dieser Zugang nicht zwingend notwendig ist, hat keine Relevanz.
d) Unerheblich ist indes, dass sich das Parkhaus auf dem Nachbaranwesen befindet, welches in Fremdeigentum steht. Maßgeblich für die Beurteilung des Verhältnisses von Klägerin und Beklagter ist allein der schuldrechtliche Inhalt des zwischen diesen Parteien bestehenden Mietvertrages.
e) Der Verweis der Beklagten auf die Rechtsprechung zu Besitzschutzansprüchen und Mitbesitz verfängt nicht, da die Klägerin lediglich einen Anspruch auf Mitbenutzung geltend macht.
f) Nachdem die Beklagte im Schriftsatz vom 28.10.2020 unter ausdrücklicher Aufgabe ihres bisherigen Sachvortrages unstreitig gestellt hat, dass der im Übergang zwischen Parkhaus und Center befindliche Fahrsteig auch im Ruhezustand von Personen benutzt werden kann und seitens der Beklagten auch keine anderen Gründe vorgetragen wurden, weshalb eine Öffnung des Zugangs technisch nicht möglich sein soll, war dem Antrag der Klagepartei stattzugeben.
g) Der neue und zwischenzeitlich von der Beklagten bestrittene Sachvortrag der Klagepartei im Schriftsatz vom 29.10.2020, es handele sich bei der verschlossenen Tür um eine Fluchttür, ist für die Entscheidung nicht von Belang. Schriftsatznachlass wie von der Beklagten mit Schriftsatz vom 26.11.2020 beantragt, musste daher nicht gewährt werden.
II. Die Widerklage war abzuweisen, da das Verhalten der Klägerin bzw. ihres Geschäftsführers eine außerordentliche fristlose Kündigung nicht rechtfertigt.
1. Die Forderung der Klägerin gegenüber der Beklagten, den überdachten Zugangsweg zu öffnen und offen zu halten, ist berechtigt (s.o.). Die Geltendmachung berechtigter Ansprüche gegenüber dem Verpflichteten kann ohne weitere besondere – hier nicht vorliegende – Umstände kein schikanöses Verhalten darstellen.
2. Sofern die Kündigung der Beklagten darauf gestützt wird, dass die Klagepartei mit Schreiben vom 08.06.2020 unter Bezugnahme auf die entsprechenden Regelungen der Infektionsschutzmaßnahmeverordnungen die Beklagte, als für das Center verantwortliche Betreiberin aufforderte, sich zu Infektionsschutzmaßnahmenkonzept hinsichtlich des Centers zu erklären und widrigenfalls die entsprechenden Behörden der Stadt Nürnberg zu informieren, stellt dies die Wahrnehmung berechtigter Interessen der Klagepartei dar. Dass die Klägerin vorliegend leichtfertig und unangemessen gehandelt hat, was ausnahmsweise eine Kündigung rechtfertigen könnte (vgl. hierzu: BVerfG NZM 2002, 61), hat die Beklagte nicht konkret vortragen und unter Beweis gestellt.
3. Bei der im Rahmen von seitens der Beklagten angestrebten Vertragsaufhebungsverhandlungen geäußerte Aussage des Geschäftsführers der Klägerin, man werde „ohne eine Abfindung von … Euro das Objekt nicht verlassen …“, handelt es sich nicht um ein schikanöses Verhalten. Die Beklagte hat keinerlei Anspruch auf eine einvernehmliche Aufhebung des noch bis zum Jahr 2026 bestehenden Mietvertrages. Wenn die Klägerin eine entsprechende Vertragsaufhebung nicht eingehen möchte, ist das ihr gutes Recht. Ebenso steht es ihr daher frei, einen Betrag zu benennen, bei dessen Zahlung sie sich bereit erklären würde, den Vertrag zu beenden. Dass die Beklagte diesen Betrag unter ihrer Einschätzung der Interessenlage für unverhältnismäßig hält, steht dem nicht entgegen.
III. Nebenentscheidungen
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich hinsichtlich Ziffer 1 des Urteils aus §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO, im Übrigen aus § 709 ZPO.


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